Den Finger in die richtigen Wunden gelegt

Der neue Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) stellt sich als erfahrener Praktiker nicht nur mutig gegen die Anti-Abschiebe-Praktiken ziviler Fluchthelfer, sondern auch gegen den gesetzlich geplanten Verzicht auf die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber, die arbeiten.

imago/IPON

In einem Interview mit der WELT Am SONNTAG vom 24. März hat der neue Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Hans-Eckard Sommer, den Finger in zwei offen klaffende Wunden der deutschen Asylpolitik gelegt. Er prangerte zum einen das Verhalten „selbst ernannter Flüchtlingsräte“ an, die mit der Überzeugung, „dass sich jeder das Land seines Aufenthalts selbst aussuchen soll“, die Behörden aktiv bei der Abschiebung ausreisepflichtiger Asylbewerber behindern. Abschiebetermine werden bekannt gegeben und den Ausreisepflichtigen dabei geholfen, zum Zeitpunkt der Abschiebung nicht auffindbar zu sein. Unter dem Motto „Ziviler Ungehorsam“ kursieren im Internet zahlreiche Tipps, wie man sich außerdem dem Vollzug einer rechtmäßigen Abschiebung entziehen kann. So veröffentliche etwa die taz, sekundiert von zahlreichen Rechtsanwälten, unter dem Titel „Anleitung zum Ungehorsam“ eine Art Ratgeber, in dem unter anderem zu lesen ist:

„Wenn sich die Türen des Flugzeugs geschlossen haben, geht es richtig los: Denn jetzt darf die Bundespolizei nach internationalem Recht keine Zwangsmaßnahmen mehr durchführen. Selbst wenn die Beamten also als sogenannte Sicherheitsbegleitung mitfliegen wollen und sich deswegen noch im Flugzeug befinden, können Sie aktiv werden. Das Ziel ist jetzt, den Start des Flugzeugs zu verhindern. Bleiben Sie stehen! So lange sie sich nicht hinsetzen, darf das Flugzeug nicht losfliegen.“

Um dieses, mit humanitärer Abwehr staatlicher Willkür begründete, Verhalten der von Alexander Dobrindt als „Anti-Abschiebe-Industrie“ betitelten Befürworter eines allgemeinen Abschiebeverbots zu unterbinden, fordert der neue BAMF-Chef Änderungen im Strafrecht, die eine Sanktionierung ermöglichen. Ein entsprechender Gesetzentwurf des Innenministeriums liegt inzwischen vor, liegt in der Koalition aber auf Eis und dürfte auf Druck der SPD und Teilen der CDU dort wohl auch weiter liegen bleiben.

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Dem neuen BAMF-Präsidenten geht es aber nicht nur um den verbesserten rechtmäßigen Vollzug behördlicher oder gerichtlicher Ablehnungen von Asylanträgen, sondern ebenso um die Eindämmung des anhaltenden Zustroms von Asylbewerbern ohne Aussicht auf Asyl. Dieser würde sich zwar auch schon durch eine wirksame Sanktionierung der Anti-Abschiebe-Politik der von ihm kritisierten Organisationen und Netzwerke vermindern, wenn ausreisepflichtige Asylbewerber nicht mehr wie bisher damit rechnen können, sich mit „zivilgesellschaftlicher“ Unterstützung einfach ihrer Abschiebung entziehen zu können. Noch wichtiger ist aber der Abbau bestehender Anreize für den anhaltenden Missbrauch des Asylwegs zur Arbeitsmigration. Dieser führte, wie Sommer darlegt, dazu, dass von 162.000 Erstantragsstellern im Jahr 2018 rund 122.000 dem BAMF keinen Asylanspruch nachweisen konnten. Diese Zuwanderer kommen als Arbeitsmigranten nicht auf dem regulären Migrationsweg, sondern auf dem Asylweg nach Deutschland, weil sie unter anderem wissen, dass sie hier sofortigen Anspruch auf staatliche Versorgung und einen sofortigen Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten und ihnen außerdem selbst dann keine Abschiebung droht, wenn ihr Asylantrag abgelehnt wurde.

