Bürgergeld ist der Mühlstein am Hals der schwarz-roten Koalition

Die Bundesregierung steckt in einem Dilemma: Unterlässt Schwarz-Rot eine wirksame Reform von Bürgergeld und Sozialstaat, können CDU, CSU und SPD Deutschland nicht erfolgreich regieren. Reformiert die Koalition aber Bürgergeld und Sozialstaat – dann zerbricht sie daran.

Imago/ dts Nachrichtenagentur

Vor zehn Jahren hat Angela Merkel “Wir schaffen das” gesagt. Seit zehn Jahren führen die regierenden Parteien und ihre Medien einen Abwehrkampf, der immer mehr seinem Waterloo, Gettysburg oder Königgrätz entgegengeht: Von 43 auf 47 Milliarden Euro sind die jährlichen Kosten fürs Bürgergeld gestiegen, knapp die Hälfte davon geht an Ausländer. Die Tagesschau versucht das im Internet zu relativieren und lässt einen Experten sagen: Es sei plausibel, dass so viele Ausländer im Bürgergeld seien. Wenn sie kämen, seien sie als Arbeitslose direkt im Bürgergeld und würden nicht zuerst Arbeitslosengeld kriegen.

Zum einen beschönigt die Tagesschau an der Stelle die Situation von Ausländern im Arbeitslosengeld: Laut dem Mediendienst-Integration betrug zu Beginn des Jahres 2024 die Arbeitslosenquote unter Ausländern 14,7 Prozent – in der Gesamtbevölkerung waren es indes nur 6,6 Prozent. Vor allem aber gibt die Tagesschau an der Stelle das “Narrativ” auf, die Einwanderung sei vor allem eine Zuwanderung von Fachkräften. Um den Anteil im Bürgergeld schönzureden, gibt die Tagesschau zu, dass ein Großteil der Einwanderung eben doch direkt in die Sozialsysteme führt – ohne dass die Betroffenen ein Jahr gearbeitet haben.

Der Abwehrkampf geht verloren. CDU, CSU und SPD üben sich in Exit-Strategien. Sie wissen, dass es die Kombination aus Bürgergeld und Einwanderung ist, die der AfD zu einem Aufstieg über die 20 Prozent hinaus verholfen hat. Deshalb hat schon Olaf Scholz (SPD) als Kanzler im Spiegel geprotzt, er wolle “im großen Stil” abschieben lassen. Zwar war das nur heiße Luft, aber das zu erwähnen, ist im Zusammenhang mit Scholz ein Pleonasmus – ein weißer Schimmel.

Nur in wenigen Bereichen hat Scholz konsequent regiert. In genau diesen Bereichen ging seine Kanzlerschaft am schlimmsten schief. Vor allem im Bürgergeld. Dessen Bezüge hat die Ampel innerhalb von einem Jahr um 25 Prozent erhöht. Außerdem haben sie den Sanktionen für Arbeitsunwillige ein Verfahren vorgeschaltet, das an Absurdität und Umständlichkeit nicht zu überbieten ist. Kein Zufall. Die Reform des Bürgergeldes sollte das Trauma auflösen, das die SPD mit den Hartz-Reformen erlebt hat. Nach zwei Jahrzehnten wollten die Sozialdemokraten nicht mehr die sein, die Langzeitarbeitslose aus der sozialen Hängematte zwingen.

Das Problem ist nur: Das Bürgergeld funktioniert nicht. Die 47 Milliarden Euro Kosten im Jahr 2024 sind ein Problem, machten sie doch in dem Jahr etwa zehn Prozent des Bundeshaushalts aus. Doch das Geld ist noch das kleinere Übel. Allzumal für eine schwarz-rote Regierung, die das Land mit 850 Milliarden Euro neuer Schulden belasten will. Das viel größere Problem ist der Mühlstein, den das Bürgergeld am Hals der deutschen Arbeitsmoral bildet.

Verantwortliche wie der Tübinger Bürgermeister Boris Palmer (parteilos) berichten von Familien, die 6000 Euro und mehr netto an Bürgergeld beziehen. Dafür muss ein Familienvater fast 10.000 Euro brutto verdienen. Es verwundert also wenig, dass es in Deutschland einen “Fachkräfte-” und “Arbeitskräftemangel” gibt, aber gleichzeitig die Arbeitslosigkeit kontinuierlich steigt. Wer mit Wirten oder Ladeninhaber redet, der erfährt, dass die tatsächlich keine Arbeitskräfte finden. Die Jobs, die sie bieten sind hart – und 10.000 Euro zahlen sie bestenfalls über drei Monate verteilt.

