200 Jahre Karl Marx – Apologetische Tendenzen in der deutschen Erinnerungskultur

Karl Popper wie auch andere erkannten die intellektuelle Kraft und das innovative Potential darin an und würdigten den nicht nur negativen Einfluss auf die Geschichte der Moderne. Aber eine Marx-Statue braucht wirklich niemand.

© Patrik Stollarz/AFP/Getty Images

Die marxistische Linke feiert in diesem Jahr das 200. Geburtstagsjubiläum ihres Vordenkers: Karl Marx, geboren am 5. Mai 1818 in Trier. SPD und Linkspartei steuern zu diesem Jahrestag ein umfangreiches Begleitprogramm bei. Das ist insofern verständlich, als der Marxismus die historisch-weltanschauliche Wurzel beider Parteien darstellt. Unverkennbar versuchen sich beide Parteien zudem an einer Wiederannäherung bzw. Wiederaneignung des Marx’schen Denkens. Das ist nicht wirklich neu, erfährt Marx doch spätestens in Folge der globalen Weltfinanz- und ‑wirtschaftskrise von 2007/08 eine späte Renaissance. Sogar im verunsicherten bürgerlich-liberalen Lager ist Marx seitdem en vogue.

Bemerkenswerterweise war im vergangenen „Luther-Jahr“ deutlich mehr über Luthers Antisemitismus zu hören als in diesem Jahr bislang über die problematischen Seiten von Marx (und Engels). Grundsätzlich überrascht es nicht, dass angesichts eines Jubiläums mehr über den Grund gesprochen wird, warum der Jahrestag gefeiert wird, als sich die Festtagsstimmung durch Unangenehmes vermiesen zu lassen. Geschenkt. Problematisch wird es allerdings, wenn nicht nur kaum eine ernsthafte kritisch-differenzierte Auseinandersetzung stattfindet, sondern darüber hinaus noch eine regelrechte Apologie betrieben wird.

Marx-Gedenken im Widerspruch mit dem bundesrepublikanischen Geschichtskonsens

Seinen irritierenden Höhepunkt erreicht das „Marx-Jahr“ nämlich am 5. Mai. Dann wird in Trier eine 5,50 Meter hohe Bronzeskulptur aufgestellt werden, um … ja, was eigentlich? … Um daran zu erinnern, dass Marx, der sein Lebenswerk vorwiegend in England verfasste, ursprünglich von der Mosel stammte. Kritik und Vorbehalte gab es von der Politik vor Ort kaum. 42 Ratsmitglieder stimmten für die Aufstellung, sieben dagegen und vier enthielten sich. Sogar die CDU sieht darin offenbar kein Problem.

Kein Grund, zu feiern
200 Jahre Karl Marx und 100 Millionen Tote
Dabei stellt die Aufstellung der Marx-Statue am 5. Mai unter mehreren Gesichtspunkten ein ziemlich absurdes Unterfangen dar. Denn in der Bundesrepublik hat sich ein erinnerungskultureller Konsens etabliert, der darauf abzielt, nicht das vermeintlich „Große“ in der Geschichte abzufeiern, sondern den aufgeklärten Citoyen zu einer historisch-kritischen Urteilsfindung zu befähigen. Durchgesetzt hat sich dieser eher als linksliberal zu bezeichnende Konsens in den zahlreichen Erinnerungsdebatten der vergangenen 40 Jahre. Paradoxerweise kommt der Stoß gegen diesen Konsens, der doch gegenüber dem  nationalkonservativen Geschichtsrevisionismus der AfD so gerne hoch gehalten wird, ausgerechnet von links.

Nun war Marx zweifellos eine wichtige und einflussreiche Persönlichkeit für die nationale sowie globale Geschichtsschreibung, doch wann wurde in Deutschland zuletzt einer „großen Persönlichkeit“ ein derartiges Denkmal gesetzt, das an die überschwängliche Nationalheldenverehrung im 19. und frühen 20. Jahrhundert erinnert? Hinzu kommt, dass hier eine (kommunistisch-)totalitäre Diktatur (China) mit ihrem „Geschenk“ Geschichtspolitik in einer freiheitlichen Demokratie betreibt und kaum jemand stört sich daran. Es gibt in der Öffentlichkeit keine konzentrierte und ernsthafte Diskussion darüber. Das ist ein intellektuelles Armutszeugnis.