Im vom Kabinett beschlossenen Entwurf für ein neues „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“ soll dieser Pull-Effekt nun aber, entgegen Sommers Wunsch, nicht abgebaut, sondern noch weiter ausgebaut werden. Geplant ist der völlige Verzicht auf die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber, sofern diese in Ausbildung oder in Arbeit gekommen sind. BAMF-Präsident Sommer erkennt darin völlig zurecht ein „gefährliches Signal ins Ausland: wer arbeitet, darf trotz Ablehnung in Deutschland bleiben. Schleuser machen damit Werbung.“ Er lehnt eine solche Regelung daher ab. Sie wurde unter der Federführung seines Vorgesetzten, Innenminister Seehofer, erarbeitet, dem sein Mitarbeiter Sommer somit in diesem Punkt öffentlich widerspricht. Dies tut er offensichtlich in der Hoffnung (vielleicht aber auch dem Wissen) dass ihn deswegen nicht dasselbe Schicksal ereilt wie seinen früheren Kollegen Hans-Georg Maaßen. In Teilen der Koalition und der Opposition sowie in Teilen der „Zivilgesellschaft“ und einigen Medien werden diesbezüglich gewiss schon die ersten Messer gewetzt.

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Zum Effekt der Beförderung des internationalen Schlepperwesens kommt aber noch ein weiterer Effekt, den Sommer in seinem Interview unerwähnt lässt. Die Anreize für die Verschleppung von Asylverfahren und die Verhinderung des Vollzugs von Ausreisebescheiden werden größer, um durch Zeitgewinn die Chancen auf eine Ausbildungsstelle oder einen Arbeitsplatz zu erhöhen. Der geplante Verzicht auf Abschiebungen für abgelehnte Asylbewerber wird daher zu einer Intensivierung der „zivilgesellschaftlichen“ Anti-Abschiebe-Aktivitäten mit anwaltlicher Unterstützung führen. Als erfahrener Praktiker dürfte sich Sommer dessen bewusst sein. Vermutlich pocht er mit besonderem Nachdruck auf eine strafrechtliche Ahndung gängiger Praktiken, da er fürchtet, dass er in Hinblick auf das Thema Bleiberecht für abgelehnte Asylbewerber nicht auf die Unterstützung seines Innenministers setzen kann und seine Mitarbeiter daher in Zukunft beim Thema Abschiebung mit noch mehr Aktionen des „zivilen Ungehorsams“ konfrontiert sein werden.


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Kommentare ( 50 )

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Contra Merkl
4 Jahre her

Das ganze Asylgesetz wird zur Massenmigration missbraucht. Das geht schon los, dass die Kinder der Versorgungssuchenden mit deutschen Kindern in eine Klasse gesetzt werden. Da gibt es nur noch Verlierer. Hier wird sich selbst an den Kindern übelst vergangen. Der entstandene Schaden wird nicht mehr reparabel sein. Was denken sich die Verantwortlichen eigendlich dabei ? Gar nix, die schicken ihre Kinder auf Privatschulen. Aber nebenbei fährt die jüngste Generation, was Bildung anbelangt, vor die Wand. Das ganze muss wieder auf die Füsse gestellt werden, dass wenn der Grund wegfällt, die ganzen Leute wieder Heim müssen. Denen ihre Kinder können in… Mehr

pcn
4 Jahre her

Der BAMF-Chef hat wohl vergessen, dass seit der Unterzeichnung des UN-Migrationspaktes Merkel die unbegrenzte Einwanderung festgezurrt hat. Auch steht explizit drin, dass Migranten die gleichen Sozialleistungen erhalten sollen wie Einheimische. Ferner, dass auch gegen den Willen der Eineimischen die Migration mit allen Mitteln durchzusetzen ist. Wir als Deutsche sind faktisch entmündigt und haben die Folgen zu tragen; sei es sicherheitspolitisch, sei es finanziell. Gerade tagte der Verkehrsausschuss. Dort hat man schon die Erhöhung der Mineralölsteuer im Blick. Um 80 Cent wird sie wahrscheinlich steigen. Und zwar dann, wenn Schwarz/Grün 2021 in die Kiste steigen werden. Momentan sieht es danach aus.… Mehr

