In Leipzig geht es um die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks

Vor dem Bundesverwaltungsgericht wird die Frage verhandelt, ob Bürger den Rundfunkbeitrag mindern können, wenn die Sender nicht ausgewogen berichten. Das Gericht sucht tatsächlich nach einer Antwort

Eins steht schon mehr als eine Stunde vor Verhandlungsbeginn fest: es wird voll im großen Saal des Bundesverwaltungsgerichts zu Leipzig. Sehr voll. Denn die Richter müssen über eine bisher ungeklärte Frage entscheiden: Dürfen Bürger ihren Zwangsbeitrag für ARD, ZDF und Deutschlandfunk mindern, wenn die Öffentlich-Rechtlichen nicht das liefern, was ihnen Rundfunk- und Medienstaatsvertrag vorschreiben?

Denn dort steht eindeutig die Pflicht zur ausgewogenen und objektiven Berichterstattung. Der Medienstaatsvertrag verlangt sogar, dass die Anstalten den Respekt für unterschiedliche Meinungen nicht nur einhalten, sondern sogar „fördern“ sollten. Eine Bürgerin aus Bayern meinte, das sei nicht der Fall und klagte vor zwei Verwaltungsgerichtsinstanzen. Die wiesen ihre Klage ab, das Oberverwaltungsgericht ließ außerdem keine Revision zu. Die Klägerin und ihr Anwalt blieben hartnäckig, und erreichten vor dem Bundesverwaltungsgericht die Zulassung der Revision. Die Richter meinten, es sei eine grundsätzlich zu klärende Frage, ob die Öffentlich-Rechtlichen für die monatlichen 18,36 Euro liefern müssen, was im Staatsvertrag steht – also Meinungsvielfalt und ein realistisches Bild der Wirklichkeit. Die Öffentlich-Rechtlichen vertreten bis jetzt den Standpunkt: Sie können im Prinzip senden was sie wollen, das unterliege ihrer redaktionellen Hoheit. Gezahlt werden müsse unabhängig vom Programmangebot. Wer damit ein Problem habe, könne sich ja beim zuständigen Rundfunkrat beschweren.

Am Vormittag des 1. Oktober ist es so weit: Die Verhandlung vor dem obersten deutschen Verwaltungsgericht beginnt. Vor dem imperialen Gebäude in Leipzig stehen Demonstranten mit Schildern wie: „ÖRR ihr seid raus“ und „Medienstaatsvertrag einhalten! Meinungsvielfalt gewährleisten“. Uwe Stephan, der dieses Transparent trägt, klagt, wie er sagt, selbst vor dem Verwaltungsgericht gegen die Öffentlich-Rechtlichen, die Verhandlung dort steht allerdings noch aus. „Ich bin sehr gespannt, was heute herauskommt“, meint er. Die Schlange der Bürger, die das Verfahren verfolgen wollen, reicht durch den gesamten Vorraum. Der Platz reicht längst nicht für alle.

Die Verhandlung findet nur wenige Tage nach dem Rauswurf von Julia Ruhs beim NDR statt, der einzigen nichtlinken Moderatorin der ARD. Das gibt dem Termin in Leipzig eine besondere Würze. Einige Beobachter meinen, dass die ARD das Sendeformat „Klar“ mit Ruhs hauptsächlich deshalb zuließ, um mit Blick auf die von den Öffentlich-Rechtlichen geforderte Gebührenerhöhung um 58 Cent und auf das Bundesverwaltungsgerichtsverfahren ihr offensichtlich linkslastiges Meinungsspektrum schnell noch zu erweitern – ein bisschen jedenfalls. Falls diese Überlegung dahintersteckte, dann scheiterte die Operation krachend – nämlich am Widerstand der 250 NDR-Mitarbeiter, die Ruhs aus ihrer Sendung mobbten, und dem Intendanten, der vor ihnen einknickte.

Die Anwälte der Klägerin, Harald von Herget und Carlos Gebauer, meinen, dass der Wechsel von der Rundfunkgebühr zu einem Beitrag die Sache noch etwas eindeutiger macht. Der Musterfall des Beitrags, so Gebauer, sei der Krankenkassenbeitrag: erstens stehe dem Beitrag eine definierte Leistung gegenüber. Und zweitens könnte jeder, der meint, diese Leistung werde nicht erfüllt, gegen Kasse klagen – entweder auf Erfüllung oder Rückerstattung. Im Fall der Gebührenanstalten gibt es dafür bisher keinen formalen Weg. Um 11.25 Uhr wirf der Vorsitzende Richter Ingo Kraft die Frage auf, ob sich der Konflikt zwischen unzufriedenen Bürgern und den Anstalten womöglich dadurch entschärfen ließe, dass die Programmbeschwerde vom Status einer reinen Petition (die in der Praxis fast immer folgenlos bleibt) zu einem Verfahren aufzuwerten, mit dem sich die Rundfunkaufseher ernsthaft auseinandersetzen müssen.

