Als Franz Josef Strauß vor Rot-Rot-Grün warnte

Ein Meisterwerk der politischen Rhetorik! Franz Josef Strauß hielt 1986 eine seiner besten Reden über eine „Alternative“, die keine sein sollte, und warnte prophetisch „vor zwei Roten und einem Grünen“ als „Faschingskommandanten“ auf dem „Narrenschiff Utopia“.

Mondadori via Getty Images
Franz Josef Strauß (1915-88)

Laut jüngsten Umfragen hätte eine rot-(dunkel)rot-grüne Koalition vermutlich eine knappe Regierungsmehrheit, wenn jetzt ein neuer Bundestag gewählt würde. Im Gegensatz zu aktuellen Spitzenpolitikern der Unionsparteien, die womöglich noch gar nicht richtig realisiert haben, dass möglicherweise die nächste Bundesregierung auch ohne sie gebildet werden könnte, oder es vielleicht ja auch gar nicht so schrecklich schlimm finden (schließlich stimmt ihnen ja Armin Laschet zu: „Der Feind steht rechts“), hat eine großen Politikerpersönlichkeit der Unionsparteien diese Aussicht schon vor 34 Jahren als das erkannt, was unbedingt verhindert werden müsse.

Es war einer der letzten großen Reden des 1988 verstorbenen CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß: Jene vom 7. Oktober 1986 auf dem Parteitag der Schwester CDU, in der Strauß nicht nur seine Qualität als politischer Wahlkämpfer offenbarte (Hinweis für Söder und Seehofer: Am 12. Oktober 1986 haben 55,78 Prozent der bayrischen Wähler die CSU gewählt), sondern nebenbei auch mit seinem polemischen Sprachbild vom „prunkgeschmückten Narrenschiff Utopia …, in dem dann ein Grüner und zwei Rote die Rolle der Faschingskommandanten“ hätten, sozusagen die Aussicht auf eine rot-rot-grüne Koalition vorwegnahm. Damals war „Alternative“ noch nicht der Name einer neuen Partei rechts der CDU, sondern stand in den Reden von Unionspolitikern für die Programme der SPD und der Grünen, die man um jeden Preis verhindern wollte. Vieles, was Strauß damals als „keine echte, verantwortlich diskutierbare Alternative“ sah, ist 24 Jahre später Programm einer CDU-geführten Bundesregierung, die mit jenen, vor denen Strauß warnte, entweder schon regieren oder bald regieren wollen – wenn die nicht sowieso bald ihre eigene Mehrheit haben.

Grenzöffnung wird herbeigesendet
Deutschland torkelt nach links - geschoben von Kirchen und Medien
Wir dokumentieren im Folgenden Teile der berühmten Rede, vor allem aus der zweiten Hälfte. Strauß steigt mit der Darstellung der Leistungen seiner bayrischen Landesregierung ein und kommt dann zum bundespolitischen Teil seiner Rede. Es ist nicht zuletzt ein Glanzstück der Polemik gegen die SPD und die Grünen — und der Höhepunkt kommt am Ende:

„Die Zustimmung der Mehrheit im Lande zu unserer Politik ist deutlich spürbar. Ich habe sie noch nie so deutlich gespürt wie gerade in den letzten Monaten und Wochen. Das hängt allerdings nicht nur optisch, sondern auch sachlich mit der Alternative zusammen —

(Heiterkeit)

ich meine, mit der Alternative in Gestalt eines Ministerpräsidenten von Nordrhein- Westfalen, in Gestalt eines — „Herausforderer“ ist eigentlich ein etwas kühner Ausdruck — eines Spitzenkandidaten der SPD. Es gibt zu unserer Politik in Bayern keine echte, verantwortlich diskutierbare Alternative. Das haben wir gemeinsam mit der Bundespolitik.

(Heiterkeit und Beifall)

es gibt zur Politik der CSU in Bayern wie zur Politik der CDU/CSU auf Bundesebene keine echte Alternative. Unter „Alternative“ verstehe ich eine diskutable und, auch wenn man über sie enttäuscht ist, immerhin noch verantwortliche Lösung, eine Lösung, die irgendwo im Bereich des Spektrums der Mitte ist.

