»Normal ist, was ein ganzes Leben hält«

In ihrem Buch »Lob des Normalen« macht Cora Stephan deutlich, wie im Westen die Normalität gegenüber selbsternannten Befreiern verteidigt werden muss, die mit Eifer und erstaunlichem Machtinstinkt die rasche Abwicklung des Bewährten zu Gunsten des Erträumten betreiben.

Norbert Bolz hat der Autorin Cora Stephan ein treffendes Kompliment gemacht. Sie habe, so der emeritierte Medienwissenschaftler und Twitter-Aphoristiker, „das zentrale Problem unserer politischen Kultur thematisiert: den Krieg der Hysteriker gegen das Normale.“

Wie kann das sein, dass man das Normale loben, ja, es sogar verteidigen muss? Ist das Normale nicht per se das, was in Gesellschaften als den jeweils vorherrschenden Normen entsprechend gilt, also so etwas wie der Mainstream ist? Und muss man daher nicht eher stets das Nicht-Normale verteidigen, das immer in der Minderheit und dadurch gefährdet ist?

Normalität, so macht Cora Stephan im ersten und wichtigsten Kapitel ihres Buches „Lob des Normalen“ klar, ist eben nicht mit dem Befolgen von vorgegebenen Normen und auch nicht unbedingt mit der Mehrheit zu verwechseln. Über diesen Irrglauben machten sich übrigens schon die Linksradikalen Spontis der 1970er Jahre lustig – ein Milieu, das Stephan aus eigenem Erleben kennt. „Millionen Fliegen können nicht irren, esst Scheiße“, hieß es damals sarkastisch.

Natürlich, in normalen Zeiten muss Normalität nicht besonders gelobt und verteidigt werden. Die „Normalos“, wie Stephan sie nennt, erwarten wohl auch gar nicht, dass man sie für ihr Normalsein lobt. Aber wir leben eben in Zeiten, in denen normal zu sein nicht den vorgegebenen Normen entspricht.

Interview mit Cora Stephan
„Sie leben einfach wieder normal“
Also was ist normal? Cora Stephan definiert: „Normal ist, was Gewohnheit begründet, etwas, das man nicht erklären muss. Auf das man sich verlassen kann. Normal ist das, was funktioniert., weil es sich im Laufe der Zeit bewährt hat. Das Wiederkehrende, das Alltägliche, Ordnung und Sicherheit. Beruhigende Gewohnheit. Routine, die nicht zum ständigen Nachdenken nötigt. Normal ist alles, was Orientierung schafft. Was uns dazu befähigt, es miteinander auszuhalten, weil wir einen gewissen Konsens erwarten können. … Es ist das, was ein ganzes Leben hält.“

Jene von Bolz genannten „Hysteriker“, die der Normalität den Krieg erklärt haben, sehen sie stattdessen gemäß der abstrakten Theorie des Konstruktivismus als einen aus Machtinteressen konstruierten und installierten Unterdrückungsapparat. Eine der zentralen Theorien für diese Normalitätsfeindschaft ist Johan Galtungs These der „strukturellen Gewalt“: Demnach steckt in den Strukturen der Gesellschaft eine unterdrückerische Gewalt – etwa ungleiche Besitzverhältnisse oder die vermeintliche Behinderung der Emanzipation von Minderheiten – und diese rechtfertige den Einsatz von „Gegengewalt“ zur Zerstörung der Strukturen und zur Befreiung der Menschen.

Von jenen selbsternannten Befreiern, die mit Eifer und erstaunlichem Machtinstinkt die rasche Abwicklung des Bewährten zu Gunsten des Erträumten betreiben, und den dies meist passivgleichmütig hinnehmenden Normalos, handelt der Rest des Buches in den Kapiteln „Krieg der Geschlechter“, „Heimat“ (eigentlich geht es da vor allem um verlorene Heimaten), „Das Eigene und das Fremde“ und „Diktatur der Moral“. Stephans Buch ist in weiten Teilen eine Erklärung dafür, wie das Normale im Westen und besonders in Deutschland zu einer verteidigungsbedürftigen Lebensform wurde – und es dennoch vermutlich noch von einer Mehrheit der Bürger gelebt wird.

Das Eigene und das Fremde
Es geht um die eigenen Privilegien, nicht um eine gerechtere Gesellschaft
Nach der Lektüre dieses fesselnden und festigenden Buches kann man den Schluss ziehen: In diesem „Krieg der Hysteriker gegen das Normale“, den Norbert Bolz ausgemacht hat, geht es weniger um den Gewinn einer neuen, besseren, gerechteren Welt, sondern, wie Cora Stephan zeigt, vor allem um die Zerstörung dessen, was bewährt ist, was funktioniert, was von Menschen gelebt werden kann, die so sind, wie sie nun einmal sind (und nicht so, wie die Hysteriker sie sich wünschen).