Überhaupt zeigt sich, dass Kraft und sein 6. Senat die Klage nicht formal abhandeln, sondern tatsächlich in der Sache erörtern wollen. Er sagt deutlich mehr, als für ein reines Revisionsverfahren nötig wäre, sondern schlägt mehrere Pflöcke ein. Erstens, so Kraft, bedeute Programmvielfalt eben nicht nur eine Vielfalt von Kanälen und Sendungen, sondern „Meinungsmäßige Vielfalt, Meinungspluralität“. Die kann seiner Ansicht nach nur „ex negativo definiert werden, positiv wird das nicht gehen“. Also: den Sender soll nicht im Detail vorgeschrieben werden, was sie zu tun, wohl aber, was sie zu unterlassen haben.

Außerdem gehe es bei der Frage, ob die Öffentlich-Rechtlichen tatsächlich Meinungsvielfalt bieten, nicht um einzelne Anstalten und Sendungen, sondern um das Gesamtangebot. Das klingt für die meisten selbstverständlich. Aber die Anstalten sehen das nicht so. Für die Vertreterin von ARD, ZDF und Deutschlandfunk befindet sich schon alles in bester Ordnung: Die Sender würden ein „beitragsgerechtes Angebot“ offerieren, sie seien bereits kontrolliert. Und sie würden selbstverständlich reagieren, wenn sie „mit Kritik belästigt“ würden. Gelächter im Saal. Eigentlich wollte die Anwältin nämlich sagen „mit Kritik konfrontiert“. „Ein freud’scher Versprecher“, kommentiert Richter Kraft, der auch ein bisschen mitlacht. Das Publikum lacht etwas später noch einmal, als die Anwältin meint, bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten sei es durchaus so, „dass man Kritik annimmt und sich damit auseinandersetzt“; „sollte es zu Fehlern gekommen sein, „werden selbstverständlich abgestellt.“ Und: die Sender würden „niemals jemand indoktrinieren“.

Das Gespräch zwischen dem Vorsitzenden Richter, den Klägeranwälten und den Vertretern der Sender dreht sich vor allem um die Programmbeschwerde, auf die die Sender immer wieder verweisen. „Welche Relevanz hat die Programmbeschwerde in der Beitragsfrage?“ wirft Kraft ein. Die Frage beantwortet sich von selbst: keine. Eine Beschwerde kann abgeschmettert werden, ohne dass die Möglichkeit besteht, die Entscheidung von einer anderen Instanz überprüfen zu lassen. Anwalt von Herget gibt zu Protokoll, die Programmbeschwerde sei „ein völlig unzureichendes Mittel zum Interessenausgleich“, und weist außerdem darauf hin, dass die Rundfunkräte keine demokratische Legitimation besitzen. Es wäre etwas anderes, wenn die Gebührenzahler die Rundfunkräte wählen würden. Das sei aber bekanntlich nicht der Fall. Kraft fordert von beiden Seiten Argumente: „Wir nehmen alles und prüfen es“.

Formal geht es um die Zurückverweisung des konkreten Falles nach Bayern. Der Richter deutet an, dass es so kommen könnte, er verweist darauf, dass die Richter dort der Frage gar nicht erst nachgegangen seien, ob eine Programmbeschwerde der Klägerin überhaupt hätte helfen können. Tatsächlich reicht das Verfahren aber weit darüber hinaus, ob die Prozessakten wieder im Süden gewälzt werden. Verhandelt wird in Leipzig und demnächst auch vor anderen Gerichten die Frage, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk so weiterexistieren kann wie bisher. Wie bisher, das bedeutet: Wir können senden, was wir wollen – und ihr müsst bezahlen.

Am 15. Oktober um 14 Uhr will der 6. Senat sein Urteil verkünden.

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Kommentare ( 84 )

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DDRforever
2 Monate her

Abschaffen den Kram, braucht kein Mensch. Und die unzähligen Beschäftigten bekommen doch dann Bürgergeld.

Rosalinde
2 Monate her

Diejenigen die heute in grenzenloser Einfalt das Ende des ÖRR wünschen werden im späteren seichten Idiotenbrei vergeblich nach politischen Sendungen suchen. Doch dann ist es zu spät.

Last edited 2 Monate her by Rosalinde
DDRforever
2 Monate her
Antworten an  Rosalinde

Falsch, diese Sender sollen sich einfach am Markt behaupten und nicht zwangsfinanziert werden. Einfach mal nach USA schauen, da wimmelt es nur so von Politsendungen, ganz ohne Zwangsgebühren.