Noch führen die SPD und ihre Medien einen Abwehrkampf, dass es nur ganz wenige seien, die Bürgergeld beziehen, weil sie nicht arbeiten wollten. Die allermeisten seien unwillentlich da reingerutscht und wünschten sich nichts mehr, als rauszukommen. So argumentierte jüngst der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Dirk Wiese, gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Es seien nur wenige, die das System ausnutzen, das dürfe nicht toleriert werden. Der CDU-Abgeordnete Tilman Kuban sagte dem gleichen Medium: “Die neue Grundsicherung kann es nur noch für die geben, die wirklich auf Hilfe angewiesen sind.”

Die Unterschiede zwischen beiden finden sich nur in Nuancen. Die Union beteuert zwar, sie wolle das Bürgergeld reformieren hin zu einer “neuen Grundsicherung”. Aber um wirklich Entscheidendes zu verändern, müsste die schwarz-rote Regierung genauso hart durchgreifen wie eins Rot-Grün unter dem Sozialdemokraten Gerd Schröder als Kanzler. Dazu fehlt aber beiden Partnern die Entschlossenheit: Die SPD will keine Sozialreformen – nicht im Bürgergeld, nicht in der Rente und schon gar nicht in der Einwanderung – weil die SPD nichts mehr fürchtet, als in ihr Hartz-Trauma oder noch schlimmeres zurückzufallen. Die Union weiß, dass sie sich nicht mal dann auf die SPD verlassen kann, wenn es um die Wahl eines Kanzlers geht, der ihr zuvor in den Koalitionsverhandlungen jeden Wunsch erfüllt hat – in einer echten Reform des Sozialstaates oder der Einwanderung schon mal gerade gar nicht.

Zuständig für die Reform ist Arbeitsministerin Bärbel Bas. Eine der beiden Vorsitzenden der SPD. Aus ihrem Ministerium steigen aktuell einige Testballons in befreundeten Medien auf. Die Rede ist von Sanktionen, die bis zum Entzug von zwei monatlichen Zahlungen reichen. Aber nur, wenn der Staat den Langzeitarbeitslosen die Miete weiterbezahlt. Die Bezüge für Frau (und Frauen) sowie Kinder nicht angetastet werden.

Und alles das auch nur dann, wenn die Mitarbeiter der Jobcenter vorher hohe Nachweishürden genommen haben. Eben diese Betreuer stehen dann vor der Wahl, Arbeitsunwilligkeit weiter zu akzeptieren oder sich selbst viel Arbeit zu machen und viel Ärger zu riskieren für Sanktionen, die weder viel bewirken – noch viel bewirken sollen. Wer will es den Mitarbeitern der Jobcenter verübeln, wenn sie dem auch künftig aus dem Weg gehen?

Erfolgreich kann diese Bundesregierung nur sein, wenn sie den Sozialstaat ernsthaft reformiert. Doch wenn Schwarz-Rot den Sozialstaat ernsthaft reformiert, dann zerbricht Schwarz-Rot daran. Deswegen wird die jetzige Regierung das tun, was die große Koalition unter Angela Merkel (CDU) und die Ampel unter Scholz vor ihr getan haben: Die soziale Hängematte unangetastet lassen. Ebenso wie andere Lieblingsprojekte der regierenden Parteien. Und von der Einwanderung behaupten, sie sei eine der Fachkräfte – statt einer Einwanderung der Fachkräfte herbeizuführen. Obwohl dieser Abwehrkampf längst verloren ist.

Bluten müssen dann die – genauso wie unter der großen Koalition und der Ampel – die den Wohlstand erwirtschaften: Noch höhere Sozialabgaben. Noch höhere Steuern und immer mehr Fälle, in denen sie mehr Geld zur Verfügung hätten, wenn sie gar nicht arbeiten gingen. Damit bleiben Bürgergeld und Sozialwesen in Kombination mit der Einwanderung der Mühlstein am Hals der deutschen Arbeitsmoral – aber auch am Hals der schwarz-roten Koalition.

