Schwarze Listen, Abweichler und ein Mimoserich, der’s nicht checkt

Schwarze Listen und Pranger dienen genau dem totalitären Gedankengut, das ihre Protagonisten eigentlich zu bekämpfen glauben. Nur fehlt ihnen die Geisteskraft, das zu erkennen.

 

Neulich hat mich Jan Böhmermann bei Twitter geblockt. Der Comedian mochte meinen Tweet nicht: „Ein Satiriker blockt alle, die sich über IHN lustig machen. Nebst Hyperempfindlichkeit verrät das auch einiges über Stehvermögen. Und Grösse.“ Hintergrund meiner Bemerkung war, dass Böhmi mit der Routine einer Vollblut-Mimose bei Twitter alle blockt, die sich kritisch über ihn äußern. Mit Blocken schliesst man unliebsame Follower aus, sie können dann nichts mehr von einem lesen. Persönlich habe ich noch nie jemanden geblockt, trotz Beleidigungen und all dem Mist.

Böhmi blockt nicht nur wahnsinnig gerne, der ZDF-Mitarbeiter erstellt auch Listen von Personen, die man blocken sollte. Mit der Aktion „Reconquista Internet“, die er in seiner Show lancierte, wolle er rechte und rechtsradikale Trolle und Hater im Internet bekämpfen. Die Liste mit den bösen Twitter-Accounts verbreitete er anfangs Mai.

Weil im aktuellen Deutschland ja jeder, der politisch irgendwie eher rechts oder konservativ oder liberal-konservativ ist, auf derselben Stufe steht wie ein Total-Nazi, finden sich auf Böhmis Liste nebst echten rechtsextremen Trollen auch unzählige Twitter-Konten von kritischen Zeitgenossen wie etwa dem Philosophen Dushan Wegner oder Verleger Roland Tichy. Listenhunde gibt’s schon lange, neu gibt’s auch Listenmenschen. Böhmi, bravo.

Böhmi ist nicht der einzige, den schwarze Listen in einen Zustand heldenhafter Überlegenheit versetzen. Die Deutschen stehen auf Ketzer-Verzeichnisse. Wie sonst lässt sich erklären, dass sich diese öffentlichen Pranger, die ideologisch Abtrünnige zum Schweigen bringen sollen, verbreiten wie unbehandelter Ausschlag?

Vergangenes Jahr erstellte das Online-Lexikon Agentin*In eine Denunziationsliste mit angeblichen „Gegnern des Islam“, „Gegnern der Homosexuellen“, und der Genderforschung. Hier fand man Autoren wie Alexander Kissler, Birgit Kelle, Matthias Matussek und auch Weltwoche-Verleger Roger Köppel. Wegen zu viel Kritik existiert die Liste nicht mehr. Im März veröffentliche Welt.de unter dem Titel „Rechts? Deutsche Schriftsteller im Schnell-Check“ eine Liste von Leuten, klatschte auf deren Foto einen roten Warnstempel, wie auf jenes von Uwe Tellkamp, der es gewagt hatte, sich kritisch über die aktuelle Einwanderungspolitik zu äußern.

Was aber macht diese lose Gruppe prominenter Andersdenkender so gefährlich, dass die Gesellschaft mit Hingabe vor ihnen gewarnt werden muss? Zuerst einmal sind es lästige, unerwünschte Provokateure. Sie setzten sich über das Dogma einer moralisierenden Gesellschaft hinweg, das ihnen bestimmtes Denken vorschreiben will. Freie Autoren, Intellektuelle, Gründer von alternativen Medienplattformen, die meisten kennen sich untereinander, bestreiten gemeinsam Auftritte. Der Großteil unter ihnen setzt sich in den sozialen Medien in Szene. Sie haben sich dort eine enorme Reichweite erschaffen, weil dort Meinungen und Texte jenseits des Mainstreams verbreitet und ausgetauscht werden, User sich von den alternativen Angeboten oftmals mehr angesprochen fühlen als von klassischen Medien. Populär sind sie nicht nur wegen ihres Mutes, unbequeme Wahrheiten anzusprechen, sondern weil sie fundierte Begründungen gleich mitliefern.

Natürlich haben sie nicht immer recht. Auch können ihre Ansichten für andere verletzend sein. Möglicherweise argumentieren sie teilweise einseitig. Ich stimme ihren Ansichten oft nicht zu, halte sie für übertrieben. Die Gesellschaft lechzt aber nach einem offenen Diskurs. Und diese Personen, die ich teilweise persönlich kenne, möchten sachliche Diskussionen vorantreiben. Der Preis dafür ist der Vorwurf der Nähe zum Rechtsextremismus, als Handlanger der Nazis zu agieren, auf öffentlich verbreiteten Listen nennt man sie mit Letzteren in einem Atemzug. Auch die Autoren Henryk Broder und Rainer Meyer alias Don Alphonso sind Teil der verhassten Gruppe. Werbeleute hatten für Broders Website Achse des Guten schon ein Werbeboykott empfohlen; nach anhaltender Kritik hat er soeben auf einen Literaturpreis verzichtet. Don Alphonso habe „die Marktlücke eines elitären Rechtspopulismus für sich entdeckt“, schrieb die TaZ.

