EU-Hilfen für Gaza doch nicht ausgesetzt – Borrell: Würde Terroristen nur weiter ermutigen

Sehr merkwürdig ist das schon: Mitten in einem Angriffsterrorkrieg der palästinensischen Hamas gegen israelische Zivilisten will die EU-Kommission ihr Ausgabenprogramm für die Palästinenser zuerst überprüfen, dann aber doch lieber nicht aussetzen: Das würde ja nur die Terroristen ermutigen.

IMAGO / Le Pictorium
Josep Borrell Fontelles, Brüssel, 20. Juni 2023
Am Ende ist diese EU eben doch nur ein großer Hühnerhaufen. Im besten Fall. Erst am Montag um 14.44 Uhr hatte der Kommissar für Erweiterung und Europäische Nachbarschaftspolitik, Olivér Várhelyi, auf der Plattform X angekündigt, dass das „Ausmaß des Terrors und der Brutalität gegen Israel und sein Volk ein Wendepunkt“ sei. Die EU „als größter Geldgeber der Palästinenser“ werde ihr gesamtes „Entwicklungsportfolio“ – insgesamt 691 Millionen Euro – überprüfen. Das ist kein Ausnahmebetrag, sondern in etwa die Höhe der jährlichen Zuwendungen.

Aber kurz darauf regte sich der Hühnerhaufen. Aus Spanien und Irland gab es Kritik, jeweils aus den Außenministerien. So eine Aussage – von Várhelyi – hätte abgesprochen werden müssen, hieß es. Das hätte man auch beinahe so erwartet. Allerdings hatte der Kommissar ja nur von „Überprüfung“ gesprochen. Vielleicht fiel die dann doch in seine Zuständigkeit. Allerdings hatte er an den Ursprungstweet die markigen Aussagen angehängt: „Alle Zahlungen werden umgehend ausgesetzt.“ Alle Projekte stünden auf dem Prüfstand. Neue Vorschläge für dieses Jahr würden bis auf weiteres aufgeschoben. „Die Aufstachelung zu Hass, Gewalt und die Glorifizierung des Terrors haben die Köpfe zu vieler vergiftet.“ Man müsse handeln, und zwar jetzt.

Doch handeln sollte der vielleicht edelgesinnte Várhelyi nicht. Er war auch aus Sicht seiner näheren Kollegen in der Kommission übers Ziel hinausgeschossen. Der Kommissar für humanitäre Hilfe und Krisenschutz, der Slowene Janez Lenarčič, widersprach, die EU werde weiterhin und „so lange wie nötig“ humanitäre Hilfe für bedürfte Palästinenser leisten. Diesen Ausdruck „so lange wie nötig“ hat man jüngst schon einmal gehört – als Außenministerin Baerbock von ihrer Unterstützung der Ukraine sprach, was auch immer die deutschen Wähler davon hielten.

Die Kommission aber hielt in einer offiziellen Mitteilung vom Abend daran fest, dass es eine Überprüfung geben werde, die sicherstellen solle, dass die EU auch wirklich keine Terrororganisationen, auch nicht indirekt, unterstützt und so die Durchführung von Anschlägen auf Israel ermögliche. Eventuell wolle man die Hilfsprogramme für die Bevölkerung und die palästinensische Autonomiebehörde anpassen. Aber auch das kritisierten die Außenminister von Irland, Luxemburg und Spanien.

Borrell: Aussetzung der Mittel würde Terroristen weiter ermutigen

Nur sechs Stunden nach Várhelyis Ausgangstweet erklärte der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik sowie Vizepräsident der Kommission, Josep Borrell Fontelles, zum einen, dass die Überprüfung nicht die „anstehenden Zahlungen“ verhindere. Eine solche Aussetzung der EU-Mittel an die palästinensische Autonomiebehörde, so Borrell weiter, hätte „die EU-Interessen in der Region beschädigt und die Terroristen nur weiter ermutigt“.

Das aber versteht man gar nicht so recht. Inwiefern ermutigt die Nichtzahlung von Geldern jene Terroristen, die eben von diesen Geldern ihr Schäfchen im Trockenen halten? Eigentlich ermutigt ja die Zahlung von Geldern viel mehr. Die Schlussfolgerung lag also für viele nahe, dass es sich hier um eine Art Tribut der EU handelte. Bis 2024 ist im aktuellen EU-Haushalt die Auszahlung von 1,2 Milliarden Euro vorgesehen.

Tatsächlich fließen die EU-Mittel neben dem Westjordanland und Jerusalem auch in den von der Hamas beherrschten Gazastreifen. Sozialleistungen, Lohn- und Rentenzahlungen der Autonomiebehörde werden von EU-Geldern bestritten. Daneben zahlt die EU jedes Jahr fast 100 Millionen Euro an das UN-Programm für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA), wovon wiederum Lehrer, Ärzte und Sozialarbeiter – also eine ganze Infrastruktur für die Siedlungen der Palästinenser – bezahlt werden. Auch konkrete Projekte werden unterstützt: So soll ein Programm die Trinkwasserversorgung im Gazastreifen verbessern. Dennoch unterstütze man die Hamas weder direkt noch indirekt – so eine Kommissionssprecherin am Montag.

Passend zu Borrells Kommentaren begann gerade am Dienstagmorgen das 27. gemeinsame Treffen zwischen EU-Kommission und dem eher unbekannten Generalsekretariat des Golf-Kooperationsrats. Zum sogenannten Golfrat gehören auch Länder wie Katar und Kuwait, die in den letzten Tagen entweder nicht durch übermäßige Freundschaft mit Israel aufgefallen sind oder sogar die Anführer der Hamas bei sich beherbergen. Borrell glaubt, in diesem Forum etwas für die „Situation in Israel/Palästina“ tun zu können.

— Josep Borrell Fontelles (@JosepBorrellF) October 10, 2023

Derweil daheim: Baerbock hält an Lebensmittelhilfen für Gaza fest

Derweil sagte Außenministerin Baerbock auf ntv, es gebe keine Finanzierung von Terrorgruppen durch die Bundesregierung, das werde ohnehin ständig überprüft. Aber was ist mit der Lebensmittelhilfe für mehr als zwei Millionen Menschen, also der gesamten Bevölkerung von Gaza? Baerbock will sie aufrechterhalten, obwohl auch sie in diesem Krieg einem der Kombattanten einen Vorteil verschafft – jener Hamas, die sich zuvor mit tausenden Raketen und anderen Waffen und Gerät eindecken konnte, die für diesen Terror-Feldzug nötig waren.

Angeblich gibt es diese Nahrungsmittelhilfe und Gesundheitsversorgung durch das Auswärtige Amt nur für „akute Notsituationen“. Doch diese Notstituation scheint schon länger anzuhalten und zu stetigen Zahlungen aus dem Bundeshaushalt zu führen. Die Mittel für das laufende Jahr „seien bereits angewiesen“, so Baerbock in der Talksendung Beisenherz.

Nach Stand der Dinge ist nur das Entwicklungsministerium bereit, Zahlungen für dieses und nächstes Jahr (insgesamt 125 Millionen Euro) zu überprüfen. Überprüfen wie die EU vermutlich. Gar nichts gesagt ist damit über die indirekt weitergeleiteten Gelder, die über Parteistiftungen wie die Heinrich-Böll- und die Rosa-Luxemburg-Stiftung an die Palästinenser fließen.

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