Demokratie muss liberal sein – sonst ist sie verloren

Das große WIR schwebt in Deutschland in allen Sonntagsreden als Leitstern über den herbstlichen Nebeln. Immer, wenn es kalt wird, rücken die Deutschen zusammen. Die Neigung zum Unterhaken und die Liebe zum Gleichschritt haben in diesem Land Tradition - ob es um die Rettung der Welt oder um soziale Gleichmacherei geht.

Die Liberalen sind in diesem Land eine eine heimatlose Minderheit. Die wirklichen Liberalen, nicht die Partei, die sich liberal nennt.

I.

Der Liberalismus hat es in Deutschland von jeher schwer. In einem Land, das dem Kapitalismus so argwöhnisch begegnet wie kein anderes und die ökonomische Macht des Staats so begrüßt wird wie nirgendwo sonst, ist das kein Wunder. Das große WIR schwebt in Deutschland in allen Sonntagsreden als Leitstern über den herbstlichen Nebeln. Immer, wenn es kalt wird, rücken die Deutschen zusammen. Die Neigung zum Unterhaken und die Liebe zum Gleichschritt haben in diesem Land Tradition – ob es um die Rettung der Welt oder um soziale Gleichmacherei geht.

II.

Der politische Liberalismus hat sich in den angelsächsischen Ländern in eine ganz andere Richtung entwickelt. In Deutschland ließen sich die „Liberalen“ nach der gescheiterten Revolution 1848 die Freiheit abkaufen. Es genügte ihnen, nationalliberal zu sein. Später war der liberale Widerstand gegen den Nationalsozialismus bemerkenswert bescheiden. Und 1989 brachten das Ende des Zwangsregimes DDR und der Anschluss an die Bundesrepublik keineswegs einen Aufschwung des Liberalismus. Lediglich die hemmungslose Geschäftemacherei des globalen Kapitalismus feierte Hochkonjunktur. Zum Schaden des wahren Liberalismus, der nun fälschlich mit „Neoliberalismus“ gleichgesetzt wurde.

III.

Die Partei, die sich „liberal“ nennt, muss heute den Sturz aus allen Parlamenten befürchten. Weil sie im Spannungsfeld zwischen Staat und Bürger nicht konsequent genug auf der Seite der Bürger steht, hat sie es nicht besser verdient. Die FDP lässt sich blenden von der Teilhabe an der Regierungsmacht. Ein Club von Karrieristen und Opportunisten mit Haltungsschäden erscheint gefallsüchtig und stets bereit, sich mit dem grünen Zeitgeist zu verbrüdern, nicht schlimmer als andere Parteien – aber die sind auch nicht der liberalen Sache verpflichtet. Die „Liberalen“ mögen noch immer davon träumen, Zünglein an der Waage zu sein wie einst in der Bonner Republik. Aber das alte Parteiensystem gibt es nicht mehr. Die ehemaligen Volksparteien sind weit davon entfernt, zusammen mit den Liberalen regieren zu können. Damit schwindet deren Einfluß. Angesichts der Übergriffigkeit des rot-grünen Gourvernantenstaats müsste eine liberale Partei eigentlich ein Fünftel der Wähler überzeugen können. Statt dessen repräsentiert die FDP selbst den Moloch Staat.

IV.

Der Staat als Obrigkeit und moralischer Instanz überhöht die Gemeinschaft, ob man sie nun Volk nennen möchte oder nicht. In dieser Hinsicht sind die „Linken“ nicht besser als die „Rechten“. Als Verkörperung des kollektiven Willens ist der Staat ein verhängnisvolles Missverständnis. Den kollektiven Willen gibt es nicht. Es gibt nur das Miteinander und Gegeneinander der unterschiedlichen Interessen von Individuen. Die AfD, die so sehr auf den angeblichen Volkswillen setzt, ist nur solange gegen den Staat, solange es nicht ihr Staat ist. Wer ständig behauptet, für „das“ Volk zu sprechen, maßt sich kollektivistisches Denken an. Völkisch und liberal zugleich sein zu wollen, ist, um Franz-Josef Strauß zu paraphrasieren, gebratener Schnee. Es muss auch nicht jede Partei liberal sein; nur behaupten sollte sie es nicht. Nicht die AfD und nicht die CDU/CSU und schon gar nicht die Grünen sind der liberalen Sache verpflichtet. Sie haben nur lange geglaubt, den Wählern weismachen zu können, sie seien modernere Liberale.

V.

