Wie wär’s mit Laberland verlassen und die Ärmel hochkrempeln?

„ZwischenWelten“ ist ein Gesellschaftsroman, ein hitziger Schlagabtausch um polarisierende Fragen wie Klimapolitik, Gendersprache, Rassismusvorwürfe und den Ukraine-Krieg

Zwei Literaten lassen ihre beiden Romanfiguren einander E-Mails schreiben und ich soll das gut finden? Ich war skeptisch beim jüngsten Briefroman von Juli Zeh und Simon Urban. Und dann: Begeistert. Die schreiben sich E-Mails und WhatsApp und was es sonst noch so gibt; die Mitteilungen überschneiden sich, es gibt Sendepausen, Missverständnisse und das wirkliche Leben ist wie ein Tinder-Roman: Ernüchternd. Das eine ist Realität, das andere virtuell und es geht nicht zusammen. Schon das ist amüsant. Aber es wird noch bunter.

Schon auf der ersten Seite ist man Mittendrin im Geschehen.  Nachdem sie sich am Abend, bevor wir Leser (wie Voyeure) ihren digitalen Dialog verfolgen, zufällig in Hamburg wieder begegnet sind. Nach zwanzig Jahren. Es bleibt nicht bei einem Drink und einem „Was hast Du so gemacht?“ im Schnelldurchlauf, der Abend endet mit Wut und Gebrüll – nicht nur wegen viel zu viel Promille.

Dabei hatten sie früher so viel gemeinsam. Haben eine Wohnung, gleiche Ansichten vom Leben und Ziele geteilt. Und obwohl Stefan sich mehr gewünscht hätte, verband Theresa und ihn eine tiefe Freundschaft.

Dann hat Theresa den Bauernhof ihres Vaters übernommen und Stefan wurde Journalist bei Deutschlands größter Wochenzeitung DER BOTE. Dort engagiert er sich mit journalistischen Projekten im Kampf gegen den Klimawandel. Derweil kämpft Theresa mit ihrem Bio-Milchbauernhof bis ans Limit ihrer Kräfte gegen die immer zahlreicher werdenden Schwierigkeiten.

DER BOTE ist erkennbar Die Zeit und auch der im Roman aus Albanien stammende Chefredakteur ist kaum verschleiert. Es treffen aufeinander das aufgeblasene Gender-Gerede der Hamburger Schickimickis und die bittere Realität einer Agrarunternehmerin, die das Pech hat im Realen zu leben und wirtschaften zu müssen. Die Belehrungen aus Hamburg sind im Roman so peinlich wie im wirklichen Leben unerträglich. Der ganze Schwachsinn des woken Journalismus breitet sich aus – und zeigt seine Lächerlichkeiten. Ich gestehe – ich habe oft geschmunzelt und laut gelacht. Das geschieht ja selten in Romanen, die sonst die Düsternis der Welt beschreiben. Spott und Ironie sind die Waffe der Wehrlosen gegen die Sprachediktate der Herrschenden. Darum fürchten diese die Spötter, wie man sehen wird. Die Wirklichkeit verschwindet hinter politische korrekten Formeln der Sprachverdreher und löst sich auf; leider nicht die damit verbundenen Malaisen einer Bauersfrau, die sich um Kälber und Mitarbeiter, um Margen und Wetter kümmern muss – während in Hamburg abstraktes Klima das alles beherrschende Thema ist und natürlich ein brutaler Machtkampf um die Pfründe der unsinnstiftenden Schreiberklasse.

"Zwischen Welten"
Neuer Roman von Juli Zeh: Liebe in Zeiten der Hassgesellschaft
Dem Desaster des ersten Wiedersehens zum Trotz wollen sie sich noch eine Chance geben, um sich per E-Mail und WhatsApp über ihr jetziges Leben auszutauschen und neu kennen zu lernen. Doch in dem Maße wie Vertrauen und Verständnis füreinander wachsen, werden auch die gravierenden Meinungsunterschiede und Einschätzungen zu polarisierenden Themen wie Klimapolitik, Gendersprache, Rassismusvorwürfen und Ukraine-Krieg immer hitziger und schroffer von ihnen verhandelt. Die Welt auf brandenburgischem Sandboden paßt so gar nicht zur Phantasiewelt des Woke-Journalismus.

Bald scheint es, als gebe es keine tragbare Verbindung mehr zwischen ihren Welten und als sei jeder gezwungen, sich für eine der antagonistischen Seiten zu entscheiden. Oder können Freundschaft und Liebe die Kluft doch überbrücken?

In der Westdeutschen Allgemeinen befand Martin Korte, dieser Roman sei „konstruktive Provokation. Das macht ‚ZwischenWelten‘ zum Gesellschaftsroman der Stunde.“

Die große Leistung besteht darin, den Chefredakteur wenigstens vorübergehend sympathisch erscheinen zu lassen. Die Heldin des Romans und einige Ihrer Nebenfiguren dagegen sind verdächtig: blond, direkt, rechtschaffen und wütend. Das darf natürlich nicht sein. Und so kommt diese konstruktive Provokation nicht bei allen, die sich  Kulturschaffende des deutschen Feuilletons nennen, gut an. „Schon wieder eine als Roman getarnte Einmischung Juli Zehs in aktuelle Diskurse“, beklagte Katharina Teutsch in Die Zeit.

