Christian Lindner zeigt Reue vor buhender Wirtschaftsdemo

Christian Lindner verspricht vor der Wirtschaftsdemo in Berlin einen Politikwechsel. Zigtausende Teilnehmer buhen ihn aus. Der FDP-Chef muss erst noch beweisen, ob er diesen Versuch ernst meint. Es ist seine letzte Kugel.

IMAGO / Carsten Thesing
Die Teilnehmer der Wirtschaftsdemonstration buhen Finanzminister Christian Lindner (FDP) aus. Das ist nun wirklich keine Schlagzeile. Wer äußerst sensibel ist, konnte schon vorher unter den wirtschaftlichen Leistungsträgern einen Hauch von Unmut gegen die Politik der Ampel wahrnehmen. Dass dieser Unmut sich auf einer eigens aus diesem Grund veranstalteten Kundgebung äußern wurde, war daher nicht gänzlich auszuschließen.

Das Bemerkenswerte ist, dass sich Lindner den unzufriedenen Bauern, Wirten, Spediteuren, Handwerkern und Jägern überhaupt gestellt hat. Im Dezember hatte er noch eine Einladung des Bauernverbandes ausgeschlagen, auf deren Kundgebung zu sprechen. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) stellte sich an dem Tag der auch da schon nicht ausschließlich gut gelaunten Kundgebung. Dass Lindner Terminnöte vorgeschoben hatte, statt sich zu stellen, hat ihm auch in der FDP viel Kritik eingebracht.

Nun stellt Lindner sich. Er zeigt Reue. Auch inhaltlich. Er sagt, die Verteuerung des Agrardiesels könne er vermutlich nicht zurücknehmen. Aber der Finanzminister und FDP-Chef verspricht den Bauern unter den Teilnehmern, den Abbau von Bürokratie oder der hohen Umweltauflagen prüfen zu wollen. Auch ließe sich prüfen, ob eine steuerfreie Risikorücklage möglich sei. Das ist nicht genug, um sich ein Buhkonzert – verstärkt durch Hupen, Tröten und Sirenen – zu ersparen.

Doch die Buhrufe musste Lindner im Vorfeld als Buße für seine verpatzte Politik in Kauf nehmen. Dass er mit dem Rücken zur Wand steht, hat der FDP-Vorsitzende verstanden. Es ist auch nicht all zu schwer zu verstehen: Seine Partei ist aus wichtigen Landtagen wie in Bayern rausgeflogen und steht im Bund laut Umfragen nur noch bei 4 Prozent. Selbst der hochtalentierte Schönredner Lindner kann das nicht in Siege umdeuten. Dass er nun anders als im Dezember vor der Demonstration spricht, ist die äußerlich sichtbare Bereitschaft zur Buße.

Auch verbal hat er es schon getan. Einst war Lindner ein Sünder: Als die Klimakleber sein Ministerium stürmten, zeigte sich der Minister nicht entrüstet. Mal abgesehen von der Frage, wie ein paar Puddingarme ein schwer bewaffnetes Bundesgebäude stürmen können, betrieb Lindner anschließend bei Maischberger Appeasement pur: Die Stürmung sei doch gar nicht nötig gewesen, er habe doch schon alle Forderungen der Extremisten umgesetzt. Noch vor neun Tagen hielt Lindner eine Rede, bei der er die Bauern zur Umkehr aufforderte. Sie würden sich zu einer rechten Radikalisierung missbrauchen lassen.

Am Wochenende gab Lindner dann ein bemerkenswertes Interview. Darin sagte er – an die Koalitionspartner gerichtet – es sei falsch gewesen, sich den Klimaklebern nicht entschlossener entgegen zu stellen. Das habe den Tabubruch zum legitimen Mittel der politischen Debatte gemacht. Ebenso sei es nun falsch, die berechtigten Anliegen von Bauern, Handwerkern und anderen Wirtschaftstreibenden als rechtsextrem diffamieren zu wollen. Lindner verurteilt nun also all das, was Lindner zuvor selbst getan hat.

