Die Geschichte der Weißen Rose ist mit der Ermordung der Geschwister Scholl nicht zu Ende. Inge Scholl versuchte den Missbrauch des Namens durch die Freie Deutsche Jugend der DDR zu verhindern. Sie verabscheute die SED-Diktatur genauso wie die der Nazis.

Diktaturen beginnen in Deutschland stets legal, niemals durch einen Staatsstreich wie häufig in anderen Ländern – durch ein Ermächtigungsgesetz wie 1933 oder durch die Veränderung der Wahlgesetze wie 1950 in der DDR. Alles muss seine Ordnung haben, selbst die Unordnung.
Ein Blick auf die Geschichte der Weißen Rose, auf die Geschichte von Sophie und Hans Scholl, von Alexander Schmorell und Christoph Probst, von Willi Graf und Kurt Huber, die vor 80 Jahren hingerichtet wurden, weil sie gegen die nationalsozialistische Diktatur Widerstand geleistet hatten, verdeutlicht den tieferen Sinn des zu Recht berühmten Diktums des Staatsrechtlers Ernst-Wolfgang Böckenförde: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist.“
Dem so notwendigen Wagnis der Freiheit steht die totalitäre Verführung entgegen. Gegen den totalen Staat gewendet hieß es im „III. Flugblatt der Weißen Rose“: „Jeder Einzelne hat einen Anspruch auf einen brauchbaren und gerechten Staat, der die Freiheit des Einzelnen als auch das Wohl der Gesamtheit sichert. Denn der Mensch soll nach Gottes Willen frei und unabhängig im Zusammenleben und Zusammenwirken der staatlichen Gemeinschaft sein natürliches Ziel, sein irdisches Glück, in Selbstständigkeit und Selbsttätigkeit zu erreichen suchen.“
In einem Elternhaus aufgewachsen, in dem die Ideale der Freiheit, des Pazifismus und des selbstständigen, kritischen Denkens, aber auch der christlichen Ethik vermittelt wurden und in dem die Eltern konsequent Hitler als größte Gefahr für Deutschland ablehnten, gelang es der nationalsozialistischen Propaganda 1933 dennoch, Sophie, Inge, Hans und Werner in den Bann des Nationalsozialismus zu ziehen. Hans lieferte sich mit dem Vater Auseinandersetzungen, die sich zu familiären Dramen auswuchsen. Vater und die Mutter sahen hilflos mit an, wie die NS-Ideologie ihre Kinder vereinnahmte, wie sie ihnen ihre Kinder entfremdete, wie der Rattenfänger aus Braunau die Kinder holte.
Die Hinwendung der Scholl-Kinder zum Nationalsozialismus fußte auf einem Bündel von Ursachen. Sophie war, als Hitler an die Macht kam zwölf, Hans 15 Jahre alt. Sie mussten sich selbst finden, und so lag in der Opposition zum Vater, vor allem für Hans, ein Adoleszenzkonflikt. Zudem vermochten sich die Nationalsozialisten als Bewegung – im Gegensatz zu den Parteien der „Honoratiorenrepublik“, denen sie die Schuld an Wirtschaftskrise, Elend und nationaler Erniedrigung gaben – zu inszenieren und dabei immer wieder zu betonen, dass sie eben auch eine Jugendbewegung seien.
Kaperung der Jugendbewegungen
Der Erfolg der Hitlerjugend (HJ) ab 1933 beruhte auch darauf, dass sie der bündischen Jugend erfolgreich vorzugaukeln vermochte, die großen Ideale der Bündischen – Freiheit, Gemeinschaft, Naturerlebnis, Opferbereitschaft für höhere Ziele und ethische Selbstvervollkommnung – fänden in der HJ eine Heimstatt. Ob nun die Deutsche Freischar, die dj. 1.11. (Deutsche Jungenschaft vom 1. November 1929) oder christliche Jugendbünde, sie alle traten in ganzen Gruppen zur HJ über.
Hans und Sophie Scholl bemerkten jedoch bald, wie groß das Missverständnis war. Denn im Gegensatz zur dj. 1.11. ging es in der HJ nicht um den Einzelnen, um die Bildung einer freien, ethisch hochstehenden, selbstständig denkenden Persönlichkeit, die sich in der Gemeinschaft Gleichgesinnter bildete, sondern um das pure Gegenteil, um die Unter- und Einordnung des Einzelnen in ein Kollektiv. Es ging nicht um kritisches und selbstständiges Denken, sondern um den fanatischen Glauben an den Führer, um das blinde Vertrauen in dessen Entscheidungen.
