Wo ist mein Israel?

Während in Israel jeder jemanden kennt, der Opfer beklagt oder um einen Verschleppten bangt, klagen es Hunderttausende auf den Straßen westlicher Metropolen des Völkermords an. Wo und wann hat sich ein Land verteidigen müssen, weil es sich gegen Terror verteidigt?

IMAGO
Freitagvormittag in Tel Aviv. Das war die Zeit, in der sich Mädels die Kleider in möglichst bunten Farben zurechtlegten, die Frauen sich die neue Sonnenbrille adrett auf die gepuderte Nase drapierten und sich die Machos aller Jahrgänge – auch die verhinderten und verklemmten – ihr neues Eau de Cologne ins Gesicht klatschten.

Aus den Cafés lärmte Musik. Je lauter, desto besser. Der Gesprächsstoff drehte sich um die nächste New-York-Reise, Rückflug über Thailands Phuket oder um einen noch exotischeren Yoga-Kurs. Alles vorbei? Wo ist mein Israel?

Gestohlen von einer Horde Barbaren am 7. Oktober. Sie nennen sich Hamas. Das Wort kommt in der hebräischen Thora, der Bibel, mehrfach vor und bedeutet Gewalt. Exakt auch in dem Wochenabschnitt Noah, an dem die Gewalttätigen aus Gaza im Namen Allahs, dem ganz anderen Gott, den Grenzzaun an 29 Stellen ungestört durchbrachen und blindwütig mordeten, vergewaltigten, Kinder, Frauen und Kranke verschleppten. Auch Beduinen und thailändische Gastarbeiter.

Auschwitz, Majdanek und Treblinka sind Geschichte. Die Kibbuzim und Grenzdörfer Beeri, Nachal Oz und Kfar Aza sind Gegenwart. Brutales, tödliches Jetzt.

Verbranntes Heute. Seither heißt die wöchentliche komödiantische TV-Satire-Sendung statt „Das wunderbare Israel“ das „kriegerische Israel“. Gelacht wird immer noch oder schon wieder. Aber es ist ein anderes Lachen.

Schuld am Diebstahl meines Israel trägt auch die Regierung Netanyahu. Der amtierende Erziehungsminister und Likud-Parteifreund, der ehemalige Kampfpilot Yoav Kisch, hat es bereits wenige Tage nach dem 7. Oktober offen ausgesprochen: „Wir haben uns das ganze Jahr mit Unsinn beschäftigt“. Er meint damit die Justizreform, die das Land von seinen wichtigsten Aufgaben abgelenkt und geschwächt hat. Hochmut, der bekanntlich vor dem Fall kommt, war weit verbreitet. Mit den Hochmutigen wird noch abgerechnet. Das Danach kommt später. Zuerst muss eine weitgehend bedrohungsfreie Ordnung hergestellt werden. Niemand weiß, ob und wann die täglichen Raketen-Sirenen-Alarme endlich aufhören.

Jeder kennt einen, der Opfer zu beklagen hat oder um einen Verschleppten bangt und zittert. Betroffene kleben Plakate an Brücken oder an Rathaus- und Marktplätze mit den Bildern der Liebsten. Sie stellen zum Shabbat-Essen leere Stühle und gedeckte Tische für 239 Väter, Mütter, Brüder und Schwestern auf. Sie schreien zu Netanyahu, Galant und Gantz, zur Führung, die am 7.Oktober das Verderben zugelassen haben: bringt sie uns wieder – JETZT. Es ist ein Schreien ins Leere. Die ganz klugen Psychologen nennen es einen Versuch zur Selbstheilung. Es bleibt beim Versuch. Nichts wird geheilt. Es wird jeden Tag, der ohne eine Auskunft über den Verbleib der Entführten verstreicht, nur noch schlimmer.

Wer noch ehrlich zu sich selbst sein kann, weiß: Hamas vernichten und Geiseln retten geht nicht oder nur sehr schwer zusammen. Es ist eine täglich wiederholte Formel, die die kämpfende Truppe unter Adrenalin halten soll. Inzwischen umarmen wir uns und beten.

