Hausdurchsuchung bei Publizist Norbert Bolz nach Beitrag auf X

Wegen eines ironischen Kommentars zur Woke-Bewegung steht der Medienwissenschaftler Norbert Bolz plötzlich im Visier der Ermittler. Ein „besorgniserregender Kontrollverlust der Strafjustiz“, so sein Anwalt Joachim Steinhöfel. Eine Entwicklung, die Bolz in seinem Buch beschrieben hat. Guten Morgen im Deutschland 2025.

Der Berliner Medienwissenschaftler und Publizist Norbert Bolz sieht sich mit einem Ermittlungsverfahren konfrontiert, nachdem er auf der Plattform X (ehemals Twitter) einen ironischen Kommentar zur sogenannten Woke-Bewegung veröffentlicht hatte. In dem Beitrag vom 20. Januar 2024 schrieb Bolz: „Gute Übersetzung von ‚woke‘: Deutschland erwache!“. Ein Satz, mit dem er für jedermann ganz deutlich erkennbar satirisch den Titel eines Artikels der taz zitierte und zugleich die Rhetorik identitätspolitischer Bewegungen karikierte.

Die Staatsanwaltschaft wertet den Post dennoch als mögliche Verwendung eines Kennzeichens verfassungswidriger Organisationen. Der Ausdruck „Deutschland erwache“ stammt aus einem SA-Lied aus den 1930er Jahren und wird bis heute von Neonazis genutzt. Bolz hatte die Parole jedoch im Kontext einer Medienkritik verwendet, als Anspielung auf die ursprüngliche Überschrift der taz über einen Artikel zu AfD-Politiker Björn Höcke. Der Beitrag von Bolz ist auf X inzwischen nicht mehr sichtbar. Die Plattform verweist auf „lokale Gesetze“, aufgrund derer der Post gesperrt wurde.

Das Amtsgericht Berlin-Tiergarten genehmigte am 29. April auf Antrag der Staatsanwaltschaft eine Hausdurchsuchung in der Wohnung von Bolz. Nach Angaben aus dem Protokoll wurden dabei elektronische Geräte beschlagnahmt. Das Verfahren war zuvor über die Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte (ZMI) im Internet des Bundeskriminalamts angestoßen worden.

In der Begründung führt das Gericht aus, Bolz habe sich der historischen Bedeutung der Formulierung bewusst gezeigt und ihre Wirkung in Kauf genommen. Dass er einen Titel der taz zitierte, sei nicht relevant. Als erschwerend wird die Reichweite des Beitrags bewertet, denn Likes, Kommentare und Teilungen werden als Indiz für eine besonders öffentliche Verbreitung gewertet.

Bolz äußerte sich nach dem Einsatz in den frühen Morgenstunden gegenüber Nius. „Normalerweise schreibe und spreche ich über diese Welt. Es ist unheimlich, wenn diese Realität dann plötzlich vor der Tür steht“, sagte er. Er könne nicht behaupten, überrascht zu sein, „aber dass sie eins zu eins so ist, wie die kritischen Diagnosen es beschreiben, das ist in jeder Hinsicht gruselig.“

Der Jurist und Medienanwalt Joachim Steinhöfel, der den Publizisten vertritt, sprach von einem „besorgniserregenden Kontrollverlust der Strafjustiz“. Wenn ein anerkannter Wissenschaftler wegen eines völlig „offensichtlich ironischen Kommentars“ eine Hausdurchsuchung erdulden müsse, „stimmt etwas grundsätzlich nicht mehr im Rechtsstaat“, sagte er.

Bolz, emeritierter Professor der Technischen Universität Berlin, gehört zu den bekanntesten konservativen Publizisten Deutschlands und kommentiert regelmäßig auch für Welt TV. Auf X folgen ihm bald 100.000 Nutzer.

Der Fall reiht sich nahtlos ein in eine Serie ähnlicher Verfahren, bei denen Ermittlungen wegen Äußerungen in sozialen Netzwerken eingeleitet wurden. Bereits im November 2023 war bei einem Rentner eine Hausdurchsuchung erfolgt, nachdem dieser ein satirisches Bild über Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck geteilt hatte.

Es sind Methoden, die in keiner freiheitlichen Demokratie ihren Platz haben sollten. Eine Staatsgewalt, die zur Sicherung der Gesinnung anrückt, verletzt das, was sie zu schützen vorgibt: die offene Debatte. Solche Eingriffe folgen nicht dem Geist des Grundgesetzes, sondern dem Reflex einer Ordnung, die Kritik als Gefahr versteht. Und wenn der demokratische Staat selbst beginnt, wie ein Gesinnungsapparat zu handeln, stellt sich am Ende eine unbequeme Frage: Handelt er noch als Demokratie oder nur noch angeblich in ihrem Namen?

Die Hausdurchsuchung bei Bolz ist auch eine Bestätigung seines Buches „Zurück zur Normalität“. Darin analysiert er den „Zangenangriff auf die Normalität“ – von einer woken Kulturrevolution auf der einen Seite und dem Alarmismus politischer und medialer Eliten auf der anderen. Beides, so Bolz, verkehre die Maßstäbe von Vernunft und Normalität: Toleranz werde zur Intoleranz gegenüber allem Traditionellen, Alarmismus zur permanenten Ausnahme. Doch am Ende, schreibt er, könne genau dieser moralische Überschwang zur Rückbesinnung führen – auf eine bürgerliche Normalität, die sich nicht laut gebärden muss, um Bestand zu haben.

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