Douglas Murray: „Ich glaube, die Wahrheit wird sich durchsetzen.“

Im Gespräch mit Nigel Farage erklärt Douglas Murray, warum es wichtig ist, die Dinge beim Namen zu nennen, warum er das Misstrauen der Briten gegenüber Ideen für eine gute Idee hält und warum die Linke den entscheidenden Fragen der Gegenwart ausweicht

In Amerika gibt es mittlerweile zwei Generationen, die beigebracht bekommen haben, dass es das schlimmste Land der Welt sei, nicht etwa nur problembehaftet. Diese Leute kennen übrigens überhaupt keine anderen Länder. Das ist das eklatante Unwissen derselben Leute, die laufend sagen: „Bildet Euch!“. Das sind immer die dümmsten Leute, diese Bilde-Dich-Brigade, die selbst gar nichts über die Welt weiß. Sie sind nirgends gewesen. Sie können die amerikanische Zivilisation mit keiner anderen vergleichen. Sie denken, Amerika sei das einzige Land gewesen, das Sklaverei hatte. Es gab Sklaverei in jeder Zivilisation weltweit. Sie meinen, dass Großbritannien durch Sklaverei definiert würde. Und sie wissen nicht, dass sich dieses Land in der Auseinandersetzung um die Abschaffung der Sklaverei geradezu zerrissen hat. Das liegt Jahrhunderte zurück. Es hat uns viel gekostet. Wir haben den Preis bezahlt, weil wir überzeugt waren, dass es moralisch richtig war, ihn zu bezahlen. Und jetzt kommen diese Leute und erzählen einer ungebildeten, ignoranten Generation, dass sie diese historischen Fakten nicht kennen müsse.

Der neue Klassenkampf
Wie der Wahnsinn der Massen unsere Gesellschaft zerstört
Nigel Farage: Wenn wir uns die Medien und die großen Unternehmen in unserem Land anschauen – das sind doch die großen gesellschaftlichen Gruppierungen, die meinungsbildend sind. Die wissen doch Bescheid über Großbritanniens Verhältnis zur Sklaverei. Wie kann es also sein, dass – und Du hast es selbst ja auch erlebt – als ich einige Tage nach dem Sturz der Colsten-Statue in Bristol in einem Fernsehstudio sagte: „Bei  Black Lives Matter geht es mehr um den Sturz des Kapitalismus, die Zerstörung der Staatsstrukturen, Entmachtung der Polizei“ – dass ich zur besten Sendezeit im Fernsehen ein Lügner genannt werde? Nur weil ich das ausspreche, was sie auf ihrer eigenen Website als Ziele formulieren? Was geht bei den Medien und in unseren großen Unternehmen vor sich?

Douglas Murray: Zunächst gibt es da einige Leute, die tatsächlich so ignorant sind, dass sie diese Behauptungen glauben…

Nigel Farage: … aber doch nicht in den Medien und Geschäftskreisen …

Douglas Murray: … in den Medien und Geschäftskreisen haben wir es mit einem anderen Phänomen zu tun. Da geht es um Feigheit. Als „Rassist“ bezeichnet zu werden ist ja mittlerweile das Schlimmste, was einem in unserer Gesellschaft widerfahren kann. Manche entgegen: „Offensichtlich stimmt das nicht, denn du hast es doch überlebt, ein Rassist genannt worden zu sein“. Es stimmt aber doch. „Rassist“ ist tatsächlich das Gehässigste, was man über jemanden sagen kann. Und es ist unmöglich, diesen Vorwurf zu entkräften, weil wir in diesem Land in mehr als 20 Jahren die Auffassung entwickelt haben, dass alles im Auge des Betrachters liege: Wenn einer also denkt, etwas sei rassistisch, dann sei es auch rassistisch. Diese Auffassung fügt einer Gesellschaft unglaublichen Schaden zu. Aber darin sind Bewegungen wie Black Lives Matter besonders gut. Dieses Terrain besetzen sie gerne und sehr gut; indem sie behaupten: Jeder, der sich uns entgegenstellt – und den Themen, die wir in unseren Forderungskatalog mithineinschmuggeln – muss ein Rassist sein. Es ist höchste Zeit, dass sich mehr Leute im Geschäftsleben und in Regierungen dem entgegenstellen und sagen: Nein! Wir durchschauen, was ihr tut.