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Kommentare ( 121 )

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Ralph Martin
3 Monate her

Jeder der 15 Millionen Nettosteuerzahler finanziert also mit ca. 3.333 Euro pro Jahr das Bürgergeld (50 Milliarden durch 15 Millionen).
Das wäre ein sehr schöner 2 wöchiger Urlaub mit der Familie in Italien.

Kassandra
3 Monate her
Antworten an  Ralph Martin

Ja. Und kein Geld für jegliche Infrastruktur zur Werterhaltung übrig.
Zumal auch alle anderen der von Merkel hinterlassenen Baustellen beständig neue Gelder fordern, egal ob Ukraine, Klima, Energie – wobei von Bildung gar nicht gesprochen werden muss – denn gebildet sein gilt in unserer künftigen „Gesellschaft“ als überbewertet – wo zunehmend die schnelle Eingliederung in haram-halal gefragt sein wird.

Don Didi
3 Monate her
Antworten an  Kassandra

Bildung gilt nicht als überbewertet, Bildung ist schädlich. Bildung erzeugt selbständig denkende Menschen und solche sind schwerer zu belügen und zu führen, als Idioten.
DAS ist der Grund, warum die Regierungen Bildung verhindern.

OJ
3 Monate her

Die Wahrheit schmerzt❗
RENTNER sind mit Abstand die größte Wählergruppe.
RENTNER schauen in der Masse ÖRR.
RENTNER wählen seit Gründung der Bundesrepublik in der Masse SPD und CDU/CSU.
RENTNER sind in der Masse politisch und wirtschaftlich ungebildet.❗
Jetzt raten sie mal, wer die Schuld an der ganzen Misere trägt❓

Kassandra
3 Monate her
Antworten an  OJ

Die 4. Gewalt – die sich von Merkel schon 2008 als 5. Kolonne und AgitProp-Abteilung an den Regierungsapparat anschließen ließ:
Jakob Augstein titelt am 22. Juli 2010 in der SZ: „Wie Mitarbeiter des Kanzleramts“ https://www.sueddeutsche.de/medien/serie-wozu-noch-journalismus-4-das-ist-nicht-ihr-kanzleramt-1.63398
Dazu kam dann die seit 2014 bestehende Merkelsche Nudgingabteilung ebenda.

Jan Frisch
3 Monate her

Einer kürzlichen Anfrage ist zu entnehmen, dass insgesamt ungefähr 80% aller Bürgergeldempfänger einen Migrationshinter- oder Vordergrund haben, wir sollten es also endlich in „Migrantengeld“ umbenennen.

Kassandra
3 Monate her
Antworten an  Jan Frisch

Tribut oder Dschizya zeigen unseren Stand als „Dhimmis“ überdeutlich.

Gernoht
3 Monate her

Es wird niemandem etwas weggenommen! Wurde uns versprochen.

Don Didi
3 Monate her
Antworten an  Gernoht

Diese Aussage war ja schon vorher falsch. Kein Staat läßt sich finanzieren, ohne daß den produktiv Arbeitenden etwas weggenommen wird. Das ist das Grundprinzip der Besteuerung, das war schon im Mittelalter beim „Zehnten“ so.
Nur das „der Zehnte“ noch halbwegs übersichtlich und finanzierbar und es damit dann auch erledigt war. Heute haben wir >40% EkSt, dazu noch Sozialabgaben und von dem, was dann netto übrig bleibt, gehen noch große Teile in den Verbrauchssteuern (Gebühren, Abgaben) verloren.

H. Priess
3 Monate her

Kleine Schatten werfen ihre großen Ereignisse voraus! Warum wird immer vom Bürgergeld gelabert, sind Ukrainer, Migranten etc. denn Bürger? Nur ein Drittel sind Deutsche die das leistungslose Einkommen in Anspruch nehmen. Manche müssen, viele wollen, und die, die wollen, werden immer mehr, während man denen, die müssen, immer mehr auf die Füße tritt denn irgendeinen muß man ja treffen, wenn man sanktionieren will. Getreu nach dem linksrotgrünwoken Motto: Arbeit darf sich nicht mehr lohnen! Erst wenn alle vom Staat beschäftigt werden ist die Gerechtigkeit für alle erreicht! Keiner arbeitet aber alle sind beschäftigt. Von daher halte ich das Nichtbürgergeld noch… Mehr

Innere Unruhe
3 Monate her
Antworten an  H. Priess

Und die Deutschen müssen ihre Verhältnisse offen legen.
Mussten Syrer und Ukrainer ihre Häuser zu Hause verkaufen, um hier ins Geld zu kommen???
Oder woher weiß man, dass sie bedürftig sind?