Wenn wir die Position der Mitte mit demokratisch rechts besetzen, dann hat es einmal eine SPD gegeben, die die Mitte demokratisch links besetzt hat. Aber die Koalition mit den GRÜNEN, dieser rot-grüne Faschingszug,

(Heiterkeit)

der uns heute in Hessen dauernd begegnet, das ist doch keine denkbare Alternative; das wäre die Preisgabe der Grundwerte einer repräsentativen Demokratie.

(Lebhafter Beifall)

Es wäre die Preisgabe der rechtsstaatlichen Ordnung, auf der die Freiheit bei uns beruht.

(Beifall)

Wir wollen doch nicht die Freiheit der Chaoten und Gewalttäter, wir wollen die Freiheit des Bürgers, die der Staat schützen muß, wenn es notwendig ist.

(Beifall)

Es wäre auch — und ich nehme hier den Mund nicht zu voll; zum Glück bin ich nicht von Angst erfüllt, weil die Gefahr nicht sehr groß ist, aber ernst nehmen muß man sie trotzdem — das Ende jeder Sicherheit.“

Einen historischen Rückblick auf die Zeit der Wiederbewaffungsdebatte und ein Bekenntnis zur militärischen Stärke gegenüber dem Ostblock nutzt Strauß schließlich, um die CDU und CSU auf ihre spezifische Rolle und ihren Gegensatz zu SPD und Grünen einzuschwören:

„Meine sehr verehrten Damen und Herren, gerade deshalb fühlen wir uns, ohne Sonderrechte zu beanspruchen oder besondere Wege zu gehen — ganz im Gegenteil —, als Wahrer der Kontinuität und der Tradition, der klassischen Elemente und Motive und Zielorientierungen der Union verpflichtet, unseren Beitrag zu leisten zu einem klaren Profil, zu eindeutigen Konturen und zu griffigen Formulierungen für die Zukunft.

Diese Wahl ist angesichts dessen, was sich gegenübersteht, keine Richtungswahl, es ist eine Schicksalswahl,

(Beifall)

eine Schicksalswahl, die eine historische Weichenstellung bedeutet in der Frage, ob die Bundesrepublik Deutschland auf dem Boden der politischen Grundlagen bleibt, die in der ersten politischen Generation nach dem Zweiten Weltkriege gelegt worden sind. Hier geht es nicht darum, Lorbeer zu verstreuen oder Sympathien und Antipathien zu verteilen — all das hat damit überhaupt keinen Zusammenhang. Bleiben wir auf dem Boden der repräsentativen Demokratie! Gewährleisten wir unseren Bürgern einen freiheitlichen Rechtsstaat mit der dafür notwendigen Ordnung, ohne die ein Rechtsstaat auf die Dauer nicht gedeihen kann, und genießen wir weiterhin außenpolitisch, sicherheitspolitisch die Sicherheit, daß wir in Ruhe arbeiten, in Frieden schlafen und unseren normalen menschlichen Betätigungen nachgehen können, ohne befürchten zu müssen, daß der Große Bruder heute über den Zaun guckt und morgen durch den Zaun hindurch zu uns herüberkommt!

(Beifall)

Prophezeiung von 1992
Als Margaret Thatcher das Scheitern des Euro vorhersagte
 Was waren denn die Grundentscheidungen? Wir haben sie hier in Parteitagen der CDU und CSU oft behandelt. Die beiden Grundentscheidungen waren neben der rechtsstaatlichen Ordnung, wie sie im Grundgesetz niedergelegt ist, die Einführung der Sozialen Marktwirtschaft, die zwar im Grundgesetz nicht vorgesehen ist, aber aus dem Grundgesetz — freie Entfaltung der Persönlichkeit — zwangsläufig als die einzig mögliche dem Grundgesetz voll entsprechende Wirtschaftsform hervorgeht — Soziale Marktwirtschaft, nicht allein Marktwirtschaft —, und dann der Einbau in das westliche Verteidigungsbündnis mit eigenen Streitkräften.

