Das Bayer-Imperium zerbricht

Vor knapp zehn Jahren war Bayer noch rund 120 Milliarden Euro wert und damit der wertvollste Konzern Deutschlands. Heute steht die Aktie auf dem tiefsten Niveau seit 20 Jahren, und der einstige Pharmariese ist mit 35 Milliarden Euro verschuldet.

picture alliance / Panama Pictures | Christoph Hardt

Erschreckende Quartalszahlen beim Bayer-Konzern: Jahresziele brechen ein. Die Finanzzahlen für das dritte Quartal 2024 zeichnen ein düsteres Bild: Der bereinigte Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBITDA) sank auf 1,25 Milliarden Euro und blieb damit deutlich hinter den Analystenerwartungen von 1,33 Milliarden Euro zurück.

Zugleich korrigierte Bayer seine Gewinnprognose für das Gesamtjahr nach unten und rechnet nun nur noch mit 10,4 bis 10,7 Milliarden Euro – ein Rückgang im Vergleich zur ursprünglichen Schätzung von bis zu 11,3 Milliarden Euro.

Diese Anpassung ist vor allem auf die Probleme im Agrarsektor zurückzuführen, der etwa 48,8 Prozent ausmacht. Auch die Herausforderungen im Pharmasektor nehmen zu. Darüber hinaus belasten die ungünstigen Standortbedingungen in Deutschland das Unternehmen erheblich.

Finanzieller Absturz: Tragischer Aktienabverkauf

Die Veröffentlichung schwacher Quartalszahlen hat den Börsenwert von Bayer in historische Tiefen stürzen lassen: Von einst beeindruckenden 120 Milliarden Euro blieben zuletzt nur noch rund 20 Milliarden Euro Marktkapitalisierung übrig. Das Abwärtsmomentum des Konzerns kennt derzeit keine Grenzen. Der Aktienkurs, der vor neun Jahren im Zuge der Monsanto-Übernahme noch über 140 Euro notierte, rutschte inzwischen zeitweise unter die 20-Euro-Marke.

Am 19. November fiel die Aktie erstmals seit zwei Jahrzehnten auf ein neues Rekordtief und notierte zwischenzeitlich bei 19,96 Euro. Eine Wende ist nicht in Sicht: Finanzexperten prognostizieren weitere Kursverluste, während auch an der Wall Street vom Niedergang des Traditionsunternehmens profitiert wird.

Der US-Hedgefonds D.E. Shaw hat eine massive Short-Position gegen Bayer eröffnet und wettet gezielt auf fallende Kurse. Mit einem Volumen von 1,02 Milliarden Euro sendet diese Spekulation ein deutliches Signal.

Notlage in der Pharmasparte – Patentverlust und Rückschläge in der Entwicklung

Die Pharmasparte, die mit 38 Prozent am Gesamtumsatz einen bedeutenden Beitrag zum Unternehmensergebnis leistet, steht vor einer Reihe erheblicher Herausforderungen. Ein zentrales Problem für Bayer ist das bevorstehende Auslaufen der Patente für einige seiner umsatzstärksten Medikamente. Dazu zählt Xarelto, ein Blutverdünner, der über Jahre hinweg hohe Umsätze generiert hat, sowie Eylea, ein Medikament zur Behandlung von Augenerkrankungen.

In den letzten Jahren hat Bayer zudem mehrere Rückschläge in der Entwicklung neuer Medikamente hinnehmen müssen. So wurde Asundexian, ein vielversprechender Gerinnungshemmer, aufgrund unzureichender Wirksamkeit in der Phase-III-Studie vorzeitig abgebrochen. Dieser Rückschlag führte damals zu einem dramatischen Kurssturz der Bayer-Aktie.

Der bevorstehende Verlust wichtiger Patente und eine fortlaufend bestehende Schwäche in der Produktentwicklung dürften in Zukunft zu weiteren Gewinneinbrüchen führen – Belastungen, die der bereits angeschlagene Konzern nur schwer verkraften wird.

Bayer in der Krise: Sorgenkind Agrarsparte

Auch Bayers Agrarsparte, insbesondere der Bereich Pflanzenschutzmittel, steht massiv unter Druck. Vor allem strengere Vorschriften und rechtliche Unsicherheiten im Zusammenhang mit dem als gesundheitsschädlich geltenden Glyphosat, das von Unternehmenstochter Monsanto produziert wird, belastet das Geschäft erheblich. Der Umsatz des einstigen Bayer-Hauptprodukts sank im dritten Quartal 2024 um 20 Prozent.

