Die Kanzlerin und der Clown – Ende einer Symbiose

Spannend bleibt, ob Angela Merkel den größeren Schaden durch ihren „Verrat“ an den Böhmermännern erlitten haben wird, oder ob letztere ihre Macht über die Sympathien des Volkes gehörig überschätzen.

© Dean Mouhtaropoulos / Getty Images

Dafür, was im Moment passiert, gebraucht man im Englischen den schönen Ausdruck „the chickens come home to roost“. Wie ein Hühnerhaufen kehren die schlechten Taten irgendwann, aber mit Gewissheit zurück in das Nest, aus dem sie geschlüpft sind.

Bis gerade eben lief doch noch alles so gut. Angela Merkel und die Böhmermänner des Landes lebten quasi in einer volksbeglückenden Symbiose miteinander und voneinander. Im letzten Jahr machte Merkel die Politik des freundlichen Gesichtes, während die Böhmermänner im Fernsehen, auf Facebook und auf Twitter dafür sorgten, dass sie auch den nötigen Rückhalt erfuhr. Die Böhmermänner, damit sind die großen moralischen und geistigen Instanzen unseres Landes gemeint, die auf dem Kamm der Flüchtlingssympathiewelle geschwommen sind – Til Schweiger, der überall gleichzeitig ausrastete, aber zu wenig Zeit hatte, um Flüchtlinge bei sich aufzunehmen, Joko und Klaas, die zwischen dem Posieren mit verkürzten Grundgesetzartikeln gerade noch genug Zeit hatten, um sich auf dem Oktoberfest volllaufen zu lassen, Claus Kleber, der ein öffentlich-rechtliches Nachrichtenprogramm auf das Niveau einer mexikanischen Telenovela reduzierte, (weitere Namen möge an dieser Stelle bitte jeder Leser selbst ergänzen) und natürlich der große Böhmermann selbst, der der Kanzlerin mit Tweets wie „Als gäbe es zwei Seiten“ in der Flüchtlingskrise den unbefristeten moralischen Blankoscheck ausstellte.

Moralisches Handeln geht nicht aus Denken hervor

Der Erfolg der Böhmermänner rührte daher, dass sie den Menschen glaubhaft machten, dass moralisches Handeln nicht aus dem Denken hervorgeht, sondern aus dessen Abwesenheit. Besonders schwer taten sie sich mit der glaubwürdigen Vertretung ihrer These nicht und sie waren erfolgreich: Millionen Deutsche sind im Sog ihrer Welle mitgeschwommen und haben sich durch Likes und Retweets das Gefühl gesichert, dabei gewesen zu sein. Gleichzeitig strömten mehr als eine Million Menschen über die Grenzen nach Deutschland – noch nie war so viel mit so wenig erreicht worden.

Zu einer artgerechten Symbiose gehört, dass jeder seinen Teil leistet. Glücklicherweise war Angela Merkel bereits lange genug Bundeskanzlerin, um zu wissen, worin ihr Teil bestand. Sie weiß, dass sie ein launisches Volk regiert, mit noch launischeren Meinungsmachern. Diese wollen beständig unterhalten und unterhalten werden, natürlich nicht mit Plänen, Konzepten oder Entscheidungen, sondern mit etwas, das neuerlich am emotionalen Gebräu auf dem Grund ihrer Eingeweide rührt. Anders ausgedrückt, es galt, die Böhmermänner rechtzeitig davor in Schutz zu nehmen, womöglich Verantwortung für die Folgen ihres Tuns übernehmen zu müssen, und sie friedlich zum nächsten Ziel ihrer moralischen Beliebigkeit weiterziehen zu lassen.

Im Fall der Flüchtlingskrise rückte die Erwünschtheit dieses Vorgehens im Jahr 2016 Woche um Woche näher, denn die Welle brach sich zuerst am Kölner Dom und dann an den spitzen Balken, die die Wahlergebnisse und -umfragen der AfD anzeigten. Angela Merkel hielt Wort und zauberte das EU-Türkei-Abkommen aus dem Hut, das zumindest mit Blick auf die Flüchtlingszahlen etwas beabsichtigte, was die Spießer und Langeweiler, über die sich seit Monaten der Hohn und Spott der Böhmermänner ergossen hatte, schon von Anfang an gefordert hatten.

Nur setzte es diese Forderung auf so feige und schäbige Art und Weise in die Tat um, wie es nur möglich war. Trotzdem löste das Abkommen unter den Böhmermännern und den ihnen Hörigen zunächst alles andere als wilde Proteststürme aus – mit gutem Grund, denn sie wussten, dass dieses Abkommen zwar nicht gut für Deutschland und auch nicht gut für die Flüchtlinge war, aber dass es das beste war, was sie selbst in ihrem Narzissmus ertragen konnten, indem es die unvermeidlichen hässlichen Bilder wenigstens so weit weg wie nur möglich verlagerte.

