“Historischer Rekord”: Warum die Frachtpreise bei Container-Schiffen rasant steigen

Container-Frachtraten haben sich enorm erhöht, etwa auf maßgeblichen Routen von Shanghai in den Westen. Mit einer Erholung innerhalb von einigen Wochen rechnen Branchenkenner nicht.

IMAGO / AAP

Im Handel tun sich derzeit Lücken in den Regalen auf. Laut Handelsblatt fehlen der Heimwerkerkette Bauhaus Rohstoffe wie Holz und Metall, aber auch Elektroartikel. Lidl, Aldi Nord und Aldi Süd beklagen, dass Aktionsware verspätet eintrifft. Der Grund: Die Container-Schifffahrt ist außer Takt geraten. Die Frachtraten auf den Routen von Shanghai in den Westen sind so hoch wie seit mindestens zehn Jahren nicht. “Alle Zahlen, die ich habe, deuten auf einen historischen Rekord hin”, meint Jan Hoffmann, der den Bereich Handelslogistik der UNO-Organisation Unctad in Genf leitet. Und Axel Mattern, Chef der Vermarktungsorganisation des Hamburger Hafens, stellte gegenüber dem Handelsblatt fest: “Die Verzögerungen sind enorm.”

Ursache ist nicht nur die Havarie des Container-Schiffes Ever Given, denn bereits zuvor waren die Frachtraten sehr stark gestiegen. Laut Jan Hoffmann ist vor allem die plötzlich anziehende Nachfrage aus Europa und Asien schuld. “Zu Beginn der Corona-Krise ging die Containerfracht-Nachfrage stark zurück. Die Reeder reduzierten ihre Kapazitäten. Seit dem Herbst wächst die Wirtschaft aber schneller als gedacht”, sagt er. Statt Geld für Reisen, Restaurants oder Museen-Besuche auszugeben, kauften die Leute Konsumgüter und Elektronik, die oft aus Asien per Schiff kämen.

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Laut Tim Seifert, dem Konzernsprecher von Hapag-Lloyd, benötigen die Container derzeit 60 statt der üblichen 50 Tage für eine durchschnittliche Fahrt hin und zurück. Weil der Umlauf 20 Prozent länger dauere, brauche man bei gleicher Auftragslage 20 Prozent mehr Container – bei Hapag-Lloyd wären das etwa 600.000. “Deshalb haben wir unsere Container-Kapazität im letzten Jahr um rund 300.000 Standardcontainer (TEU) erweitert und in diesem Jahr um weitere 210.000 TEU, aber die immens hohe Nachfrage stellt unsere Flotte vor Herausforderungen”, berichtet der Sprecher der Hamburger Reederei gegenüber TE.

Die Logistikketten seien auf den plötzlichen Nachfrageschock nicht ausgerichtet. Leere Container stünden an Orten, wo sie nicht gebraucht würden und fehlten in China. Zudem seien die Umschlagekapazitäten der Häfen begrenzt. “Aktuell beträgt die Wartezeit für einige Schiffe eine Woche oder länger. Das können wir auf dem Seeweg kaum aufholen”, erklärt Seifert. Den Häfen fehle Personal, unter anderem wegen Covid-Erkrankungen und Quarantäne-Regeln. Auch dürften sich mancherorts Schichten nicht treffen, um Ansteckungen zu vermeiden. Dazu kämen Engpässe in der Logistik zu Land, etwa seien zeitweise LKWs knapp gewesen, unter anderem aufgrund von Testpflichten für Fahrer.

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Auch die Havarie der Ever Given habe die Lage verschärft. “Neun Schiffe aus unserer Flotte waren verspätet, weil der Suez-Kanal knapp eine Woche lang blockiert war”, berichtet Seifert. Laut Zahlen der Unctad passiert etwa ein Fünftel des weltweiten Container-Seehandels die Schifffahrtsstraße, die Europa und Asien verbindet. Schiffe stehen für einen Löwenanteil von 80 Prozent des Volumens am globalen Warentransport.

Spediteure kritisieren, dass die Reedereien das Fracht-Angebot absichtlich verknappten, um die Preise nach oben zu treiben. Laut Branchenkenner Hoffmann stimmt das aber nur für den Beginn der Corona-Krise. “Derzeit ist den Reedereien nichts vorzuwerfen. Die Allianzen haben eher Einfluss auf die Hafenkonditionen”, sagt er. Weltweit liegt das Geschäft mit Containerfracht bei wenigen Reedereien. Drei Allianzen teilten sich 80 Prozent des Markts auf, berichtet Hoffmann. Das seien das Bündnis “2M” der weltgrößten Reedereien Maersk (Dänemark) und MSC (Schweiz), “The Alliance” mit Hapag-Lloyd und asiatischen Reedereien sowie “Ocean Alliance”, ein Zusammenschluss von CMA CGM (Frankreich), Evergreen (Taiwan) und Cosco (China).

Laut Hoffmann verdienten die Reedereien in den vergangenen Jahren wenig und Kapazitäten blieben ungenutzt. Um Kosten zu senken, bildeten sie Allianzen. Hoffmann geht davon aus, dass die Schiffe um zehn Prozent mehr ausgelastet seien aufgrund der Bündnisse.