Ich wage nicht zu phantasieren — mit einem Satz sei das nur erwähnt —, was aus dieser Bundesrepublik geworden wäre, wenn sich die damaligen Vorstellungen der SPD in Gestalt der parlamentarischen Mehrheit hätten durchsetzen können. Wir hätten die Soziale Marktwirtschaft nicht bekommen mit all ihren ungeheuren Leistungen, und als erste Leistung zähle ich nicht die Ertragskraft der Unternehmen, als erste Leistung zähle ich die Befreiung der Arbeiter von unwürdiger Fron, von Armut und Rückständigkeit zum modernen Staatsbürger.

(Beifall)
Wir hätten keine Bundeswehr noch moderne Bewaffnung, noch hätten wir die Nachrüstung, von allen anderen Dingen zu schweigen.

Meine Damen und Herren, das läßt mich darauf kommen, daß man gerade in diesen Tagen mit dem Begriff Kernenergie, dargestellt durch Tschernobyl, also mit dem Grausen, ein oft sehr makabres und schäbiges Spiel treibt, und daß man jetzt hört, wir sollen das Thema Asyl nicht im Wahlkampf erwähnen. Was wir im Wahlkampf erwähnen oder nicht, hängt gar nicht von uns ab, es hängt von denen ab, die uns als Auditorium gegenübersitzen und die wissen wollen, was ihnen der Redner zu diesem oder jenem Thema zu sagen hat; ob es ihnen paßt oder nicht paßt, ist eine andere Frage. Wer aber hier sagt, man dürfe mit menschlichen Schicksalen keine Wahlkampfpropaganda machen, muß sich fragen lassen: Wie steht es mit der dauernden Schürung kriegshysterischer Ängste in unserem Volke, wie wir es doch über 30 Jahre erlebt haben?“

Immer wieder wechselt Strauß von der Außen- und Sicherheitspolitik in die Innen- und Wirtschaftspolitik. In beiden Sphären, so macht er klar, stehen die Unionsparteien für Positionen, die denen der SPD und der Grünen deutlich entgegenstehen, nämlich militärische Stärke, also Sicherheit, und soziale Marktwirtschaft. Wann hat zuletzt ein Unionspolitiker so leidenschaftlich und überzeugend für letztere plädiert:

„Ich möchte nicht behaupten, daß die SPD die Antifreiheitspartei ist, aber ihre Freiheitsvorstellungen unterscheiden sich von unseren Freiheitsvorstellungen in wesentlichen Punkten: Wir wollen sozialen Fortschritt sichern und zugleich die Freiheit erhalten; wir wollen die Aufgaben, die die einzelnen Menschen in eigener Verantwortung lösen können, ihnen nicht nehmen, das Geld dafür nicht vorher wegnehmen und dann wieder huldvoll zuteilen. Wir wollen den Abbau der Arbeitslosigkeit durch tragfähige Produktionsstrukturen, durch solide Staatshaushalte, durch Geldwertstabilität und nicht durch aufgeblähte Konjunkturprogramme mit Strohfeuereffekt.

Die SPD will staatliche Pläne. Die Sozialisten meinen, daß die Moralität der proklamierten Ziele genügt, um beliebige Mittel zu rechtfertigen. Staatliche Pläne und kollektive Entscheidungen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik sind die Blaue Blume der Weisheit, daher eine staatliche oder gesellschaftliche Planung, Lenkung, Kontrolle der Investitionen. Natürlich braucht man dann die Organe dafür. Man braucht Investitionsräte, man braucht Strukturräte. Wenn man so von der Kreisebene an alle diese Räte einsetzen würde, hätte man für den akademischen Überschuß, der als Folge verfehlter sozialistischer Bildungspolitik in nicht verwendungsfähigen Studiengängen entstanden ist, eine reiche Beschäftigungsmöglichkeit zu Lasten der Steuerzahler.