Je mehr Diffamierung diese Gruppe – insbesondere von anderen Medien – erfährt, desto mehr scheint ihr Publikum zu wachsen. Unter Don Alphonso’s Blog, den er neu für Welt.de schreibt, findet sich regelmäßig eine Rekordanzahl an Kommentaren. Das von Roland Tichy gegründete liberal-konservative Meinungsmagazin Tichys Einblick hat monatlich drei Millionen Besuche auf seiner Webseite. Autorin Birgit Kelle zählt zu den gefragten Gästen in Talkshows. Philosoph und Buchautor Dushan Wegner hat sich mit seinen pointierten Texten über Politik zum Influencer emporgeschrieben. Henryk Broder hat auf Youtube Hunderttausende Zuschauer. Menschen vor ihnen zu warnen, scheint vor allem eines: unfreiwillig komisch.

Weil man sich auf die Dauerempörten blind verlassen kann, ist es keine Überraschung, dass es in den USA nach ähnlichem Muster abläuft. Dort heißt die Gruppe der prominenten Irrgläubigen „Intellectual Dark Web.“ In ihrem jüngst erschienen Artikel in der New York Times erzählt Bari Weiss von geächteten Intellektuellen, von Professoren, die aus ihrer Uni gedrängt werden, von kritischen Stimmen, die mundtot gemacht werden sollen. Konservative, Liberale, Libertäre, alles dabei, von Neurowissenschaftler Sam Harris über Psychologieprofessor Jordan Peterson bis zur Feministin Ayaan Hirsi Ali und den konservativen Autoren Ben Shapiro und Douglas Murray (‚Der Selbstmord Europas‘). Ihr Vergehen: Sie halten Dinge wie Identitätspolitik für schädlich für die Gesellschaft, sie sprechen sich öffentlich gegen Gender-Ideologie aus, sie glauben an Unterschiede zwischen Mann und Frau. Zusammen haben sie ein Millionenpublikum in den sozialen Medien, sind zu einer intellektuellen Macht abseits vom Mainstream herangewachsen. Autorin Weiss greift in ihrem Text die Frage auf, wie gut sich diese neuen Alternativ-Stars abgrenzen von Trollen, Rechtsextremen, Verschwörungstheoretikern, die ihnen zu Ruhm mitverhelfen, indem sie ihre Meinungen und Beiträge mit dem eigenen Millionenpublikum teilen und weiterverbreiten. Sie fürchtet eine Manipulation der Zuschauer, weil viele Menschen keine Alternative kennen würden und es nicht besser wüssten.

Die Frage ist berechtigt. Mit großem Publikum kommt große Verantwortung. Viele Menschen teilen Beiträge unkritisch, übernehmen Fake News oder Meinungen, ohne zu hinterfragen – schwarze Listen auch. Aber: Sich öffentlich abzugrenzen, weil man eventuell gewisse weltanschauliche Schnittmengen hat mit einer verhassten Person oder Gruppe, ist Blödsinn. Warum sollte man sich von etwas distanzieren, wo man nicht Teil davon ist? Niemand muss sich vorschreiben lassen, wie er zu denken hat. Wer einen liest, zustimmt, im Internet teilt – das liegt außerhalb seiner Kontrolle. Der Vorwurf des Helfershelfers offenbart deshalb eine sehr beschränkte Denkweise.

Zurück zu Böhmi: Auch wenn es moralisch fragwürdig ist, jeder darf schwarze Listen entwerfen, wenn es ihm Genugtuung verschafft. Jeder hat das Recht, andere zu blocken. Jeder darf behaupten, dass der andere ein rassistischer Hornochse ist. Wer mit seiner Meinung provokativ unterwegs ist, sollte Gegenwind bis zu einem gewissen Punkt aushalten können (für Satiriker gilt das selbstverständlich nicht!!).
Wer aber Menschen auf Blacklists vorführt, wer wie der Schmähdichter seinen Millionen vor allem junger Fans Andersdenkende zum Blocken empfiehlt, dem sollte klar sein, dass er damit nicht nur dem Diskurs schadet und die Spaltung der Gesellschaft fördert. Vor allem entsprechen ihre Aktionen genau dem totalitären Gedankengut, das sie eigentlich zu bekämpfen glauben. Nur fehlt ihnen die Geisteskraft, das zu erkennen.

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Kommentare ( 57 )

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Th.F.Brommelcamp
5 Jahre her

Es gibt jede Menge impertinente Selbstdarsteller! Gefährlich sind die, die aus ihre Unfähigkeit heraus denen eine Plattform geben.
Linke sind Nazis der anderen Seite.

Tomas Kuttich
5 Jahre her

Wen interessiert denn das Gelaber von Böhmermann?