Es gibt ganz viel Beispiele für solche Mechanismen in der Vergangenheit. Nimm doch nur einmal die „Friedensforschung“. Sie entstand auf mysteriöse Weise während des Kalten Krieges. „Friedensforschung“: Wenn man diesen völligen Blödsinn nicht mochte – er wurde übrigens auffällig oft von Russland finanziert – dann war man gegen den Frieden. Aber wie könnte man gegen Frieden sein? Das konnte doch nur bedeuten, dass man die Atombombe werfen wollte.

Nigel Farage: Verrate mir einmal, als was Du schon alles beschimpft wurdest. Gib mir eine Liste. 

Douglas Murray: Offensichtlich bin ich ein großer Heuchler, ein schrecklicher Transphober und ein schwuler Homophober.

Nigel Farage: Ich frage, weil ich selbst über die Jahre extrem beleidigt worden bin. Wie gehst Du damit um?

Es geht ums Beschämen, nicht um Scham
»Public Shaming«: Vergebung ist nicht vorgesehen
Douglas Murray: Ach, mir ist es einfach wurscht. Wirklich. Nach meiner Auffassung hängt die Charakterentwicklung davon ab, ob man unterscheiden kann, für wessen Meinung man sich interessieren sollte und für wessen nicht, wem man zuhören sollte und wem nicht. Es gibt einige wenige Leute, Familie, Freunde, Menschen, die ich bewundere. Wenn die sagen: Da liegst du falsch – dann höre ich definitiv zu. Wenn mich aber jemand mit einem phantasierten Social-Justice-Warrior-Twitternamen kritisiert, dann macht mir das keine schlaflosen Nächte.

Nigel Farage: Du bist ein interessantes Phänomen. In Frankreich zum Beispiel werden Intellektuelle ja auf ein Podest gestellt und verehrt.

Douglas Murray: Ich habe diesen Aspekt der französischen Kultur oft bewundert (lacht).

Nigel Farage: Du bist ein Intellektueller und trotzdem verkaufst Du Bestseller. Wie machst Du das? In England?

Douglas Murray: Wir haben ja eine feine intellektuelle Tradition hier in England.

Nigel Farage: Aber sie wird nicht respektiert.

Douglas Murray: Das würde ich so nicht sagen. Doch es gibt eine enorme Eigenart hierzulande, die sich vielleicht so beschreiben lässt: Die Briten sind traditionell skeptisch Ideen gegenüber. Konservative Denker oder Schriftsteller bringt das in eine Zwickmühle. Dieses britische Misstrauen Ideen gegenüber…

Nigel Farage: … das liegt vielleicht daran, weil wir uns durchwursteln… 

Douglas Murray: …Ja! Das britische Misstrauen gegenüber Ideen ist eben selbst auch eine gute Idee. Mein verstorbener Freund Roger Scruton wurde da sehr deutlich. Misstrauen zu hegen gegenüber Leuten, die Ideen haben, heißt auch, Utopisten gegenüber misstrauisch zu sein. Der Rest Europas ist in der Geschichte regelmäßig Utopien verfallen. Doch das britische Volk hat das historisch nicht gemocht. Ein enormer Vorteil. Aber wenn man selbst an Ideen interessiert ist, kommt es eben zu diesem Konflikt. Misstrauen gegenüber großen Ideen, ist ein gutes Misstrauen. Denn wenn du jemandem begegnest, der behauptet, besser zu wissen, wie du leben solltest, dann solltest du so weit wie möglich davonlaufen! Aber manchmal lebt man eben in einem Zeitalter, das vollgestopft ist mit abstrusen Ideen. Und es ist nicht genug, das einfach zu ignorieren. Denn man ist von diesen Ideen ja ständig umgeben, man atmet sie regelrecht ein. Die Kinder lernen sie in der Schule. Deshalb kritisierst du Schulen ja auch. Ich halte es übrigens auch für entscheidend, dass die britische Öffentlichkeit erkennt, dass ihre Kinder mit verrotteten Ideen gefüttert werden.

