Die EZB irrt: Die aktuellen Preissteigerungen sind nicht nur vorübergehend

Die Zentralbanken führen die Bürger in die Irre, wenn sie behaupten, steigende Preise seien nur ein kurzzeitiges Phänomen. Gerade jetzt stehen die Zeichen auf Inflation, sagen viele kritische Ökonomen.

IMAGO / Hannelore Förster
Hauptsitz der EZB in Frankfurt am Main

Im April stieg die Inflationsrate auf 1,6 Prozent im Euroraum. Das ist dicht am Ziel der EZB, das “unter, aber nahe zwei Prozent” liegt. Die EZB behauptet nun, der Anstieg sei nur vorübergehend. Laut den EZB-Prognosen soll die Inflation 1,5 Prozent in diesem Jahr, 1,2 Prozent im Jahr 2022 und 1,1 Prozent im Jahr 2023 betragen.

Sehr überzeugend ist diese Ansage nicht. Zwar lassen sich in den Sozialwissenschaften ohnehin keine exakten und sicheren Prognosen anstellen. Aber die EZB hat in den vergangenen Monaten massiv Geld in die Märkte gepumpt. Seit September 2020 war das Jahreswachstum der Geldmenge M3 zweistellig – zuletzt lag es bei 10,1 Prozent im April. Das dürfte die Preise kräftig nach oben treiben – womöglich auch die Verbraucherpreise. Inflation ist aller historischen Erfahrung nach vor allem ein monetäres Phänomen. Preise würden nicht auf breiter Front steigen, würden die Zentralbanken nicht fortwährend Geld aus dem Nichts schöpfen. Zum Beispiel gab es im späten 19. Jahrhundert eine leichte Preisdeflation, weil die Mark an Gold gebunden war und die Geldmenge viel langsamer wuchs als die allgemeine Produktivität.

Schon jetzt steigen die Preise wegen des Lockdown enorm. Und das auch für Nicht-Konsumgüter, die sonst nicht im Fokus der Inflationsberechnung stehen. Laut der Tagesschau hat sich der Holzpreis innerhalb eines Jahres mehr als verfünffacht, Preise für Dämmstoffe wie Styropor erhöhten sich im April um die Hälfte und Betonstahl verteuerte sich um 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Thorsten Tiedemann berichtete der dpa von “teilweise historischen Preisausschlägen” bei Getreide, Mais und Ölsaaten wie Raps. Sollten die Preise so hoch bleiben, dürfte sich das “in einigen Monaten” im Supermarkt niederschlagen, sagte der Vorstandsvorsitzende des Vereins der Getreidehändler der Hamburger Börse.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Zentralbanken ignorieren die Preisanstiege bei Rohstoffen oder Vorprodukten größtenteils, weil sie nur bestimmte Verbraucherpreise in ihre Prognosen einbeziehen. Philipp Bagus, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Rey Juan Carlos in Madrid gehört zu den Kritikern der offiziellen Inflationsraten: “Es werden die Vermögenspreise nicht berücksichtigt und die Zusammensetzung der Warenkörbe, die der Berechnung zu Grunde liegen, werden manipuliert und verändert und sind auch willkürlich”, sagt er.

Zudem dürften Lieferprobleme und explodierende Rohstoffpreise noch länger bestehen. Deutschland und andere europäische Staaten wollen offenbar weiter an der Lockdown-Politik festhalten. Was die Industrie aber braucht, ist Planbarkeit. Das sagt auch der Unternehmensberater Darya van de Sandt-Nassehi. “Das Problem ist die Unsicherheit. Die Politik hat es versäumt, der Industrie eine Öffnungsperspektive zu geben”, erklärt der Berater von Auto- und Maschinenbauunternehmen.

Eine Volkswirtschaft lässt sich nicht wie eine Glühbirne ein- und ausschalten. In einer arbeitsteiligen Weltwirtschaft führt das zu Knappheiten und explodierenden Preisen. Etwa brauchen Halbleiter-Chips von der Bestellung bis zur Lieferung mindestens vier Monate, berichtet der Branchenkenner Guido Überreiter dem Fachmedium all-electronics. Die Produktionskapazitäten auszuweiten dauere sogar mindestens neun Monate. Dafür reiche ein zweistelliges Millioneninvestment oftmals nicht aus. Branchenkenner wie Überreiter erwarten darum, dass sich die Halbleiter-Engpässe frühestens zum Jahr 2022 entspannen. Das sind schlechte Nachrichten für Autobauer wie BMW oder Daimler, die die Produktion wegen fehlender Chips zeitweise stoppen mussten.

