Israel und der Westen: Warum unser Schicksal untrennbar verwoben ist

Vergleicht man Israel mit anderen Nationen, dann rechtfertigt nichts in Geschichte und Gegenwart des Volkes Israel, des Staates Israel oder des Judentums den irrationalen Hass, der sich gegen Juden und Israel richtet. Giuseppe Gracia begibt sich auf Spurensuche nach der Ursache für diesen Hass.

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Am 7. Oktober 2023 geriet Israel in die Schlagzeilen, wie schon lange nicht mehr. Atemlos verfolgte die Weltöffentlichkeit nahezu in Echtzeit über Instagram und Twitter, wie Terroristen der Hamas die Grenzanlagen zwischen dem Gazastreifen und Israel überrannten, in grenznahe Kibbuzim eindrangen und deren Bewohner massakrierten, wie sie mit Paraglidern auf israelisches Gebiet vordrangen und die Teilnehmer eines Festivals abschlachteten. Hunderte ihrer Opfer verschleppten sie in den Gazastreifen, wo immer noch an die 100 Geiseln festgehalten werden – wie viele der Entführten noch leben, ist nicht bekannt.

Das größte Massaker an Juden seit dem Holocaust – verübt ausgerechnet in dem Land, dessen Anspruch und Aufgabe es ist, sicherer Zufluchtsort für Juden aus der ganzen Welt zu sein.

Noch nie wurde ein Anschlag auf Juden derart medial dokumentiert wie dieser: Bodycams der Terroristen hielten fest, wie sie Menschen erschossen, Granaten in Schutzräume warfen oder Häuser anzündeten. Einige Terroristen nahmen ihre Verbrechen mit den Smartphones der Opfer auf, um deren Angehörige und Freunde zu quälen.

Bereits seit Jahren wurde immer wieder Kritik geäußert an der Berichterstattung über den Nahostkonflikt: Häufig würde Kontext verzerrt, würde die Wortwahl die israelische Seite in unangemessener Weise als Aggressor darstellen.

Hier nun schien ein solches Framing unmöglich: Wer immer wollte, konnte grauenvolles Videomaterial sichten und sich von der Grausamkeit und Barbarei der Terroristen ein sehr genaues Bild machen. Niemals würde hier eine Täter-Opfer-Umkehr, wie sie in Sachen Israel oft betrieben wird, erfolgen können.

Eine Überzeugung, die sich bereits wenige Stunden nach dem Anschlag als Irrglaube herausstellen sollte: Bis heute hat der 7. Oktober zwar Solidarität mit Israel nach sich gezogen. Viel intensiver aber ist der antisemitische Reflex, der seitdem verstärkt wütet.

Die Sicherheit von Juden hat sich seither eklatant verschlechtert, Attacken und Angriffe auf jüdische Menschen und Institutionen haben signifikant zugenommen, weltweit strömen Menschen auf die Straßen, um offen oder durch Parolen verklausuliert die Auslöschung des Staates Israel zu fordern.

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Und es ist nicht der altbekannte rechtsextremistische Judenhass, der sich hier über die Opfer des Terror-Angriffs der Hamas ergießt. Es sind die linken und woken Flaggen schmücken und die Opfer des Massakers des Genozids bezichtigen. Gründlicher – und perverser – kann eine Täter-Opfer-Umkehr nicht vollzogen werden.

In diese Situation hinein wagt Giuseppe Gracia mit seinem neuesten Werk einen dringend notwendigen Zwischenruf. Kurz und bündig legt der Publizist und Schriftsteller auf gerade einmal gut hundert Seiten dar, warum der Antisemitismus, den sich insbesondere westliche „Eliten“ heute leisten, nicht nur gegen Juden gerichtet ist, sondern letztlich ein selbstmörderisches Unterfangen eben jenes Westens ist, aus dessen Reihen Israel besonders infam attackiert wird.

„Wenn Israel fällt, fällt auch der Westen – warum der Antisemitismus uns alle bedroht“, nennt Gracia diese Abhandlung. Ein durchaus riskanter Titel: Ist das nicht womöglich eine Generalisierung, die auf wiederum neue Weise Juden abspricht, die wahren und eigentlichen Opfer des Antisemitismus zu sein? Keinesfalls. Gracia legt eine kurze Chronik des Judenhasses vor und lässt an keiner Stelle Zweifel daran aufkommen, auf wen der Hass zielt, der Israel trifft. Aber zugleich spricht er aus, was viel zu lange unbeachtet blieb: Dass Israel von denen, die es hassen, namentlich von Islamisten, Rechts- und Linksextremen, auch als Stellvertreter betrachtet wird: Als Stellvertreter der USA, oder ganz allgemein „des Westens“, dessen kulturelle Grundlage das Judentum entscheidend mitgeprägt hat, und aus dessen Selbstverständnis Israel wiederum weit mehr schöpft als aus einer „orientalischen“ Selbstidentifikation.