»Aber ihr habt doch Roger Scruton!«
Unsere Zeit braucht Denker – besonders von konservativer Gesinnung
Nigel Farage: Das interessiert mich jetzt ganz besonders. Ich habe gelesen, was du über Universitäten gesagt hast. Und ich weiß noch, was ich gedacht habe, als Blair forderte, 50 Prozent der jungen Leute sollten Universitäten besuchen. Natürlich tat er das in erster Linie, um junge Labour-Wähler zu erzeugen. Wer konnte ahnen, wie erfolgreich er damit sein würde? Ich bin kein Intellektueller. Ich bin ein Geschäftsmann, ein Pragmatiker. Aber ich sehe doch, dass man den jungen Leuten ab 13, 14 in der Schule und später an der Universität kritisches Denken beibringen müsste, nach dem Muster: Hier ist ein Problem. Hier sind zwei Lösungen. Überlege dir welche dir lieber ist. Jetzt geht es aber doch so: Man sagt den Leuten, hier ist ein Problem. Es gibt zwei Lösungen. Aber die eine ist moralisch verwerflich, nur die andere ist gut. Ist es das, was an unseren Universitäten schiefläuft? Und wie schlimm ist es deiner Meinung nach?

Douglas Murray: Ich denke, dass jedes Zeitalter einen religiösen Instinkt hat. Alle Menschen haben einen religiösen Instinkt. In unserem Zeitalter wurde der religiöse Instinkt in einen kulturreligiösen Instinkt überführt. Leute werden indoktriniert, einer Kultreligion zu folgen. Man sagt ihnen, wie gutes und wie schlechtes Verhalten aussieht, wie sich eine gute Person benimmt und woran man eine schreckliche Person erkennt. Dabei geht es eher um Haltungen als um Verhalten. Das ist alles Teil der Verarsche: Welche Signale solltest du senden, um zu beweisen, dass du zu den Guten gehörst? Und welche, wenn du Teil der „guten“ Gruppe bist, aber gleichzeitig die schrecklichen Eigenschaften eines, sagen wir mal, weißen Mannes hättest, was solltest du tun, um trotzdem zu demonstrieren, dass du dadurch nicht zu den Bösen gehörst?


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Kommentare ( 2 )

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LadyGrilka55
3 Jahre her

„… dass wir … zugelassen haben, dass eine Bewegung vor sich hingärt, die alle Aspekte unserer Geschichte feindselig betrachtet.“ Diese Feindseligkeit gibt es hier auch, mit dem Unterschied, dass in Deutschland von unserer 1000-jährigen Geschichte fast nur noch 12 Jahre übrig geblieben sind, über die man hauptsächlich redet. Außerdem wird hier nicht nur dieses Stückchen Geschichte feindselig betrachtet, sondern auch derjenige Teil des Volkes, der nicht bereit ist, grünlinksradikalen Ideen hinterherzuhecheln, sondern diese kritisch sieht. Vielleicht ein Grund, warum überhaupt so viele sich auf die grünlinke Seite geschlagen haben, um nur ja nicht auf der „falschen“, nämlich der konservativen Seite… Mehr

Last edited 3 Jahre her by LadyGrilka55
Veronika Deutsch
3 Jahre her

Das Buch kann ich nur empfehlen und zum verschenken sehtr geeignet.
Bin es durch !
Einenbesinnlichen zweiten Advent wünsche ich allen Lesern und das
ganze Tichy Team.