Auch in der Kunststoffindustrie herrscht Land unter. Die Beschaffungspreise für Plastikrohstoffe wachsen rasant (TE berichtete). “Wir mussten bei einem produzierenden Unternehmen im Konzern bei extrem hoher Auslastung und Nachfrage eine Schicht runterfahren, da wir die Rohstoffe für die Produktion nicht mehr verfügbar haben”, berichtet der Vertriebsleiter eines Branchenunternehmens gegenüber TE und fügt hinzu: “Tendenz: steigend, Trendwende nicht in Sicht, Kosten explodieren.” Ein Shutdown der Branche stehe aber momentan nicht an.

Auch die Knappheit von Stahl und Blechen mache den Herstellern von Produktionsanlagen für Kunststoffe zu schaffen. “Im Maschinen- und Anlagenbau bekommt man von Stahl-Lieferanten eine Preisbindung von 24 Stunden genannt. Mit einer Vorlaufzeit der Anlagen von circa 6 bis 7 Monaten ist das ein unhaltbarer Zustand. Auch hier gehen die Preise zweistellig durch die Decke”, sagt der Vertriebsleiter und erklärt: “Ich spreche hier von Blechen, Behältern, Grundgestellen und so weiter, also alles keine Raketentechnologie.”

TE-Interview mit Marc Friedrich
Wie schützen Sie ihr Geld vor Inflation und großer Transformation?
Gleichwohl: Selbst wenn die Lieferengpässe zügig vorbei sein sollten, wird die EZB weiter die Geldmenge ausweiten. Sie hat gar keine andere Wahl, wenn sie Südländer wie Italien oder Spanien nicht bankrott gehen lassen will. Schon jetzt ist sie eine der Hauptkäufer der Staatsanleihen. Ohne das Eingreifen der Notenbank würden die Zinsen der Anleihen rasch steigen, wodurch die Südländer ihre Schulden nicht mehr bedienen könnten. Das will die EZB mit aller Macht verhindern, damit die politisch gewollte Währungsunion nicht auseinanderbricht. Die Zeichen stehen also weiter auf Inflation.

Laut Jesús Huerta de Soto könnte noch größeres Ungemach drohen. Der Ökonom der Österreichischen Schule schreibt in einer Untersuchung vom Januar: “Der geld-, fiskal- und steuerpolitischen Interventionismus der Regierungen vermag ohne Zweifel ein zusätzliches Klima der unternehmerischen Unsicherheit erzeugen, welches die schnelle Erholung des Marktes behindern kann.” Das könne zu einer “Japanisierung” der europäischen Volkswirtschaften führen – also ein Zustand der wirtschaftlichen Lethargie mit niedrigem Wirtschaftswachstum, ultralaxer Geldpolitik und hoher versteckter Arbeitslosigkeit.

Anzeige

Unterstützung
oder

Kommentare ( 45 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

45 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
friedrich - wilhelm
2 Jahre her

…..na das ist schon jetzt eine richtige stagflation! wer in schland immer noch von wirtschaftwachstum spricht, lügt. der sollte sich einmal die zahlen ansehen: seit jahren eine stetige gleichförmige seitwärtsbewegung, etwas höher aufgetragen, als bei den anderen eu – mitgliedern!

El Gordo
2 Jahre her

Zu den genannten Faktoren könnte ich mir längerfristig noch zwei weitere Faktoren vorstellen. Erstens, mit den Grünen an der Macht wird Deutschland im Ausland derart faschistoid auftreten, dass sich weitere Länder versuchen werden aus der EU zu retten. Die werden dann mit Geld bei der Stange gehalten. Zweitens, Frankreich scheint unter zu gehen und es wird scheinbar einigen klar, dass sie vom Islam übernommen werden. Das einzige was man da machen kann ist diese Bevölkerungsgruppe zu stabilisieren. Einwanderungsstop reicht nicht. Die Geburtenrate muss runter. Also wird man wohl versuchen, da Unmengen Geld draufzuwerfen, z.B. die Banlieus auflösen, Jobs für die… Mehr

Wilhelm Roepke
2 Jahre her

EZB irrt? Falscher könnte die Überschrift nicht sein. EZB gelangt endlich an ihr Ziel, die Staatsschulden zu monetarisieren, müsste es heißen.