(Heiterkeit und Beifall)

Sie wollen staatliche Pläne und kollektive Entscheidungen über Wirtschafts- und Sozialpolitik. Unter dem Gebot des Sozialen und Gerechten sollen die Freiheitsräume in einem unerträglichen Ausmaß eingeschränkt werden. Konsequenz: Gängelung der Bürger und Zerrüttung der Wirtschaftskraft.“

Nicht nur die Unionsparteien, deren Minister heute eine weitgehend planwirtschaftliche „Energiewende“ organisieren, waren damals noch andere, auch die Frankfurter Allgemeine, dieStrauß damals noch in seinem Sinne zitieren konnte:

„Die FAZ hat vor drei Tagen, am 4. Oktober, geschrieben: Die stillen Zerstörer der Freiheit glauben selbst an diese von ihnen selbst postulierte Moral und ignorieren die verhängnisvollen Folgen.“

Mit Häme für den damaligen SPD-Kanzlerkandidaten sparte Strauß nicht:

„Ich teile die Meinung von Helmut Schmidt, der erklärt hat, er werde 42 Liegestütze machen, wenn Herr Rau 42 % erreicht. Ich schließe mich dem an, obwohl ich noch ein bißchen mehr Gewicht habe.

(Heiterkeit und Beifall)

Das ist ja nicht einmal ein Propagandatrick; das ist doch plumpe Unwahrheit. Erlügt sich doch selber an — eine Art John Lackland, König Johann ohne Land.“

(Heiterkeit)“

Nach einigen weiteren tagespolitischen Sticheleien, auch gegen den liberalen Koalitionspartner, und einer Warnung vor allzu viel Selbstzufriedenheit kommt Strauß schließlich wieder zum eigentlichen Thema seiner Rede: der zeitlos aktuellen Frage des politischen Charakters der Unionsparteien, die heutigen Unionspolitikern im 15. Regierungsjahr der Angela Merkel in den Ohren klingeln könnte:

„Wir müssen uns ferner davor hüten, die Konturen einer Richtungspartei, die wir ja sind — vielleicht mit unterschiedlichen Schwerpunkten, aber gleicher Grundlage und gleichen Zielen —, verschwimmen zu lassen und zu einer Art Generalanzeiger-Partei zu werden. Nichts gegen den Zeitungstyp Generalanzeiger; aber das ist ein Typ, der innerhalb sehr weit gesteckter Grenzen alles vertritt. Als Partei müssen wir eine Richtungspartei und dürfen keine Generalanzeiger-Partei sein, die für und gegen alles gleichzeitig sein kann. Ich könnte Ihnen eine große Latte von Beispielen aufzählen. Aber um des erreichten Redeerfolgs willen will ich es nicht tun.

(Heiterkeit und Beifall)

Ronald Reagan
"Wenn wir die Freiheit hier verlieren, gibt es keinen Ort, wohin wir fliehen können"
Ohne Zweifel gehört es aber zu unseren Aufgaben, eine Neudefinition, eine up to date-Definition, wichtiger Begriffe vorzunehmen. Was bedeutet heute noch der Begriff „christlich“ in der Partei? Ist er nur ein Traditionssymbol, das im Namen unserer Partei bis heute erhalten geblieben ist, ohne daß man eigentlich weiß, worum es dabei geht, so wie der Dampfheizer auf der Elektrolokomotive? Was bedeutet heute noch „christlich“? Sicherlich nicht mehr „klerikal“. Aber hier bedarf es einer Neudefinition. Ich kann sie nicht bieten; aber die Aufgabe steht. Was bedeutet heute ial“ und „nicht-sozialistisch“? Dafür gibt es bedeutende Vorarbeiten. Unsere Politik ist sozial, nicht sozialistisch. Was bedeutet heute „liberal“? „Liberal“ bedeutet sicherlich nicht „bindungslos“. Wir lassen uns die Plakette „liberal“ auch nicht von denen wegnehmen, die unter „liberal“ hemmungslose Bindungslosigkeit verstehen.

(Beifall)

Ohne Zweifel gehört zu unseren Plaketten auch der Begriff „konservativ“. Wir müssen uns mit allem Nachdruck dagegen verwahren, daß „konservativ“ mit „reaktionär“, in einen Topf geworfen wird

(Beifall)

Wir bedürfen auch einer Klärung des Begriffes „national“ in den heutigen Umständen sowie einer Klärung des Begriffes; Was ist unser Vaterland, was ist Deutschland?, einschließlich der Konsequenzen, die sich daraus ergeben.