Rückblickend wird der Einstieg in das Herbizidgeschäft mit der Übernahme von Monsanto für 63 Milliarden Euro im Jahr 2018 als eine der gravierendsten Fehlentscheidungen in der Geschichte des Konzerns eingehen. Diese Akquisition markierte den Beginn einer Ära, die von erheblichen finanziellen und rechtlichen Herausforderungen geprägt war.

Monsanto-Übernahme: Ein Schuss ins Knie

Damals wurde die Übernahme von Monsanto als strategischer Schritt gefeiert, um die Position im Agrarsektor zu stärken, insbesondere bei der Entwicklung und dem Vertrieb von Pflanzenschutzmitteln und Saatgut. Bayer-Chef Werner Baumann betonte das vermeintlich hohe Wertschöpfungspotenzial des Deals und sah darin die Chance, Landwirte weltweit besser zu unterstützen. Doch schon bald nach dem Abschluss offenbarte sich das ganze Ausmaß der Fehlkalkulation.

Monsanto war bekannt für den Einsatz kontroverser Chemikalien wie Glyphosat und polychlorierter Biphenyle (PCBs). Beide Substanzen sind nicht nur umstritten, sondern auch potenziell gesundheitsschädlich. Bereits vor der Übernahme liefen in den USA erste Klagen gegen Monsanto wegen Glyphosat, das mit einem erhöhten Krebsrisiko in Verbindung gebracht wurde. Bayer war sich der Risiken bewusst, unterschätzte jedoch die potenziellen finanziellen Belastungen.

Nach der Übernahme sah sich der Konzern einer beispiellosen Klagewelle ausgesetzt. Mehr als 60.000 Klagen sind bis heute anhängig, und bereits verlorene Verfahren führten zu Schadensersatzzahlungen in Milliardenhöhe. Laut Bayer-Chef Bill Anderson gibt man für Rechtsstreitigkeiten diesbezüglich mehr aus als die 2,4 Milliarden Euro pro Jahr, die in Forschung und Entwicklung fließen.

Hochmütige Übernahme führt zu unbeglichener Schuldenlast

Zudem verstärken die erheblichen Schulden, die im Zuge der Übernahme des Herbizidproduzenten entstanden, die prekäre Lage des Konzerns erheblich. Um den Kaufpreis für Monsanto zu finanzieren, verschuldete sich Bayer erheblich.

Um den finanziellen Druck zu lindern und den Forderungen nachzukommen, plant Bayer ab 2026 jährliche Einsparungen von gigantischen zwei Milliarden Euro. Diese Maßnahmen beinhalten unter anderem den Abbau mehrerer Tausend Stellen, vor allem in den mittleren Führungsebenen. Derzeit beschäftigt Bayer in Deutschland rund 22.200 Mitarbeiter, jedoch ist unklar, wie viele von den Kürzungen betroffen sein werden.

Ungünstige Standortbedingungen verschärfen das Geschäftsumfeld

Neben den Herausforderungen in der Agrarsparte steht Bayer vor zusätzlichen Belastungen durch die ungünstigen Standortbedingungen Deutschlands. Die Produktionskosten hierzulande zählen zu den höchsten in ganz Europa.

Ein Hauptfaktor dafür ist der enorme Anstieg der Strompreise, der Unternehmen stark belastet. Unter anderem ausgelöst durch die Energiewende sind diese in den letzten zwei Jahrzehnten dramatisch gestiegen. Die Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) und der kostspielige Ausbau ineffizienter Energiequellen wie Wind- und Solaranlagen haben die Strompreise um über 200 Prozent in die Höhe getrieben. Diese Entwicklungen verschaffen Unternehmen massive Wettbewerbsnachteile.

Darüber hinaus lähmt die erdrückende Bürokratie die Wettbewerbsfähigkeit. Unternehmen in Deutschland müssen sich teilweise mit rund 125 gesetzlichen Vorgaben herumschlagen, die zeitaufwendige und lückenlose Dokumentationen erfordern. Insbesondere die Erfüllung der Anforderungen im Bereich der unzureichenden Digitalisierung, das Nachkommen des Lieferkettensorgfaltspflichtgesetzes sowie die Einhaltung der ESG-Vorgaben stellen eine nahezu utopische Herausforderung dar.

Eine Studie des Münchner ifo-Instituts verdeutlicht die wirtschaftlichen Folgen dieser Überregulierung. Laut der Erhebung verursacht der Bürokratieapparat jährliche Verluste von etwa 146 Milliarden Euro an Wertschöpfung.

Auch die steuerliche Belastung hebt Deutschland im negativen Sinne hervor. Als Hochsteuerland ist es für viele Unternehmen zunehmend unattraktiv. Deutsche Unternehmen zahlen im Durchschnitt etwa 30 Prozent ihres Gewinns in Form von Körperschaft- und Gewerbesteuer – deutlich mehr als der OECD-Durchschnitt von 23,1 Prozent oder der EU-Durchschnitt von 21,2 Prozent. Hinzu kommt, dass viele deutsche Unternehmen als Personengesellschaften organisiert sind und daher Einkommensteuersätze von bis zu 47,5 Prozent tragen müssen.

