Kippt die Wiederholung der Berliner Pannen-Wahl im letzten Moment?

Am 12. Februar sollen die Bürger der Hauptstadt wieder an die Urnen, weil der Wahlgang vom September 2021 ungültig erklärt wurde. Dagegen klagen 43 Berliner – darunter auffallend viele FDP-Politiker, die offenbar um ihre Mandate fürchten.

IMAGO / epd
Am 12. Februar 2023 soll die Wiederholung der Abgeordnetenhaus-Wahl in Berlin stattfinden – weil die Wahl vom 26. September 2021 so massiv von Fehlern, Schlampereien und Manipulationen beeinflusst war, dass das Berliner Verfassungsgericht sie im November als flächendeckend ungültig verworfen hatte. Bisher gilt dieser Termin jedenfalls. Über die Wiederholung der Bundestagswahl für Berlin, die damals am gleichen Tag und unter denselben chaotischen Bedingungen stattfand, muss das Bundesverfassungsgericht aufgrund einer von TE unterstützten Klage noch entscheiden.

Während alle Berliner Parteien schon den Wahlkampf um das Abgeordnetenhaus und die Bezirksversammlungen starteten, versuchen 43 Kläger, die Wahlwiederholung noch im letzten Moment zu kippen. Sie beantragten am 15. Dezember beim Bundesverfassungsgericht den Erlass einer Einstweiligen Anordnung, das Urteil des Berliner Verfassungsgerichts zur Wahlwiederholung an das Gericht zurückzuüberweisen, und die Wahl selbst bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über den Antrag auszusetzen.

"Tichys Einblick Talk" vom 17.11.
Berliner Wahlwiederholung und die Konsequenzen für Deutschland
Am 12. Februar des kommenden Jahres, so die Kanzlei Redeker Sellner Dahs im Namen der Kläger, dürfe in Berlin also gar nichts gewählt werden – weder das Landesparlament noch die Bezirksparlamente. Ihre Begründung: Das Urteil des Berliner Verfassungsgerichts verletze die Kläger in ihren Rechten. Worin die vermeintliche Rechtsverletzung besteht, erklärt sich durch den Blick auf die klagenden Personen: Von den 43 haben 26 ein Mandat im Abgeordnetenhaus oder einem Berliner Bezirksparlament inne. Unter ihnen finden sich der FDP-Abgeordnete Stefan Förster, der frühere Berliner Finanzsenator Matthias Kollatz, SPD, die Linkspartei-Abgeordnete Katalin Gennburg und dem Bezirksverordneten der Grünen aus Tempelhof-Schöneberg Bertram von Boxberg.

Unter den 26 klagenden Politikern fällt allerdings eine relativ große Fraktion auf: Mandatsträger der FDP. Insgesamt acht namentlich genannte Kläger gehören den Freien Demokraten an, außerdem klagt die gesamte FDP-Fraktion von Treptow-Köpenick und der gleichnamige FDP-Bezirksverband, vertreten jeweils durch den gleichen Politiker der Freidemokraten. Dass FDP- und Linksparteipolitiker zusammen auffällig viele Kläger stellen, hat einen bemerkenswerten Beigeschmack. Die Linkspartei muss selbst in Berlin wegen des schlechten Bildes der Gesamtpartei mit Stimmverlusten rechnen. Berlins FDP steht in Umfragen zur Wahlwiederholung zwischen fünf und sechs Prozent. Möglicherweise fliegt sie also aus dem Parlament.

Der Verdacht drängt sich auf, dass Politiker mit ihrer Verfassungsbeschwerde vor allem eines verhindern wollen: den Verlust ihres Mandats. Zumindest soll der Parlamentsabschied nicht schon im Februar drohen – daher die Forderung, die Wahlwiederholung, wenn sie denn stattfinden sollte, weit in die Zukunft zu verschieben. Das wirkt um so delikater, als die Berliner FDP-Führung offiziell das Wahl-Urteil des Landesverfassungsgerichts vom 16. November laut begrüßt hatte. Der FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja, bei der Wahlwiederholung erneut Spitzenkandidat, erklärte damals: „Diese Zäsur muss eine Kehrtwende bisheriger Politik einläuten, wir müssen die Kontrolle über unsere desolaten Verwaltungsstrukturen zurückerlangen.“

Und der Berliner FDP-Landeschef Christoph Meyer begrüßte das Urteil seinerzeit als „einzig richtige Entscheidung“. Zum Wahlkampfauftakt erklärte Czaja: „Wir haben das Chaos in Berlin nicht angerichtet, aber wir stehen bereit, es aufzuräumen. Wir treten an, um Verantwortung innerhalb einer Regierung der politischen Mitte zu übernehmen.“

Dass nun vor allem FDP-Politiker vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, um genau diese Wahlwiederholung nach einer chaotischen Pannenwahl zu verhindern, passt denkbar schlecht zur öffentlichen Bekundungen der Parteispitze. „Dass zuvorderst die FDP nun um ihr Überleben bangt und einerseits so tut, als habe man für die Wiederholungswahl gekämpft, aber nun versucht, die Wahlfarce vom 26. September 2021 zu verteidigen, ist mehr als durchsichtig“, kommentiert der frühere Berliner FDP-Abgeordnete Marcel Luthe, der zu den prominenten Anfechtungsklägern vor dem Landesverfassungsgericht gehörte.