Maskenball
5 Jahre her

Wenn die Autorin glaubt, diese Leute wären nicht intelligent genug um zu erkennen was sie tun, irrt sie. Diese Leute wissen ganz genau was sie tun. Es ist die pure Angst die Deutrungshoheit zu verlieren, die sie auf derart aberwitzige Mätzchen kommen läßt. Denn die Substanzlosigkeit Ihrer menschenverachtenden Ideologie läß sich nicht länger verbergen. Wie ein Ertrinkender schlagen sie wild um sich um den Untergang zu verhindern. Es wird am Ende aber nichts nützen, denn sie können das Erwachen auf Dauer nicht verhindern. Ich möchte nicht in deren Haut stecken und mit jedem neuen Tag spüren sie, wie das Unvermeidliche… Mehr

Theo van Gogh
5 Jahre her

Blocken, das macht die CSU auf ihrer Facebookseite übrigens auch. Ich rätsle immer noch, wie man zu dieser Ehre kommt, denn die Kommentare dort waren allenfalls humorvoll oder satirisch, keinesfalls jedoch jenseits des gesetzlich Erlaubten. Aber Spaß versteht die CSU im Wahlkampf anscheinend nicht mehr. 😉

Patrick B.
5 Jahre her

Zum Thema (wer nicht weiß, wie FUNK vorgeht um Gegner mundtot zu machen), sehr sehenswert und die 30 min. wert.

https://www.youtube.com/watch?v=a9QQNAwX3lg&t=13s

Patrick B.
5 Jahre her

Böhmermann und das Netzwerk der ÖR „FUNK“ haben ja gemeinsame Sache gemacht. Rayk Anders hat parallel dazu eine Doku über angebliche „Trolle“ veröffentlicht. Selektiv wurden „HURENSOHN“-Kommentare vorgelesen und das als Gros der Kommentare dargestellt…. frei nach dem Motto, von „rechts“ kommen nur Beleidigungen. Dass es durchaus Youtuber (Der rechte Intellekt, IMP, Dorian, Hagen Grell, etc.) gibt, die durchaus sachlich und fundiert Kritik üben (auch am Programm von Funk und ZDFneo) scheint den Machern um Böhmi und Anders ein Dorn im Auge zu sein. Man blockt lieber. Ernstgemeinte Diskussionsangebote seitens der „rechten“ Kanäle wurden abgelehnt oder gar nicht erst beantwortet. Ziel… Mehr

Nicholas van Rijn
5 Jahre her

Jetzt werden Sie doch nicht etwa ein wenig beleidigt sein, Frau Wernli? Sehen Sie es eher als Auszeichnung auf dieser „Liste“ zu stehen. Und echt jetzt: Sie sind Böhmermann auf twitter gefolgt?

Abl
5 Jahre her

Böhmermann, wer ist das?
Ach jetzt fällt es mir ein, ist das nicht ein guter Freund vom Erdi?
Ich spende den Flug in die Türkei, wird sicher für Böhmi ein Spektakel werden.
Ein Highlight von der er noch bis ins hohe Alter schwärmen wird.
Von dort kann er dann auch sein Satire Programm fortsetzen oder wird niemals mehr wieder gesehen.

Fragen hilft
5 Jahre her

Also das “ kann ich mich ja gleich im Stall am Boden wälzen“ habe ich in mein Repertoire aufgenommen, für den Fall, dass die Lust zu provozieren, mich überkommt, vielleicht am Stammtisch.
Aber ich bin Frau Wernli schon dankbar, dass Sie den Mist mal richtig ins Rampenlicht stellt, ginge nämlich sonst an mir vorbei. Ich denke, ich kann das Licht erst richtig schätzen, wenn ich ein exaktes Bild von der Dunkelheit habe. Schöne Pfingsten allerseits.

JN
5 Jahre her

Mal ehrlich: Die Theorie des angeblichen „sozialen“ und ansozialisierten Geschlechts war von der wissenschaftlichen Biologie zu jedem Zeitpunkt (!) dieses Jahrtausend bereits in ganz weiten Teilen schlicht widerlegt! Die Biologen wissen das auch ALLE! Sie vermeiden aber jede Diskussion mit Psychologen, Soziologen oder Pädagogen – denn das fühlt zu nichts. und beendet schlimmstenfalls die Karriere. Die Verkünder des „sozialen“ Geschlechts agieren komplett unwissenschaftlich. Es gibt KEINEN wissenschaftlichen Ansatz zur Begründung eines „sozialen“ Geschlechts. Die meisten die diese Ideologen unter „Transgender“ sumsumieren sind schlicht psychisch verwirrt! Google => Ulrich Kutschera

Theo van Gogh
5 Jahre her
Antworten an  JN

Der Junge, der ein Mädchen sein sollte

Veröffentlicht am 16.05.2004
Von Oliver Burkeman und Gary Younge

Es war das Experiment eines ehrgeizigen Arztes. Erst wurde es bejubelt, dann verabscheut. Schließlich trieb es zwei Menschen in den Tod

https://www.welt.de/print-wams/article110438/Der-Junge-der-ein-Maedchen-sein-sollte.html