Diese Rahmenbedingungen haben Bayer erheblich belastet und stellen neben den verlustreichen Agrar- und Pharmasparten einen entscheidenden Faktor für die gegenwärtige Krise des Konzerns dar.

Wie geht es mit Bayer weiter?

Doch wie könnte es nun für den angeschlagenen Konzern weitergehen? Gibt es noch Hoffnung auf eine Wende? FDP-Mitglied und Investmentstratege Ascan Iredi hält einen Übernahmeversuch des einstigen Pharmariesens für durchaus realistisch. „Es könnte jemand um die Ecke kommen und sagen, das ist ein interessanter Konzern,“ erklärt er.

Auch wenn eine vollständige Übernahme von Bayer eher unwahrscheinlich ist, deutet vieles auf eine strategische Neuausrichtung hin. Eine umfassende Restrukturierung des Konzerns gilt dabei als wahrscheinlichstes Szenario.

Eine Option ist die Aufspaltung in eigenständige Geschäftsbereiche für Pharma und Agrarchemie. Dieser Schritt könnte nicht nur Effizienzgewinne bringen, sondern auch ermöglichen, die spezifischen Herausforderungen der beiden Sparten gezielter anzugehen. Darüber hinaus steht der Verkauf von Randbereichen im Raum.

Obwohl solche Maßnahmen den Konzern finanziell entlasten könnten, wären sie zugleich ein Eingeständnis des Scheiterns der einst ambitionierten Wachstumsstrategie. Ob Bayer mit diesen Schritten tatsächlich die Wende gelingt, bleibt eine offene Frage.

Fazit: Symbol für den deutschen Abgesang

Die einstige Größe von Bayer scheint angesichts der aktuellen Finanzlage fast unvorstellbar. Der Konzern, der vor zehn Jahren noch als wertvollster deutscher Industrieriese galt, steht heute vor gewaltigen Herausforderungen. Der dramatische Wertverlust, die Probleme im Pharmabereich, die hohen Schulden und die finanziellen Belastungen durch die umstrittene Monsanto-Übernahme haben Bayer schwer zugesetzt.

Hinzu kommen die ungünstigen Standortbedingungen in Deutschland, die das Geschäftsklima weiter verschärfen. Die Zukunft von Bayer scheint in ein düsteres, ungewisses Licht getaucht. Der Konzern präsentiert sich zunehmend als ein Symbol für den wirtschaftlichen Verfall Deutschlands und spiegelt die immer schneller voranschreitende Deindustrialisierung des einst so stolzen Standorts wider.


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Kommentare ( 20 )

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20 Comments
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Thomas
15 Tage her

Und mal wieder haftet keiner für die Fehlentscheidungen.

Apfelmann
14 Tage her
Antworten an  Thomas

Das stimmt nicht. Der für die Monsantoübernahme verantwortliche CEO Werner Baumann musste seinen Hut nehmen.

Hartwig Sendner
15 Tage her

Jeder der ein bisschen Erfahrung mit dem amerikanischen Justizsystem hatte, hätte Monsanto nie gekauft. Wer solche depperten Entscheidungen tätigt muss sich danach nicht wundern. Wie in jedem System. Der Fisch fängt am Kopf zu stinken an, und das Peter-prinzip wirkt

Axel Fachtan
16 Tage her

„Der bereinigte Gewinn … sank auf 1,25 Milliarden Euro und blieb damit deutlich hinter den Analystenerwartungen von 1,33 Milliarden Euro zurück.“ Also 0,08 Milliarden weniger als erwartet bzw. 80 Millionen. Also rund 6 Prozent weniger Gewinn. Wo ist da das Problem. Einen Gewinnrückgang um sechs Prozent kann ein Unternehmen dieser Größe doch locker wegstecken. Das Problem ist der Kauf von Monsanto. Dadurch hat das Management Bayer zerstört. Die haben aus DaimlerChrysler nichts gelernt und sind abgrundtief falsch beraten worden. Das müssen die für sich selbst intern klären. Welche falsch spielenden Wirtschaftsprüfer und Investment Banker haben im Auftrag amerikanischer Kapitalanleger Bayer… Mehr

Will Hunting
15 Tage her
Antworten an  Axel Fachtan

Es geht nicht perse um den Gewinn, sondern um Umsatzrendite.
Die wurde durch Managmentfehler skalpiert.
Das heisst Anleger werden um die Dividende gebracht und Geldzuflüsse für den Konzern,über Gebühr verhindert.
Ich finde auch das Sie sich selbst in Ihrem Beitrag widersprechen

Haba Orwell
16 Tage her

> Der Konzern präsentiert sich zunehmend als ein Symbol für den wirtschaftlichen Verfall Deutschlands und spiegelt die immer schneller voranschreitende Deindustrialisierung des einst so stolzen Standorts wider.

