Als Margaret Thatcher das Scheitern des Euro vorhersagte

Im Jahr des Maastricht-Vertrages sagte die frühere britische Premierministerin voraus, was wir heute erleben: das Scheitern der Währungsunion und den Aufstieg extremer Parteien. Thatchers prophetische CNN-Rede liest sich streckenweise wie eine Beschreibung unserer Gegenwart.

Robert Pearce/Fairfax Media via Getty Images

Im Nachhinein kann man Margaret Thatchers Prognose nur als zutreffend bewerten. Was sie am 19. September 1992, zwei Jahre nach ihrem Machtverlust und wenige Monate nach Unterzeichnung des Maastricht-Vertrages, auf der CNN World Economic Development Conference in Washington der EU und der damals beschlossenen Währungsunion prophezeite, ist eingetreten:  

„Wenn die Divergenz zwischen verschiedenen europäischen Volkswirtschaften so groß ist, dass sogar der ERM (European Exchange Rate Mechanism) sie nicht eindämmen konnte, wie würden dann diese Volkswirtschaften auf eine einzige europäische Währung reagieren? Die Antwort ist, dass es Chaos gäbe in einer Weise, vor der die Schwierigkeiten der jüngeren Zeit verblassen würden.“

— Konstantin Kisin (@KonstantinKisin) December 17, 2019

„Riesige Summen,“ so prophezeite Thatcher weiter, „müssten transferiert werden von den reicheren zu den ärmeren Ländern und Regionen, um ihnen zu ermöglichen die Spannungen auszuhalten. Auch dann würden Arbeitslosigkeit und Massenwanderung über die nun offenen Grenzen die Folge sein. Und eine vollständig gemeinsame Währung würde keinen Notausstieg ermöglichen.

Die politischen Folgen sind schon erkennbar: das Wachsen extremistischer Parteien, gemästet durch die Furcht vor Zuwanderung und Arbeitslosigkeit, die eine wirkliche – allerdings völlig unwillkommene – Alternative zum euro-zentristischen politischen Establishment bieten.

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Wenn dazu noch eine übernationale europäische Föderation geschaffen würde, wodurch die Leute ihre nationalen Parlamente nicht mehr zur Verantwortung ziehen könnten, könnte der Extremismus noch mehr wachsen. 

Es ist Zeit für die europäischen Politiker aufzustehen und dies zur Kenntnis zu nehmen. Zeit, ihre endlosen Gipfeltreffen zu beenden – diese Gipfelei wird bald zu einem Ersatz für Entscheidungen – und die Wirklichkeit um sie herum zu beobachten.“

Der rhetorische Höhepunkt ist ein unübersetzbarer Satz, mit dem sie – auch hier prophetisch – das „wachsende Gefühl der Entfernung, der Entfremdung der Menschen von ihren Verwaltungseinrichtungen und politischen Führern“ beschreibt: „There is a fear that the European train will thunder forward, laden with its customary cargo of gravy, towards a destination neither wished nor understood by electorates.“ Fans der Rock-Band Pink Floyd werden vielleicht aus deren Lied „Have a Cigar“ die englische Redensart „riding the gravy train“ (wörtlich: „auf dem Soßen-Zug mitfahren“), was so etwas wie „absahnen“ (auf Kosten anderer) bedeutet. Thatcher kritisiert also indirekt eine absahnende Euro-Elite, die ein Ziel ansteuert, das „von den Wählern weder gewünscht noch verstanden wird“. Und sie warnt: „Aber der Zug kann gestoppt werden.“

Thatcher hielt ihre Rede wenige Tage vor dem französischen Maastricht-Referendum. Ihre Ablehnung des Vertrages spricht sie nicht direkt aus. Aber sie sagt: „Wie auch immer das Ergebnis sein wird, Frankreich wird weiterhin Europa errichten, weil Europa nicht ohne Frankreich errichtet werden kann. Aber wird es ein Europa der Bürokratie sein oder ein Europa der Vaterländer? Das Europa von Delors? Oder das Europa von de Gaulle? Wenn ich Französin wäre, würde ich zur Fahne des Generals stehen und rufen: Vive l’Europe libre!“

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Die Position, die Thatcher 1992 vertrat (und vor ihr de Gaulle), ist also eine, die heute in Brüssel und Berlin als mindestens populistisch bezeichnet würde. Etwa, wenn sie weiter sagt: „Jede Politik oder jedes Programm, dass versäumt die Macht der nationalen Zugehörigkeit anzuerkennen, ist letztlich zum Scheitern verurteilt.“ Und fordert: „Statt einer zentralisierten Bürokratie, die identische Regeln festlegt, sollten die nationalen Regierungen verschiedene Mischungen von Steuern und Regulierungen anbieten, die miteinander im Wettbewerb stehen und ausländische Investitionen, Top-Manager und Großverdiener. Solch ein Markt würde die Regierungen zu fiskalischer Disziplin zwingen, da sie Experten und Unternehmen nicht vertreiben wollen.

Das britische Volk und Thatchers Nach-nach-nach-nach-nach-Nachfolger Boris Johnson, haben nun, indem das Vereinigte Königreich komplett aus der EU scheidet, die Konsequenz aus der Prophezeiung der eisernen Lady gezogen. Sie taten, was Thatcher in ihrer Rede einforderte: „Was wir tun müssen, ist die Lektionen dessen zu lernen, was geschehen ist.“

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