Dafür gibt es zwei potentielle Erklärungen. Die Eine: Lindner hat seine Fehler eingesehen und betreibt nun echte Buße. Dafür spricht. Bisher hat die FDP ein liberal-konservatives Medium wie TE gemieden: Dafür versuchten Lindner und sein treuster Fußsoldat Marco Buschmann Medien wie die Süddeutsche zu umgarnen. Nun merkt die Redaktion: TE bekommt plötzlich Antworten auf Anfragen, Bundestagsabgeordnete der FDP nehmen Gesprächsangebote an. Es könnte tatsächlich ein Einsehen gegeben haben, dass es der FDP nichts nützt, wenn abgehobene Woke in ARD, Süddeutsche und Co. die Partei ein wenig weniger schlecht finden – und die FDP stattdessen wieder ihre eigentliche, liberal-konservative Klientel erreichen muss.

Die andere mögliche Erklärung für Lindners vor den Demonstranten gezeigte Reue: Wie schon so oft klafft beim Finanzminister eine Lücke zwischen dem, was er sagt und dem, was er tut. Er sprach gegen den Atomausstieg und hat ihn mitgetragen. Er fordert, dass sich Leistung lohnen muss, beschließt aber eine Erhöhung des Bürgergeldes um 25 Prozent innerhalb eines Jahres mit und deckt gleichzeitig die Lücken in seinem Haushalt damit, dass er in die Sozialkassen greift – damit sorgt er dafür, dass sich Leistung in Deutschland noch weniger lohnt.

Lindner wird eines lernen müssen: Um eine Stimmung zu drehen, reicht es nicht, einmal richtig zu reden. Wenn er will, dass unzufriedene Leistungsträger aufhören, ihn auszubuhen, dann muss er richtig bereuen und tätige Buße zeigen. Dann muss es eine Politik geben, die Leistung belohnt. Die aufhört, denjenigen den Wohlstand zu nehmen, die ihn erwirtschaften, um ihn an NGOs und Klimaschutzprojekte in Südamerika weiterzureichen. Wenn Lindner glaubt, er komme damit durch, das Falsche zu tun, solange er nur das Richtige fordere, dann hält er die Leistungsträger für dumm – ist das aber tatsächlich selbst. Denn dann hat er seine letzte Kugel verschossen und Leistungsträger werden ihn so lange ausbuhen, bis er in zwei Jahren seine politische Laufbahn beendet und einen Beraterjob beginnt.

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Kommentare ( 101 )

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Del. Delos
3 Monate her

Wie kann man denn so einer Figur überhaupt noch etwas glauben??? Ich befasse mich – jedenfalls was Lindner betrifft – nicht mehr mit der Frage, welche Möglichkeiten es gibt, seine Worte zu deuten.
Lindner lügt schlicht. Als Opportunist redet so, wie es gerade passt. Mehr ist es nicht. Reden und Handeln sind bei ihm 2 ganz verschiedene Dinge. IMMER.

Der Ingenieur
3 Monate her

Es ist doch klasse, wie sich Lindner geoutet hat:

Wasser predigen und selbst Wein saufen.

Vermutlich hat jeder der buhenden und „Hau ab“ rufenden Protestierer „Tichys Einblick“ gelesen 🙂 und weiß deshalb, dass sich Lindner, Scholz und Habeck mal so eben drei neue VIP-Hubschrauber für 200 Mio. gegönnt haben, die nun die Bauern und Fischer bezahlen sollen.

Last edited 3 Monate her by Der Ingenieur
Johann Thiel
3 Monate her

Lindner hin, Lindner her, wer mal zur Abwechslung etwas Neues und Vernünftiges hören möchte, dem sei die fulminante Rede von Alice Weidel auf dem Neujahrsempfang der AfD in Duisburg empfohlen. Einfach grandios. In dieser Rede erfährt man konkret was die AfD will und welche Politik sie in Regierungsverantwortung verfolgen würde. Bitte unbedingt auf youtube anschauen. Es ist schwer nachvollziehbar , dass TE immer noch nicht bereit ist, solche inhaltlich wie auch rhetorisch hervorragende Auftritte der AfD einmal zum Thema zu machen. Stattdessen Altparteien in Dauerschleife, Scholz, Lindner, Habeck, Baerbock, Merz, rauf und runter. Es genügt einfach nicht allerlei Experten und… Mehr