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Gleichwohl steigen die Umsätze und Gewinne der Reedereien zurzeit rasant. Hapag-Lloyd erwirtschaftete laut dem jüngsten Finanzbericht einen Nettogewinn von 1,2 Milliarden Euro im ersten Quartal. Das ist eine Steigerung um den Faktor 48 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, als unterm Strich nur 25 Millionen Euro hängen blieben. Auch die Profitabilität erhöhte sich deutlich: Von einem Euro Umsatz blieben der Hamburger Reederei 31,4 Cent Gewinn vor Steuern und Zinsen übrig – im Gegensatz zu 4,8 Cent im ersten Quartal 2020. Auch die Erlöse stiegen um mehr als ein Fünftel auf 4,1 Milliarden Euro. Grund waren offenbar nicht nur die steigenden Frachtraten, sondern auch geringe Treibstoffpreise.

Mit einer raschen Nachfrageberuhigung rechnet der Konzernsprecher indes nicht. “Wir vermuten eine schrittweise Normalisierung im zweiten Halbjahr, tendenziell im dritten Quartal”, sagt er. Die Prognose sei aber wegen Corona mit großer Unsicherheit behaftet. Hoffmann vermutet ebenfalls, dass die Frachtraten noch einige Zeit hoch bleiben. Zum einen sei nicht davon auszugehen, dass die Corona-Krise rasch vorbei sei. Zum andern stoße der Trend, seit 20 Jahren immer größere Containerfrachter zu bauen, um etwa Kosten für das Personal zu senken, an eine technologische Grenze. Ungemach droht außerdem durch die politisch forcierte Dekarbonisierung. “Langfristig braucht es eine neue CO2-arme Antriebstechnologie, kurzfristig müssen die Schiffe langsamer fahren”, sagt Hoffmann.

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Kommentare ( 15 )

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15 Comments
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Dieter
2 Jahre her

https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_ziviler_Schiffe_mit_Nuklearantrieb

Das Problem ist aber auch die Größe/Kapazität: ein Verlust ist mittlerweile so teuer , das die Versicherungen Probleme mit der Prämienkalkulation bekommen.

alter weisser Mann
2 Jahre her

Vor allem soll man dran denken, wenn man die Chinesen mal wieder zur Demokratie westlicher Prägung erziehen will.

alter weisser Mann
2 Jahre her

Da können wir gleich mal für die „Schöne Neue Welt“ üben und testen, was wir alles nicht brauchen. Das wird grundsätzlich eh mal Zeit, bei den Mengen Ramsch- und Angebotsware, Schnäppchenkram und sonstigem Warenmüll.

Stefferl
2 Jahre her

Es ist halt immer das Gleiche. Zuerst kommen BWLer, die gelernt haben, dass man noch einen hundertstel Cent pro Blumentopf sparen kann, wenn man ihn direkt aus dem Schiff in den Laden bringt – ohne Zwischenlagerung. Sobald aber die geringste Störung der Lieferkette eintritt, wundert man sich über das nicht funktionierende Konzept.

StefanH
2 Jahre her

Mich deucht, dass es doch nicht so verkehrt war, dass man hier in Südamerika die eigene Industrie durch relativ hohe Zölle schützte. Ich renoviere gerade und es ist alles erhältlich.

N. Schwalen
2 Jahre her
Antworten an  StefanH

Das heißt dann in Ihrem Fall „Uruguay first“, oder?

RMPetersen
2 Jahre her

„Die Reeder reduzierten ihre Kapazitäten. Seit dem Herbst wächst die Wirtschaft aber schneller als gedacht.“
Wie schön, dass wir keine Staatsplanungs-Wirtschaft haben. In der freien Marktwirtchaft finden sich schnell Anbieter, die Probleme lösen.

PUH
2 Jahre her

Jede Krise ist auch eine Chance. Corona hat so viele Gewinner gemacht wie selten eine Krise zuvor. Und das sind Peanuts gegen den Absahn-Tsunami, den die bereits beschlossene Klimakrise auslösen wird.

Klaus D
2 Jahre her

find ich super da die wettbewerbsverzerrung so was gedämpft wird….

alter weisser Mann
2 Jahre her

„Aktionsware verspätet eintrifft“
Da kann man doch statt dessen die liegengebliebenen Saisonwaren verramschen, das spart die Entsorgung.
Frachtverkehr wird eh bald noch teurer, wenn uns die CO2 Abgaben so richtig aufgedrückt werden.

Felicitas21
2 Jahre her

Arbeitet eigentlich schon ein Unternehmen an umweltfreundlicheren Antriebssysteme für Schiffe? Betrifft ja nicht nur die Container-, Kreuzfahr- sondern auch die Flussfahrtschiffe. Und Sinn würde es nur machen, wenn alle da mitmachen würden. Ansonsten würde eine Umstellung deutscher Reeder im Alleingang, wenig bringen, sondern nur der ausländischen Billigkonkurrenz einen weiteren Wettbewerbsvorteil bringen. Und wenn ich lese immer grössere Containerschiffe, um Personal zu sparen: ausser dem Kapitän arbeiten doch jetzt schon auf diesen Schiffen fast nur asiatische Billigkräfte. Nicht zu vergessen, dass diese Riesenmonster auf Grund von Grösse und Tiefgang schon jetzt Probleme bereiten in vielen Häfen und dem Suezkanal. ( Siehe… Mehr

Thorsten
2 Jahre her
Antworten an  Felicitas21

Ja: es gibt Gasturbinen mit LNG. Nur teuer. Also noch mehr Inflation.
Und es gibt noch den Atomantrieb. Mal sehen, wann Russen und Chinesen damit auftrumpfen …