Zu einer Richtungspartei gehört auch die Kontinuität der eigenen Politik, auch wenn sie in einer Koalition nicht ohne Kompromiß durchgesetzt werden kann. Durch sie ist die Notwendigkeit von Kompromissen und die Fähigkeit zu Kompromissen nicht ausgeschlossen. Wir müssen aber zu dem stehen, was wir in der Opposition gefordert haben und das ablehnen, was wir als Opposition bekämpft haben, wenn unsere Konturen nicht verschwimmen sollen.

Wir sollen unentwegt für eine Verbesserung der inneren Sicherheit und unserer rechtsstaatlichen Ordnung kämpfen. Was wir bisher erreicht haben, sind Schritte, die anerkannt werden müssen. Aber sie reichen bei weitem nicht aus, um das Problem zufriedenstellend lösen zu können. Wir müssen im Kampf um die innere Sicherheit, im Kampf gegen den Terrorismus sowohl die Rechtsgrundlagen als auch die Fahndungsmethoden noch wesentlich verbessern. Da gibt es noch einiges zu tun.

(Beifall)

Ich verstehe beim besten Willen wirklich nicht, warum Forderungen nach Verbesserung der Rechtsgrundlagen und nach Präzisierung der Fahndungsmethoden antiliberale Forderungen sein sollen. Ich bekenne mich immer noch zu der Meinung, daß im Mittelpunkt unserer Bemühungen der Bürger steht. Freiheit, Gesundheit, Leben und ehrliches Eigentum des Bürgers haben allemal noch den Vorrang vor Nachgiebigkeit gegenüber den unbefriedigten Trieben chaotischer Gewalttäter und Gesellschaftsveränderer.

(Beifall)

Wir haben deshalb auch die Aufgabe der geistigen Führung, nicht allein, aber Helmut Schmidt war völlig falsch beraten, als er sagte, die Politik habe mit der geistigen Führung nichts zu tun. Die geistige Führung liegt nicht allein bei der Politik, bei den Parteien und bei den Regierungen, aber Regierungen und Parteien erfüllen ihre Aufgabe nicht, wenn sie nicht ihren Beitrag zur geistigen Führung der Nation leisten, ohne damit einen Monopolanspruch zu verbinden.

Meine Damen und Herren, die SPD wollte die Politik verwissenschaftlichen und die Wissenschaft in die Politik tragen. Was ist daraus geworden? Daß sie den Aberglauben in die Politik getragen hat und daß sie selber ihre Partei in den Bereich des Abergläubischen verwiesen hat. Ich erinnere mich noch der großen Attacken im Deutschen Bundestag vor 30 Jahren — ich bin kein Archäologe in der Politik, aber gelegentlich sind solche Erinnerungen doch wertvoll —, als man der damaligen Regierung Adenauer mit dem Ressortminister Strauß, dem ersten Atomminister der Bundesrepublik, die schwersten Vorwürfe machte, wir verschrieben uns nicht schnell genug, nicht leidenschaftlich genug dem Einstieg in die Kernenergie.

Das war der Parteitag in München. — Zweite industrielle Revolution! Atomkraft bringt die Befreiung! Atomkraft macht die Armen reich! Atomkraft bringt die Befreiung des Arbeiters! Atomkraft ermöglicht den Sozialismus! Atomkraft ist die Losung der Zukunft! Atomkraft bringt die Befreiung der armen Völker! Atomkraft bedeutet die Zukunft der Menschheit!

Ich habe mich im Bundestag und in Versammlungen bei unzähligen Gelegenheiten damit auseinandergesetzt. Mich hat Adenauer damals mit der Erforschung beauftragt, d.h. damit, die 1939 unterbrochene Forschungs- und Entwicklungstätigkeit auf zivilem Gebiete wiederaufzunehmen. Wir haben heute gar keinen Grund, von der Atomenergie so zu reden, als ob sie eine Teufelsenergie wäre, die durch einen Fehler der Politiker in unser Leben getreten sei und die übermorgen, wenn nicht schon morgen, abgeschafft werden könnte.