In der gegenwärtigen Krise übrigens kann sich Stephan besonders bestätigt sehen. Wie sie im Prolog schreibt: „Sie werden gern übersehen, das Normale ist nicht schlagzeilenträchtig, nur in Krisenzeiten sieht man, dass es ohne sie nicht geht: ohne Handwerker und Bauern, Polizisten und Feuerwehrleute, Postboten und LKW-Fahrer, Verkäufer, Apotheker, Reinigungskräfte, Pfleger – die Liste ist unvollständig, sie wäre zu lang. Verzichtbar ist eher der Meinungshabende, der Intellektuelle, die Plaudertaschen in den Medien oder gar die Influencer im Netz. Oder all jene, die eine mehr und mehr ausufernde Bürokratie bedienen, die vielen in den weit nützlicheren oder gar lebenswichtigen Berufen das Leben schwermachen, etwa den Hausärzten und Apothekern.“

Ein bißchen Demut der „Meinungshabenden“, zu denen Stephan ebenso wie der Rezensent gehören, vor denen, die den Laden in seinen Grundfunktionen am Laufen halten – auch das gehört zur Verteidigung der Normalität.

Cora Stephan, Lob des Normalen. Vom Glück des Bewährten. Edition Tichys Einblick im FBV, 240 Seiten, 16,99 €.


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Kommentare ( 6 )

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Politkaetzchen
2 Jahre her

Ich finde, dass es nichts bringt krampfhaft darauf zu pochen, dass wir noch immer die Normalen seien. Denn das versucht das Buch die ganze Zeit, ohne wirklich auf die Realität zu schauen. Normal ist schlicht das, was die Mehrheit macht und das schließt auch Epochen von normopathischen Verhaltensweisen ein. Also gestörte, krankhafte bis selbstzerstörerrische Verhaltensweisen, die aber von so vielen Mitgliedern einer Gesellschaft zelebriert werden, dass es zu einer Norm wird, sodass jene, die reflektiert Distanz zu solchen Verhalten einnehmen, als außerhalb der Norm wahrgenommen werden. Im Mittelalter war es zb. „normal“ alles was ein nicht in den Kram passt… Mehr

Rene Meyer
2 Jahre her
Antworten an  Politkaetzchen

Ja, ich wollte auch schon die Normopathie beisteuern, da sehe ich, dass Sie es schon (sehr gut) getan haben. Dennoch scheint, nach Knauss‘ Besprechung, Cora Stephans „Lob des Normalen“ gerade durch den allzu überfälligen Blick auf das „Normale“ einen Beitrag dazu zu leisten, das Pathologische endlich ausmachen zu können. Denn das ist ja genau die Krux am Normopathischen: das Kranke für normal zu halten. Über Jahrzehnte wurde das „Normale“, „Spießige“, „Biedere“ abgewrackt; jetzt ist der Krug am Brunnen zerbrochen, und wir erkennen – endlich, wieder -, was wir an ihm hatten. Danke an Herrn Knauss für seine wertvolle Besprechung eines… Mehr

Stefan Rausch
2 Jahre her

Zu diesem wunderbaren Artikel, möchte ich 2 Netzfunde beisteuern: den Begriff ’normophob‘; und das Motto : „So wie vergangene gute Zeiten schwache Menschen hervorgebracht haben, werden die kommenden schweren Zeiten starke Menschen schaffen.“

Georg J
2 Jahre her

„Normal ist das, was funktioniert…“
Wir könnten es auch mit „gesundem Menschenverstand“ beschreiben. Aber, wie sagt der Engländer so treffend: „Common sense is not very common.“

Last edited 2 Jahre her by Georg J
Harry Charles
2 Jahre her

ÜBERGESCHNAPPTHEIT und Verwöhntheit sind Markenzeichen einer überdrehten Wohlstandsgesellschaft, die sich selbst nicht mehr leiden kann. Hinzu kommen Selbstüberschätzung und Hybris, vor allem bei Jugendlichen, denn seit Anbeginn der Menschheit sind diese insbesondere mit der Pubertät verknüpft. Das präpotente Denken des pubertären Strebers wird heutzutage noch verschlimmert dadurch, dass die FFF-Muttersöhnchen meinen, die Welt genauso oft runderneuern zu müssen wie es irgendwelche neuen Gimmicks an ihren Handys und Playstations gibt. Die prinzipiell eher unpolitischen und auf reinen Profit orientierten Big-Tec-Vertreter nutzen die typische Unreife des pubertären Halbstarken, indem sie seiner seelischen Disposition entgegen kommen. Typische pubertäre Jugendliche einer westlichen Wohlstandsgesellschaft kann… Mehr

thinkSelf
2 Jahre her

Das Problem ist nur das die „Normalen“ zwar den Laden am laufen halten, damit aber gerade den Verzichtbaren die Möglichkeit geben sich an ihnen nicht nur zu bereichern sondern sie überhaupt erst ermöglichen. Der Sklave schafft sich seine Herrschaft selbst und leidet dann unter ihr. Dieses grundsätzlich Paradoxon konnte bisher nie aufgelöst werden. Also überdrehen die Überflüssigen unter tätiger Ermöglichung durch die Normalen das Rad bis es zum Zusammenbruch kommt. Der löscht dann die Überflüssigen aus und das Spiel beginnt von neuem. P.S.: Demut ist von den Meinungshabenden, also den Überflüssigen, nicht zu erwarten. Hätten sie die, wären sie ja… Mehr