Spaziergänge(r)

Für Behörden ist zurzeit der Spaziergang nur ein „sogenannter“ und juristisch ein Verstoß gegen das Versammlungsrecht, den die Polizei verhindern soll. Was bedeutet aber – sprachlich gesehen – das Wort Spaziergang?

„Sei mir gegrüßt, mein Berg, mit dem rötlich strahlenden Gipfel“, beginnt ein Gedicht Friedrich Schillers mit dem Titel „Der Spaziergang“ (1795). Heute können Spaziergänger an manchen Orten ein Polizeiaufgebot begrüßen; denn was sie „Spaziergang“ nennen, ist für Behörden nur ein „sogenannter“ Spaziergang und juristisch ein Verstoß gegen das Versammlungsrecht, den die Polizei verhindern soll. Was bedeutet nun – sprachlich gesehen – das Wort Spaziergang?

Das Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache (1976) definiert Spaziergang als „Gang im Freien, der der Erholung, dem Vergnügen dient“. Davon abgeleitet ist Spaziergänger „jemand, der einen Spaziergang macht“, wozu das Wörterbuch folgende Beispiele bringt: „müßiger, harmloser Spaziergänger“; „ein Schwarm von Spaziergängern“.

Es gibt viele Formen des Spaziergangs, je nach der Frage: Wo? Wann? Wie lange? Mit wem? Wozu? Die seit Ende 2021 deutschlandweit verbreiteten „Corona-Spaziergänge“ finden innerorts statt, meist abends und besonders am Montag; sie dauern ein bis drei Stunden, die Spaziergänger treten in Gruppen auf und wollen durch ihre Präsenz zeigen, dass sie die Corona-Politik des Staates ablehnen. Ihr Protest ist eher still, ohne Plakate, Fahnen und Spruchbänder.

Montagsspaziergänge
Friedliche Bürger gehen abends auf die Straßen
Sind solche „Montagsspaziergänge“ – der Begriff hat bei Google 86.000 Einträge (Stand: 21.1.2021), das sind mehr als die „Montagsdemonstrationen“ 1989/90 in der DDR (64.000 Einträge) – nun als „Demonstrationen“ zu bewerten? Falls ja, wären sie allerdings keine klassische Demonstration. Die „Spaziergänge“ haben ein innovatives Protestformat: digital, dezentral, organisatorlos (Schwarmintelligenz), nachhaltig; sie erfüllen das Motto der neuen Bundesregierung „Mehr Fortschritt wagen!“.

Auch die „Spaziergänger“ unterscheiden sich vom klassischen „Demonstranten“: Sie sind „harmlos“ und wirken „unauffällig“ (zum Leidwesen der Polizei); Demonstranten hingegen legen Wert darauf, bemerkt zu werden, und können „gewalttätig“ werden. Im öffentlichen Sprachgebrauch ist übrigens seit Langem der „Demonstrant“ viel präsenter als der „Spaziergänger“: In der Wochenzeitung Die ZEIT (Jahrgänge 1947-2017) kommen Demonstranten (30.051 Belege) zweiundzwanzig Mal häufiger vor als Spaziergänger. Das erklärt teilweise die Hilflosigkeit der Politik im Umgang mit diesem neuen Protestformat und seinen Teilnehmern.

Lächerlich
Der Spaziergänger als Staatsfeind? 
Die Politik versuchte und versucht, die Corona-Spaziergänge in das Korsett des Versammlungsrechts zu pressen und „auf dem Verwaltungswege“ durch Auflagen praktisch zu unterbinden: Maskenpflicht, Abstandsregeln, Ortsvorgaben usw. (bei Verstößen drohen massive Geldstrafen). Flankierend hierzu werden die Teilnehmer dieser Proteste als Sektierer („Corona-Leugner!“) und Rechtsradikale („Nazis!“) gebrandmarkt, ja als „Staatsfeinde“. Tatsächlich steht die Masse der Corona-Spaziergänger intellektuell und politisch ganz woanders.

Ein Beispiel: In dem an die Stadt München angrenzenden Landkreis Starnberg ist der bekannteste Kritiker der Corona-Politik ein pensionierter Kinderarzt, der von sich sagt: „Ich bin seit meiner politischen Sozialisation Grünenwähler, habe viele Jahre den Agenda [für Umwelt und Entwicklung]-21-Arbeitskreis ‚Eine Welt‘ in Herrsching geleitet und … mehr als 100 Abende zu den Themen Ökologie, Eine Welt und Soziales moderiert“ (Süddeutsche Zeitung, Starnberger Teil, 19.1.2022).

