Risiko freie Meinungsäußerung: Dort acht Jahre Haft, hier 16.000 Euro Strafe

In Brasilien hat es den Komiker Leo Lins erwischt: Für Witze im Rahmen einer Bühnenshow soll er für über acht Jahre hinter Gitter, hinzu kommen hohe Strafzahlungen. Derweil flattert einem deutschen YouTuber ein Strafbefehl über 16.000 Euro ins Haus – für von der Staatsanwaltschaft frei erfundenen Naziparolen.

Über acht Jahre Haft, Entschädigungszahlungen von umgerechnet 47.000 Euro und eine Geldstrafe in Höhe von 1.170 Mindestlöhnen: Eine drakonische Strafe für schwerste Verbrechen? Keineswegs. Zu dieser Strafe wurde nun Leo Lins in São Paulo verurteilt.

Sein Vergehen? Der 42-Jährige Brasilianer ist Komiker. Und er hatte in seiner Stand-Up-Comedyshow „Perturbador“ („der Verstörer“) von 2022 das getan, womit er seinen Lebensunterhalt verdient: Er hatte Witze gemacht.

The court ruled his remarks crossed the line from comedy to hate speech.

Is that really justice? pic.twitter.com/0BYXYGK1pO

— Ju (@jtrdl_) June 4, 2025

Darunter waren auch „diskriminierende Äußerungen“ gegen Schwarze, ältere Menschen, Übergewichtige, Menschen mit HIV, Homosexuelle, Indigene, und gegen das brasilianische Pendant des Ostfriesen, den „Nordestino“. Auch Juden, Evangelikale, Behinderte oder Menschen, die stottern, waren nicht sicher vor „kollektiven moralischen Schäden“, die er ihnen laut Urteil durch seinen Humor zufügte. Das hat nun bittere Folgen für den Comedian.

Das Urteil ist zwar noch nicht rechtskräftig, aber allein die Tatsache, dass ein Entertainer für Witze auf der Bühne verurteilt werden kann, sendet ein klares Signal an Satiriker, System- und Regierungskritiker und andere Aufmüpfige: Selbst unter despotischen Herrschern, denen gegenüber Kritik potenziell lebensgefährlich sein konnte, gab es die Instanz des Hofnarrs. In autoritären und totalitären Systemen war der Witz die letzte Zuflucht für jene, die sich nicht ganz den Mund verbieten lassen wollten. Doch nun geht es auch dem Humor an den Kragen, gleich, ob er explizit der Kritik dient, oder nur der Unterhaltung und Herumblödelei; und das in nominell demokratischen Gesellschaften.

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Leo Lins war 2015 und 2016 einer der Protagonisten bei Demonstrationen gegen die frühere brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff der sozialistischen Partei, die er, wie viele andere Brasilianer auch, der Korruption beschuldigte. Nicht nur Korruption ist ein grassierendes Problem im Land, auch Angriffe auf die Meinungsfreiheit sind nicht neu: So versuchte ein Bundesrichter im Sommer 2024, die Sperrung von X durchzusetzen.

Dass Regierungskritiker mundtot gemacht und mit Repressalien überzogen werden, ist auch in Deutschland alles andere als eine Seltenheit – auch wenn sich gegenüber diesem völlig überzogenen Strafmaß skandalbehaftete Urteile und Hausdurchsuchungen wegen „Schwachkopf“- und Faeser-Memes geradezu harmlos ausnehmen. Dennoch stellen auch diese Maßnahmen eine ernstliche Bedrohung der Meinungsfreiheit dar.

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Hierzulande gewinnt man häufig den Eindruck, dass scheinbare völlige Willkür gegenüber missliebigen Kritikern ein Klima der Einschüchterung erzeugen soll: Niemand kann sich sicher sein, nicht doch für diese oder jene öffentliche Äußerung zur Rechenschaft gezogen zu werden: Kleine anonyme Accounts werden von großen Medien enttarnt, und müssen, wenn nicht strafrechtliche, so doch soziale Konsequenzen fürchten.

Rentner werden mit Hausdurchsuchungen schikaniert, Journalisten sanktioniert, obwohl das Aussprechen und Aufschreiben unangenehmer Wahrheiten und Meinungen zu ihrem Berufsbild gehört – so wie das Witze Erzählen zum Profil des Komikers.

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Für Empörung sorgt derzeit ein völlig erratischer Strafbefehl gegen den YouTuber Tim Heldt, der den Account „KuchenTV“ betreibt: Im Dezember 2024 nimmt er von einem Weihnachtsmarkt aus an einem Livestream teil und  beklagt die „Qualität“ der Internetverbindung – in Deutschland ein durchaus verbreitetes Problem.

Während er dies sagt, verhaspelt er sich, und setzt die erste Silbe des Wortes „Qualität“ neu an.

Die Folge: Ein Strafbefehl über 16.000 Euro. Er habe eine nationalsozialistische Parole verwendet, behaupten die Braunschweiger Strafverfolgungsbehörden: Aus „Ka – Qualität“ hören sie „Sieg Heil“ heraus. Wie, das bleibt ihr Geheimnis.

Tim Heldt ist dementsprechend baff: In einem Video spielt er die betreffende Stelle in langsamem Tempo ab, bemüht die automatische Transkription: Auch YouTube kann die Naziparole nicht heraushören.

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Fantasievolle Staatsanwälte sind in Deutschland keine Seltenheit: Bereits Anfang des Jahres sorgte eine Sendung des amerikanischen Senders CBS in den USA für Entsetzen. Das Format „60 Minutes“ hatte die Staatsanwaltschaft Göttingen bei der Arbeit begleitet, und dokumentiert, wie unbekümmert und verantwortungslos die Staatsanwälte ihre Macht über andere Menschen genüsslich ausspielten.

Die US-amerikanische Öffentlichkeit reagierte geschockt – wurde sie hier doch Zeuge, wie wahr und relevant die Kritik ist, die JD Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz an der europäischen Haltung zur Meinungsfreiheit übte.

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"Kriminalisierung der Rede wird erhebliche Belastung für europäisch-amerikanischen Beziehungen"
Vance’s Kritik wurde von deutschen Politikern damals mit Entrüstung aufgenommen: Sie wollten sich nicht belehren lassen von einem Politiker, der einer als „rechts“, ja gar als „faschistisch“ eingeordneten Regierung angehört. Dass hier die Maßstäbe nicht nur verrutschen, sondern sich zunehmend umkehren, ist eine besorgniserregende Tatsache: Freie Rede und freie Meinungsäußerung werden ausgerechnet von jenen bekämpft, die sich als Moralapostel gebärden, und jede Korrektur ihrer Haltung zurückweisen.

Die haltlosen Anschuldigungen gegen Tim Heldt werden keinen Bestand haben. Aber sie kosten den jungen Mann Geld und Nerven – und womöglich die Unbefangenheit, mit der er in Zukunft seine Stimme in der Öffentlichkeit erheben wird. Und auch, wer noch nicht ins Fadenkreuz einer deutschen Staatsanwaltschaft geraten ist, droht, wird sich womöglich durch einschüchtern lassen.

Für Leo Lins kann man nur hoffen, dass ein Berufungsverfahren ihm bescheinigen wird, dass Witze auf Kosten anderer erlaubt sind – oder soll „Komiker“ in Brasilien allen ernstes zum Hochrisikoberuf mutieren?

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