Ich habe mich sowohl aus meiner damaligen Tätigkeit heraus wie auch jetzt mit Wackersdorf und dem Ausbau der Nutzung der Kernenergie in Bayern aus gutem Grunde gründlich mit diesem Problem befaßt. Dazu kann ich in einigen wenigen Punkten zusammengefaßt nur sagen; Die Atomkraft ist jetzt und in vorausschaubarer Zukunft durch keine andere Energieart verantwortlich zu ersetzen.

(Beifall)

Wir halten uns immer noch an die Wissenschaftler; die SPD hält sich an die Gegenwissenschaftler. Das meine ich sehr, sehr ernst. Denn seit einigen Jahren ist der Unfug hochgekommen, daß ernsthaft begründete Wissenschaft nicht mehr zum Gegenstand der eigenen Überlegungen gemacht wird, sondern daß eine gesellschaftspolitisch motivierte Gegenwissenschaft angebetet wird. Die Gegenwissenschaft behauptet, daß die normale Wissenschaft der etablierten Gesellschaft dient und deshalb jede wissenschaftliche These der Veränderung der Gesellschaft dienen muß. Ob sie richtig oder falsch ist, spielt dabei keine Rolle.“

Nach einem Aufruf „in der Spitzengruppe der Industrienationen, in der jeweiligen Vorhut des wissenschaftlich-technischen Fortschritts beheimatet“ zu bleiben, um die hohen Lebensverhältnisse zu sichern, setzte Strauß schließlich zum Höhe- und Endpunkt seiner Rede an, der in die Geschichte der politischen Rhetorik der Bundesrepublik seinen Platz behalten wird:

„Deshalb habe ich die Wahl vom Januar 1987 nicht eine Richtungswahl, sondern eine Schicksalswahl genannt. Wenn die Verantwortung für die Geschicke der Bundesrepublik zu einer wirtschaftlichen Mittelmacht bedeutenden Ausmaßes, einer militärisch unentbehrlichen Größenordnung im atlantischen Gefüge und im europäischen Gleichgewicht nicht politisch mit steigender Kraft ausgestattet ist, wenn diese Bundesrepublik Deutschland einen fundamentalen Wandel in Richtung Rot/Grün vollziehen würde, dann wäre unsere Arbeit der letzten vierzig Jahre umsonst gewesen, dann wäre das Schicksal der Lebenden ungewiß, und die Zukunft der kommenden Generationen würde auf dem Spiele stehen.

Das ist es, was wir unseren Wählern sagen müssen. Das geht weit über kleinliche Mäkeleien in der Steuerpolitik, in der Finanzpolitik, in der Umweltschutzpolitik und in welchen politischen Bereichen auch immer hinaus. Das ist eine historische Weichenstellung, so bedeutend wie 1949. Die Niederlage der SPD in 1949 war ein Glücksfall für Deutschland in seinem freien Teil.

(Beifall)

Adenauer hat im Mai 1957 bei einer großen Wahlkundgebung in Nürnberg, als wir Aussicht hatten, eine große absolute Mehrheit zu erringen, und sie auch errungen haben, gesagt, die SPD wäre der Untergang Deutschlands. Er wurde daraufhin Opfer ungezählter Angriffe, auch aus den eigenen Reihen. Man meinte, es sei wohl übertrieben, die SPD derartig anzugreifen und derartig in Zweifel zu ziehen. Vielleicht war es damals so übertrieben. Vielleicht hat er holzschnittartig gezeichnet. Aber sollen wir heute, meine Damen und Herren, dieses Deutschland einer Kombination von Rau + x, Rau + 0 oder 0 + 0 überlassen, dem Zufall überlassen,

(Beifall)

phantastischen Utopien überlassen? Wir stehen vor der Entscheidung; Bleiben wir auf dem Boden trockener, spröder, notfalls langweiliger bürgerlicher Vernunft und ihrer Tugenden, oder steigen wir in das prunkgeschmückte Narrenschiff Utopia ein, in dem dann ein Grüner und zwei Rote die Rolle der Faschingskommandanten übernehmen würden?

(Beifall)

Hier eine klare Entscheidung herbeizuführen, sind wir unseren Bürgern und unserer Jugend schuldig, sind wir aber auch der Glaubwürdigkeit Deutschlands bei unseren Nachbarn aller vier Himmelsrichtungen schuldig.