Gracia stellt fest, dass dementsprechend Juden die ersten Opfer eines Hasses sind, der den Westen zerstören und die ganze Welt verschlingen will: Auch der internationale islamistische Terrorismus zieht aus dem Judenhass Energie, nutzt die Situation der Palästinenser als eine nicht versiegende Quelle, um die eigenen Verbrechen als gerechten Krieg darzustellen, und um in der linken Intelligenzija Verbündete zu finden, die Verständnis aufbringen wollen für den vermeintlichen Freiheitskampf der Muslime und Araber, der sich gegen Unterdrückung durch den als kolonial, rassistisch, kapitalistisch, materialistisch, dekadent abgelehnten Westen richte.

Doch Gracia bleibt nicht bei einer politischen oder gesellschaftlichen Analyse stehen. Auch religionsphilosophische Fehlschlüsse spießt Gracia als ursächlich für die Haltung gegenüber Juden auf: Er erläutert die Herkunft des im Westen vorherrschenden Tenors, dem gemäß monotheistische Religion Auslöser für Gewalt sei. Damit wird die älteste der drei monotheistischen Weltreligionen zum Erzschuldigen, der Krieg und Intoleranz in die Welt getragen habe.

Und Gracia geht weiter: Er analysiert das, was man gern als „religiös unmusikalisch“ bezeichnet, und bescheinigt der westlichen Welt in großen Teilen ein grundsätzliches Unverständnis dafür, dass Religion zu den Grundlagen der Zivilisation gehört.

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Obschon kein Theologe, wagt Gracia, eine tieferliegende theologische, oder vielmehr geistliche Komponente anzunehmen: Am Grunde des unerklärlichen Hasses auf das kleine Land zwischen Mittelmeer und Jordan sieht der Autor den Hass auf Gott. Er stellt unter Verweis auf Benedikt XVI. dar, dass das Volk Israel gehasst wird, weil es sich bis heute konstituiert durch die direkte Berufung durch Gott. Es ist indirektes Zeichen für seine Existenz. Wer also diesen Gott aus dem Bewusstsein tilgen will, muss Israel vernichten wollen, allein, um sich dieses anstößigen Zeichens für Gottes Gegenwart zu entledigen.

Gracia denkt diesen Gedanken bis zum Ende und beschreibt Judenhass letztlich als Analogie des Sündenfalls: Israel bezeugt, dass Gott der Schöpfer und Gesetzgeber ist, nicht der Mensch. Der Mensch will sich sein Gesetz aber selbst geben und sich selbst schaffen: „Das ist ein Ärgernis für alle anderen Religionen. Und es ist ein Ärgernis für atheistische und technologiegläubige Gruppen, die sich dagegen verwahren, das Leben als etwas zu sehen, das sich einem Gott verdankt (…). Ein Ärgernis für alle, die selber im Chefsessel der Existenz sitzen wollen. (…) Man will vergessen und verdrängen, dass kein Mensch über seine Geburt, über das Geschenk von Liebe und Freiheit, über sein biologisches Geschlecht oder über den Sinn des Lebens verfügt.“

Gracia bekennt, dass der Judenhass, bei aller intellektuellen Durchdringung, ein „irrationaler Abgrund“ bleibt. Wer nur nach materialistisch-sachlich-empirischen Ursachen sucht, wird nichts finden, was die Intensität dieses Hasses rechtfertigt. Seine These bietet eine rationale Erklärung. Zudem schließt das spirituelle Problem, das er beschreibt, wiederum den Kreis zur (Selbst)zerstörung des Westens: Schließlich wird mit dem Judentum nicht nur das Gottesbild abgelehnt, sondern auch das Weltbild, das die freiheitlichen Gesellschaften des Westens erst ermöglicht hat.
Während Gracia den Judenhass durch die Jahrtausende, angefangen in der vorchristlichen heidnischen Welt, grob skizziert, ist ein besonderer Verdienst des Buches in aller Deutlichkeit zu benennen, in welchen Formen sich Antisemitismus heute in Israelkritik kleidet: Heuchelei, das Messen mit zweierlei Maß, überzogene Kritik seitens der Vereinten Nationen, unangemessene Schuldzuweisungen und das tendenziöse Unterschlagen von Fakten.

