Im Bücherschrank stapeln sich die opulent aufgemachten Kochbücher, doch auf dem Teller landet meist dasselbe. Über die beruhigende Kontinuität der Alltagsküche.
Von Georg Etscheit und aufgegessen.info
Es scheint paradox: Immer mehr Menschen gehen essen, die Restaurants sind voll trotz hoher Preise, die Bringdienste boomen. Dennoch erreichen Kochbücher hohe Auflagen und zählen zu den wichtigsten Umsatzbringern des Buchhandels. Rund 1740 neue Titel sind im Jahr 2018 laut Börsenverein des Deutschen Buchhandels erschienen – jüngere Zahlen gibt es nicht. Und das ist noch nicht einmal der Spitzenwert: 2016 wurden in Deutschland sogar annähernd 2000 Titel rund ums Essen und Trinken publiziert.
Ich selbst habe in meinem Bücherregal zwei große Abteilungen für alles Gastronomische reserviert, inklusive Wein. Und ständig kommt etwas hinzu, denn Kochbücher zählen bekanntermaßen zu den beliebtesten Geschenken. Wenn man nicht gerade einen umweltbewussten Veganer mit einem Folianten über die Fleischzubereitung nach der schwer angesagten, wegen des hohen Abfallaufkommens leider sehr unökologischen Sous vide-Methode beglücken möchte, kann man mit einem Kochbuch als attraktive Gabe zu festlichen Anlässen wenig falsch machen.
Schwer und anklagend im Regal
Ein paarmal wird man erfahrungsgemäß darin herumblättern, doch dann stehen sie schwer und anklagend im Regal. Denn zum Kochen benutze ich die oft recht voluminösen Schmöker- der „Goldene Plachuta“, ein Geschenk notabene, kommt auf gute zwei Kilogramm – eher selten. Eigentlich dienen mir die meisten Kochbücher, ich hoffe meine Leser mit diesem Geständnis nicht zu enttäuschen, nur als Recherchehilfe für meine Artikel und als Lektüre fürs stille Örtchen. Wenn sie dann noch auf Französisch geschrieben sind wie eines meiner Lieblingskochbücher „La vraie cuisine francaise“ von Michel Olivier, dem einstigen Chefkoch des berühmten „Grand Vefour“ in Paris, haben sie zudem noch einen hübschen Lerneffekt.
Und die Rezepte und frechen gastronomischen Reportagen von Wolfram Siebeck, dem unvergessenen „Fresspapst“, sind ja eigentlich Literatur. Siebecks völlig unprätentiös aufgemachtes Kochbuch „Alle meine Rezepte“ ist das einzige, von dem ich wirklich profitiert habe und immer wieder profitiere. Im Internet kann man es antiquarisch kaufen – für 50 Euro aufwärts. Trotzdem würde ich sagen, die Investition lohnt sich.
Schöne, verlockende Titel tragen meine Kochfibeln: „Das große Buch vom Käse“, „Das große Buch der Desserts“, „Die echte italienische Küche“, „Kaiserliche Mehlspeisen“, „Bayerische Hausmannskost“ oder „Bocuse – Die neue Küche“. Interessant ist es auch, in historischen Kochbüchern zu blättern, etwa in Alexandre Dumas 1873 erschienenem „Wörterbuch der Kochkunst“. Doch am Ende landet (fast) immer wieder das ewig Gleiche auf dem Esstisch, selbst wenn man Tiefkühl- und Fertigkost (Pizza!) konsequent meidet.
Es gibt wohl nichts Beständigeres als einen bürgerlich-häuslichen Speiseplan. Ich habe mich immer gefragt, woran das liegt und bin zu dem Schluss gekommen, dass im täglichen Leben zwischen Arbeitsplatz, Supermarkt, Hausarbeit und Hundespaziergang eben meist die Routine den Sieg am Herd davon trägt. Man macht das, was schnell und zuverlässig ein einigermaßen akzeptables Ergebnis liefert, eben was man „drauf“ hat, selbst wenn man überhaupt keine Lust verspürt, nach einem anstrengenden Arbeitstag noch einmal den Elektroherd anzuschmeißen. Und mittags für Kinder zu kochen, die im Grunde genommen nur Pommes, Schnitzel und Pizza essen, ist eine Aufgabe, um die ich meine selige Mutter auch posthum nicht beneide.
Ambitionierter und innovativer gekocht wird vielleicht am Wochenende, wobei man keinesfalls auf den Gedanken verfallen sollte, Gäste mit neuen Kreationen zu beglücken, denn die Wahrscheinlichkeit eines spektakulären Reinfalls ist nicht gering zu veranschlagen. Ich erinnere mich noch gut an einen Freund, der sich zum Silvesteressen erstmals an einer „Charlotte au citron“ versuchte, einem technisch höchst anspruchsvollen Rezept der französischen Grande cuisine. Das Ergebnis überzeugte zwar im Geschmack, der allerdings von einer durchaus gewöhnungsbedürftigen Konsistenz überlagert wurde – beim Stürzen floss der schöne Kuchen nach allen Seiten davon.