Der Blick nach außen ist verstörend. Zwar geben sich Präsidenten und Außenminister in Jerusalem und Tel Aviv die Klinke in die Hand, versichern Israel Hilfe, Beistand und gestehen das Recht auf Selbstverteidigung zu. Anschließend kommt meistens ein „aber“. Da erinnern die Macrons und Baerbocks Israel – das Land, das der Menschheit die Zehn Gebote geschenkt hat – dass es eine Humanitas gibt. Gemeint sind unschuldige arabische Männer, Frauen und Kinder. Natürlich haben sie am 7. Oktober im Süden Israels nicht alle gemordet und gebrandschatzt. Aber von Protestbewegungen gegen die Hamas in Gaza in den letzten 16 Jahren war wenig zu hören. Auch von einer arabischen Solidaritätsadresse an Israel nach dem 7. Oktober ist nicht allzu viel vernehmbar. Schweigen in der Wüste.

Mehr noch: heute wissen wir aus den Verhören der überlebenden Mörder, dass arabische Gastarbeiter aus Gaza, die im Grenzgebiet ihren Lebensunterhalt verdienten, Komplizen der Hamas-Barbaren waren. Sie haben ihnen Informationen zugesteckt. Die Angreifer wussten alles. Die Gastarbeiter holten mit den Israeli in den letzten Jahren die Ernte ein, feierten und aßen Chumus und Tchina gemeinsam. Wenn sie Zahnschmerzen hatten, gingen sie zum Zahnarzt Daniel in Beeri. Er und die Krankenschwester Amit gehören zu den Ermordeten. Amit hätte flüchten können, erzählt ihre überlebende Schwester. Aber sie blieb bei den Verletzten. Sie wurde erst am späten Nachmittag des 7. Oktober ermordet.

Der Überfall am 7. Oktober war bis ins kleinste Detail ohne Rücksicht auf irgendeine Menschlichkeit vorbereitet. Schlimmer noch: der eine Teil der Horden hatte den Auftrag zu töten. Der andere sollte Menschen verschleppen. Die Verhör-Protokolle legen davon Zeugnis ab. Die Humanitas-Appelle der Macrons und Baerbocks können deshalb nur eine Adresse haben: Hamas und ihre Unterstützer in der arabisch-muslimischen Welt.

Zweimal tagten die 56 arabisch-muslimischen Länder in den letzten zwei Wochen in Amman und Riyad in prunkvollen Hallen der Könige und Scheichs. Zu hören waren nur Aufrufe zur Auslöschung und Vernichtung Israels. Kein Wort von einer Vermittlung zum Frieden. Keine Silbe gegen die muslimischen Gaza-Barbaren vom 7. Oktober. Keiner kommt auf die naheliegende Idee einer Öffnung der Südgrenze von Gaza zu Ägypten. Sie würde sofort Entlastung bringen. Von dort sind es 200 Kilometer schönster, fast unbewohnter Mittelmeer-Strand bis El Arisch, unweit des Suez-Kanals. Ein Gebiet, das locker mit Millionen Menschen von Gaza besiedelt werden könnte. Spender für diese Idee gäbe es genügend. Und der Druck aus dem dicht besiedelten Gaza-Kessel wäre weg. „Free Palestine“ im wahrsten und besten Sinne des Wortes. Es sind doch ihre Glaubensbrüder.

Israel hat kein Interesse Gaza zu besetzen. Das könnten die Vereinten Nationen, die Europäische Union oder wer auch immer übernehmen. Israel hat nur eine Bedingung: keine Raketen und kein Terror mehr aus Gaza.

Wo bitte ist das Rote Kreuz? Wieso bekommen sie nach über einem Monat keinen Zugang zu den verschleppten Geiseln? Eine Humanitas-Mindestforderung, die in internationalen Verträgen verankert ist. Wo und wann hat es das bei Kriegen in den letzten 150 Jahren gegeben, dass der Angegriffene dem Angreifer hilft, Kinder aus einem Krankenhaus zu evakuieren, Fluchtstraßen gegen Terroristen zu sichern und Trinkwasser auszuschenken. Arabische Ärzte bitten um Sprit für Generatoren, die Licht spenden und medizinische Geräte in Betrieb halten. Israel will 300 Liter Treibstoff liefern. Der Transport wird von der Hamas-Terror-Organisation verhindert. Ihre Kommando-Zentrale liegt in Tunnels unter einem Krankenhaus.