Die Mehrheit der „Liberalen“ hat keine Ahnung davon, was „liberal“ bedeutet. Es bedeutet jedenfalls nicht, haltlos tolerant zu allem Ja und Amen zu sagen. Wahre Liberale müssten im Parlament grundsätzlich gegen Fraktionszwang sein und eine Minderheitsregierung jeder Koalition vorziehen. Die Grünen müssten sie als ihre ideologischen Hauptgegner begreifen, auch wenn sich die Habecks-Jünger selbst ein pseudoliberales Mäntelchen umhängen. Doch die FDP ist hin und her gerissen zwischen Koalitionsdisziplin und Widerspruch. Sie lässt sich in der Ampel ebenso missbrauchen, wie sie sich einst von Merkel hat missbrauchen lassen. Die Quittung dafür hat sie bekommen – aber das verdrängen Lindner & Co. Es blüht ihnen dasselbe Schicksal. Im Kreis der Blockparteien der Berliner Republik hat die FDP nichts verloren.

VI.

Der einzige Liberale, der jemals Bundeskanzler war, kam nicht von der FDP, Mitglied der CDU war Ludwig Erhard allerdings auch nicht. Mit der sozialen Marktwirtschaft wollte er nicht „Sozialuntertanen“ schaffen, sondern freie Bürger. Die Liberalen gaben sich nur noch sozialliberal. Heute lässt sich in der Migrations- wie in der Energie- und Klimapolitik beobachten, wie „liberale” Politik ein Bündnis mir der antiliberalen Politik der Grünen und der SPD eingeht. Überall werden wie im Wilhelm Tell Gesslerhüte aufgestellt, vor denen der Bürger sich verbeugen soll: Klima steht auf dem Hut oder Diversity. Echte Liberale grüßen keinen alten Hut. Sie greifen lieber zur Armbrust.


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Kommentare ( 74 )

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Monostatos
6 Monate her

Nicht nur in der FDP gibt es „LINOs“ – Liberals in name only. Z.B. Leute, die mit einem Meinungspluralismus nichts anzufangen wissen oder bei denen die Anti-AfD-Platte einen Sprung hat. Ermüdend, immer den gleichen Kram hier zu veröffentlichen.

Sonny
6 Monate her

Wir erleben gerade nach rund fünfunddreißig Jahren den nächsten Umsturz. Genau jetzt entscheidet sich, ob Deutschland noch ein freies Land wird oder das deutsche Volk sich ein weiteres Mal absolut unterjochen läßt. Wir lernen: Ein schlechter Mensch zu sein, zahlt sich aus. Es gibt zehntausende Geschäftemacher, die an dieser Politik genesen. Nur leider nie das deutsche Volk. Da ich die Entwicklung seit Jahren mit großer Sorge verfolge, ist mein Optimismus so gut wie verschwunden. Das deutsche Volk wird es anscheinend nie lernen. Es will Verbote, Restriktionen und Vernichtung – gegen sich selbst. Hier braucht kein anderes Land mehr Krieg gegen… Mehr

Last edited 6 Monate her by Sonny
K.Behrens
6 Monate her

Verzeihung, in libertären Kreisen sprechen wir von Personal im besten Sinn! Dass knapp 700 Abgeordnete im deutschen Bundestag durch Abwesenheit glänzen, dazu ein Wasserkopf in Brüssel und Luxemburg? Das Vereinigte Königreich braucht keine Protzbauten für seine Regierung! Darüberhinaus wird der Vatikan von ausgebildeten Schweizern geschützt und aus gutem Grund nicht von verträumten Deutschen!

Reimund Gretz
6 Monate her

Die aktuelle Politik ist eine Bedrohung für die Bürgerinnen und Bürger und für Deutschland!
Frieden, Freiheit und Selbstbestimmung ist in Gefahr!
Es ist Zeit, seine Rechte gegen über griffige Parteien und Politiker zu verteidigen! 

Grundsätzlich hat die #GROKO und die #Ampel Deutschland in den Schlamassel regiert!
#Migrationspolitik#Klimapolitik#Energiepolitik#Ukraine#Bildungspolitik,
 #Gesundheitspolitik …
Die #Ampelkoalition wird zum Alptraum für Deutschland und seine Bevölkerung!
Die Gesellschaft muss in ihrem Interesse die Irrwege beenden!
Sie müssen weg!

Retlapsneklow
6 Monate her

Wer irgendwo hin oder wieder zurück will, sollte nicht erwarten, dass er mit einem Hau-Ruck ankommt. Dieses Land ist ein großer, schwerer Frachter mit viel Masse.