Jeder kennt und fürchtet die notorische Frage „Was kochen wir morgen“, die in den seltensten Fällen nach einem Blick in eines von fünfhundert Kochbüchern beantwortet wird. Man wird nach einem Stoßseufzer („Keine Ahnung“) etwas genervt einen Vorschlag in den Ring werfen, worauf die Replik „Ach, das hatten wir doch erst letzte Woche“ nicht lange auf sich warten lässt. Am Ende eines kurzen Brainstormings wird man sich salomonisch schließlich auf das einigen, was man vorletzte Woche schon hatte. Solcherlei Beständigkeit hat etwas Beruhigendes.
Wie philosophierte Helmut Fischer alias Monaco Franze über das Kantinenessen? „Das Essen in der Kantine ist mir am meisten abgegangen in meiner Ehe. Die Soß! Man kriegt jeden Tag was anderes, bloß die Soß bleibt alliweil dieselbe. Da ist eine unheimliche Kontinuität drin, das braucht der Mensch. Die Soß, die bindet, die pappt die Tage und die Wochen zusammen und kaum schaust Dich um, schon ist ein Jahr vorbei.“
Dieser Artikel wurde für Tichys Einblick von Aufgegessen.info geschrieben – dem Blog für freien Genuss.
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Was gibt’s heute zu Essen? Auf diese Frage antworte ich meistens mit: Überraschung!!! Es gibt nichts schlimmeres, als einen genauen Wochenmenüplan Klar, Spontanität setzt Voraus, dass immer genügend Vorräte vorhanden sind, aus denen sich auch die Lieblingsspeisen der Familie ( und meine) zaubern lassen. Ab und zu muss allerdings auch experimentiert werden, damit neue Kreationen in die Liste der Lieblingsspeisen aufgenommen werden können. Da sind Kochbücher als Ideengeber natürlich unerlässlich. Derzeit gilt für mich allerdings ein selbst auferlegtes Kaufverbot für Kochbücher, nachdem hauptsächlich meine etwas übertriebene Leidenschaft für gute Kochbücher für eine restlose Überfüllung unserer Bücherregale gesorgt hat. Der 2016… Mehr
Danke für die Erinnerung an mein Kochbuchregal. Mit 21, meinem ersten USA-Besuch, habe ich mir das ‚Old Pennsylvania Dutch Recipes‘ Kochbuch in einer Holzkladde gekauft, sehr originell, mit netten Zeichnungen und interessanten Rezepten wie ‚Schnitz un Knepp‘, ‚Speck und Bona‘, ‚Kassler Ripschen‘, usw. Das Buch ist ein Juwel, doch hineingeschaut habe ich heute das 5. oder 6. Mal in immerhin einigen Jahrzehnten. Gleiches gilt für DER BROCKHAUS – Kochkunst – Internationale Speisen, Zutaten, Küchentechnik und Zubereitungsarten. Ein Wälzer, von dem ich annahm, fortan endlich das Kochen beigebracht zu bekommen. Weit gefehlt. Soeben hatte ich es zum 2. Mal in der… Mehr
Bei Kochbücherlesen „auf dem Stillen Örtchen“ habe ich aufgehört zu lesen. Diesen Artikel. Dasselbst käme mir nicht in den Sinn.
Hausmannskost, lieber Autor, hat meist NICHT den Hintergrund, das zu kochen, was man drauf hat, sondern das, was der Kühlschrank gerade hergibt. Als Single-Haushalt kann das bisweilen sehr überschaubar sein – zu den immer vorhandenen Nudeln oder Reis finden sich ein paar Eier, ein paar Tomaten, ein bißchen Käse, Salami, Basilikum auf der Fensterbank und mit ein bißchen Glück zwei drei Kartoffeln im Keller. Daraus ergibt sich, je nach Wetter, Bratkartoffeln mit Ei und Salamistreifen, eine Caprese, Spaghetti Aglio e Olio oder mit Tomatenpampe, evtl. Carbonara, Reis mit Pilzen aus dem Glas und Parmesan oder einfach Brot mit Wurst, Kase… Mehr
Ein Kochbuch darf in keiner deutschen Küche fehlen: „Das elektrische Kochbuch“ bzw. „Das blaue Kochbuch“. Haben bereits meine Eltern gehabt und haben wir jedem unserer Kinder zum Auszug geschenkt. Da ist nur bewährtes drin und die Rezepte funktionieren.