Und was geschieht auf den Straßen im aufgeklärten Europa, in den USA und Australien. Hunderttausende beschimpfen Israel, faseln von Völkermord. Wo und wann hat es das gegeben, dass sich ein Land verteidigen muss, weil es sich gegen Terror verteidigt? Israel steht auch hier allein in der Völkergemeinschaft. Ändert sich das nie? Bekomme ich mein Israel überhaupt wieder zurück?


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Kommentare ( 58 )

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horrex
5 Monate her

Tja, Die die die BARBAREN verteidigen indem sie relativieren sind überall. In den Wüsten wie auch bei uns, unter uns. Reich oder arm, mächtig oder ohnmächtig. Sie negieren mit ihrem „billigen Protest“ das was uns alle aus dem finsteren Mittelalter befreite: Die Aufklärung. Und warum letztlich? Sie haben den dünnen Firnis der sich so nannte „abgestreift“. Vergessen was uns „Einsicht in Notwendigkeit“ bescherte. Sind selbst zu Barbaren-Horden geworden. Weil all zu Viele – garnicht sa anders als die Hamas – den MOB, dessen mangelnde Einsichtsfähigkeit, und unsublimierten archaischen Bedürfnisse, so HÖCHST planvoll wie von HÖCHSTEM Sendungsbewußtsein durchdrungen und grausam Menschen… Mehr

Monostatos
5 Monate her

Wie wahr: „Wir haben uns das ganze Jahr mit Unsinn beschäftigt“. Den Grund liefert Klaus Schwag vom Weltwirtschaftsforum in grenzenlosen Offenheit, indem er sinngemäß in hochgradig bedenklichen Tonfall wiederholt von sich gibt: „We penetrate the cabinets.“ Dem „verdanken“ wir nicht nur diese Bundesregierung, UvdL und viele in jeder Beziehung ungeeignete Regierende welrtweit. Der rechtskräftig verurteilte Netanyahu wurde wieder ins Amt gehievt, und die Hamas existiert mit dessen Billigung. Das hierzulande und in der EU wahrnehmbare Resultat dieser „Penetration“ ist eine krebsartige Wucherung der Bürokratie, welche im Auftrag der Plutokraten die freiheitliche Welt absichtsvoll zerstört, die Menschheit unterjocht sowie diese durch… Mehr

Soistes
5 Monate her

No, wenn ich mir die Humanität und die Menschenrechte bei den 4 Fünfteln der Menschheit so anschau, kann ich das nicht glauben.

Neue Heimat
5 Monate her

Wo sind eigentlich die ganzen A und B Promis mit ihrem Gratismut und Haltung geblieben die das schlimmste Pogrom seit der Shoa unmissverständlich verurteilen und sich mit Israel und unseren jüdischen Mitbürgern lautstark solidarisieren. Schweigen im Walde, von Lindenberg bis Grönemeyer, selbst von BAP, den Songwritern von „Kristallnaach“, bleibt es merkwürdig still. Israel wird am Ende des Konflikts nicht mehr dasselbe sein, denn das Bewusstsein wird wieder geschärft sein wie virulent der Antisemitismus und seine Ausgeburten unverändert sind und dass jüdisches Leben jederzeit und an jedem Ort bedroht sein kann. Die IDF ist und bleibt die einzige und unverzichtbare Antwort… Mehr

Ralph Sauer
5 Monate her

Offenbar finanziere ich mit meiner sog. Demokratieabgabe (GEZ) die Hamas Fotojournalisten. Offenbar finanziere ich die Hamas mit meinen Lohnsteuern. Offenbar muss ich mich für meine gewählte Regierung schämen (Eine Entschuldigung reicht da schon lange nicht mehr) Israel kämpft allein und aber mit allen „Guten Wünschen“ von GoodOldGermany. So sind wir halt

Nibelung
5 Monate her

Wo ist mein Israel? Diese Frage überholt sich selbst, denn das Leben ist ein Fluß und verändert alles und das betrifft dieses Land ebenso wie das Abendland, wo man schon sehen kann wie es zwar noch in seinen Grenzen besteht, aber nicht mehr in den Köpfen und dadurch verliert es zwangsläufig an Idendität, was überall kommt, wenn man nur lange genug warten kann.