Auch irreführende Sprachregelungen, die bereits so tief verankert sind, dass sogar Freunde des Staates Israel sie kaum je anfechten, hinterfragt und korrigiert Gracia: Was hat es auf sich mit den „besetzten“ Gebieten? Wer war dort wann und wie lange Machthaber, und was ist eigentlich mit den „illegalen Siedlungen“, die so oft vereinfachend und dämonisierend herangezogen werden, um Israel als den eigentlichen Aggressor und als Hauptverantwortlichen für den Konflikt darzustellen.

Und schließlich wird auch jene Form von Antisemitismus erörtert, die sich nicht in aktiv negativen Zuschreibungen äußert: „Antiisraelismus und Judenhass werden in diesem Kontext [d.h. von Politikern und Medienschaffenden befördert, Anm. d. Verf.] weniger dadurch geschürt, dass man etwas Falsches sagt, als vielmehr dadurch, dass wichtige Aspekte ausgeblendet werden. Wer den Eindruck erweckt, Israel habe nicht nur die moralische Pflicht, sondern auch die realpolitische Macht, mit Terroristen zu verhandeln und ihren Hass auf das Judentum zu beenden, der fördert Antisemitismus, indem (…) er so tut, als wären die Hamas und der Islamismus grundsätzlich an einer friedlichen Koexistenz mit den Juden interessiert. Das ist eine Illusion.“ Ein grundlegendes Problem, das selten erfasst wird, da unhinterfragt die Prämisse gilt, beide Seiten wollten Frieden. Diese wird auch rechts und links von einem elitenfeindlichen Misstrauen getragen: Es sind doch immer „die da oben“ (und damit dann letztlich die USA und das „mächtige“ Israel), die Unfrieden säen, die einfache Bevölkerung ist doch friedliebend und unschuldig.

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Bei aller Sachlichkeit scheint die Fassungslosigkeit des Autors durch, wie angesichts all der hier zusammengetragenen Belege für das Leid des jüdischen Volkes, für die ungerechte Verurteilung und die von Neid und Missgunst begleitete Erfolgsgeschichte Israels, das der unfruchtbaren Wüste eine vitale, plurale, moderne Gesellschaft abgerungen hat, der Hass gegen Juden derart überschäumen kann, und wie er de facto in jedem weltanschaulichen Milieu Wurzeln zu schlagen vermag.

Während der erste Teil des Buches der Erörterung der Hauptthese gewidmet ist, werden im zweiten Teil unter „Fakten und Hintergründe“ Aspekte zu Israel, schlaglichtartig und in stichpunktartiger Kürze erläutert. In einer Art „Glossar“ des Antisemitismus, wie er sich gegen Israel richtet werden wir über teils überraschende Sachverhalte informiert, etwa, dass auch der Weltkirchenrat eine tendenziöse negative Haltung gegenüber Israel einnimmt und propagiert; die Rolle von NGOs wird kurz thematisiert, aber auch die Genese und Entwicklung der Begriffe „Palästina“ und „Palästinenser“.

Hier zeigt sich die, wenn man es so bezeichnen möchte, „Schwäche“ des Buches: Es versammelt überaus viele interessante und wichtige Aspekte auf engem, zu engem Raum, und man wünscht sich eigentlich nur, dass es länger wäre: Auch dreihundert oder fünfhundert Seiten würde man sich in dieser Prägnanz gern zu Gemüte führen. Allein, die Kürze ist zum einen Ausweis der Uneitelkeit des Autors: Hier schreibt jemand, der nicht bloß gern sich selbst reden hört, sondern der Inhalte vermitteln will. Zum anderen ist der von Gracia gewählte, fragmentarische Stil hat auch einen weiteren großen Vorteil: Die Argumente sind knapp und gut zusammengefasst, lassen sich schnell verinnerlichen und leicht wiedergeben. In einer Zeit, in der kaum jemand Muße oder auch nur die Offenheit besitzt, die Begründung für eine anderslautende Meinung entgegenzunehmen, hat Gracias Buch das Potenzial, in der Verteidigung seiner Position von tatsächlich praktischem Wert zu sein, und nicht nur den Leser zu informieren, sondern über den nun gut informierten Leser auch jene zu erreichen, die unwirsch mit „Aber man wird Israel ja wohl noch kritisieren dürfen!“ abwinken.