Wie begründen die 43 Kläger ihren Versuch, die Wahlwiederholung zu stoppen? Sie argumentieren unter anderem damit, das Berliner Verfassungsgericht habe die Verstöße gegen die Wahlordnung und vor allem deren sogenannte Mandatsrelevanz nicht ausreichend sorgfältig geprüft. Tatsächlich hatte das Landesverfassungsgericht geurteilt, allein schon die schlampige Vorbereitung der Wahl, bei der Stimmzettel vertauscht wurden oder fehlten, und die Zeit zur Stimmabgabe bei der gleichzeitig angesetzten Wahl zu den Bezirksparlamenten, dem Abgeordnetenhaus und dem Bundestag unrealistisch gering angesetzt worden war, weswegen sich die Wahlwilligen vor den Lokalen stauten, reiche aus, um die Wahl als ungültig zu erklären. Darüber hinaus seien die in zahlreichen Protokollen dokumentierten Unregelmäßigkeiten und Verstöße schon ausschlaggebend, es sei nicht nötig, weitere mögliche Verstöße gegen die Wahlordnung zu untersuchen. Mit anderen Worten: Das, was an Verstößen offensichtlich war, langte dem Gericht schon. Dass der Umfang der Verstöße tatsächlich weitaus größer gewesen sein dürfte, dokumentierte die Recherche von TE zur Berlin-Wahl.

Kavaliersdelikt Wahlbetrug?
Beim offenkundigen Wahlbetrug geht es nicht um Berlin, sondern um Deutschland
Welche Chance hat die Beschwerde in Karlsruhe, die Wahlwiederholung in Berlin am 12. Februar 2023 noch zu kippen? Nach Ansicht des Verfassungsrechtlers Ulrich Vosgerau, der die von TE unterstützte Klage von Bürgern auf Wiederholung der Berliner Bundestagswahl vor dem Bundesverfassungsgericht vertritt: gar keine. Die Verfassungsbeschwerde, argumentiert Vosgerau, sei unzulässig, denn in der Sache handle es sich nicht um eine Verfassungsbeschwerde, sondern um den Versuch, Rechte von Abgeordneten geltend zu machen.

Außerdem sei das Bundesverfassungsgericht für die Beurteilung der Abgeordnetenhauswahl räumlich gar nicht zuständig: „Im Bundesland Berlin entscheidet über Neuwahlen auf Landesebene allein der Verfassungsgerichtshof; das Bundesverfassungsgericht wird insofern nicht als ‚Berufungsinstanz‘ tätig, da es für die Auslegung der Berliner Verfassung nicht zuständig ist“, so der Staatsrechtler.

Würde Karlsruhe so entscheiden: dann bliebe trotzdem der Eindruck an Berlins FDP kleben, sich vor allem um ihre Mandate zu sorgen. Falls das Bundesverfassungsgericht die Berliner Wahlwiederholung wirklich verschieben sollte – zwar unwahrscheinlich, aber nicht völlig undenkbar – würde das den einzelnen Mandatsträgern zwar nutzen. Der politische Schaden wäre dann allerdings noch viel größer.


In eigener Sache: Tichys Einblick will die Verfassungsmäßigkeit auch der Bundestagswahlen in Berlin nun durch das Bundesverfassungsgericht prüfen lassen; wir halten dafür, dass auch nach den Wahlprüfungsgrundsätzen im Bund eine komplette Wiederholung auch der Bundestagswahl im Bundesland Berlin erforderlich ist, da insofern keine anderen Maßstäbe gelten können als für die Wahl zum Abgeordnetenhaus. Denn beide Wahlen fanden gleichzeitig, in denselben Wahllokalen, in denselben Wahlkabinen statt – wenn sie denn überhaupt stattfanden und die Wähler nicht zum Beispiel wegen der langen Schlangen wieder nach Hause gegangen waren.

Deshalb hat Roland Tichy, Herausgeber von TE, entschieden, eine Initiative zu gründen, die die Wiederholung der Bundestagswahl in allen Berliner Bezirken einklagen wird. Die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht wird von dem namhaften Verfassungsrechtler Ulrich Vosgerau in Karlsruhe im Namen von zwei Tichys-Einblick-Lesern geführt. Unsere Leser haben bereits mit einer Formulierungshilfe von TE Antrag auf Wahlwiederholung gestellt und sind damit klageberechtigt. Die Klagefrist läuft am 10. Januar 2023 ab. Die Finanzierung hat „Atlas – Initiative für Recht und Freiheit“ übernommen.

Unterstützen Sie bitte die Öffentlichkeitsarbeit dieses Vorhabens.

