Ein Messer ist im Nahkampf oft gefährlicher als eine Schusswaffe

Bei einem Schusswaffeneinsatz wurde ein jugendlicher Senegalese, der die Polizisten mit einem Messer angegriffen haben soll, erschossen. Zu bedenken ist: Das Messer ist im Nahkampf eine der gefährlichsten Waffen. Das beste Gegenmittel ist die Flucht – doch für Polizisten vor Ort unmöglich.

picture alliance/dpa/Video-Line TV | Markus Wüllner

Am 08.08.2022 erhielt die Dortmunder Polizei einen Notruf: Auf dem Gelände der St. Antonius Kirche würde „ein junger Mann in besorgniserregender Art und Weise mit einem Messer herumlaufen“. Der Jugendliche, nach Medienberichten ein Senegalese, dessen Alter mit 16 Jahren angegeben wird, soll in „suizidaler Absicht Stiche in den eigenen Bauch angedeutet haben“. Um dessen mutmaßliches Vorhaben zu unterbinden, soll die eintreffende Polizei Pfefferspray und einen Taser zum Einsatz gebracht haben.

Doch plötzlich habe der Mann die Beamten mit seinem Messer (15 bis 20 cm Klinge) angegriffen. Nach einem vorläufigen Obduktionsbefund ist der Angreifer von fünf Schüssen aus einer Maschinenpistole MP5 (Heckler & Koch) getroffen worden, sechs Patronenhülsen wurden vor Ort sichergestellt. Getroffen wurden Bauch, Kiefer, Unterarm und zweimal die Schulter. Noch während der Notoperation sei der Jugendliche verstorben.

Oberstaatsanwalt Carsten Dombert gibt an, ein Betreuer der Jugendhilfeeinrichtung, in der der Jugendliche seit kurzer Zeit untergebracht war, hätte die Polizei gerufen. Die beteiligten Polizeibeamten wurden am Dienstag vernommen, der Beamte, der die Schüsse abgegeben hat, als Beschuldigter geführt. Gleichzeitig soll die Motivation des Messerangreifers noch einmal näher geprüft werden. Soweit der mir zum jetzigen Zeitpunkt bekannte Sachverhalt.

Meist keinerlei Ahnung, aber davon ganz viel

Wie in Deutschland üblich, prasselt auf die beteiligten Polizeibeamten eine Reihe von Vorwürfen nieder. Selbsternannte Spezialisten für Eigensicherung in Hochstresslagen melden sich üblicherweise zahlreich zu Wort, wie auch folgendes Beispiel zeigt:

Eine „schießwütige Polizei“ passt dabei gut in das verbreitete Framing einer mutmaßlich komplett rassistischen und rechten Truppe. Sachliche Erwägungen und Auseinandersetzungen sind bei der Bewahrung der richtigen Haltung eher hinderlich.

Sachliche Hinweise

Sollte der Täter in suizidaler Absicht die Polizeibeamten angegriffen haben, kann es sich um ein weltweit verbreitetes Phänomen handeln: „Suicide by cop“. Dabei wird die Polizei vorsätzlich angegriffen, um sich töten zu lassen.

Das beste Gegenmittel bei einem Messerangriff ist die Flucht. Die kam für die Beamten vor Ort aus Gründen der Gefahrenabwehr allerdings nicht in Frage. Polizisten haben gegebenenfalls auch ihr Leben und Gesundheit einzusetzen, das heißt jedoch nicht, dass sie als Boxsack oder Zielscheibe zu Verfügung stehen müssen. Das Messer ist im Nahkampf eine der gefährlichsten Waffen und oftmals einer Schusswaffe überlegen. Plötzliche Messerangriffe innerhalb von sieben Metern verlaufen nicht selten tödlich und sind nur sehr schwer abzuwehren. Ich kann das aus meiner Zeit als polizeilicher Einsatztrainer umfangreich bestätigen.

Eine gezielte Schussabgabe ist unter diesen Umständen für Streifenbeamte fast gänzlich unmöglich. Dabei kommt in der Regel der sogenannte Deutschuss, also eine ungezielte Schussabgabe zur Anwendung. Ein Treffer ist jedoch noch lange nicht ein „Wirkungstreffer“ mit mannstoppender Wirkung, sodass fast immer mehrere Schussabgaben notwendig sind. In einem anderen Fall wurde ein ganzes Magazin abgefeuert, der Täter dabei mehrfach getroffen, ohne dass der Angriff unterbrochen werden konnte.