Del. Delos
3 Monate her
Antworten an  Johann Thiel

Sie haben absolut Recht. Ich sage und schreibe und fordere das schon seit Jahren – bisher allerdings erfolglos. Ich empfinde dieses Vorgehen ebenso als „halbherzig“… ein klein-bisschen Opposition, aber bitte nicht so viel, denn es könnte ja sein, dass die CDU doch noch in die Puschen kommt und dann will man sich das Verhältnis zur (eigenen) Partei doch nicht verderben… So oder so ähnlich könnte es sein. Schade, einfach nur schade.

Kontra
3 Monate her

Höchstens seine letzte Platzpatrone! Der Typ hat jede Glaubwürdigkeit verspielt. Seine Parteigenossin MASZ beleidigt indes einen Teil der Wähler auf das Übelste. Die fdP im freien Fall – gut so!

Emsfranke
3 Monate her

Meine Vermutung:
Nur mit dem geilen Ministeramt und dem damit verbundenen adelsgleichen gesellschaftlichen Popanz einer abgehobenen Partygesellschaft, wird eine Ehe, wie z. B. die des Finanzministers, die unter großer medialer Anteilnahme geschlossen wurde, weiterbestehen können.
Ich befürchte, dass der Finanzminister aus diesem Grund jeden Ampelunfug abnickt. Allein zur Wahrung des häuslichen Statusfriedens.
Motto: Vorwärts immer, rückwärts nimmer.

Juergen P. Schneider
3 Monate her

Die Ampel sofort zu verlassen ist die einzige Chance, die diesem Umfaller noch bleibt. Schaffen wird er es wohl kaum, denn er ist aus Überzeugung ein Umfaller, also ein unverbesserlicher Opportunist. Die Abkürzung FDP wird künftig für Frühere Partei Deutschlands stehen. In wenigen Jahren wird man sich nur noch dunkel an diesen Haufen opportunistischer Versager erinnern.

Kartoffelstaerke
3 Monate her

Man muss Lindner fairerweise eine gewisse persönliche Courage zugestehen, sich dieser Wutfront der Protestierer überhaupt gegenüberzustellen. Allerdings empfand ich die Rede als eine reine PsyOp, die rhetorisch-maipulativ schlau aufgebaut war und ohne echte innere Beteiligung bis zum Schluss von ihm energisch durchgezogen wurde, ohne letzlich Erfolg damit zu haben. Man spricht ja nicht umsonst von „bauernschlau“. Die Zeiten, wo Politker in Deutschland noch durch bloßes geschicktes Reden ein tatsächliches Handeln gegen die Interessen der Bevölkerung verdecken konnten, neigen sich wohl seit der brutal-chaotischen Corona-Politik gerade ihrem Ende entgegen. Immer mehr Bürger schauen jetzt doch – auch gezwungen durch die Entwicklung… Mehr

Last edited 3 Monate her by Kartoffelstaerke
Klaus Weber
3 Monate her

Lindner wird von den Medien immer als begnadeter Rhetoriker bezeichnet. Ich halte ihn für einen arroganten, aufgeblasenen Schnösel, der seinen Hals retten will. Ihm bläst momentan von den Wählern und auch in seiner eigenen Partei ein eisiger Wind ins Gesicht. Und wenn er nicht schnell die Kurve kriegt, ist er schneller weg vom Fenster, als er den Hals wenden kann…..

na sowas
3 Monate her

Würde Lindner Reue zeigen, müsste er sofort die Koalition „aufkündigen“

mapla54
3 Monate her

Den Beraterjob ( so ihn denn jemand als solchen beschäftigen will ?) sollte er besser heute als in zwei Jahren antreten und seinen Stuhl für einen e h r l i c h e n und k o m p e t e n t e n Nachfolger räumen. Seine mangelnde Aufrichtigkeit hat er zur Genüge unter Beweis gestellt …