DDRforever
3 Monate her
Antworten an  H. Priess

Sie haben es erkannt, genau darum und nur darum geht es.

Juri St.
3 Monate her

Am Hals der schwarz-roten Koalition hängen noch zahlreiche andere Mühlsteine, vor allem die anhaltende Migration aus Nahost und Afrika, die aus dem Ruder laufende Energiewende, die rasant auf Talfahrt befindliche Industrie und Wirtschaft, die Beschneidung der bürgerlichen Freiheiten, insbesondere der Meinungsfreiheit, die ausufernde Bespitzelung der Bürger, die permanent steigenden und Neuerfindungen von Steuern und Abgaben, die erschreckende Politisierung der Justiz um nur einige zu nennen.

Teiresias
3 Monate her

Das Bürgergeld mag ein Problem und eine nie versiegende Quelle von Ungrechtigkeiten, irrwitzigen Dummheiten und Ärgernissen zu sein – aber mit 47 mrd € ist es „nur“ einer von mehreren Kostenfaktoren, derentwegen wir Pleite gehen. Der Ukraineunfug ist in der Summe viel teurer! Wenn wir über die tieferen Ursachen reden würden – was ÜBERALL vermieden wird – dann würden wir über den Konflikt USA – China/BRICS reden, in dem die USA ein Interesse an der Zerstörung und Plünderung Europas haben, während NIEMAND deutsche Interessen vertritt – und ausser Orhan und Fico auch niemand europäische. Das Bürgergeld ist Detail und nicht… Mehr

Last edited 3 Monate her by Teiresias
Kassandra
3 Monate her
Antworten an  Teiresias

Das Abendland soll nicht mehr sein.
Wie die Christenheit eben auch.
Dabei fällt der Blick noch viel zu wenig auf das II. Vatikanische Konzil, wo sie den Run aufs Abendland und dessen Eroberung losgetreten haben werden: https://nixgut.wordpress.com/2016/11/29/helmut-zott-allah-und-der-gott-der-christenheit/
Ob die allerdings im Auftrag handeln oder eigenaktiv den eigenen Ruin einleiteten – wer kann das wissen?

DuMeineGuete
3 Monate her
Antworten an  Teiresias

Sehe ich auch so. Ein Mühlstein am Hals der schwarz-roten Koalition? Dass ich nicht lache! Die führen weiterhin ohne jegliche Skrupel ihre Befehle aus. Und wenn Deutschland und fast ganz Europa gegen die Wand gefahren worden sind, heißt es dann „Mission accomplished“ und die dafür Verantwortlichen haben dann schon längst ihre Schäfchen im Trockenen…

Last edited 3 Monate her by DuMeineGuete
Klaus D
3 Monate her

Bürgergeld…eigentlich hartz4. Ich kann mich noch gut erinnern was konservative und liberale (CDU/CSU FDP) geklatscht haben. Es war aber klar das das ding in die hose gehen wird denn es basiert darauf das es viele billig jobs gibt. Das hat am anfang auch erstmal geklappt weil die nachfrage nach billigen arbeitskräften vorhanden war. Aber aufgrund der vorhersehbaren veränderung der wirtschaft hat es immer weniger von diesen gebraucht. Und das rächt sich jetzt siehe fachkräftemangel.

W aus der Diaspora
3 Monate her

Leider alles richtig. Es gibt keine Chance, dass ein anderer Weg beschritten wird. Es gibt in D keinen Milei und keinen Trupf, und leider auch in den anderen EU-Ländern nicht.

Kassandra
3 Monate her
Antworten an  W aus der Diaspora

Ist das nicht interessant, dass EU-weit nur Fico und Orbán blieben, die sich für das Wohl ihrer Nation weiter stark machen?

MalinMetternich
3 Monate her

Ein hervorragender Text, der das Problem der Union auf den Punkt bringt. Und es ist allein das Problem der Union. Allerdings wissen das inzwischen auch etliche CDUler – und werden dafür sorgen, dass die Brandmauer fällt und damit wohl auch Merz, denn er hat sich zu eindeutig positioniert und kann nicht mehr zurück. Wer könnte Merz stürzen? Das ist meine einzige und letzte Hoffnung.