Ich danke Ihnen für die Geduld, mit der Sie mich angehört haben. (Lang anhaltender lebhafter Beifall)“

Da hatte ein Mann gesprochen, der ein paar Jahre zuvor einen unionsinternem Konkurrenzkampf gegen Kohl verloren, also persönlich nichts mehr zu gewinnen hatte. Eine Rede von politischer Leidenschaft, nicht so sehr persönlichem Ehrgeiz getrieben. Die CSU hat wenige Tage nach dieser Rede ihres Vorsitzenden eine satte absolute Mehrheit in Bayern erreicht. Bei der Bundestagswahl im Januar 1987 erreichten die beiden Unionsparteien zusammen 44,3 Prozent. Das waren 4,5 Prozentpunkte weniger als 1983, aber mit den 9, 1 Prozent der FDP reichte es locker für eine bürgerliche Koalition. 

Die Worte von der Schicksalswahl mögen uns zunächst übertrieben erscheinen. Aber vielleicht waren sie es vor dem Hintergrund dessen, was innerhalb dieser Legislatur geschehen würde, nicht. Man stelle sich vor, ein Bundeskanzler Johannes Rau und ein Außenminister Joschka Fischer hätten 1989 und 1990 regiert, als das SED-Regime zusammenbrach. Für beide hatte die Wiedervereinigung sicher keine politische Priorität. Übertrieben kamen den Zuhörern damals vermutlich auch die Worte vom „Narrenschiff Utopia“ vor. Heute kann man sie vielleicht eher ernst nehmen. 

Franz Josef Strauß starb zwei Jahre später am 3. Oktober 1988, auf den Tag genau zwei Jahre vor der deutschen Wiedervereinigung und zehn Jahre vor der Wahl der ersten rot-grünen Bundesregierung. 

Anzeige

Unterstützung
oder

Kommentare ( 41 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

41 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Axel Fachtan
2 Jahre her

Strauß war rhetorisch brilliant. Dennoch war er ein schlimmer Finger, von dem man sich nicht blenden lassen sollte. „Man kann doch nicht immer mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen.“ Er wollte sich als Amtsträger nicht an die Verfassung halten und hat auch seine Mitstreiter dazu ermutigt, die Grauzonen gründlichst auszuloten. „Ein Hund war er schon.“ Wer es genauer wissen will, wie das mit Machtmissbrauch und den Korruptionsvorwürfen steht, kann sich in 3 Büchern von Wilhelm Schlötterer informieren. Macht und Missbrauch. Franz Josef Strauß und seine Nachfolger. Aufzeichnungen eines Ministerialbeamten. Wahn und Willkür. Strauß und seine Erben oder wie man… Mehr

Son of Bezzerk
4 Jahre her

Oh Mann früher fand Ich Herrn Strauß eher Mies wie kommt es nun das wenn ich diese Zeilen lese und darüber Nachdenke, Lieber einen Herrn Strauß haben möchte als diese ganzen Pseudo CSU Würstchen die einen schon seit längerem nur auf die Nerven gehen in ihrer dauernden Inkompetenz von den CDU Dauerwürstchen ganz zu schweigen, Himmel hilf !

taliscas
4 Jahre her

Mit Strauß hätte es niemals eine Merkel, einen Euro, eine Flüchtlingskrise oder auch Energiewende oder Berufsarmee gegeben. Die Deutschen wollen hinab, sollen sie. Ich weine ihnen keine Träne mehr nach.

Thorsten
4 Jahre her

Der historische Weitblick und die Klarheit seiner Sprache beeindrucken noch immer.

Die CSU sollte sich schämen, ihre politisches Erben dieses Giganten so mit Füßen zu treten. „Wir wollen doch nicht die Freiheit der Chaoten und Gewalttäter, wir wollen die Freiheit des Bürgers, die der Staat schützen muß, wenn es notwendig ist.“

Eine schallende Ohrfeige und Verhöhnung sind die Politik Seehofers („Masterplan“) und Merkels seit 2015, genauso die „populistische“ Absage an die Kernkraft.

