„Es ist alles ein Witz“

Politiker jubeln, schwitzen und feiern auf der Bühne, selbstverständlich ohne Maske – aber der kleine Bürger darf andernorts ohne Maske nicht einmal einen Joghurt kaufen. Es wirkt alles immer mehr wie ein einziger, großer Witz.

»Ist dies das echte Leben?«, so beginnt ein englischsprachiger Rock-Klassiker, – und wenn Sie das Lied nicht bereits an der ersten Frage erkannten, so gewiss anhand der folgenden Worte: »Ist das hier nur Fantasie? Gefangen im Erdrutsch, kein Entfliehen aus der Realität. Öffne deine Augen, schau hoch zum Himmel, und sieh!«

Richtig, es ist der Beginn der »Bohemian Rhapsody« von Queen. – »Is this the real life? Is this just fantasy?«

Es ist eine vertrackte Sache um die Realität. Nach welchen Kriterien beurteilen wir, was um uns her real ist und was wir uns nur einbilden?

Von Descartes bis Matrix, von den bunten Bibelfenstern, welche die Sonnenstrahlen den in weihrauchgeschwängerter Kirchenluft verharrenden Gläubigen geradezu lebendig tanzen ließen, bis zu der computergenerierten Realität der neuen PlayStation 5 (für ein paar Spiele-Trailer siehe YouTube): Was unser Verstand und was unsere Sinne als Realität einschätzen, kann wechseln – und es muss längst nicht zu jedem gegebenen Zeitpunkt dasselbe sein.

Im Netz findet man das Video »David After Dentist« eines Jungen kurz nach Zahnarztbesuch. Und er fragt, bis oben hin voll mit Schmerzmitteln: »Is this real life?« – So ähnlich erging es mir am 11.9.2001, als ich nach einem morgendlichen Zahnarztbesuch die Ereignisse jenes Tages auf den Nachrichten-Fernsehern in der Kölner Neumarktpassage sah, das zweite Flugzeug sogar live. Ich fragte: Ist dies die Realität? – Ich bin auch heute an manchen Tagen versucht, mir diese Frage zu stellen: Ist das wirklich alles real?

Eine kurze Testfrage, zur Lockerung zwischendurch: Sind Sie sicher, dass das, was Sie heute als Realität wahrnehmen, wirklich die Realität ist? Andere Menschen nehmen dieselbe Welt und Zeit anders wahr als Sie es tun, wie belegen Sie also Ihre Version der Realität?

Erfolg und Triumph

In Nordrhein-Westfalen fanden letztes Wochenende diverse Oberbürgermeister-Stichwahlen statt. In Aachen, Bonn und Wuppertal dürfen sich ab jetzt Grüne als Oberbürgermeister versuchen.

In Köln behauptete sich Henriette »Armlänge Abstand« Reker. In Düsseldorf dagegen gewann der CDU-Mann Stephan Keller (der mal nach Köln wollte) in der Stichwahl gegen den SPD-ler Thomas Geisel.

Interessanter noch als diverse lokale Bäumchen-wechsle-dich-Spiele fand ich die Wahlparty der CDU-Düsseldorf. Ein demokratischer Idealist (läuft heute wahrscheinlich auch als »Rechter«) könnte mäkeln, warum Armin Laschet von der CDU Aachen bei der Wahlparty in Düsseldorf auf der Bühne herumspringt, doch der Grund ist offensichtlich: Daheim in Aachen wird er nicht sein wollen, da hat eine Grüne den CDU-Kandidaten gedemütigt (siehe etwa merkur.de, 28.9.2020: »CDU-Debakel in Laschet-Hochburg«).

