Eine Chronologie der Beleidigungen gegen „Ungeimpfte“

In der Impfdebatte nimmt die Eskalation der Sprache merklich zu. Nicht Geimpfte werden moralisch wie persönlich abgewertet: als "Egoisten", "Bekloppte", "Tyrannen" oder auch als "Blinddarm" der Gesellschaft. TE listet zehn bekannte Fälle auf.

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Der Ton wird rauer. Wo die Spaltung der Gesellschaft offen begrüßt wird, ist die Herabwürdigung des Gegners nicht fern. Das Ziel ist dabei der Ungeimpfte, der Impfgegner, der Impfverweigerer, der Corona-Leugner – wobei oftmals nicht ganz bestimmt ist, ob damit der auf den Totimpfstoff wartende Skeptiker, der Querdenker-Demonstrant oder prinzipielle Impfgegner gemeint ist. Das diffuse Feindbild trifft mittlerweile alle, die nicht der Gemeinschaft der Geimpften angehören. Ein neuer Höhepunkt ist ein Video der ZDF-Komikerin Sarah Bosetti, die Ungeimpfte als Blinddarm bezeichnet, den die Gesellschaft im Grunde nicht braucht, weil nicht essenziell.

Es ist nicht der erste Fall, jedoch ein weiterer Baustein in der Logik eskalierender Sprache. In den sozialen Medien und auch im Alltag mehren sich die Anfeindungen. TE stellt zehn Beispiele vor. Sie stammen von prominenten Personen des öffentlichen Lebens, die Reihenfolge ist chronologisch.

#1 Lamya Kaddor: Wer sich nicht impfen lässt, ist unvernünftig, unsozial und egoistisch

Überraschende Vorreiterin der Verunglimpfungen ist Lamya Kaddor, die für die Grünen in den 20. Bundestag gewählt wurde. Bereits am 31. Dezember 2020, also zu Beginn der Impfkampagne, rief sie in einer Kolumne für t-online dazu auf, sich impfen zu lassen. „Wer infiziert ist, gefährdet definitiv den Rest der Gesellschaft“, schrieb sie. „Sich nicht impfen zu lassen, ist somit unvernünftig und unsozial und letztlich egoistisch.“ Zudem prophezeit sie: „Allerdings dürfte der Druck auf Impfunwillige in den nächsten Monaten steigen. Zum moralischen wird ein materieller Zugzwang hinzukommen. Die derzeit viel diskutierten Privilegien für Geimpfte lassen sich wohl kaum verhindern.“

#2 Joachim Gauck: Impfgegner sind bekloppt

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Am 6. November 2021 trat der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck auf einer Lehrertagung in Rostock auf. Er zeigte sich über das Verhalten von Ungeimpften irritiert und bezeichnete Sprüche, die Impfen als schädlich betrachteten, als „unglaublich“. Der 81 Jahre alte Gauck sagte außerdem: „Dann ist ja auch schrecklich, dass wir in einem Land leben, in dem nicht nur Bildungswillige leben, sondern auch hinreichende Zahlen von Bekloppten. Also Entschuldigung: Das darf ich mal so locker formulieren, ich bin ja jetzt Rentner und muss nicht mehr auf jedes Wort achten.“ Die Meldung wurde von den Medien erst in der nachfolgenden Woche aufgenommen.

#3 Frank Ulrich Montgomery: Tyrannei der Ungeimpften

In der Talkshow von Anne Will war am 7. November 2021 der Vorstandsvorsitzende des Weltärztebundes Frank Ulrich Montgomery eingeladen. Dabei sprach er von einer „Tyrannei der Ungeimpften“. Die Ungeimpften bestimmten über die restlichen zwei Drittel der Bevölkerung und bürdeten damit dem Rest Deutschlands die Corona-Maßnahmen auf. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte in derselben Sendung: „Wir haben zwei Viren im Land: Corona und dieses Gift, was durch ‚Querdenker‘ und Parteien wie die AfD massiv verbreitet wird.“

#4 Juliane Bogner-Strauß: Ungeimpfte Pflegekräfte sind Todesengel

In Österreich sorgten in der ersten Novemberwoche Äußerungen der steirischen Gesundheits- und Pflegelandesrätin Juliane Bogner-Strauß für Aufregung. Die ÖVP-Politikerin hatte bei einer Veranstaltung im Grazer Schloss St. Martin im Bezug auf ungeimpfte Pflegekräfte die Bezeichnung „Todesengel“ verwendet. Bogner-Strauß entschuldigte sich am 11. November 2021, sie habe sich „vielleicht zu flapsig“ im Ton ausgedrückt. Nach eigener Darstellung habe sie den Begriff nicht selbst verwendet, sondern die Erfahrung einer Pflegekraft wiedergegeben, die sich selbst als „Todesengel“ gefühlt habe, weil sie fürchtete, die Krankheit selbst ins Heim zu tragen.