Sophie Scholl sagte 1943 im Verhör durch die Gestapo aus: „Die Gründe meiner weltanschaulichen Entfremdung vom BDM und damit von der NSDAP […] liegen in erster Linie darin begründet, dass meine Schwester Inge, meine Brüder Hans und Werner […] wegen sog. bündischer Umtriebe von Beamten der Geheimen Staatspolizei verhaftet und einige Tage bzw. Wochen in Haft gehalten wurden. Ich bin heute noch der Auffassung, dass das Vorgehen sowohl gegen uns als auch anderer Kinder aus Ulm vollkommen ungerechtfertigt war. […] Als weiteren und schließlich als hauptsächlichen Grund für meine Abneigung gegen die Bewegung möchte ich anführen, dass nach meiner Auffassung die geistige Freiheit des Menschen in einer Weise eingeschränkt wird, die meinem inneren Wesen widerspricht. Zusammenfassend möchte ich die Erklärung abgeben, dass ich für meine Person mit dem Nationalsozialismus nichts zu tun haben will.“
Immer geht es um die Freiheit
Sophie Scholl hatte sich wie ihre Gefährten für das Wagnis der Freiheit entschieden, selbst auf die Gefahr, für dieses Wagnis das Leben hinzugeben. Und es war wohl Galgenhumor, als sie zu ihrer Schwester Inge und Traute Lafrenz in einem Münchner Ausflugslokal sagte: „Wenn wir dies einmal unseren Enkelkindern erzählen, werden sie uns antworten: ‚Oma, schneid net auf.‘ Aber unsere Kinder werden sich vielleicht untereinander rühmen: Ätsch, mein Vater war im Konzentrationslager, eine Mutter hat im Gefängnis gesessen.“
Ruhig und gefasst noch am Tage des Prozesses, ging Sophie Scholl am 22. Februar 1943 zur Hinrichtung. Sie bat noch den Pfarrer, letzte Grüße an den Bruder auszurichten. Um 17 Uhr starb sie unter dem Fallbeil, zwei Minuten später Hans Scholl, danach Christoph Probst. Bevor das Fallbeil fiel, rief Hans Scholl noch: „Es lebe die Freiheit!“ Das war auch das Wort, das Sophie auf die Rückseite der Anklageschrift fast wie einen Kommentar oder ein Resümee geschrieben hatte: „Freiheit“. Denn darum ging es, darum geht es immer – um das Wagnis der Freiheit.
Sie hatte zu dieser Bemerkung auch allen Grund. Der Leipziger Theologiestudent Werner Ihmels notierte im September 1945 in seinem Tagebuch: „Wir erleben heute in sechs Monaten die gleiche Entwicklung wie in den letzten zwölf Jahren. Stehen wir dann vor dem gleichen Ergebnis? – Die ersten Verhaftungen sind auch schon da.“ Werner Ihmels hatte sich für eine „christliche Jugend unter Christus“, für die Freiheit und die Demokratie eingesetzt. Er wurde am 11. September 1947 verhaftet und ins „Gelbe Elend“ nach Bautzen verschleppt, wo er nach einem fehlgeschlagenen ärztlichen Eingriff am 25. Juni 1949 an Lungentuberkulose starb.
„Es muss demokratisch aussehen“
Ihmels war kein Einzelfall. Der 21-jährige Gerhard Schulz vertraute am 18. November 1945 seinem Tagebuch an: „Je öfter ich in unsere heutigen Zeitungen schaue, desto verlogener und falscher erscheinen mir die kommunistischen Parolen und Phrasen vom Nationalbewusstsein, Zusammengehörigkeitsgefühl des deutschen Volkes, von der Betonung des Eigentumsprinzips und der Ablehnung des bolschewistischen Kollektivgedankens. Die Kommunisten tarnen sich.“ Schulz fügte bitter hinzu, dass man die wahren Absichten der Kommunisten nur aus „gelegentlichen Entgleisungen“ erfahre. Ulbrichts Weg zum Sozialismus, zur Diktatur lässt sich in seinem von Wolfgang Leonhard überlieferten Diktum zusammenfassen: „Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.“
Als Inge Scholl ihren Brief verfasste, waren in Leipzig neun Studenten und ein Tischlergeselle verhaftet worden, weil sie „verbotene“ Literatur wie beispielsweise Orwells „1984“ als Tarndruck gelesen hatten und sich betrogen fühlten, betrogen um freie Wahlen, betrogen um die Freiheit.
Inge Scholl schrieb weiter: „Meine Geschwister waren Christen von einer tiefen, unerschütterlichen Überzeugung, dies wäre jedoch kein Grund, dass sich Andersdenkende ihnen verbunden fühlen könnten. Denn meine Geschwister waren sich bewusst, dass eine große Zahl von Überzeugungen und Meinungen in der heutigen Welt existieren und dass es uns auferlegt ist, in dieser Verschiedenheit zu leben, sie zu ertragen und zu achten. Sie waren Andersdenkenden gegenüber aufgeschlossen, suchten leidenschaftlich nach gemeinsamen Ansatzpunkten und achteten jede ehrliche und echte Überzeugung. Sie hatten in der tödlichen Gleichschaltung des Dritten Reiches eines begreifen gelernt, nämlich dass eine tiefe, wirkliche Toleranz allein das Leben in dieser Vielfalt von Meinungen möglich macht […] Nur gegen etwas kannten sie keine Toleranz, gegen jede Art von totalitärem Regime, welcher Farbe, welcher Nation und welchen Programms es sich immer bediente. Sie sahen in der Diktatur einen Feind des Lebens und die Bedrohung jeder lebendigen Entwicklung, Sie misstrauten tief jeder Weltanschauung und jedem Staat, der um scheinbar höherer, gemeinschaftlicher Ziele willen auch nur ein Menschenleben bewusst zerstört.“
Freiheit wird zur Gefahr erklärt
Diktaturen, die auf totalitären Ideologien und Utopien beruhen, beginnen immer damit, dass wegen vermeintlich höherer Ziele die Freiheit eingeschränkt wird. Sie beginnen immer damit, dass sie Vertrauen einfordern und jeden Widerspruch als „umstritten“ zu diskreditieren versuchen. Sie beginnen immer damit, dass sie den politischen Gegner zum politischen Feind erklären, der mit allen Mitteln zum Schweigen gebracht werden muss. Sie beginnen immer mit Ermächtigungsgesetzen aller Art und vor allem mit der Selbstermächtigung.