Metric
2 Monate her
Antworten an  Rosalinde

Politische Sendungen, in denen das Meinungsspektrum von „Panzer für die Ukraine!“ über „Mehr Panzer für die Ukraine!“ bis „Auch Raketen für die Ukraine!“ reicht, braucht kein Mensch. Für die „Deutsche Wochenschau“ musste man immerhin nicht auch noch Zwangsgebühren zahlen.

Casta Diva
2 Monate her

Unglaublich, wer in Deutschland als Mitglied des Rundfunkrats mitbestimmen darf: Von angeblicher Verfolgung in den Rundfunkrat – die Geschichte des Afrikaners Dipama

Haba Orwell
2 Monate her
Antworten an  Casta Diva

Unglaublich allerdings auch, dass der West-Michel nicht schafft, sich andere Medien zu suchen, was man im Ostblock unter viel schwierigeren Umständen hinkriegte. Fast könnte ich nach den Heiratsgewohnheiten westlich der Elbe in den letzten Jahrhunderten fragen.

Last edited 2 Monate her by Haba Orwell
MeHere
2 Monate her

Nach Wunsch der SPD und Grünen sollen unabhängige Richter durch Parteigänger ersetzt werden, was im Prinzip das Ende der Gewaltenteilung und der Beseitigung freiheitlich demokratischer Grundordnung bedeutet.

Wir müssen die SPD enteignen und sie verbieten – zu viel Medienmacht – zu viel Hinterzimmer …

Dellson
2 Monate her

Durch die globale Vernetzung digitaler Medien auf allen Ebenen ist für den Bürger die demokratische Meinungsbildung omnipotent! Wofür es dann noch eine verordnete Demokratieabgabe geben muss, wissen nur noch die Nutzniesser davon! Der ÖRR lässt sich wie die Kirchen bis zum St Nimmerleinstag für eine Vereinbarung bezahlen, die sich schon längst durch den gesellschaftlichen und technischen Wandel überlebt hat! Aber die beiden halten mit Zähnen und Klauen an diesem Mief des behüteten Untertanentums fest. Während man aus der Kirche austreten kann, wird man im ÖRR Stall gehalten wie eine Milchkuh. Nach fast 80 Jahren fürsorglicher Belagerung zur Demokratieertüchtigung, anfangen im analogen Dampfradiozeitalter,… Mehr

AM
2 Monate her

Wenn ich hier so die Kommentare lese…

LEUTE, MECKERT NICHT! Immerhin müßt Ihr es nur bezahlen, nicht gucken.

Wobei, vielleicht sollte ich lieber ruhig sein. Nach Corona ist dieser Regierung wirklich alles zuzutrauen.

X1
2 Monate her

Die wenigen sehenswerten Sendungen im ÖRR, also z.B. Sebastian Lege, Gartensendungen und Naturdokumentationen (minus der inzwischen dort obligatorischen Klimapanikminute), Kochsendungen, diverse Ratgeber- und Heimatsendungen, könnte von den Machern auch auf einem Internet-Videoportal weitergeführt werden, das dann wegen mir sogar sagen wir 80 Mio Euro vom Steuerzahler bekommt (d.h. 1/100 der gegenwärtigen Rundfunkbeitrag-Einnahmen), oder sie gehen gleich auf Youtube.

Last edited 2 Monate her by X1
hoho
2 Monate her

Ich kenne eine Menge Leute die es gern sehen. Sie sind auch der Meinung, dass alle für ihre gepflegte Stunde oder zwei an der Glötze bezahlen sollten. Das Problem, dass ich das nicht will, akzeptieren sie als ein Beweis, dass ich rächts bin. Das ist so für die 70% der Leute hier. Noch ein Beweis auf deutliche Schwäche des Systems, das man unwissend Demokratie nennt. Das Problem taucht bei echter Demokratie allerdings auch auf – sieht an bei Corona Entscheidungen in der Schweiz. Man kann aber dann nicht behaupten, dass das die anderen waren, die diese Entscheidung getroffen haben.

DELO
2 Monate her

Ein hochinteressantes Verfahren. Tatsächlich ist es aber so, daß am ÖRR niemand etwas ändern will, auch und gerade, weil die Politiker von seiner Gunst abhängig sind. Technisch wäre es längst möglich, die Benutzung von Sendern festzuhalten und danach eine Bezahlung abzurechnen. Und wer das nicht will, zahlt eben den Pauschalbetrag. Ich z.B. nutze den ÖRR monatlich Null, weil ich die vertrottelten Typen nicht mehr ertrage und die Filme inzwischen von primitivster Machart nur so strotzen. Ich würde nach o.g. Abrechnungsmethode nichts zu zahlen haben und ein solches System im Haushalt sofort einführen. Demgegenüber sollen diejenigen, die sich für dieses Programmangebot… Mehr

Jens Frisch
2 Monate her

Ob „Wochenschau“, „Aktuelle Kamera“ oder „Tagesschau“:
Objektive Medien gab es in Deutschland noch nie.