Vor allem jedoch: Laschet ist Ministerpräsident von NRW, er hat seine Kanzlerkandidatshoffnungen vermutlich noch nicht aufgegeben, er sieht sich wohl noch im Dreier-Rennen gegen den mutmaßlichen Kanzler der BILD-Redakteur-Herzen und natürlich gegen jenen Pandemie-Profi mit den schönen Haaren (bitte keine Fragen dazu) und der feinen Villa (bitte definitiv keine Fragen dazu, sonst womöglich Anwalt!). Wo es nach Erfolg und Triumph aussieht, da muss Herr Laschet natürlich mit aufs Bild, ob es Sinn ergibt oder nicht – das ist schon okay. Es war etwas anderes an jener Feier, das (nicht nur mir) auffiel…

Schauen Sie mal selbst diesen Schnipsel des Jubelvideos an:

Jubelnde Männer liegen sich in den Armen, eine Dame am Pult. Bunte Schnipsel wirbeln umher. Musik spielt vom digitalen Band. Es ist das Lied »Simply the Best« (zuerst von Bonnie Tyler aufgenommen, in der Version von Tina Turner wurde es dann zum richtig großen Hit). Aus dem Liedtext »Give me a life time of promises and a world of dreams, speak the language of love like you know what it means«, zu Deutsch: »Gib mir ein Leben voller Versprechen und eine Welt aus Träumen, sprich die Sprache der Liebe, als ob du wüsstest, was es bedeutet!«

Wieder von Bürgern

Was wir auf dem Bild der jubelnden CDU-Altherrenmannschaft auf der Bühne nicht sehen, sind Masken. Ohne Mindestabstand. Ohne Scham. (Genau genommen sieht man eine Maske auf der Bühne – getragen von einer Person, die weit hinten steht, also tatsächlich mit Sicherheitsabstand, vermutlich jemand vom Personal.)

Im Saal selbst sieht man auf anderen Bildern einige Fälle von Mund-Nasen-Schutz, das ist wahr, doch beim Star-Personal auf der so symbolisch wichtigen Bühne fallen im doppelten Sinne wie selbstverständlich die Masken.

Ich höre wieder und wieder von Bürgern, der eigentliche Zweck der Maskenpflicht sei es, das Machtgefälle zwischen Politik und Bürgern zu dokumentieren. Die Maske wird zum symbolischen Maulkorb, sagen sie. Es wird zunehmend schwerer, ihnen zu widersprechen.

So wie das christliche Büßerhemd aus rauen Stoffen den Träger immerzu erinnert, dass er ein Sünder ist und Buße zu tun hat ist, so scheint der juckende Maulkorb die Bürger daran erinnern zu wollen, dass sie lieber schweigen und zu gehorchen haben – ganz anders als die Politiker auf der Bühne, denn diese »besseren« Menschen sind aufgrund ihres höheren moralischen Wertes für das angeblich so gefährliche Virus unantastbar.

»It’s all a joke.«

Als ich die unverantwortlichen Bilder aus Düsseldorf sah, war ich im ersten Moment zornig. Bürger dürfen selbst mit Attest manche Einkaufsmärkte nicht betreten, aber CDU-Politiker feiern, als wäre es alles nur ein Witz.

Meine erste Reaktion war Zorn, doch mein Zorn wich bald einer instabilen Verwunderung: »Is this the real life?«

Ist es wirklich die neue Realität, dass Politiker so offen und frech vorführen, dass für sie selbst die Regeln nicht gelten, die sie uns auferlegen?

Man ist versucht, ein Zitat vom Beginn des »Watchmen«-Films zu wiederholen.

Nein, ich meine nicht: »And all the whores and politicians will look up and shout: ›save us!‹, and I’ll whisper: ›no‹.« (siehe YouTube)

Ich meine: »It’s all a joke. It’s all a joke. Mother, forgive me!« – zu Deutsch etwa: »Es ist ein Witz. Es ist alles ein Witz. Mutter, vergib mir!«

Es hat ja tatsächlich einiges mit Witzen gemeinsam, wie Politiker in den Zeiten der Demokratie-Erosion auftreten – die Übersteigerung, die Verfremdung, die Zuspitzung wie auch die schnell auszumachende Uneigentlichkeit, all das sind Wesensmerkmale und Erkennungszeichen eines Witzes. Und doch fehlt hier zum Witzsein eine wichtige Zutat: Es fehlt hier die Wahrheit, die doch bekanntlich als Funke in jedem Witz zu glimmern hat.

