Warum „sexuelle Identität“ nicht ins Grundgesetz gehört

Manche Politiker fordern, den Begriff „sexuelle Identität“ im Grundgesetz zu verankern. Minderheiten müssen geschützt werden, keine Frage. Fraglich ist aber, warum ein unklarer Begriff gewählt werden soll, obwohl die klareren längst auf dem Tisch liegen.

picture alliance / ZB | Sascha Steinach

Zwei Wörter entscheiden darüber, ob das Grundgesetz schützt oder schwächt: „sexuelle Identität“. Die CDU-Landeschefs Kai Wegner, Daniel Günther und Hendrik Wüst wollen den Begriff in Artikel 3 verankern. Doch er ist so unpräzise, dass er mehr Unsicherheit stiftet, als er je Schutz bieten könnte.

Das Grundgesetz ist kein Ort für Modebegriffe und kein juristischer Sammelcontainer. Es ist die härteste Norm, die wir haben. Wer dort Unschärfe hineinschreibt, riskiert Missbrauchsdebatten, Schlagzeilen und Vertrauensverlust.

Präzision statt Blackbox

Artikel 3 schützt bisher vor Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Herkunft, Sprache, Glauben oder politischer Anschauung. Künftig soll auch die „sexuelle Identität“ dazugehören. Damit würde die Norm lauten:

„Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen oder seiner sexuellen Identität benachteiligt oder bevorzugt werden.“

Kritiker wie Birgit Kelle warnen: Wer „Identität“ sagt, öffnet eine Blackbox. Denn der Begriff ist kein klar definiertes Rechtskonstrukt, sondern ein Sammelbegriff, in den vieles hineinfallen kann, von Orientierung über Rollenbilder bis zu individuellen Empfindungen. Zwar taucht „sexuelle Identität“ in der Rechtsprechung bereits auf, wird dort aber sehr weit verstanden. Für eine Verfassungsnorm, die höchste Klarheit verlangt, ist diese Unschärfe problematisch.

Schon die theoretische Möglichkeit, dass sich politische Gegner oder Medien auf missverständliche Auslegungen berufen, würde genügen, um Schlagzeilen zu erzeugen. Solche Deutungen könnten das Vertrauen in die Verfassung beschädigen, lange bevor ein Richter sie einordnet oder zurückweist.

Die klaren Alternativen

Dabei gibt es präzise, international erprobte Begriffe:

  • „Sexuelle Orientierung“ beschreibt, zu wem sich ein Mensch hingezogen fühlt: hetero, homo, bi, pan. Gemeint sind ausschließlich einvernehmliche Beziehungen zwischen Erwachsenen. Pödophilie, Missbrauch oder Gewalt sind ausgeschlossen.
  • „Geschlechtliche Identität“ bezeichnet, welchem Geschlecht sich ein Mensch zugehörig fühlt – cis, trans, intersexuell, nicht-binär.

Beide Formulierungen sind rechtlich belastbar und schützen genau die Gruppen, die rechtlich Schutz vor Diskriminierung gebrauchen können, ohne Tür und Tor für Missverständnisse zu öffnen.

Ein Blick ins Ausland

Andere Demokratien haben diese Frage längst geklärt. Kanada schützt ausdrücklich die sexual orientation in seiner Charter of Rights. Portugal nennt in Artikel 13 der Verfassung die orientação sexual. Südafrika verankerte die sexual orientation bereits 1996.

Während also viele Staaten gezielt auf präzise Begriffe setzen, will Deutschland den unklareren Sammelbegriff „sexuelle Identität“ aufnehmen und begibt sich damit in eine Sonderrolle, die unnötige Rechtsunsicherheit schafft.

Warum in Deutschland also „Identität“?

Warum entscheidet sich Deutschland für den schwammigsten Begriff, der Vertrauen untergräbt und politischen Sprengstoff birgt? Ist es die Lust am modern klingenden Schlagwort, das Präzision zerstört? Oder die bewusste Verwässerung, die Grenzen verschwimmen lässt, die der Rechtsstaat eigentlich schützen müsste?

Bekommen die Verantwortlichen keinen Rat von Verfassungsjuristen, Staatsrechtlern, Fachleuten? Oder wollen sie es gar nicht hören, weil es bequemer ist, sich hinter einem Sammelbegriff zu verstecken, der bewusst Fragen offenlässt?

Eines ist klar: Diese Unterschiede sind keine Nebensache. Sie sind der Kern der Debatte. Wer sie ignoriert, tut das nicht aus Unwissenheit, es ist eine politische Entscheidung, die Fragen offen lässt und Stirnrunzeln provoziert.

Das Grundgesetz lebt von Klarheit. „Sexuelle Orientierung“ und „geschlechtliche Identität“ sind präzise, bewährt und schützen, was schutzwürdig ist. „Sexuelle Identität“ hingegen ist ein Sammelbegriff. Er verwischt Grenzen und lädt zu Deutungen ein, die dort nichts verloren haben.