#5 Peter Maffay: Ungeimpfte sind Gefährder

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Der Musiker Peter Maffay gab der Berliner Zeitung am 13. November 2021 ein Interview. Darin sagt er: „Ich habe zum Thema Impfen aber eine sehr klare Position: Ich bin Musiker, ich gehe unter Menschen. Wenn ich nicht geimpft bin, gefährde ich diese Menschen. Das ist einfach so.“ Maffay fügt hinzu, dass das Impfen eine individuelle Entscheidung sei und man Ungeimpfte nicht vorverurteilen sollte. Auf Nachfrage antwortet er: „Wer nicht geimpft ist, ist Überträger und Gefährder. Und eine solche Situation kann man nicht verantworten.“ Die Zeitung hatte explizit auf seine Kollegin Nena hingewiesen, die die Corona-Maßnahmen kritisiert hatte.

#6 Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Ungeimpfte dürfen nicht als Minderheit die Mehrheit terrorisieren

Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann äußerte gegenüber der Welt am 15. November 2021 ihre Ansicht zum Vorgehen gegen die bevorstehende vierte Welle. Sie forderte „drakonische Strafen“ gegen Ungeimpfte, die sich mit gefälschten Impfpässen auswiesen. Angesichts der Zustände auf den Intensivstationen forderte sie mehr Aufklärung und „dass Menschen, die sich weigern, geimpft zu werden, sofern sie keine Krankheit haben, die das nicht zulässt, sich darüber im Klaren sein müssen, dass sie nicht als Minderheit die Mehrheit – ich sag das mal – terrorisieren dürfen. Und auch mit entsprechenden Regeln konfrontiert werden.“

#7 Stephan Weil: Ungeimpfte versetzen die Gesellschaft in Angst und Schrecken

Ebenfalls am 15. November 2021 wurde im ARD-Talk „Hart aber fair“ über die Möglichkeit einer Impfpflicht diskutiert. Mit dabei war auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil. Er hielt die Formulierung einer „Tyrannei der Ungeimpften“ von Montgomery für „drastisch“, aber sie stimme schon. Impfverweigerern drohte er mit „sehr klaren Grenzen“. Die 20 Prozent der Ungeimpften, so der Politiker, versetzten die Gesellschaft „in Angst und Schrecken“. Das könne man ihnen „nicht durchgehen lassen“, das müsse „Konsequenzen haben“, drohte der SPD-Landesvater.

#8 Michael Müller: Ungeimpfte nehmen Angebote aus Egoismus nicht an

Berlins scheidender Regierender Bürgermeister Michael Müller erklärte am 18. November 2021 gegenüber dem ZDF, warum die Impfquote immer noch zu gering sei. „Es sind zu viele Menschen, die Angebote nicht annehmen, obwohl sie es könnten“, sagte der SPD-Politiker. Das liege nicht an fehlender Aufklärung, Werbung, Impfmöglichkeiten, Geld oder Entschlossenheit vonseiten der Regierung. Das sei nicht der Grund. „Sondern der Grund ist, dass es zu viel Egoismus und zu viel Gleichgültigkeit gibt.“

#9 Friedrich Merz/Günther Jauch: Impfverweigerer, Impfgegner und Corona-Leugner nehmen uns in Geiselhaft

Am 23. November 2021 sprach Markus Lanz in seiner Sendung mit dem CDU-Politiker Friedrich Merz. Merz forderte die 2G-Regel. „Dieses Land muss irgendwann mal konsequent sein“, sagte Merz, der für den CDU-Vorsitz kandidiert. Die Konsequenz müsse auch beim Fußball und im Bundestag gelten. Zu lange habe die Politik auf die Rufe der Impfgegner gehört. „Wir sind an einem Punkt, wo das Land in Geiselhaft genommen wird von Impfgegnern und Corona-Leugnern.“

Am 30. November 2021 äußerte sich Moderator Günther Jauch in einem RTL-Interview ähnlich: „Ich kann Ihnen aber auch sagen, welchen Menschen ich in diesem Jahr mit großem Unverständnis begegne: Das sind für mich alle Impfverweigerer, die mit ihrem Starrsinn zig Millionen Menschen quasi in Geiselhaft nehmen.“

#10 Sarah Bosetti: Ungeimpfte als Blinddarm der Gesellschaft

Am 3. Dezember 2021 stellt ZDF Comedy ein „satirisches“ YouTube-Video der preisgekrönten Kabarettistin Sarah Bosetti hoch. Darin sagt sie: „Ich kann nicht damit umgehen, dass ich weiß, auf wen ich wütend sein kann. Wir alle wissen, wer die Schuld an dieser vierten Welle trägt. Stellt euch vor, es hätten sich einfach alle, die können, impfen lassen. (…) Aber Kritik an unsolidarischem Verhalten gilt ja dieser Tage als Aufruf zur Spaltung der Gesellschaft. Und das mag sogar stimmen. Aber ich beginne mich zu fragen, ob die Spaltung der Gesellschaft wirklich etwas so Schlimmes ist. Es ist ja nicht wirklich so, dass die Gesellschaft dann in der Mitte auseinanderbrechen würde (…). Denn eigentlich sitzen die Leute, die die Gesellschaft spalten wollen, ja ziemlich weit rechts und ziemlich weit unten. Zitat Rainald Grebe: „Im Blinddarm der Gesellschaft“. Genau. Und so ein Blinddarm ist ja nicht im strengeren Sinne essenziell für das Überleben des Gesamtkomplexes. Im Gegenteil. Immer wenn er sich entzündet, nervt er einfach alle.“

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