„Wenn Israel fällt, fällt auch der Westen“ ist ein idealer Einstieg in die Komplexe Problematik. Der Autor fügt eine Quellensammlung bei, die es dem Leser ermöglicht, die Themen, die ihn besonders interessieren, an anderer Stelle zu vertiefen.

„Man muss versuchen, die Dinge beim Namen zu nennen und Stellung zu beziehen, auch wenn der Abgrund bleibt“, sagt Giuseppe Gracia in der Vorbemerkung zu seinem Buch. Er tut genau das: Er nennt beim Namen, ohne Umschweife. Und er bezieht Position, engagiert aber sachlich. Gegen den Hass auf ein Volk, das seit Jahrtausenden Verfolgung erleidet; dessen Hoffnung auf eine sichere Heimstatt am 7. Oktober 2023 aufs Grausamste angegriffen wurde, und das sich trotz allem immer wieder behauptet und seinen Lebenswillen nicht verliert.

Giuseppe Gracia, Wenn Israel fällt, fällt auch der Westen. Warum der Judenhass uns alle bedroht. Fontis Verlag, Hardcover, 120 Seiten, 14,90 €.


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Kommentare ( 5 )

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Nibelung
18 Tage her

Wenn wir hierzulande untergehen im islamischen Morast, dann erübrigt sich das Thema von allein und eine ihrer Vertreterinnen namens Chebli hat es ja ganz bewußt im überzogenen Eifer angekündigt und deshalb können wir dem eigenen Untergang entgegen sehen, was nur noch eine Frage der Zeit ist und sich dann manches von allein regelt, was auch gegen die Juden spricht und das alles nur noch über eine neue Reconquista, ausgehend von den USA geregelt werden kann oder es ist um uns geschehen.

Werner hold
19 Tage her

Israel und der Westen ? Hier muss doch erst mal geklärt werden , wer, oder was ist der Westen. Der Westen von heute , ist eine dekadentes , multikulti Konstruckt. Israel betrachtet den Westen nur so weit als Partner , wie er als erfüllungsgehilfe dient. Die Rechtsnationalen werden sich durch setzen, schon die Demographie spricht dafür. Gaza und Palestinänser , das war einmal. Das „Eretz Israel“ ist das Gebot der Stunde. Der Westen hat sich zu fügen und wird bedeutungslos. Wenn die Juden in Israel eins sind, dann sind sie ehrlich. Von der Zweistaatenlösung , redet dort kein Mensch mehr… Mehr

amendewirdallesgut
19 Tage her

Hochkulturen wecken immer Neid , Mißgunst und Begehrlichkeiten , diese zu bewahren und gegen innere und äußere Gegner dauerhaft zu verteidigen war zu allen Zeiten eine der schwersten Übungen . Noch schwerer gestaltet sich Wehrhaftigkeit in einem freiheitlich demokratischen System mit offenen Flanken hin zu allen Seiten .

Alleswasrechtist
19 Tage her

In meiner Perspektive gab es gewissermaßen eine Verselbständigung. Für „einfache“ (nicht radikalisierte) Palästinenser lohnte sich das Nebeneinander mit Israel schon länger, man konnte z.B. Grenzgänger zu gut bezahlten Jobs sein. Aber für die Herrschenden zahlte sich die Pflege des Feindbilds, gelegentliche Eskalationen etc. doppelt und dreifach aus, der Westen pumpt Kohle nach Gaza, der Iran schickt Waffen & Kohle, keiner kontrolliert was damit gemacht wird, so „billig“ wie mit Feindbildpflege die noch dazu mit Kolonialbezügen eingängig zu begründen und zu erahlten war sowie ein paar Eskalationen kam man weder an Macht bzw. sicherte deren Erhalt noch an die ganze Kohle… Mehr

MaxVanMoritz
19 Tage her

Irrationaler Hass ist Antisemitismus.
Rationaler Hass, wird als Antisemitisch codiert.
Rationale Ablehnung von religiösen Werten, die politisch benutzt werden, ist einfach nur Ablehnung.
Wenn es einen guten Völkermord gibt und einen bösen Völkermord, dann gibt es gar keinen Völkermord!