Während sich früher Romanautoren einmischen sollten, gilt dies neuerdings als Zumutung – wohl weil Zeh nicht so schreibt wie das Feuilleton die Welt sieht. Es ist mutig von Zeh, sich immer wieder aus dem lauwarmen Mainstream in die eiskalten Gewässer der gesellschaftlichen Konflikte zu begeben. So schafft sie mit ihrer Literatur, sich über die woke Welt lustig zu machen, sie zu decouvrieren.

Das löst Abwehr aus. Wut und Herablassung. Spott und Ironie sind Geschwister im Hochverrat an der woken Welt.

Die Besprechung von Patrick Bahners in der FAZ endet mit dem Verdikt: „Politisch gelesen, ergreift der Roman die Partei der abgefüllten Gülle, des pseudorealistischen Ressentiments gegen die jüngste Gestalt des vermeintlich abgehobenen Universalismus. Aber die WG-Ästhetik der erzählerischen Zweitverwertung mit ihren Bauformen vom Sperrmüll macht das reaktionäre Programm unschädlich.“

Genau. Das Leben ist reaktionär.

Juli Zeh/Simon Urban, ZwischenWelten. Roman. Luchterhand, Hardcover mit Schutzumschlag, 446 Seiten, 24,00 €.


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Kommentare ( 7 )

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Esteban
1 Jahr her

Meine Erfahrung passt vielleicht nur am Rande zu dem Stoff dieses Buches, aber dennoch möchte ich sie teilen. Selbst bin ich im weitesten Sinne in der Entwicklungshilfe tätig, und versuche tagtäglich, eine nicht enden wollende Flut an Wissensvermittlung zu bewältigen. Neulich bewarb ich mich dann als Projektleiter bei einer internationalen Entwicklungsbank, bei welcher ich davon ausgehe, über das erfoderliche Fachwissen und Berufserfahrung zu verfügen. Im Anmeldeformular wollten sie dann von mir allen Ernstes wissen, ob ich der LGBT…-Community angehöre, und verwiesen darauf, dass sie „Diversität zelebrieren würden“ und deshalb die Angehörigen dieser (und sonstiger spezifischer Gruppen) begrüssen würden. Es ist… Mehr

Babylon
1 Jahr her
Antworten an  Esteban

Man muß einfach „lügen“, die Stelle bekommen und versuchen, dieses korrupte ideologiegeschwägerte System von innen zu bekämpfen und zu entlarven. Von außen geht es leider nicht mehr.

Waldorf
1 Jahr her

Was wir heute „woke“ nennen, war wohl früher der „Elfenbeinturm“ Wer keine Sorgen mehr hat, macht sich welche. Ein ziemlich offensichtliches Wohlstandsphänomen. Die eigene Wirklichkeit braucht auch etwas Wichtigkeit, und je ferner vom „echten Leben“, umso luftiger werden die Themen, die dem Ego Trost spenden. Das Problem ist ja weiß Gott nicht neu. Nur konnten „früher“ viel weniger Mitmenschen ihren Ideen freien Lauf lassen, weil sie mit existenzieller Daseinversorgung vollbeschäftigt waren. Von der Antike bis zur Moderne war „Müßiggang“ der privilegierten Oberschicht aus Adel, reichen Bürgertum oder Klerus vorbehalten, die breite Masse hatte zu arbeiten und starb früh an Krankheiten… Mehr

Last edited 1 Jahr her by Waldorf
Wolfgang Schuckmann
1 Jahr her

Das Buch ist eine Wucht. Ich für mich würde sagen, es handele ein Stück weit die Realität ab, ohne Rüsschen und Girlanden. Zuerst eigentlich nur wegen dem Vorgängerwerk der Autorin für mich interessant. Auch die Form der Auseinandersetzung, WhatsApp und Mail, versprach eher recht trockene Lektüre. Weit gefehlt. Schon nach der ersten(!) Seite konnte ich das Werk nicht mehr aus der Hand legen. Es fasziniert in einer immer stärker werdenden Weise den Leser durch seine klare Intention. Es demaskiert den täglichen Schwindel um Nichts. Die Oberflächlichkeit des Woken Lebens wird gnadenlos ans Licht gezerrt. Hier bleibt kein Spielraum mehr für… Mehr

Biskaborn
1 Jahr her

Ich habe den Roman noch nicht gelesen. Aber eines scheint auch hier und die Reaktion auf diesen Roman deutlich. Linke wollen die Realität nicht wahrhaben und die Wahrheit ist für sie unerträglich. Dann schießen sie aus allen Rohren, hetzen und eifern! Argumente, Fakten spielen keine Rollen weil sie keine haben, sie sind in ihrer Ideologie gefangen!

andreas.gei
1 Jahr her

Das gespielte Desinteresse der Woken an diesem Zeitbild bestätigt die Analyse, die auch Norbert Bolz der linksgrünen Blase antut. Sie sind „argumentativ nicht mehr satisfaktionsfähig“.

Vallis Blog
1 Jahr her

Juli Zeh ist per se eine Linke und daher verdächtig. Bei diesem Buch allerdings wird klar, dass es in Deutschland gar nicht mehr um links und rechts gehen kann. Diese beiden Seiten können die wirklich Mächtigen wunderbar aufeinander hetzen. Es geht vielmehr um klug oder doof, Probleme lösen oder Probleme leugnen, Krieg oder Frieden, Baerbock oder Wagenknecht.