Die Firma Thorizon will in den Niederlanden einen Schmelzsalzreaktor bauen. Die Anlage soll spätestens 2030 fertig sein, mit nuklearem Brennstoff betrieben werden, aber keinen Strom erzeugen. Die produzierte Wärme soll industriell genutzt oder in ein Fernwärmenetz eingespeist werden. Von Wolfgang Kempkens
Bild: Thorizon
Die Niederlande haben einen erstaunlichen Wandel in Sachen Kernenergie hingelegt. Vor wenigen Jahren war diese Technik noch verpönt. Der letzte Reaktor Borssele sollte 2004 abgeschaltet werden. Die Notwendigkeit, die CO2-Emissionen mit der Zeit auf Null zu reduzieren, führte stattdessen dazu, die Laufzeit des Reaktors, der weitgehend baugleich ist mit dem längst abgerissenen in Stade an der Unterelbe, bis 2034 zu verlängern.
Gleichzeitig plant das Land, ein großes Kernkraftwerk zu errichten, vielleicht sogar zwei, sowie eine ganze Reihe von Small Modular Reactors, also kleine Anlagen. Selbst Schiffe mit Atomantrieb sind auf der Agenda.
Und jetzt steht das Land sogar vor eine Weltpremiere. Thorizon mit Sitz im niederländischen Amsterdam und im französischen Lyon, will dort einen Schmelzsalzreaktor bauen. Dieses Konzept ist in der Frühzeit des Kernkraftwerksbaus vereinzelt realisiert worden, aber schließlich nicht ernsthaft weiterverfolgt worden, außer von Thorizon. Der Plan ist, spätestens 2030 eine kleine Anlage fertigzustellen, die zwar mit nuklearem Brennstoff betrieben wird, aber keinen Strom erzeugt. Die produzierte Wärme soll industriell genutzt oder in ein Fernwärmenetz eingespeist werden.
Damit will das Unternehmen beweisen, dass sein Konzept funktioniert, sodass kommerzielle Anlagen folgen können. Derzeit wird in mehreren niederländischen Provinzen nach einem Standort gesucht.
Thorizon kann mit guten Argumenten punkten. Anders als bei heutigen Kernkraftwerken, in deren Kern sich der Brennstoff konzentriert befindet, ist er bei Schmelzsalzreaktoren fein verteilt in flüssigem, weil heißem Salz. Dieses wird kontinuierlich durch den Reaktor gepumpt. In dessen Kern befindet sich Graphit, dass die durch Kernspaltung entstehenden Neutronen abbremst, sodass sie weitere Atomkerne zertrümmern können. Sobald der Salzstrom den Reaktorkern verlässt, hört die Kernspaltung auf.
Im Gegensatz zu heutigen Reaktoren, die dicke Behälter benötigen, um den hohen Druck im Inneren unter Kontrolle zu halten, arbeitet der Thorizon-Reaktor bei Umgebungsdruck, sodass ein wesentlicher Risikofaktor wegfällt. Als Brennstoff dient neben Uran auch Plutonium. Diese spaltbaren Materialien werden bei der Wiederaufarbeitung von Atommüll gewonnen. Entsprechende Anlagen werden unter anderem in Frankreich und Großbritannien betrieben. Ein Teil des eingesetzten Urans wird während des Betriebs in Plutonium umgewandelt – es wird also neuer Brennstoff produziert.
Selbst auf der Welt im Überfluss vorhandenes Thorium, dessen Atomkerne sich nicht spalten lassen, wird im Thorizon-Reaktor genutzt. Es fängt Neutronen ein und wird so ebenfalls zu spaltbarem Brennstoff (Uran 233).
Thorizon arbeitet mit den niederländischen, belgischen und französischen Atomaufsichtsbehörden zusammen, um die Baugenehmigung für diese drei Länder parallel zu erlangen. Der Bau des ersten kommerziellen Reaktors, Thorizon-1, soll bereits 2030 beginnen. Er wird eine thermische Leistung von 250 Megawatt haben. Diese Wärme auf einem Niveau von 550 Grad Celsius kann industriell genutzt werden, beispielsweise zur Produktion von umweltverträglichem Wasserstoff, oder zur Stromerzeugung mit einer Leistung von 100 Megawatt. Das ist der Bedarf von 250.000 Menschen in Mitteleuropa. Die elektrische Leistung lässt sich in einem weiten Bereich variieren, sodass ein solches Kraftwerk ideal ist für die Zusammenarbeit mit Solar- und Windstromanlagen. Wenn diese wetterbedingt viel Strom produzieren, wird das Kernkraftwerk heruntergefahren und umgekehrt mit voller Kraft betrieben, wenn Wind und Sonne schwächeln.
Thorizon wird von den niederländischen Wagnisfinanzierern Positron Ventures und Invest-NL sowie den regionalen Entwicklungsagenturen der niederländischen Provinzen Zeeland und Nordholland finanziell unterstützt. Zuschüsse bekam das Unternehmen von der französischen Regierung und dem Joint Transition Fund der Europäischen Kommission, mit dem Initiativen zur Minderung des CO2-Ausstoßes gefördert werden.



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