Wer von „sogenannten“ Spaziergängen spricht, meint damit, dass er diese Bezeichnung für fragwürdig hält. Aber ist sie deswegen sprachlich falsch? Nein; denn Wörter können auch im übertragenen Sinne verwendet werden: Zum Beispiel ist ein „virtueller“ Spaziergang kein Gang im Freien; ein „touristischer“ Spaziergang läuft unter einer Führung nach Plan ab. Und der Corona-Spaziergang? Er findet im Freien statt, ohne festes Programm, dient aber nicht nur der Erholung, sondern auch einem politischen Zweck.

Ob die Corona-Spaziergänge „Demonstrationen“ im Sinne des Versammlungsrechtes sind oder nicht, ist eine juristische Frage, welche die Gerichte entscheiden – letztinstanzlich vermutlich erst in einigen Jahren. Jedenfalls wird der Weg, den die herrschende Politik gewählt hat, kein Spaziergang.

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Kommentare ( 25 )

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Vielfahrer
2 Jahre her

Soso, „sehr zum Leidwesen der Polizei“? Die Truppe verspielt sich im Augenblick wirklich den letzten Rest von Respekt! Im thüringischen Gera drehte man einer Frau, die laut etwas schrie, den Arm um bis er brach. Als ihr Mann sie schützen wollte wurde er zu Boden gerissen und bewusstlos geprügelt – von ebenjener Polizei. Der dieser Vorfall nach eigenem Bekunden „nicht bekannt ist“.

Julischka
2 Jahre her

Die sollen nur versuchen alles zu verbieten, es wird nicht (mehr) funktionieren! Das Maß ist voll, die rote Linie längst überschritten! Der Reiz liegt im Verbotenen und das macht das „Spazieren“ abends erst recht spannend und attraktiv. Man weiß nie was passiert, wenn man abends in der Stadt noch „ne Runde dreht“. Man wird kreativ, es gibt Erkennungszeichen und plötzlich bricht sie los die unaufhaltsame Lawine. Das hab ich so letzten Mittwoch in der Münchner Innenstadt erlebt, es war der Wahnsinn! Da wird eine Energie frei, die ist unbeschreiblich. Das setzt Emotionen frei, Menschen weinen, schreien, Fremde nehmen sich an… Mehr

November Man
2 Jahre her

Was wir gerade erleben müssen ist die „Pandemie der Geimpften.“ Die Krankenhäuser sind voll mit Geimpften, die man uns jetzt mühsam und fälschlicherweise als Ungeimpfte verkaufen will. Diese krankmachende Impferei ist absolut verantwortungslos. Von denen die mit massivem Druck und Lügen gesunden Menschen ohne Unterlass tagtäglich auffordern sich impfen zu lassen, von denen, die auf gesunde Menschen einen de facto Impfzwang ausüben, die trotz erwiesener Nicht-Wirksamkeit der Impfstoffe weiterhin massive Werbung für diese nichtsnutzige und krankmachende Impferei machen, von denen die diese gefährliche Impfstoffe spritzen, und von denen die sich freiwillig ohne Not impfen lassen. Jetzt dürfen die gesunden Ungeimpften… Mehr

Andreas aus E.
2 Jahre her

Ich werde gleich an keinem Spaziergang teilnehmen, sondern an einem Aufmarsch mit mutmaßlich rechter Teilnehmerschaft. Ich gehe nämlich ganz allein zum Altglascontainer und im Anschluß noch eine Runde durch den Wald – ohne Maske. Das wird glasklar als Rechtsextremismus zu werten sein. Wertstoffsortierung ist als typisch deutsches, also nazimäßiges, Verhalten zu werten, Waldgang ist ohnehin jenseits jeder Diskussion. Meist führe ich auch ein Feuerzeug mit mir. Nicht etwa, um einer Dame bei Entzündung von Tabakwaren behilflich sein zu können, sondern natürlich um vor Politikerhaus Fackel zu simulieren. Leider habe ich weder Dackel noch Schäferhund zur Begleitung, dann kämen vermutlich gleich… Mehr

Last edited 2 Jahre her by Andreas aus E.
November Man
2 Jahre her

Doppelt-Geimpfte gelten nicht als Geimpfte, sondern nur noch als Grund-immunisierte.
Wer jetzt noch nicht begriffen hat, dass diese ganz nichtsnutzige Impferei für die Katz war, der begreift nie mehr was.
Impfen gegen sich laufend verändernde Virus nutzt nicht, gestern nicht, morgen nicht, nächste Woche nicht und mit einem zukünftigen Impfzwang auch nicht. Diese Impfung schützen nachweislich nicht, im Gegenteil, diese verantwortungslose Impfungen machen gesunde Menschen erst krank.
Große Worte und Versprechungen wie: „Impfen schützte vor schweren Verläufen“ oder „Wir haben 400.000 Menschenleben gerettet“ sind alles nur lose und unbelegte Behauptungen. Nur linkes Framing und krude Schwurbeltechnik.