Die Frage lautet nicht, ob Minderheiten geschützt werden sollen, das ist unbestritten. Die Frage lautet, warum deutsche Politiker den unklareren Begriff wählen, obwohl die klareren längst auf dem Tisch liegen.

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Kommentare ( 13 )

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Marcel Seiler
2 Monate her

Verstehe ich nicht: was soll der Unterschied zwischen „sexueller“ und „geschlechtlicher“ Identität sein? Für mich sind das Synonyme.

Retlapsneklow
2 Monate her

Im Anti-Diskriminierungsparagrafen müsste überhaupt nichts einzeln aufgezählt werden. Es reicht, zu schreiben, dass niemand vor dem Recht und im öffentlichen Leben bevorzugt und benachteiligt werden darf.

Jede konkretere Aufzählung hat hervorhebenden, exklusiven Charakter, der Menschen mit anderen Attributen hintan stellt. Und das ist Diskriminierung!

joly
2 Monate her

Warum sollen wir überhaupt was ändern? ich kenne niemand der nicht männlich oder weiblich ist. Ansonsten gilt: die Würde des Menschen….
Das reicht

maru
2 Monate her

„Die Frage lautet, warum deutsche Politiker den unklareren Begriff wählen, obwohl die klareren längst auf dem Tisch liegen.“

Eine überflüssige Frage.
Um Grenzen zu verwischen. So wie es an den Landesgrenzen seit 10 Jahren bereits geschieht.
Wenn Grenzen unscharf definiert sind, kann man sie leichter überschreiten.
Und darum geht es.

verblichene Rose
2 Monate her

Ich weiß ja nicht, wie viele Leute sich momentan sexuell umorientiert haben, aber ich glaube, daß es deutlich mehr Linkshänder gibt.
Und das soll ja keine „Macke“, sondern angeboren, oder sogar erblich bedingt sein! Ich glaube trotzdem, daß die deshalb keine besondere Erwähnung im Grundgesetz wünschen 😉

Bernd Simonis
2 Monate her

Auch Schachspieler, Angler, Bankmanager, und kleinwüchsige Menschen sollten geschützt werden. Was ist an sexuellen Neigungen so wichtiges?

Der Person
2 Monate her

„Schon die theoretische Möglichkeit, dass sich politische Gegner oder Medien auf missverständliche Auslegungen berufen, würde genügen, um Schlagzeilen zu erzeugen.“ Artikel 3 bindet einzig und allein die Staatsgewalt(en), politische Gegner und Medien sind da also völlig außen vor. Wenn man das GG ernst nimmt, wäre die Ergänzung vielleicht sogar positiv, weil man damit auch explizit gegen Bevorzugung der „Sexuell Identitären“ klagen könnte. In der Realität wird Artikel 3 aber sowieso ignoriert oder gar missbraucht (Frauenquoten, Migrantenquoten, etc.), insofern ist es eigentlich egal, ob da jetzt ein paar Buchstaben mehr stehen. Ich bin eher verwundert, dass die den Absatz (2) „Männer… Mehr

Michael Palusch
2 Monate her

„Geschlechtliche Identität“ bezeichnet, welchem Geschlecht sich ein Mensch zugehörig fühlt

Beide Formulierungen sind rechtlich belastbar

Was ist an einem Gefühl rechtlich belastbar?!
Wenn das so wäre, müsste der mit Verfolgungswahn ebenso ernst genommen werden, wie jener, der sich immer irgendwie benachteiligt fühlt oder derjenige, der sich als Hirnchirurg fühlt, obwohl er nicht einmal den Realschulabschluss geschafft hat.
Zur Bestätigung dieser Idee auch noch das völlig nach links-woke gekippte Kanada und das stramm auf linker Linie surfende Portugal als Kronzeuge anzuführen, ist mehr als kurios.

Last edited 2 Monate her by Michael Palusch
mweiss
2 Monate her
Antworten an  Michael Palusch

Auch die positive Erwähnung Südafrikas scheint mir in dem Kontext sehr widersprüchlich.

Last edited 2 Monate her by mweiss
rainer erich
2 Monate her

Ich würde in jedem Fall die Begriffe “ aktuelle “ oder „derzeitige“ und “ jeweilige “ hinzunehmen, denn bekanntlich geht es darum, als was sich der Traeger des Schutzes gerade fühlt. Ob er sich gerade so oder so orientiert. Das sollte er allerdings dann auch rechtzeitig offenbaren. Die Grenzen, die die Autorin hier anspricht, verlaufen in den Zeiten des Subjektivisnus, ein natürlicher Gegenspieler der ( zwingend objektiven ) Normen etwas anders . Es geht um den “ Schutz“ von aktuellen Empfindungen oder auch Einbildungen und das noch differenziert danach, wer hier gerade als vermeintlicher Taeter auftritt. Nichts davon gehört in… Mehr

Britsch
2 Monate her

Es gibt nur 2 Geschlechter, von der Natur bestimmt! Wer sich sexuell dazwischen oder anderst bewegen will, soll das. Kinder dürfen aber nicht entgegen der Natur mißbraucht werden