Ebenso ist es eine falsche Annahme, dass der Einsatz von Pfefferspray durchweg erfolgversprechend ist. Personen in erregtem Zustand, unter Alkohol und/oder Drogen, zeigen zunächst gar keine Wirkung und sind noch minutenlang in der Lage, auf jemanden einzuwirken bzw. einzustechen. Ich konnte mich selbst davon überzeugen. Einen Messerangriff mit bloßen Händen abzuwehren, gehört ins Reich der Utopien, außer es bleibt als letztes verzweifeltes Mittel übrig, wenn keine Möglichkeit zur Flucht oder anderer Abwehr mehr besteht.

Mein Mitgefühl gilt auch den eingesetzten Polizeibeamten vor Ort. Es ist für jeden Menschen in Uniform eine sehr hohe Anforderung, zur Waffe greifen zu müssen, um sein Leben und das anderer zu schützen und dabei auf einen jungen Menschen schießen zu müssen. Das bringt jedoch der Polizeiberuf unter Umständen mit sich, und nicht jeder Beamte kann damit gut umgehen.

Zunahme der Messerkriminalität

Straftaten mit Messern haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen, dieser Umstand wird jedoch öffentlich, bis auf wenige Ausnahmen, nicht zur Sprache gebracht. In NRW bezifferte Innenminister Herbert Reul „Straftaten mit dem Tatmittel Stichwaffe“ vom 1. Januar 2021 bis 30. Juli 2022 auf 731 Fälle. Das sind pro Tag 13 (bekannte) Messerattacken. Der Landesbezirks-Vize der GdP, Michael Maatz, drückt sich diplomatisch aus: In Punkto Messergewalt sieht er einen „allgemeinen Kulturwandel unter den Jugendlichen“, sie wären sich oft nicht bewusst, „dass ein einziger Stich damit tödlich sein kann“.

Deutlicher wird der Vorsitzende der DPolG Bayern, Jürgen Köhnlein. Er beklagt ein fehlendes Lagebild zu den Messerangriffen, um die Polizeibeamten noch besser trainieren zu können. Er fordert nicht nur einen konkreten Überblick über die Anzahl, sondern auch, welche Personen die Täter sind, unter dem Einfluss welcher Substanzen die Täter stehen, welche Verletzungen zugefügt wurden und wer die Opfer sind. Sein Statement ab Minute 9:40.

Die Frage danach, wer die Täter sind, könnte jedoch die herrschende Politik aufschrecken. Somit muss die Bekämpfung und Prävention dieses zunehmenden Phänomens in den Kinderschuhen stecken bleiben, weitere Opfer eingeschlossen.


Steffen Meltzer ist Autor des Buches Ratgeber Gefahrenabwehr

 

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Kommentare ( 93 )

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Ralf Poehling
1 Jahr her

Strategisch ist das gar nicht verkehrt, Zumindest für ein im Kampf unerfahrenes ziviles Opfer. Darum sollte man alle potentiellen Opfer, die Polizei so oder so, so aufstellen, dass sie effektiv reagieren können, ohne weglaufen zu müssen.
Dann hören auch die Messerangriffe auf.

Ralf Poehling
1 Jahr her

Entschuldigung, aber das ist der totale Quatsch. Ein Ziel in Bewegung genau an der richtigen Stelle zu treffen, ist überaus schwierig. Insbesondere dann, wenn das Ziel hektisch und unberechenbar reagiert und von links nach rechts hüpft, während es sich nähert. Da braucht es bisweilen mehrere Schüsse, um das Ziel an einer Stelle zu treffen, der den Angriff auch wirklich sofort beendet. Und wenn das Ziel sehr nah dran ist und wild mit einem Messer wedelt, dann geht man besser kein Risiko ein und schießt lieber mehrfach, um sicherzugehen, dass der Angriff auch gestoppt wird, bevor man das Messer in der… Mehr

Embe
1 Jahr her

Das wirklich bedrückende an den zahlreichen Messerangriffen der letzten Jahre ist doch die Tatsache, dass es für Zivilisten keinen Schutz gibt. Wir können uns eben nicht mit schussfesten Westen und schwerer Bewaffnung in der Öffentlichkeit bewegen, dabei kann es jeden jederzeit und an jedem Ort treffen. Die Politik schaut weg und schweigt; die Polizei ist anscheinend vollkommen überfordert mit dem Auftrag die Bevölkerung zu schützen.

