Berliner Senat: Mit dem ausgestreckten Mittelfinger für alle ohne Maske

Eine bemerkenswerte Fehlleistung erster Klasse, die die Verrohung der Gesellschaft aufzeigt, die in die Chefetagen der Verwaltungen, Behörden und der Politik längst eingezogen ist.

Einige Tage belästigte eine Werbekampagne der Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft und der Tourismusmarketinggesellschaft Visit Berlin die Einwohner und seine Gäste in der Hauptstadt. Eine ältere Dame zeigt in Zeitungs- und ausgehängten Plakatkampagnen mit der Anmerkung
„Der erhobene Zeigefinger für alle ohne Maske. Wir halten die Corona-Regeln ein.“
ihren Mittelstinkefinger. Sogar das Ausland berichtet von diesem geistigen Erguss kreativer Verirrung.

Eine bemerkenswerte Fehlleistung erster Klasse, die vor allem die Verrohung der Gesellschaft aufzeigt, die in die Chefetagen der Verwaltungen, Behörden und der Politik längst eingezogen ist.

Ähnlich anderer Beleidigungskampagnen, denken wir nur an die umweltsauende Oma des WDR, schießwütiger Primitivpolizisten oder Menschen, die man besser auf der Müllhalde entsorgen sollte, scheint in diesem Land ein geistiger Pöbel immer mehr die Oberhand zu gewinnen. Andersdenkende kann man gleich als Rassisten, Nazis oder Verschwörungstheoretiker mit der Moralkeule verbal erschlagen. Das hat den Vorteil, dass man sich nicht mehr sachlich mit Kritik auseinanderzusetzen muss. Warum noch diskutieren? Passt schon, das mit dem Mittelfinger.

Kein Zufall

Besonders pikant wird es, wenn Politiker, die sich gern und laut über den Verfall der guten Sitten beklagen, davon sprechen, dass andere Personen „Pack“, „Mischpoke“, „Rattenfänger“, oder „kleine Halbneger“ wären. Auch untereinander beleidigen sich Politiker im Bundestag besonders gern. Die Liste ist lang, mit einer gewissen Vorliebe sind bisher folgende Bezeichnungen zu vernehmen: „Idiot“ (114 x),  „Dummkopf“ (64 x), außerdem „Bastard“, „Arsch“, „Arschlöcher“ bzw. „Arschloch“ und „Drecksau“. Einer gewissen Beliebtheit stellten auch die Bezeichnungen „Hurensohn“, „Dreckschwein“ oder „Dreckschweine“ dar.

Die Empörung kocht schnell über, wenn dieselben Politiker aus dem Volk mit einem ähnlichen Vokabular bedacht werden. Dann kann die Empfindlichkeit nicht groß genug sein.

Wie zum bei Beispiel Claudia Roth. Sie beklagt sich in der Wochenzeitung „Die Zeit“: „Frauen werden demonstrativ missachtet. Wenn eine Abgeordnete redet, egal aus welcher Fraktion, drehen sich viele Männer um, quatschen, hören nicht mehr zu, der Lärmpegel steigt.“
Was unter „Sexismus“ verstanden wird, nimmt dabei unfreiwillig komische Züge an. So beklagt Roth, dass die Linke Petra Pau und sie selbst bei Sitzungsleitungen des Bundestages durch verschiedene Redner nicht ehrfürchtig begrüßt werden. Der Gipfel scheint für die grüne Politikerin die Tatsache darzustellen, dass verschiedene Abgeordnete die führende Parlamentspräsidentin mit der männlichen Anredeform „Präsident“ begrüßen. Wie verhält sich Frau Roth gegenüber anderen Abgeordneten?

Es war schon immer eine ausgewiesene Stärke von rot und grün, mit der doppelten Moralelle zu messen. Für herausgehobene Funktionen wird von einigen dieser Personen ein untertäniges Verhalten erwartet, währenddessen dieselben Funktionsträger vermeintlich Rangniedere nach Belieben behandeln und ggf. beleidigen dürfen. Mir ist gegenwärtig nicht bekannt, dass Deutschland einen neuen Kaiser in Amt und Würden hat und Reichsbürger die Macht übernommen hätten. Die parlamentarische Demokratie und das Grundgesetz haben ausdrücklich anderes vorgesehen.

Kommen wir auf die Mittelfingerwerbung zurück. Marcel Luthe hat mir seine Strafanzeige inhaltlich zur Verfügung gestellt, aus der ich zitieren möchte:
„Der Senat von Berlin oder diesem nachgelagerte Behörden oder Landesbeteiligungen haben mit dem verbreiteten Motiv #Der erhobene Zeigefinger für alle ohne Maske# in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, gegen Teile der Bevölkerung zum Hass aufgestachelt und die Menschenwürde der Betroffenen dadurch angegriffen, dass diese durch Zeigen des Mittelfingers beschimpft werden.“ (…) „Ich sehe daher in der angezeigten Tathandlung sowohl den Anfangsverdacht einer strafbaren Volksverhetzung als auch eines Ehrverletzungsdelikts zu meinen Lasten – und einer Vielzahl weiterer Betroffener (…).“

Der Regierende Bürgermeister Müller redet sich präventiv schon einmal damit heraus, „Diese Anzeige ist peinlich. Das muss man sagen. Das ist auch nichts, was wir als Senatskanzlei oder als Senat in Auftrag gegeben haben.“
In einer Stadt, in der das „Antidiskriminierungsgesetz“ eine rechtsstaatlich einmalige Beweislastumkehr für seine Beamten schafft, in denen diesen davon abgeraten wird, weiterhin „Ausländer“, „Migrant“ oder „Schwarzfahrer“ zu verwenden, kann ich nur schwer glauben, dass der Senat von dieser öffentlichkeitswirksamen und kostenintensiven Kampagne nichts gewusst haben will. Verantwortlich ist er trotzdem dafür, wenn er seine nachgeordneten Häuser nicht im Griff hat.

Wenn die Versuchung der Arroganz über den Verstand siegt

Gehe ich nach dem Zeitgeist, habe ich an diesem Plakat nichts auszusetzen – das alles passt zu einem Land, in dem es zur Regel geworden ist, Andersdenkende herabzusetzen, zu beleidigen, zu diffamieren und sogar zu kriminalisieren. In Berlin, das auch erhebliche Probleme mit Mobbing an Schulen und in den Behörden hat, lässt der Senat seinen Bürgern den Mittelfinger zeigen. Bemerkenswertes Vorbild für alle Mobber, kein Wunder, wenn die sich unschuldig wähnen und solche Verirrungen der menschlichen Abgründe zunehmen.

Dass man erst nach umfangreihen Protesten kleinlaut die Werbeanzeigen zurückzieht, beweist in meinen Augen, dass man schon längst den Boden der Lebensrealität in den betreffenden Etagen verlassen hat. Man ist erstaunt darüber, dass der ausgestreckte Mittelstinkefinger solche Reaktionen hervorruft. Eine unfreiwillige Selbstoffenbarung ersten Ranges, die aufzeigt, dass wir es mit einem entfremdeten Personal zu tun haben, dass jegliche Maßstäbe verloren hat.


Der Artikel enthält Auszüge aus dem Buch „Mobbing! Ursachen und Abhilfe“

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