Feige und schäbig

Gleichzeitig durfte Bernhard Hoëcker im NDR noch einmal vorturnen, dass durch die bereits eingetroffenen Migranten ja im Grunde überhaupt keiner dazugekommen sei, während in der Realität die Masse dieser Menschen in Kleinstädten oder in schon bereits mehr oder weniger ghettoisierten Großstadtvierteln abgeladen wurde – Orte also, an die die Böhmermänner keinen Fuß setzen werden. An irgendeinem Punkt braucht Merkels Politik eben immer einen Wehrlosen, auf den die durch sie entstandenen Probleme abgewälzt werden können. Im Fall des Fukushima-Atomausstiegs hatte dies bereits wirklich gut geklappt. Ja, es schien so, als wäre die Koalition der totalen Beliebigkeit mal wieder davongekommen.

Dann passierte ein Fehler. Die Böhmermänner dachten sich, dass es ihnen vielleicht ganz gut zu Gesicht stünde, wenn sie sich, nachdem sie den islamistischen Autokraten schon als Teil des EU-Türkei-Deals schlucken mussten, wenigstens ein bisschen über ihn lustig machen würden. Er hatte schließlich seine feste Rolle als weiterer Depp vom Dienst neben Horst Seehofer, der für ihre Unterhaltung zu sorgen habe. Bekanntlich war der Sultan vom Bosporus mit dieser Rollenverteilung alles andere als einverstanden und ehe man sich versah, standen Morddrohungen im Raum und die Polizei vor dem Haus des Grimme-Preisträgers. Dies passte nun so gar nicht ins Komfort- und Wohlfühlkonzept der Böhmermänner. Es sollte Brot und Spiele für sie geben, aber doch nicht mit ihnen als Futter für die Löwen in der Arena! „Haltet aus, Mutti haut uns raus“ lautete die anfängliche Parole, denn dies war ja wiederum ihre feste Rolle. Doch Mutti kuschte.

Faktisch gesehen hat Merkel damit für sich und ihre bis dato Symbionten das kleinere Übel gewählt. Denn wäre der türkische Präsident aus Verstimmung über ein nicht zugelassenes Strafverfahren vom EU-Türkei-Deal abgerückt und hätte die Schleusen wieder geöffnet, hätte Merkel den anderen Teil ihres Jobs, die Flüchtlingskrise langsam, still und leise zu den Akten zu legen, nicht mehr erfüllen können. Mittel- bis langfristig ist Jan Böhmermann mit der Entscheidung der Kanzlerin für ein wahrscheinlich folgenloses Strafverfahren jedenfalls sehr gut weggekommen, insbesondere, wenn man in der Kalkulation die gewonnene Publicity berücksichtigt. Aber derartige Abwägungen sind nichts für die Böhmermänner. Auch die Notwendigkeit des gelegentlichen Verzichts kennen sie nicht. Wie denn auch?

Die egozentrische Generation Böhmermann

Ihre kleinkindliche, egozentrische Vorstellung, dass die Welt sich beständig um sie zu drehen und die Helikopter-Mutti ihnen die Wünsche für das gesellschaftliche Programm von den Lippen abzulesen habe, war es ja gerade, die sie so lange und gut zu Merkels Symbionten qualifiziert hatte – und während man einem quengeligen Kleinkind notfalls noch mit elterlicher Autorität klarmachen könnte, dass es jetzt eben mal die Füße stillzuhalten habe, ist dies der Generation Böhmermann politisch nicht mehr vermittelbar. „Ein großer Fehler, der ihr hoffentlich leidtut“, sagte ein schwerstbeleidigter Oliver Welke und krallte sich, um zur anfänglichen Geflügelmetapher zurückzukehren, wie ein wildgewordener Hahn mit puterrotem Kopf in Merkels Genick.

Hatte Frau Merkel wohl etwas Anderes erwartet? Aber die Böhmermänner sind nun mal keine von der Sorte, die nicht gleich von der Fahne gehen, wenn ihnen etwas abverlangt wird. Männer dieser Art wurden unter Merkels Ägide längst aussortiert und verstauben nun in der Abstellkammer. Sie hat sich bewusst mit denen eingelassen, die Beliebigkeit und Verantwortungslosigkeit zu den Grundprinzipien ihrer öffentlichen Existenz erkoren haben. Manche haben sie davor gewarnt. Im Moment dürften diese aus der Ferne mit einem leisen Lächeln beobachten, wie die Bundeskanzlerin nun ausgerechnet nicht von denjenigen verlacht und gekreuzigt wird, die beständig zu ihren schärfsten Kritikern gehört haben, sondern von denen, die sie vor kurzem noch in den Himmel gelobt und ihre Gegner auf dem moralischen Scheiterhaufen verbrannt haben. In Bayern scheint die Sonne.

Es gibt genau eine Sache, für die man Jan Böhmermann dankbar sein sollte: Er hat bewiesen, dass Politik wieder spannend sein kann und das ironischerweise genau dann, wenn sie sich um eine doch eher irrelevante Person wie ihn dreht. Spannend bleibt sie, weil zu sehen gilt, ob am Ende wirklich Angela Merkel den größeren Schaden durch ihren „Verrat“ gegenüber den Böhmermännern erlitten haben wird, oder ob letztere sich in ihrer Macht über die Sympathien des Volkes nicht mittlerweile gehörig überschätzen und beschämt feststellen werden, dass für sie keiner in die Bresche gesprungen ist – weil sie zu gute Vorbilder waren.

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