JamesBond
2 Jahre her

… und den jährlichen Preistreiber gib uns immer am 1. Januar: Co2 Schwachsinnssteuer

Gisela Fimiani
2 Jahre her

Wenn Sozial-, Finanzingenieure an „Schrauben“ herumdrehen, weil sie sich für omnipotente Halbgötter halten, die die Resultate zu kennen vorgeben, wird das einzige Resultat die Katastrophe sein. „……..wenn sie den Stein der Weisen hätten, der Weise mangelte dem Stein.“

Thomas Hellerberger
2 Jahre her

Auch TE und seine Autoren haben ihre blinden Flecken, teils weil sie das nicht so sehen wollen, teils weil es auch gegen ihr eigenes kulturelles Daseinsbewusstsein verstieße. Dabei gibt TE dankenswerter Weise Gunnar Heinsohn, meines Wissens einer der wenigen, die Demographie über eine Reproduktionsstatistik hinaus betreiben, sondern sich der politischen Implikationen von Geburtenraten beschäftigen, ab und zu Raum. Doch leider beschränkt der das in erster Linie auf seinen Kriegsführungsindex. Es ist natürlich für Kurzfristeffekte völlig richtig, dass monetäre Staatsfinanzierung durch die EZB und das stete Ausweiten der Geldmenge (das sich längst von der Realwirtschaft angekoppelt hat) inflationstreibend wirkt. Doch diese… Mehr

Alexis de Tocqueville
2 Jahre her
Antworten an  Thomas Hellerberger

Sehr schön. Wir sollten aber nicht übersehen, dass die Menschheit ein Bevölkerungsnullwachstum anstreben/erreichen muss. An der demographischen Verschiebung a la Deutschland, Japan, China usw. kommt die ganze Welt letztlich nicht vorbei. Das ist auch von der Produktivität kein Problem. Es braucht nicht mehr 5 Junge auf einen Senior, es tut auch ein Junger auf zwei Senioren. Weder sind heute Heerscharen auf den Feldern nötig, außer zum Spargelstechen, und das übernehmen die Roboter auch bald. Noch braucht es Hundertschaften im Stahlwerk. Die Fließbänder werden immer kürzer. Es ist ein Allokationsproblem, und natürlich ein kulturelles Problem. Sie haben es ja angesprochen, eine… Mehr

Amerikaner
2 Jahre her

Ob es 1.2 oder 1.6 oder einskommawasweißich Prozent sind… Ist doch völlig egal. Vermögenswerte inflationieren sich seit mindestens 10 Jahren als direkte Folge der hirnverbrannten sog. Euro-Rettungspolitik und keine Sau kümmert es, wenn man sich mittlerweile Eigentum nicht mehr durch abhängige Beschäftigung leisten kann. Ein weiterer Erfolg der GröKaz.

W aus der Diaspora
2 Jahre her

Natürlich ist die Inflation nicht kurzfristig.
Ja, durch die Knappheit einiger Rohsstoffe steigen gerade einige Preise, die Preise der Rohstoffe werden evtl. wieder fallen, die der daraus erstellen Konsumgüter ganz sicher nicht.
Durch den höheren CO2-Preis werden alle Transporte und damit automatisch alle Konsumgüter teurer.
Von steigenden Preisen ist mist eine Folge, dass die Löhne und Gehälter steigen. Spätestens wenn das passiert sind wir am Beginn einer Preis-Lohn-Spirale.
Das Ende kommt dann, wenn die Währung abgeschafft bzw. umgetauscht wird.
Von alleine endet eine Inflation nicht!

Dirk Bender
2 Jahre her

Es gibt warnende Stimmen, die sagen, dieses Geldmengenausweiten werde zu Preisinflation führen. Andere hingegen beschwichtigen: Es wird keine Preisinflation geben, eher drohe Preisdeflation. Wer hat Recht? Zunächst ist zu klären, was unter Inflation zu verstehen ist. Die meisten Menschen denken heutzutage, die Inflation werde durch Konsumgüterpreis-Indizes abgebildet: Man spricht von Inflation, wenn die Konsumgüterpreise um mehr als zwei Prozent pro Jahr ansteigen. Das aber ist eine verkürzte, eine irreführende Sichtweise. Schließlich ist ja auch ein Anstieg der Güterpreise mit Raten zwischen null und zwei Prozent Preisinflation, die die Kaufkraft des Geldes herabsetzt. Zudem erfassen die Konsumgüterpreis-Indizes nicht alle Güter. Vor… Mehr

Dirk Bender
2 Jahre her

Die EZB sagt, ihr Auftrag sei Stabilität. Dafür strebe sie eine Euroraum-Inflation von knapp zwei Prozent an. Das ist eine verquere Semantik und wirklich abenteuerlich, weil Preisstabilität heißt 0% Inflation und nicht 2%. Deutschland befindet sich längst in einem inflationären Prozess, zumal die Sparzinsen bei null sind. Wir erleben eine zunehmende Enteignung der Sparer. Inflation ist kein Heizungsthermostat, den man an- und abdrehen kann. Oft beschleunigt sie sich unkontrolliert und das kann auch hierzulande passieren.  Im Maastricht-Vertrag wird die Notenbank lediglich zu „Preisstabilität“ angehalten. Von zwei Prozent Inflation ist im Regelwerk nicht die Rede. Die EZB könnte daher jederzeit in… Mehr