Grenz Gaenger
6 Monate her

Die Partei, die sich „liberal“ nennt, muss heute den Sturz aus allen Parlamenten befürchten.“

Das hoffe ich inständig.
Erinnern Sie sich noch, Herr Herles? Das ist die Partei, für die Sie vor 2 Jahren bei der BTW so kräftig die Werbetrommel gerührt haben.
Sie würde ja das Schlimmste verhüten, hieß es doch.
Ganz im Gegenteil: diese Lindner-Partei namens FDP machte das Schlimmste = Die Ampel überhaupt erst möglich.

Was zwei Jahre doch an Einsichten bringen kann, wie zu lesen ist – wenn auch nicht ganz freiwillig, sondern eher widerwillig.

Last edited 6 Monate her by Grenz Gaenger
Tizian
6 Monate her

Die Deutschen können Demokratie einfach nicht, weil sie sie nicht kennen und sich in ihrer absurden und naiven Obrigkeitshörigkeit und Devotheit gegenüber dem Staat, Beamten, Uniformen, weißen Kitteln und akademischen Titeln usw., nie als Souverän begriffen und danach gehandelt haben. So sind und bleiben wir das bedauernswerte Land der Diederich Heßlings der selbsternannten Blockwarte, Spitzel, Denunzianten und Wendehälse. Natürlich wie immer alles im vorauseilendem Gehorsam, unbedingter Führungstreue und devoter Obrigkeitshörigkeit. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Letzter Stop Corona. Und wir glauben tatsächlich immer noch, daß Wahlen in diesem Land etwas ändern werden. Völlig irre!

Berlindiesel
6 Monate her

Es gibt keine allgemeingültige Definition, was liberal ist. Auch die Begrifflichkeit von links und rechts ist schwammig, und gerade bei „links“ hat sie seit den 1960er Jahren einen grundlegenden Bedeutungswandel erhalten. „Linke“ im Sinne des 21. Jahrhunderts gab es vor 60 Jahren noch gar nicht, was man auch dadurch erkennt, dass Menschen, die links sind im Sinne bis ca. 1965 heute als „rechts“ bezeichnet werden, oder Parteien zuneigen, die als rechts eingeordnet werden. „Rechts“ ist letztlich auch nicht klar definiert. Es gibt dabei gerade in Deutschland die Versuchung, darunter alles abzuheften, was nicht dediziert links ist, und die Versuchung entsteht… Mehr

Odysseus JMB
6 Monate her
Antworten an  Berlindiesel

„Liberal“ begreift sich mehr und mehr als „woke“. Dieses Selbstverständnis bezweckt zunehmend eine Art (Selbst-)Gerechtigkeit, die bestenfalls als Bettvorleger Bestand haben kann und die Akteure nur als Papiertiger auszuweisen gestattet (außer natürlich die steinmeierischen Großkopferten in Politik und Staat). Nur diese Gerechtigkeit als liberal zu begreifen fällt schwer, ist sie es doch nur in den seltensten Fällen. Gesetz hin oder her. Gerechtigkeit verkommt damit gerade zum Konstrukt von Theoretikern und Literaten, an denen die Wirklichkeit vorbeizurauschen scheint, wie ein ICE mit Höchstgeschwindigkeit. Ich empfehle den letzten Essay von Hadmut Danisch in seinem Blog über das Rechtswissen unserer ampelgrünen Zeitgenossen und… Mehr

Last edited 6 Monate her by Odysseus JMB
jopa
6 Monate her

„Im Kreis der Blockparteien der Berliner Republik hat die FDP nichts verloren.“ Das stimmt NICHT! Die FDP ist die typische Blockpartei, denn sie nickt ALLES ab, was das Politbüro beschlossen hat.Und auch die größte „Oppositionspartei“ namens CDU ist auch nur eine Blockflöte. Wie oft hat sie GEGEN die Nationale Front gestimmt??

Or
6 Monate her

Ach Herr Herles,

und wieder trauern Sie Ihrer alten Politischen Heimat hinterher, und wieder können Sie sich einen Seitenhieb auf die von Ihnen verachtete neue Partei nicht verkneifen.
Warum eigentlich ?
Aber es ist müßig darauf einzugehen. Deswegen nur ein paar Anmerkungen.
Der angelsächsische Liberalismus ist eigentlich Sozialismus in Reinkultur und derRuf nach dem staken Staat ist in Italien und Frankreich noch viel ausgeprägter.
Und ist nicht das Versprechen dem Bürger Entscheidungsgewalt zurückzugeben – sprich Volksentscheide – nicht wirklich gelebter Liberalismus ?
Demnach wäre eine Alternative ja liberaler eingestellt, als die von Ihnen so geliebten Feigen Demokraten ?