Volksparteien, das auslaufende Modell

Die Volksparteien sind ein auslaufendes Modell. Wohin gehen die enttäuschten Anhänger? Die Grünen positionieren sich schon einmal, falls es sonst nicht reicht.

37 Prozent Union plus 26 SPD gibt 63. Alle Experten, die Medien üblicher Weise fragen,  werden es für wahrscheinlich erklären, dass die zwei Volksparteien auch nach der nächsten Bundestagswahl wieder zusammen die deutliche Mehrheit haben. Es braucht nur wenig Phantasie, sich vorzustellen, dass Schwarz und Rot im Laufe der politischen Herausforderung Zuwanderung Stimmen verlieren werden.

Kontrollverlust der Politik

Nichts deutet darauf hin, dass die Politik aus dem Zustand des Improvisierens und Probierens in absehbarer Zeit herauskommen kann: Ja, das Bild des überforderten Staates nimmt von der kommunalen Ebene über die Länder zum Bund hin (und weiter nach Brüssel) exponential zu. Verlieren Union und SPD nicht schon 2017 die gemeinsame Mehrheit, tun sie es beim übernächsten Mal. Nach dem Blick auf die Emnid-Grafik lohnt der auf die von neuwal.com in Österreich.

Ö_Umfrage_11_21_2015

 

Wollen Rot und Schwarz in Wien weiter zusammen regieren, müssen sie eine dritte Partei hinzunehmen. Ob SPÖ und ÖVP nach der neuen SPÖ-FPÖ-Regierung im Burgenland und der auch neuen ÖVP-FPÖ-Regierung in Oberösterreich es fertig bringen, der FPÖ den Eintritt in die nächste Bundesregierung zu verweigern, ist zumindest fraglich. Wenn Rot und Schwarz weitermachen, schlägt die Stunde der NEOS. Dass diese dann ihre junge Existenz riskieren, weil sie im Regierungsgeschäft ihre Konturen nicht schärfen könnten, steht auf einem anderen Blatt. Die Grünen kommen in eine Zerreißprobe, denn genau in diesem Moment machen der alte und die neue Vorsitzende deutlich, dass der Kurs der österreichischen Grünen an einem Wendepunkt steht: Weiter verbürgerlichen oder Österreichs neue Linke in Opposition zur SPÖ? Mehrheitsbeschaffer der Groko oder linker Populismus gegen den rechten der FPÖ?

Kritische Töne sogar von Cem Özdemir

„Ich stehe nicht mit einer Kerze an der Südgrenze und freue mich über jeden, der kommt. Das ist doch Unsinn.“ So sprach Peter Pilz, früherer Chef der österreichischen Grünen. Von da führt eine gerade Linie zu Cem Özdemir, der sich gegen Islamvertreter wendet, die als Ritual nach jedem Terroranschlag erklären, das habe nichts mit dem Islam zu tun.

So weit  ging Özdemir nicht wie Pilz: „Wenn wir Leute, die von Arbeitslosigkeit und Armut betroffen sind, zu einem Lichtermeer einladen, dann schütteln die den Kopf und sagen: Ihr habt uns nicht verstanden. Viele sagen mir: Ihr seid nur für die Ausländer da, aber nicht für uns. Das sind Hilferufe. Wir müssen auch unsere Ausländerpolitik ändern.“

Würden diese beiden Grünen über die politische Positionierung insgesamt reden, kämen sie sich wohl nicht so nahe. Peter Pilz will die Grünen zur linken Partei machen, die es in Österreich nicht gibt: „Es ist eine politische Anomalie, dass es in Österreich keinen linken Gegenpol gibt. Wir Grünen sollten uns fragen, ob wir diese Aufgabe nicht übernehmen wollen. Da geht es nicht um altsozialistische Experimente. Sondern um Protestwähler.“

Wie das seine Partei sieht, will der Interviewer wissen: „Die Leute an der Basis stimmen mir zu. Aber viele Grüne haben eine so unglaubliche Angst davor, als Ausländerfeinde dazustehen, dass sie lieber nicht darüber reden wollen. Ich habe einmal darauf hingewiesen, dass hinter den Einbruchsdiebstählen in Wien organisierte Banden aus Osteuropa stecken. Ein paar bei uns haben dann gesagt: Um Gottes willen, das ist ja ausländerfeindlich! Da habe ich gesagt: Nein, das ist einbrecherfeindlich!“

Einbrecherfeindlich ist politisch erlaubt

Vom Stillstand der Politik
Linkspopulismus gegen Rechtspopulismus?
Wie die Protestwähler ereichen, fragte Thomas Prior, Die Presse, weiter: „Wir sollten auf Umverteilung setzen. Eine Billion Steuern wird in Europa jedes Jahr hinterzogen. Mit einer gerechten Steuerpolitik könnten wir uns das Geld zurückholen.“ Was Pilz gegen den Rechtspopulismus der FPÖ tun will, hat er auch schon Linkspopulismus genannt. Dagegen wendet sich seine eben wiedergewählte Vorsitzende Eva Glawischnig, wozu Pilz sagt: „Sie kann mit dem Begriff nichts anfangen. Wir können jetzt eine Diskussion über Antonio Gramcsi und die Frage der Hegemonie führen, aber das wird bis zur Nationalratswahl 2018 niemanden überzeugen. Oder wir reden darüber, wie wir diesen Gegenpol bilden können. Wir müssen den nicht ‚linkspopulistisch‘ taufen. Die Positionen haben wir ja. Es geht darum, sie zum Schwerpunkt grüner Politik zu machen. Viel Zeit ist nicht mehr.“

Es kann also sein, dass sich die österreichischen Grünen, die immer bürgerlicher waren als die deutschen, nun nach links in Bewegung setzen, und die deutschen sich für die Möglichkeit von Schwarz-Grün auch in der Bundespolitik präparieren. Vielleicht ist die politische Tektonik mehr in Bewegung, als uns Medien und Umfrageinstitute zeigen (können), weil deren Seismographen nur die Oberfläche abtasten (sollen?).

Anhaltspunkte liefern selbst die Umfrageziffern noch. Wichtiger als die Höhe der veröffentlichten Zahlen ist der Trend. Der sagt, die Unionszahlen gehen runter, die SPD stagniert, Linke, Grüne und AfD nähern sich (im zweistelligen Bereich) an. Die FDP siedelt an der kritischen Fünf-Prozent-Hürde. Wie nahe dieser die dritte Partei – ALFA – kommen kann, die sich neben FDP und AfD um enttäuschte Unionswähler bemüht, wissen wir bisher nicht.

Wohin in die politische Landschaft ziehen die enttäuschten Anhänger der Union, ist die Kernfrage. Zwischen den beiden Meinungslagern scheint sich nichts zu tun – nur innerhalb. Wir wissen aber nicht, wie viele Wahlberechtigte diese Zahlen überhaupt repräsentieren. Nehmen wir einmal an, dass das nicht mehr sind als bei tatsächlichen Wahlen. Dann fehlen uns die Auskünfte der Hälfte der Wahlberechtigten. Und es gilt der bekannte Slogan: Alles ist möglich. Aber Volksparteien sind ein Auslaufmodell – den Mut zum Mehrheits-Wahlrecht hätten sie früher fassen müssen. Bundeswahltrend

 

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