Diktaturen beginnen immer damit, dass sie das Wagnis der Freiheit zur Gefahr erklären. Eine neue Diktatur muss nicht zwangsläufig rot oder braun sein, sie ist auch unter allen anderen Farben möglich.
Klaus-Rüdiger Mai, Ich würde Hitler erschießen. Sophie Scholls Weg in den Widerstand. Bonifatius Verlag, Klappenbroschur, 192 Seiten, 18,00 €.
Sie müssenangemeldet sein um einen Kommentar oder eine Antwort schreiben zu können
Bitte loggen Sie sich ein
Erst wenn wir es irgendwann und irgendwie schaffen, uns von diesem unsäglichen Parteienkartell zu befreien, wird Deutschland eine Chance auf Freiheit bekommen. Unsere „Demokraten“ sind nicht die Hüter unserer Freiheit oder des Grundgesetzes, sondern heute deren größte Feinde. Jenen geht es nur noch um Erhalt und Ausweitung ihrer Privilegien und natürlich um die möglichst breite Versorgung der Parteistrukturen inklusive möglichst vieler Helfer aus der Staatskasse. Stiftungen, NGOs, Vereine, Bewegungen, Vorfeldorganisationen, bis zu Medien, Gewerkschaften, Verbände, Kirchen, Wohlfahrtsstrukturen und großen Teilen des Gesundheitswesens inklusive zahlloser Pflegeeinrichtungen sind „Staat“ geworden, werden von diesem direkt oder indirekt finanziert, was zu einem ca 50%… Mehr
Der „Totalstaat“ wird allerdings von der Mehrheit toleriert. Ich wage daher mal die Frage, welchen Job eigentlich die hier Kommentierenden alle so ausfüllen. Von denen, die also wirklich wertschöpfend arbeiten, gibt es nur noch sehr wenige. Ich schätze, dass das sehr viel weniger als zehn Prozent sind. Alle anderen verstecken sich lediglich dahinter, doch Steuern und Abgaben zahlen zu müssen, um das den Grünen in die Schuhe schieben zu können. Aber es sind eben ALLE Parteien, denen wir dieses dekadente Verhalten zu verdanken haben. Alles geht, keiner will! Bestes Beispiel: Homeoffice. Wie gross war und ist das Gekreische, nebst anschliessender… Mehr
Ich kann all Ihren Anmerkungen zustimmen. Der Trend, weg von der Produktion (egal ob Landwirtschaft, Montan, Industrie, Gewerbe, Handwerk etc) und hinein in die sog Dienstleistungsgesellschaft läuft seit vielen Jahren und ist ein zentrales Element der sog „Globalisierung“. Die händische Arbeit sollte dort erledigt werden, wo Handarbeit aka Produktion billiger ist als daheim. Insbesondere Fernost hat davon lange profitiert, unsere Arbeiter, Handwerker etc. nicht gerade. Allerdings waren sich ganze Generationen darüber einig, dass das genauso gut ist, weil viele Jobs anstrengend, schmutzig, gefährlich, mühsam etc und für das Genießen der späteren Rente nicht gerade förderlich sind. All diese Risiken oder… Mehr
Vielen Dank! Es war sehr nett, sich mit Ihnen zu unterhalten.
Besonders hat mir gefallen, dass Sie meinen „Provokationen“ sehr sachlich begegnet sind.
Das gibt es hier nicht sehr oft.
Eine neue Diktatur muss nicht zwangsläufig rot oder braun sein, sie ist auch unter allen anderen Farben möglich…
So wie es sich gerade anfühlt, denke ich nur an eine einzige Farbe!
Und die ist nicht schwarz, oder blau, sondern giftgrün!
Schön gesagt. Denn das Schauspiel der viel gepriesenen Demokratie ist genau dazu da, solche Gefühle zu erzeugen.
Im Kasperletheater werden beim Publikum auch Gefühle erzeugt.
Umgewandelt in Emotionen entsteht Dabei auch viel Geschrei.
Der Kasper wird vom erschrockenen Publikum gewarnt vor Krokodil und Räuber.
Auf die Puppenspielertruppe achtet das Publikum nicht.
Damals wie heute.
Man lese diesen letzten Absatz dieses Artikels gründlich, gern auch mehrmals. Vergleiche der Leser dann bitte mit dem realen medialen und politischem Umfeld. Noch Fragen?