Notwendige Kritik am Werk Karl Marx‘

Zwar wurde bereits Protest gegen die Statuen-Enthüllung angemeldet, allerdings steht zu befürchten, dass er kaum ins Gewicht fallen wird. Dabei ist die Kritik an Marx und seinem Werk wichtig und richtig und sie muss in der Sache auch hart sein. Immerhin war Marx angetreten, der bürgerlichen Welt ihren unabwendbaren Untergang zu prophezeien. Auf ihn beriefen sich ferner all jene, die enthusiastisch auf dieses Ende hinarbeiteten und zu beschleunigen trachteten. Im Ergebnis führte dies zu Millionen Toten und enormen Verheerungen. Dass er nicht zuletzt die „Erklärung der universalen Menschenrechte“ verwarf, die gewaltsame Revolution bejahte und die bürgerliche Demokratie ablehnte, wirft zudem ein nachhaltig schlechtes Licht auf sein Werk.

Eine der intellektuell brillantesten Kritiken seines Werkes findet sich in Karl R. Poppers „Die offene Gesellschaft“. Dort wird Marx‘ „wissenschaftliche“ Lehre als irrationale Prophetie entlarvt; dort werden die totalitären Elemente dieses Denkens offengelegt: die quasi-religiöse Heilslehre, der unbedingte Welterklärungsanspruch, der dogmatische Geltungsanspruch, der antiindividualistische Kollektivismus, die antirationalen Immunisierungsstrategien, der Angriff auf die Ethik und nicht zuletzt das verschwörungstheoretische Grundrauschen sowie das radikale Freund-Feind-Denken. Jedem sei die Lektüre empfohlen. Ob Marx als nationales Vorbild taugt, ist angesichts dessen mehr als fraglich.

Anti-Marxismus ist auch keine Lösung!

Nichtsdestoweniger tun die Marx-Kritiker Unrecht daran, wenn sie den apologetischen Tendenzen einen entschiedenen Antimarxismus entgegensetzen. Dieser Reflex gleicht nämlich der linken historisch-politischen Bilderstürmerei, wonach nur noch vermeintlich moralisch unbedenkliche Akteure in die kollektive Erinnerung eingeschlossen sein dürfen. Dieses Verständnis verneint schlechthin die Komplexitäten und Ambivalenzen in der Geschichte. Es unterstellt eine quasi-mythische Unterscheidbarkeit zwischen dem „Guten“ und dem „Bösen“. Kurzum, es handelt sich um unhistorischen Unsinn und ist intellektuell unredlich.

Auch Marx bedarf einer in jeglicher Hinsicht differenzierten Betrachtung, die sowohl Kritik übt, als auch ihm nicht das blutige Erbe derjenigen in die Schuhe schiebt, die sich auf ihn beriefen. Auch Marx hat das Recht, in seiner Zeit betrachtet, bewertet und nicht zuletzt kritisiert zu werden. Es gehört zur Wahrheit dazu, dass Marx gleichzeitig Ur-Vater der Sozialdemokratie ist, die die liberale Demokratie bereicherte, sowie des Kommunismus, der die liberale Demokratie vernichten wollte. Dieser realhistorischen Ambivalenz muss eine moderne kritische Erinnerungskultur Rechnung tragen.

Karl Popper wie auch andere betonten nicht nur die Schattenseiten, sondern auch die zustimmungswürdigen Aspekte des Marx’schen Denkens. Beide erkannten die intellektuelle Kraft und das innovative Potential darin an und würdigten den nicht nur negativen Einfluss auf die Geschichte der Moderne. Aber eine Marx-Statue braucht wirklich niemand.

Norman Siewert studierte Zeitgeschichte und promoviert an der Universität Potsdam.

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Kommentare ( 34 )

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Peter Frei
5 Jahre her

Als bekennender Marxist konnte und kann ich Marx-Denkmälern oder sonstigen Symbolen quasireligiöser Verehrung von Marx nichts abgewinnen. Marx wirkt ohne Denkmal und wird es weiter tun.

Genausowenig jedoch kann ich verstehen, warum sich so manch pseudoliberaler … dermaßen über Denkmäler und Marxhype aufregt. Denn Kennzeichen der Liberalität wäre es schließlich auch dafür Raum zu lassen.