Dann muss man zum einen der vielen Beauftragtenden:innen werden – für die kommt die Kohle einfach vom Konto. Mit dem Klima-Gendern-Nachplappern wird kaum noch was entwickelt – für den technischen Fortschritt sind demnächst China und Indien zuständig. Mal das Red.Dot-Museum in Essen besuchen – die meisten Dinge kommen aus Asien, besonders häufig China.

Bronstein
16 Tage her

Europas wertvollster Konzern ist angeblich Novo Nordisk, ein dänischer Pharmakonzern. Pharma kann gut gehen, muss aber nicht. Biontech war ein Gigant während Corona, das Ende der Pandemie führte zu massiven Umsatzeinbußen. Der Pharmasektor besteht unter anderem aus tausenden kleinen Klitschen, die im Falle eines glücklichen Erfolges eventuell von einem Großkonzern wie z.B. AbbVie oder Eli Lilly übernommen werden. Bayer hätte sich ähnlich verhalten können, wobei die Konkurrenz sehr hart ist. Pfizer ist durch Viagra explodiert, seitdem geht’s langsam abwärts . Schuld bei Bayer ist eher der Mangel an geistigen Fachkräften als hohe Energiekosten. Es gibt in Deutschland auch nicht die… Mehr

Werner hold
16 Tage her

Die Übernahme von Monsantos, wurde doch hier noch begrüsst.
Das Grundübel , ist doch der Geierkapitalismus Made en USA.
Wenn die Firma nicht mehr läuft , wird ein Put gesetzt und der Ramsch verkauft.
So machen die Vampire im Verlust , noch Gewinn.
Liberalisierung der Wirtschaft heißt
heute , Don Vito wird Justizminister.
Das ein Kapitalismus auch ohne Spekulation funktioniert , hat doch Deutschland bewiesen.
Aber genau das ist, das Trauma der Geier.
Deutschland wird abgewickelt und die Abwickler sind unsere „Freunde“.

Will Hunting
15 Tage her
Antworten an  Werner hold

Tut mir leid.
Sie generalisieren etwas ohne konkret zu werden.

Last edited 15 Tage her by Will Hunting
MT
16 Tage her

Hoffentlich sinkt der Kurs auf 0. DIese skrupellosen Geschäftemacher ekeln mich an. Jahre habe ich Xarelto geschluckt in der Annahme es würde mein Leben retten. Die Wahrheit ist: Dieses Medikament hat mich massiv beschädigt und eingeschränkt. Statt dessen Trinke ich heute Ingwer Tee und es geht mir blendend.

Diogenes
16 Tage her

Da kann man doch nur gratulieren!

Der „Deep- Terror und Deindustrialisierungs-Komplex“ hat eines seiner bedeutendsten Ziele erreicht. „Ihr Völker der Welt, schaut auf diesen Staat!“ und ihr könnt lernen, wie einfach es geht, Wohlstand in Elend zu verwandeln.Nur, die Völker der übrigen Welt werden nicht das geringste Mitleid haben und profitieren, profitieren, dass die Schwarte kracht.
Ab jetzt, jetzt, jetzt gibt es kein Zurück mehr!

Last edited 16 Tage her by Diogenes
gast
16 Tage her

Als die Monsanto gekauft haben, war mein erster Gedanke, wer hat die Vorstände mit wieviel Geld bestochen, um den Betrieb zu canceln.

hansgunther
16 Tage her

American first… gelebter amerikanischer Protektionismus schon immer, dafür brauchts keinen Trump. Sie lassen sich ihr „Engagement“ schon immer fürstlich „bezahlen“. Deshalb „Befreiung“ gibt es nur gegen Eigennutz. Sobald eine deutsche Firma mit Gewicht eine US-Firma übernimmt, beginnt die Ausbeutung der US-Strategen durch ein erbarmungsloses Anwaltssystem als Hächer und Vollstrecker seiner Auftraggeber. Kapital und Macht schlägt recht! Da hat sich seit den Römern nichts geändert, nur die waren damals keine solchen demokratischen Heuchler. Bayer hat vor Jahren sein eigenes Patent von Aspirin und Markenrechte in den USA zurückgekauft, welches die Amis 1919 als Kriegsentschädigung WK1 zum Nulltarif konfiziert besser gestohlen haben.… Mehr