Mausi
2 Jahre her

Eigentlich zeigt die Situation sehr gut, wohin es führt, Meinung nicht zu hören, abweichende Meinung einfach aufs Gleis Aluhutträger zu schieben, keine sachliche Diskussion zuzulassen. Überall wird Bürgerbeteiligung gefordert, aber die demokratischen Abstimmungsmöglichkeiten der Bürger werden ersetzt durch Minderheiten-NGOs. Demokratische Abstimmungsmöglichkeiten sind Wahlen. Und nicht nur die Wahl der politischen Vertreter. Sondern auch über unsere Kaufentscheidungen. Oder über Tun und Nichttun. Meinetwegen ermittelt „man“ den Bürgerwillen ausserhalb dieser Möglichkeiten. Aber dann braucht es „neutrale“ Umfragen. Wenn die Politiker und die Medien und die Gerichte diese Wege zusperren, dann bleiben Spaziergänge. Und wenn man diese Spaziergänge mit dem vergleicht, was „Aktivisten“… Mehr

Last edited 2 Jahre her by Mausi
Manfred_Hbg
2 Jahre her

BITTE SCHÖN,

auch hier nochmal zum weitergeben und damit es noch viele, viele (Montags-)Spaziergänge(r) und Antizwangsimpfung-Demos mehr werden ein Tipp zu einer neuen  „Spaziergang-App“  sowie ein Link wo man auch entsprechende Termine suchen oder selber eingeben kann(s.u.). Dazu auch noch ein kleiner Artikel mit Hinweise und Erklärungen.

> „Wie organsiert sich der Widerstand?“
https://www.einprozent.de/blog/aktiv/wie-organsiert-sich-der-widerstand/2915?mc_cid=1c1429f8f1&mc_eid=5f70df0a07

> Hinweis zu neue Spaziergang-App:
https://spaziergang.app/?mc_cid=1c1429f8f1&mc_eid=5f70df0a07

> Corona-Demos – Protestkarte:
https://www.protestkarte.de/?mc_cid=1c1429f8f1&mc_eid=5f70df0a07

Deutscher
2 Jahre her

Komisch auch, dass die gendersensiblen Journalisten, Politiker, Antifaschisten und sonstigen Woken ausgerechnet hier nicht gendern.

Müsste man politisch korrekt nicht von „Spaziergänger*Innen„, „Verschwörungstheoretiker*Innen„, „Schwurbler*Innen„, „Staatsfeind*Innen„, „Impfverweigerer*Innen„, „Reichsbürger*Innen“ und „Aasgeier*Innen“ sprechen?

Oder, wie es die Stadt Freiburg jetzt macht, von Spaziergängerinnen (a)?
https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/freiburg-sucht-alle-nicht-mann-frau-divers-100.html

Last edited 2 Jahre her by Deutscher
W aus der Diaspora
2 Jahre her
Antworten an  Deutscher

aber, die gehen doch außen spazieren …
Innen will doch nur die Fäser …

😉

Don Didi
2 Jahre her
Antworten an  Deutscher

Das ist nicht neu. Oder hast Du mal von Politikern oder MSM gehört, daß die von Einbrecherinnen, Kinderschänderinnen, Räuberinnen, Vergewaltigerinnen sprechen oder schreiben? Negativ besetzte Begriffe werden grundsätzlich nicht gegendert, das gehört zum Prinzip (und läßt erkennen, daß es eben nicht um Gleichberechtigung geht).

Bernhard J.
2 Jahre her

Mal ganz ehrlich, ein Staat der vor Spaziergängern Angst hat und ihnen den Spaziergang verbietet, ist ein absurder Staat, nur noch eine Karikatur eines Rechtsstaates. Dass Richter diesen Blösinn der Verbote von Spaziergängen auch noch mitmachen, wird dereinst, wenn die ganze Massenpsychose verflogen sein wird, für gewaltiges Kopfschütteln sorgen.

Alois Dimpflmoser
2 Jahre her
Antworten an  Bernhard J.

Nicht vor den Spaziergängern an sich, sondern vor denjenigen mit der „falschen“ Gesinnung.
Für Spaziergänger gilt 2G++ getestet auf Corona und Gesinnung!

Gerd Sommer
2 Jahre her

Welcher Staat, der keine Diktatur ist (und auch da dürfte es schwierig werden), darf mir vorschreiben wann und wo und mit wem ich spazieren gehe?

RMPetersen
2 Jahre her
Antworten an  Gerd Sommer

Dieser Staat ist kein Rechtsstaat mehr.