Axel Fachtan
2 Jahre her
Antworten an  Thorsten

Seehofer. Das war viel weniger Machtgeilheit als Söder. Und viel weniger Machtmißbrauch als Strauß. Dass Seehofer viel wendiger war, als andere, hat ihn ohne diese negativen Eigenschaften leben und überleben lassen. In dem Becken, in dem er mit geschwommen ist, ist das schon ganz schön viel. Leider hat er sich dann noch von der schnöden Merkel einkaufen lassen. Aber auch da hat er einen besseren Job gemacht, als z.B. Thomas de Maiziere.Unter den Rahmenbedingungen die er vorgefunden hat, hat einen wirklich guten Job gemacht. Im Gegensatz zu Pfeifen wie Andi Scheuer und Jens Spahn. Also : ein zumindest zweitklassiger Minister… Mehr

Falk Kuebler
4 Jahre her

Tja, wenn ich da mal ein wenig Wasser in den Wein schütten darf…

Nicht die Rede (die auch) war aus heutiger Sicht geradezu ein Traum, sondern vor allem das politische Selbstverständnis nicht nur dieser damaligen Republik, sondern zentral eben auch der damaligen mehrheitlichen Wähler!!! Bis hin zur SPD.

Wo im Artikel aus dem Damals „(Beifall), (Lebhafter Beifall), (Heiterkeit), etc.pp.“ verzeichnet wurde, da müsste man heute wohl „(Nazi-Rufe, Rassist-Rufe, Rechtsextremer-Rufe, Buhrufe, etc.pp.“ verzeichnen…

Lang ist’s her, und ich fürchte, dass es nicht wiederkommen wird. Auch nicht durch die sehr ehrenwerten Versuche z.B. einer TE… 🙁

Maria sem Veu
4 Jahre her

„Man braucht Investitionsräte, man braucht Strukturräte. Wenn man so von der Kreisebene an alle diese Räte einsetzen würde, hätte man für den akademischen Überschuß, der als Folge verfehlter sozialistischer Bildungspolitik in nicht verwendungsfähigen Studiengängen entstanden ist, eine reiche Beschäftigungsmöglichkeit zu Lasten der Steuerzahler.“

Klar erkannt! Und wer bannt jetzt die Gefahr? Wir alle müssen etwas tun – insbesondere, da der Verfassungsschutz zunehmend die AfD knebelt.

holdtheline
4 Jahre her

Das wirkliche Problem sitzt als Verräter/Verräterinnen in den eigenen Reihen der Union.

holdtheline
4 Jahre her

Freiheit und Sozialismus schließt sich gegenseitig aus!

hassoxyz
4 Jahre her

Eine großartige Rede eines großen Politikers. Strauß war menschlich durchaus anfechtbar, aber politisch war er ein Riese, ein Macher, ein Könner, der Konfliktsituationen nie ausgewichen ist, sondern sich ihnen immer gestellt hat. Außerdem hat er aus dem Agrarland Bayern einen florierenden Hightech-Standort gemacht, der in Europa fast einzigartig ist. Bayern ist heute das Wirtschaftsmusterland in Deutschland mit wenig Schulden und Arbeitslosigkeit. Das alles ist sein Verdienst. Edmund Stoiber war der letzte bayerische MP, der noch in seiner konservativen bayerischen Tradition stand. Von den Nachfolgern Beckstein und Seehofer konnte man das schon nicht mehr sagen, von Söder ganz zu schweigen. Strauß… Mehr

H.Arno
4 Jahre her

Klar, dass Links-Faschisten ihre Gegner (damals Strauss) als Faschisten bezeichnen!
Weil sie mit ihrem Meinungs-Terror in der Masse der Bevölkerung Angst und Hass vor Politikern erzeugen wollen – Politiker – welche die Bürger vor der Diktatur von
Linker Anarchie und ideologischem Unterdrückung schützen wollen!
Linker ANTIFA-Terror – und Links-Grünes schüren von Klima-Ängsten sollen das Volk mit ihrem Meinungsterror (Oma ist ne alte Umweltsau) einschüchtern und
gefügig machen – gefügig für den erneuten „sozialistischen Unterdrückungs-Terror“