Contra Merkl
4 Jahre her
Antworten an  pcn

Die Eu Kommision will auch wieder beschliessen, das Abgaswerte wieder um ein Drittel sinken müssen. Mit was und wie sollen Motoren denn überhaupt noch laufen ? Da beschliessen Bürokraten etwas, die nicht mal wissen wie ein Kolbenbolzen gesichert wird. Wenn jeder 2. Job in der Autoindustrie weg ist, sind hier die fetten Jahre vorbei. Dann hat sich das mit der EU sowieso erledigt, wenn der Zahlmeister nicht mehr ist, fällt das Kartenhaus EU in sich zusammen. Aber wenn es den Leuten an die Existenz geht, werden die Munter. Die Verachtung dieser EU wird weiter zunehmen, nur die Verantwortlichen merken auch… Mehr

Waehler 21
4 Jahre her

Seit wann darf den ein Behördenleiter eine Meinung haben? Wie lange habe ich geschlafen? Wo ist Frau Ätschi—Bätschi ? Frau Dr. Merkel ? Und Und ?

Andreas Koch
4 Jahre her

Entsteht durch den „zivilen Ungehorsam“ nicht ein volkswirtschaftlicher Schaden? Wer verteidigt den? Wer klagt die „Abschiebeverhinderer“ der Beihilfe zum „volkswirtschaftlichen Schaden mit unbekannten Risiken und Folgen“ an? Ist das nicht Aufgabe der Regierung? Staatsanwaltschaft? Hat die Kanzlerin nicht geschworen, Schaden vom Deutschen Volk („den Menschen im Land“, Martin Schulz; „den schon länger hier Lebenden“, Grüne) abzuwenden? Warum macht sie es nicht? Warum setzen die CDU-Mitglieder diese Kanzlerin nicht ab?

MarkusF
4 Jahre her

Ehrlich gesagt sehe ich das genau so; Deutschland hat fertig.

Protocol Matters
4 Jahre her

Man beachte: Verzicht auf Abschiebung = legaler Aufenthalt. 6 Jahre legaler Aufenthalt plus eigenes Einkommen (z.B. als Azubi) plus „Integrationsleistungen“ à la minimaler Spracherwerb führen zur Anspruchseinbürgerung – auch für weitere Familienmitglieder.
Darauf läuft’s hinaus (vgl. § 10, insbesondere § 10 Abs. 3, Staatsangehörigkeitsgesetz).

Wilhelm Cuno
4 Jahre her

Erstaunlich, dass es Herrn Sommer trotz seiner Ansichten noch nicht wie Herrn Maaßen geht. Er darf tatsächlich eine eigene Meinung äußern, ohne verbal gesteinigt zu werden.

RolandSpringer
4 Jahre her

Lieber Herr Wittgenstein, daß Sommer CSU-Mitglied ist und Büroleiter von Stoiber war, ist mir bekannt. Ich denke aber nicht, daß er mit seinen Aussagen und Forderungen den Wählern nur Sand in die Augen streuen will – oder im Auftrag der Union soll. Innerhalb der Union vollzieht sich wohl eher eine Auseinandersetzung um eine restriktivere Asylpolitik, zu deren Befürwortern unter anderen nicht nur Maaßen, sondern auch Sommer gehört. Offen ist allerdings, ob sie sich mit ihren Forderungen gegenüber dem asylpolitischen Mainstream in der Unionsführung durchsetzen werden.