Eine schmerzhafte Wahrheit, zugespitzt und verfremdet, nennen wir einen Witz – wie nennen wir eine ins Komische überdrehte Lüge?

An Ordnung und Gesetz

»Nothing really matters«, so endet die Bohemian Rhapsody, »Nothing really matters to me, any way the wind blows.«

Zu Deutsch etwa: »Nichts ist wirklich wichtig, nichts ist mir noch wirklich wichtig, wie auch immer der Wind weht.«

Der fiktive Ich-Erzähler der Bohemian Rhapsody hat einen Mord begangen – »Mama, just killed a man…«. – Man wäre versucht, seinen Zweifeln mit einem kalten »Selbst schuld!« zu begegnen – seine Realität ist tatsächlich in der bisherigen Form vorbei, es wäre ungerecht, wenn sie einfach so weiterliefe.

Wir aber haben keinen Mord begangen, dessen Schuld rechtfertigen würde, dass uns die Realität unter den Füßen weggezogen wird. Wir haben kein abscheuliches Verbrechen verübt, wofür alles gerechterweise zum Witz würde.

Wir wollten einfach nur leben, uns an Ordnung und Gesetz halten, nicht lügen, nicht auf der Steuererklärung und nicht sonstwo.

Und nun werden wir ausgelacht. Man jauchzt und feiert und lässt sich »Simply the Best« aufspielen. Selbstverständlich maskenlos.

Dies ist durchaus das echte Leben. Dies ist die neue Realität. Ob wir die neue Realität aber auch als das sogenannte »neue Normal« akzeptieren, ob wir uns dazu verbiegen, ein ernstes Gesicht zum schlechten Witz zu machen – das wiederum ist eine andere Frage, das liegt an uns selbst.


Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com

Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.

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Kommentare ( 49 )

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49 Comments
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Iso
3 Jahre her

Das echte Leben ist garantiert ganz anders, als man es aus den Tagesthemen kennt. Dort interessiert man sich einen ** für Land und Leute, spricht nur von Migration, Klimawandel, Corona Pandemie, EU und UNO irgendwas, eben alles Dinge, mit denen man die Alltagsprobleme der Leute ausblendet, und sich nicht mehr um das eigene Land kümmert. Was wir heute und in den nächsten Jahren alles schaffen sollen, und transformieren müssen, sind doch nur abstrakte Hirngespinnste, die mehrere Generationen nicht schultern können, und scheitern werden. Spätestens wenn Sie noch 2 Restaurantrechnungen haben, eine von heute, und eine die in DM gezahlt wurde,… Mehr

RedSam
3 Jahre her

Nur noch Afd!!

pcn
3 Jahre her

Als ich öffentlich sagte, dass diese Maske einzig und allein das Ende der Denokratie signalisiert und dementsprechend keinerlei medizinischen Nutzen hat, SONDERN EIN MAULKORB symbolisiert, hat man mich als Verschörungstheoretiker bezeichnet. Das war Mitte April 2020.

Dr. Friedrich Walter
3 Jahre her

„Sie binden schwere und unerträgliche Bürden und legen sie den Menschen auf die Schulten, aber sie selbst wollen keinen Finger dafür krümmen…“! (Math. 23, 4). Es lohnt sich, Matthäus 23 („Gegen die Schriftgelehrten und Pharisäer“) komplett zu lesen. Es gibt keine bessere Beschreibung der heutigen Politiker.

pcn
3 Jahre her
Antworten an  Dr. Friedrich Walter

Ja!