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Kommentare ( 34 )

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34 Comments
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Siggi
1 Jahr her

Es ist wohl völlig egal, ob Neuwahlen stattfinden oder nicht. Die SPD und er links/grüne Rest muss an der Macht bleiben. Kein anderer würde die Buchungen der Gelder verstehen. Das ist wie in Hamburg. Niemand darf dahinterkommen, was dort mit den Geldern veranstaltet wird.

AlexR
1 Jahr her

Harbarth wird dafür sorgen, dass die Wahl nicht wiederholt werden muss. Mit der Begründung, das Ergebnis wäre kaum ein anderes.

Aber die korrekte Wahl eines ungewollten MP musste auf Anweisung der Staatsratsvorsitzenden „korrigiert“ werden.

Habakuk06
1 Jahr her

Wir müssen die Kontrolle über unsere Verwaltungsstrukturen zurück bekommen Was für ein Armutszeugnis sich diese Leute ausstellen. Und….. wann haben sie diese Kontrolle denn jemals gehabt. Wahrscheinlich werden sie demnächst damit die Einstellung weiterer hunderter „fleißiger“ Mitarbeiter im öffentlichen Dienst begründen. Diese Herrscher über uns Bürger glauben doch tatsächlich, sie opfern sich für uns auf.

Rudolf H.
1 Jahr her

Das Regime wird schon einen Grund finden, um die Wahlen abzusagen. Bei den Machthabern ist die Angst, dass die national gesinnte Opposition ans Ruder kommt, riesengroß. Es wird aber Zeit, dass AfD, der II. Weg und Die Rechte endlich die Regierung übernehmen, damit endlich mal gründlich aufgeräumt wird in diesem Lande.

JamesBond
1 Jahr her

Die Rot-Grüne FDP hat immer noch nichts verstanden. Thüringen hat gezeigt, statt eigene Politik zu machen, wird SED Politik gefördert. Die FDP ist unwählbar, da Demokratiefeindlich!

Richard28
1 Jahr her

Man könnte einen Anti-FDP -wahlverein gründen.
Wenn man sieht, wie die FDP täglich zusammen mit den 2 Looserparteien unser Land und unser Leben zerstört, hat dieser Wunsch durchaus seine Berechtigung.
Die FDP hätte schon nach 6 Monaten die Regierung verlassen müssen, nach dem schweren Fehler, sie überhaupt ermöglicht zu haben.

Albert Pflueger
1 Jahr her

Das wird ja lustig. Ab dem 2. Januar können Briefwahlunterlagen angefordert werden. Will man ernsthaft den Leuten, die da ihre Stimme abgeben, anschließend erklären, daß man die leider nicht berücksichtigen könne, weil man die Wahl doch nicht abhalte?
Vielleicht kann man die Zettel ja aufheben, falls man bei späteren Wahlen mal noch paar Stimmen braucht…..
Was für ein Possenspiel!

Nibelung
1 Jahr her

Jedes Urteil ist anfechtbar, die Frage ist nur, wie es von der obersten Instanz bemessen wird. Immerhin hat sich ja schon eine Verwaltungsinstanz damit ausgiebig beschäftigt und dabei sollte man sehr vorsichtig agieren, denn es geht nicht nur um ein weiteres Urteil, sondern die ganze Angelegenheit ist ein Test für die Unbestechlichkeit der Instanzen und das könnte man lösen, wenn man dem Wähler die Entscheidung überläßt, alles andere wäre mehr als fraglich, weil es dann als Parteinahme gesehen werden könnte, was den Ruf der Justiz beschädigen würde. Man sollte bei allen Entscheidungen nicht das Denkvermögen vieler Bürger unterschätzen und es… Mehr

Hanno Spiegel
1 Jahr her

Die Merkel-Dinner-Runde soll über eine Wahl entscheiden?
Wie lächerlich kann man sich machen?
Das zurechtbiegen von Wahlergebnissen scheint zur Regel zu werden.
Rot/Grüne D(DR)emokratie in Deutschland .

Last edited 1 Jahr her by Hanno Spiegel
Ludwig von Gerlach
1 Jahr her

Welcher Senat entscheidet in Karlsruhe über die Anträge auf einstweilige Anordnung? Sollte es der unter Vorsitz des Endoskops von IM Erika sein, könnte Berlin seine zur Wahlvorbereitung geschlossenen Bürgerämter schon mal wieder öffnen. Denn dann wird das Urteil des Berliner Verfassungsgerichts mit tödlicher Sicherheit gekippt. Die ungeschriebene verfassungsprozessuale Maxime des Karlsruher Senats unter o.a. Vorsitz lautet nämlich: „Und daraus schließt man messerscharf, dass nicht sein kann, was nicht sein darf“. Die Maxime steht zwar in keinem Lehrbuch des Verfassungsprozessrechts. Aber ein solches hat das besagte Endoskop nie gelesen. Und beim Frühstück bei Erika ging es auch nicht um Verfassungs- und… Mehr