Viktor Wallenstein
5 Jahre her

Die Achse des Guten befasst sich heute ebenfalls mit dem Thema und steuert noch ein paar andere Zitate bei:
http://www.achgut.com/artikel/marx_antisemitisch_rassistisch_und_herzlos

Johann-Th. Trattner
5 Jahre her

Das tückische an Karl Marx ist, dass mit seinen Schriften die gesamte Weltgeschichte und das gesamte Leben erklärt werden können. Gleichsam ein Perpetuum Mobile der Menschheitsgeschichte. Mit diesem mechanistischen Rüstzeug kann jedermann alles und jedes menschliche Geschehen scheinbar schlüssig deuten und erklären. Und scheinbar sind die Triebkräfte für alles ganz einfach. (Vom Tauschhandel – ein Bett, ein Stuhl, ein Tisch – bis zum tendenziellen Fall der Profitrate; eingebettet in einen gesetzmäßigen Verlauf der Zeitgeschichte von der Sklaverei bis zum Kommunismus. Wie ein Uhrwerk.) Eingebaut in diese, in sich geschlossene Deutung der Welt, ist bereits die Erklärung, warum eine Kritik daran… Mehr

Viktor Wallenstein
5 Jahre her

Marx – antisemitisch, rassistisch und herzlos
http://www.achgut.com/artikel/marx_antisemitisch_rassistisch_und_herzlos

Till Kinzel
5 Jahre her

Der Titel des Artikels ist eine schöne Anspielung auf den Historikerstreit, in dem Habermas damals eine Diskussion der ihm nicht passenden Thesen zur deutschen Vergangenheit unterbinden wollte. Eine Diskussion über Marx und Marxismus muß nicht unterbunden werden, sie scheint aber derzeit nur nötig, weil die historische Amnesie einen so hohen Grad erreicht hat, daß auch die Marxkritik früherer Zeiten schon wieder vergessen wurde. Diese war aber nicht unreflektiert, sondern wohlbegründet und substantiell – der Autor irrt sich daher, wenn er implizit einen „entschiedenen Antimarxismus“ als bloßen „Reflex“ meint charakterisieren zu müssen, was wohl bedeuten soll: eine Ablehnung ohne vorheriges Nachdenken… Mehr

Fremo
5 Jahre her

Was bei der Bewertung dieses Mannes meist unbeachtet bleibt, ist die Quelle seiner Ideologie. Karl Marx war Satanist. Die Früchte seines Werkes sind entsprechend teuflisch.

Johann-Th. Trattner
5 Jahre her

Wieviele der 42 zustimmenden Ratsmitglieder haben wohl „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ in ihrem Bücherregal stehen, vielleicht sogar einmal darin gelesen? Wieviele der 42 zustimmenden Ratsmitglieder haben sich mit den Schriften von Marx wirklich auseinandergesetzt, also seine Ergüsse einmal über 200, 300, 500, 1000 Seiten gelesen? Wieviele der 42 zustimmenden Ratsmitglieder können erklären, was die Weltinterpretation durch den „historische Materialismus“ bedeutet ? —– Man muß befürchten: Die allermeisten nicht. Und genau deswegen lassen Sie sich von einer der schlimmsten Diktaturen dieser Welt, China, eine Statue im häßlichen stalinistischen Stil des proletarischen Realismus vor die Nase setzen und feieren den… Mehr

Ali
5 Jahre her

Ich bin bekennender ANTI-MARXIST und für mich IST das eine gute Lösung.

Arthas
5 Jahre her

Tja, anhand der als Helden verehrten Persönlichkeiten erkennt man eben den ideologischen Charakter eines jeden Systems – auch den der BRD.

Übrigens war der „erinnerungskulturelle Konsens“ der Bundesrepublik schon immer recht einseitig gegen die nationalen Größen der deutschen Geschichte ausgerichtet, bestand ja auch der Zweck dieses „Konsens“ in der bis heute anhaltenden Dekonstruktion der kulturellen Identität der Deutschen. Das linke Heldengedenken nahm dagegen in Relation zu dieser Dekonstruktion eher immer weiter zu.

baucis
5 Jahre her

Popper, Kant…..ja, sie hätten uns besonders derzeit viel zu sagen…..vor allem, was das das eigene, kritische Denken betrifft und die große Gefahr, welche das imperium paternale darstellt. Die Despotie des Letzteren hat bereits Einzug gehalten und dazu passt die Marx Statue exakt.