WeltbegaffenderRumReisender
1 Jahr her
Antworten an  Embe

…man muss sich selbst schützen, soweit wie möglich! Problemzonen in den Städten/Orten meiden! Eine stichsichere Weste kostet um die 120 €, die schussfesten Westen sind allerdings erheblich teurer, ab 500 €. Und, klar, bei der Sommer-Hitze ist das Tragen einer Weste nicht nur sehr umständlich, sondern eben auch sofort sichtbar, ein moeglicher Nachteil bei einem Angriff: Stich/Schuss erfolgt dann in den in den Hals/Kopf. Somit kein „Überraschungseffekt“ mehr für potentielle Angreifer bzw. Zeitgewinn für den Angegriffenen. Also gilt, vor allem in der Sommerzeit: Problemzonen meiden! Im Herbst/Winter lassen sich die Westen aber problemlos unter der Jacke tragen! „Ganz tolle“ Zeiten:((

Forist_
1 Jahr her

Nach meinem Wissensstand wurden sowohl Pfeffer als auch Taser erfolglos eingesetzt. Was macht das mit Ihrem Argument?
Zur Streuung von Handwaffen: Egal ob zuschießend (zB MP2A1, vulgo Uzi) oder MP5: Die Entfernung, bei der sowas polizeilich zum Einsatz kommt und auch sicherlich hier kam sind einige Meter. Da passt der 5er Streukreis der Waffe auf ein 2 Euro Stück (oder weniger), der Rest ist der Situation geschuldet. Auf Extremitäten, allgemein, kleine oder dünne Ziele mitten in einer Stadt schießen ist ein guter Weg, Kollateralschäden zu erzeugen. Das tut man daher aus diesem Grund gar nicht.

Forist_
1 Jahr her

Mein Mitgefühl mit der Polizei hat in den letzten gut zwei Jahren aufgrund des zartfühlenden Umgangs mit tatsächlich friedlichen Demonstranten so sehr gelitten daß davon so gut wie nichts mehr übrig ist. Die fachlichen Ausführungen des Autors zum Gefahrenpotential von Blankwaffen in kurzer Distanz halte ich dennoch für vollkommen zutreffend.

Rob Roy
1 Jahr her

Und schon gehen die Gutbürger auf die Straße, bezichtigen die Polizei des „Mordes“, dass sie nun „Angst vor Polizisten“ hätten, die natürlich durch und durch rassistisch seien, während der ums Leben gekommene Messerangreifer Muhammad D. zum Märtyrer verklärt wird. Natürlich muss man die Umstände klären, aber Schießwütigkeit oder gar Mordlust kann man unseren Polizisten ganz sicher nicht vorwerfen.

Hieronymus Bosch
1 Jahr her

In Wuppertal hat heute morgen ein 21-jähriger Syrer eine Mitarbeitein des „Hauses der Integration“ mit einem Messer angegriffen und schwer verletzt! Ja, das sind die „Schutzsuchenden“, die in Wahrheit brutale Killer sind! Abscheulich!

Deutscher
1 Jahr her

„Es ist unerklärlich, warum es den 11 anwesenden Polizisten nicht gelingt, einen 16-jährigen in Gewahrsam zu nehmen, ohne dass er umkommt.“

Vielleicht waren es ja mehrheitlich Polizistinnen? Videos zeigen, dass diese trotz Nahkampfausbildung in der Regel den Kürzeren ziehen oder sich gleich aus dem Kampfgeschehen heraushalten.

Aber wer nimmt in dieser Frage schon Nicole Gohlke, ihres Zeichens „Kommunikationswissenschaftlerin“ ernst?

Last edited 1 Jahr her by Deutscher
Deutscher
1 Jahr her

Die Polizei hat hier absolut richtig gehandelt.

Und wenn selbst mehrere Treffer keine Mannstoppung bewirken, heißt das, dass Kaliber und / oder Kadenz der Dienstwaffen optimiert werden müssen.

Last edited 1 Jahr her by Deutscher
Peter V
1 Jahr her

Wer sich in die Gefahr begibt, kommt in dieser um.

Kassandra
1 Jahr her
Antworten an  Peter V

Wobei wir uns nicht da hin begaben – sondern die Gefahr über uns gebracht wurde.
Oder wären Sie so abenteuerlustig, Länder wie Afghanistan, Pakistan, Syrien und ungezählte afrikanische Länder zu besuchen? Ich habe das mein Lebtag vermieden – und treffe die jungen Männer, von denen ich wenig erkennen kann, was sie im Schilde führen, jetzt hier auf meinem Marktplatz.