Peter Pascht
3 Jahre her

Wo ist der Zahlensprung für Corona Infektionen nach den Massen-Demonstrationen für Grundrechte? Es gab keinen, es gibt keinen. Insbesondere andere Massenveranstaltungen, – Bundestagssitzungen ohne Masken tragen in geschlossenem Raum – Fußballspiele, Musikkonzerte, – Demonstrationen unter dem Stichwort „Klimaschutz “ – Demonstrationen unter dem Stichwort „Antirassismus “ durften sehr wohl stattfinden durften, ohne durch „brachiale Gewalt“ aufgelöst worden zu sein. Es geht ganz offenbar bei den Maßnahmen dieser Regierung gegen die Grundrechte des Grundgesetzes, um die politische Instrumentalisierung dieser mini-Epidemie zu parteipolitischen Zwecken und des persönlichen Machterhalts. Die Anwendung von „brachialer Gewalt“ gegen Bürger die gewaltfrei ihr Grundrecht auf Demonstrieren wahrnehmen,… Mehr

non sequitur
3 Jahre her

„…wie nennen wir eine ins Komische überdrehte Lüge?“

Zynismus

Micci
3 Jahre her

Die CDU beerdigt einen ihrer Kernwerte nach dem anderen und ersetzt ihn durch Träumereien aus dem Taka-Tuka-Land. Die Bundesrepublik ist nicht wiederzuerkennen, der Schaden schon jetzt unermesslich.
Und was macht der Wähler?
Nichts.
Gar nichts.
Wäre ich CDU-Politiker, würde ich diese Wähler auch auslachen.

Peter Pascht
3 Jahre her

In was für einer Lügen-Diktatur leben wird denn?
Da hat die Person welche die Macht in diesem Staate vereinigt, wiederholt nicht kontrollierbare Zitteranfälle am ganzen Körper und man erzählt den Bürger so einen dummen Kinderschmarren „von zu wenig getrunken“.
Das sind schwerwiegende Krankheitssymptome, die keine Privatangelegenheit mehr sind.

Ich habe auch schon oft in meinem Leben zu wenig Wasser getrunken,
aber noch nie so ein unkontrollierbares Zittern am ganzen Körper gehabt.

Das ist bei diesem Ausmaß der Symptome, eine offensichtliche ernsthafte Erkrankung, keine Privatangelegenheit mehr.
Kann diese Frau überhaupt noch ihr Amt verantwortungsvoll wahrnehmen?
Muss sie Neuroleptika nehmen? Sonstige Psychopharmaka?

Peter Pascht
3 Jahre her
Antworten an  Peter Pascht

Jedem Autofahrer würde nach bestehendem Gesetz, der Führerschein entzogen bei bekannt werden solcher medizinischer Symptome, wegen Gefahr für die öffentliche Sicherheit.
Das Führen eine Kraftfahrzeuges ist verboten unter:
– Alkoholeinfluss
– Drogeneinfluss
– Einfluss bestimmter Medikamente
– bei allen körperlichen und geistigen Symptomen welche die begründete Annahme erlauben, dass ein sicheres Führen des Fahrzeuges die öffentliche Sicherheit beeinträchtigen können. Dazu reicht gesetzlich die begründete Annahme, des Verdachts.

Peter Pascht
3 Jahre her

Sollte der Begriff „brachial Durchgreifen“ tatsächlich gefallen sein, so ist das ein Fall für den Generalbundesanwalt und den Staatsschutz, aber vor allem für den Bundespräsidenten Neuwahlen zu veranlassen.

De Begriff des „brachial Durchgreifen“ der „Vollziehenden Gewalt“ gibt es im Grundgesetz nicht.
Er ist ein Verstoß gegen das „Rechtstaatsprinzip des Grundgesetzes“ und kann als
„Bestrebung zur Abschaffung der ‚freiheitlichen Grundordnung‘ “ verstanden werden.
Er ist nach allem Rechtverständnis „Nötigung“ und „Drohung“, was in aller Regle das „Regierungswerkzeug“ stalinistischer Diktaturen war.

„brachial Durchgreifen“ erfüllt denselben Tatbestand wie das vor Tagen heftig kritisierte Sicherung-Greifen zur Waffe eine Polizeibeamten bei einer Antifa Demo.

Deutscher
3 Jahre her

Es ist die Clownwelt. Ihre zunehmende Absurdität ist ein sicheres Anzeichen für den baldigen Zusammenbruch, so wie es in der DDR war.