RolandSpringer
4 Jahre her
Antworten an  RolandSpringer

Guten Morgen Herr Wittgenstein, ich teile grundsätzlich Ihre Skepsis, denke aber, daß man die Befürworter einer restriktiveren Asyl- und Migrationspolitik in- und außerhalb der Union unterstützen muß. Politik besteht unter anderem ja darin, sich für Positionen einzusetzen, die gegen den Mainstream schwimmen, um so die Richtung allmählich zu ändern. Wenn man eine Richtungsänderung für unmöglich hält, kann man sich den damit verbundenen Aufwand und Ärger sparen und genießt lieber das Leben.

Michael Scholz
4 Jahre her
Antworten an  RolandSpringer

Sehr geehrter Herr Springen, sehr geehrter Herr Wittgenstein,
angesichts der ca. 9 Wochen stattfindenden EU-Wahlen muss ich Ihnen, Hrn. Wittgenstein Recht geben, Sommers Aussagen sind „eine Art Ablassventil für die bei vielen Bürgern aufgestaute Verärgerung, den emotionalen Stau der Mutbürger sozusagen“.
Es geht schlicht und einfach darum, die konservativen Wähler möglichst bei der Stange zu halten, erst mal bis 26. Mai.
Das Interview war m.E. einige Zigtausend (wenn nicht gar einige Hundert Tausend) Wählerstimmen für die Union wert.

RolandSpringer
4 Jahre her
Antworten an  Michael Scholz

Sehr geehrter Herr Scholz, politische Forderungen nach einer restriktiveren Asylpolitik mögen der Union rechtskonservative Wählerstimmen bringen, kosten sie aber gleichzeitig Wählerstimmen, die zu den Grünen oder zur SPD abwandern – Saldo ungewiß. Von daher denke ich nicht, daß es sich bei Sommers Interview um ein bloßes wahltaktisches Manöver vor den Europawahlen handelt.

RUEDI
4 Jahre her

Ein Sommer ist auch nur eine Schwalbe in diesem Polittheater, die Strippenzieher im Innenministerium drehen heftig an den (ganz kleinen) Stellschrauben und die Scheunentore bleiben weit offen: Hauptsache es klingt nach „Wir nachen Was“. Statt „Wir schaffen das“ endlich wieder ab , was wir selbst angerichtet haben. Ein bisschen Staub aufwirbeln. Sind irgendwo eigentlich bald wieder Wahlen ??? Wo sind denn die WIDERSTANDSKÄMPFER in der CDU geblieben ? Weiß der Sommer eigentlich, dass in Deutschland mehr ASYLERSTANTRÄGE gestellt werden als in der gesamten EU “ EINTRETEN“ ? ( s. „Migration Flow Europe)“. Er sollte mal seine eigenen Berichte lesen. Aber… Mehr

Dr_Dolittle
4 Jahre her

Es wird Zeit, daß die Aktiven in diesem Lande eine „Zivilgesellschaft gegen das Steuerzahlen“ gründen – mit denselben Begründungen die hier gegen die Rückführung abgelehnter Asylbewerber oder nachgewiesener Verbrecher angeführt werden. Immerhin wird der gemeine Steuerzahler um die Hälfte seiner Lebensleitung enteignet um entgegen geltenden Rechtes die übrige Menscheit durchzufüttern. Ich bin gespannt, ob die Staatsgewalt auch so tolerant zusieht, wenn die Mainstreampresse konkrete Tips zur Steuervermeidung veröffentlicht. Mein Vorschlag: Alle Steuern auf ein notarielles Anderkonto mit der klaren Anweisung, den Betrag an das Finanzamt erst dann auszukehren, wenn der Rechtsstaat wiederhergestellt ist. Wenn das alle machen, dürfte den NGO’s… Mehr