Mausi
5 Monate her

Danke für Ihren Artikel. Ich finde ihn berechtigt. M. E. sind wir verpflichtet, loyal hinter Israel zu stehen und zwar mit Worten und Taten, und erst recht, wenn Israel unter Beschuß steht. Das sehe ich weder bei unseren Politikern noch bei unseren MSM. Ich lehne es zwar ab, immer wieder Nazi zu hören, damit ich bloß nicht vergesse, welche Erbschuld ich mit mir trage. Ich würde es befürworten, an den Schulen allgemeinen Unterricht zu Diktaturen zu geben. Denn das Aufziehen einer Diktatur, die nicht mit dem Hakenkreuz kommt, werden die wenigsten von uns erkennen. Loyalität bedeutet in meinen Augen, sich… Mehr

Last edited 5 Monate her by Mausi
Hannibal ante portas
5 Monate her

„Von dort sind es 200 Kilometer schönster, fast unbewohnter Mittelmeer-Strand bis El Arisch, unweit des Suez-Kanals. Ein Gebiet, das locker mit Millionen Menschen von Gaza besiedelt werden könnte.“ Werter Herr Rosenberg, unabhängig davon wo meine persönlichen Sympathien liegen, das was Sie hier andenken riecht nicht nur streng nach ethnischer Säuberung sondern wäre es. Sie können doch nicht ernsthaft verlangen, dass ein Nachbarland die dann von „Ihnen“ ausgewiesenen Palästinenser ( von mir aus auch Araber, die dort ansässig sind) aufzunehmen habe? Das wäre aber auch wieder in Ihrer unmittelbaren Nachbarschaft. Glauben Sie, dass dann weitere Angriffe ausbleiben? Ich habe keine Glaskugel,… Mehr

alter weisser Mann
5 Monate her
Antworten an  Hannibal ante portas

Letztlich ist, wenn das Zusammenleben nicht funktioniert, die Trennung der sinnvolle Weg. Das wird geradezu jährlich durch Konflikte um Enklaven, „mehrheitlich von XY bewohnte Gebiete“ etc. pp. bewiesen.
Auch in der Zweistaatenlösung ist ja ein Stück ethnische Säuberung enthalten.
In diesem Konflikt kommt man mit den üblichen Schlagworten oder Tabus nicht weiter, das haben wir jetzt jahrzehntelang gesehen.
Und natürlich bräuchte so eine Sinai-Republik einen Puffer zu Israel, am besten einen 5-10 km breiten Streifen unter UN-Kontrolle.

Hannibal ante portas
5 Monate her
Antworten an  alter weisser Mann

Ja, einer absoluten Trennung durch Grenzmauern und noch effektivere Grenzüberwachung zwischen Israel und allen Nachbarregionen, die nicht von stabilen Staaten unter Kontrolle sind, könnte temporär die Situation beruhigen und sehr langfristig vielleicht Frieden mitbewirken, analog dem eisernen Vorhang. Aber in den heutigen Grenzen. Ob die UN weiterhelfen kann, wenn die Hamas Raketen über einen 5-10km langen Korridor schießt? Wohl eher nicht.

Paul Brusselmans
5 Monate her

Schauen sich Bundestagsabgeordnete die Horrorszenen der GoPro-Kameras der Terroristen an? Dies tun heute in Frankreich Politiker. In diesen authentischen Szenen mit übersetztem Ton gibt es laut Nachrichten auf France 2 folgende Szene: ein Mann versucht seine Kinder vor einer Granate zu schützen – er stirbt. Der Terrorist holt sich danach eine Cola aus dem Kühlschrank. Es gibt verbrannte Leichenteile.Terroristen lachen, „übertöten“. Der Tod reicht nicht aus, es muss zerstückelt, verbrannt werden. Ein thailändischer Landarbeiter mit einer Schaufel geköpft. Auf israelischem Staatsgebiet sprechen sie von den Opfern als Siedler. Wer in Deutschland Hamas – eine seit Jahren auf der offiziellen EU-Liste… Mehr

Boris G
5 Monate her

„Ändert sich das nie?“ – Wahrscheinlich nicht, Herr Rosenberg. Das Diktum des jüdischen Politikwissenschaftlers und John-Hopkins-Professors Yascha Mounk „die meisten diversen Gesellschaften sind grausam gescheitert“ gilt leider auch für Israel und das seit mehr als 3000 Jahren. Man lese im Alten Testament über die Landnahme der Stämme in Kanaan nach. Ziemlich blutige Angelegenheit, ganz schlecht für die Kanaaniter.