Tichys Ausblick: Kein Gas, keine Wirtschaft – Wie gefährlich ist ein Energieboykott?

Bei „Tichys Ausblick“ diskutiert Roland Tichy mit dem ehemaligen Umweltsenator von Hamburg Fritz Vahrenholt, mit Wirtschaftswissenschaftler Christian Rieck sowie Holger Douglas, TE-Autor und Wissenschaftsjournalist.

Deutschland sitzt in der Energie-Falle – ist es realistisch, die Abhängigkeit von russischen Energieimporten zu beenden? Was bedeutet das für die Verbraucher? Darüber diskutieren Roland Tichy und Co-Moderator Achim Winter heute bei „Tichys Ausblick“ mit dem Chemiker und ehemaligen Umweltsenator von Hamburg Fritz Vahrenholt, mit dem Wirtschaftswissenschaftler Christian Rieck sowie mit Holger Douglas, Redakteur bei Tichys Einblick und Wissenschaftsjournalist.

Eingangs bemerkt Moderator Achim Winter, dass viele die drohenden Konsequenzen einer möglichen Energiekrise nicht wirklich wahrnehmen und wie im Kino zuschauen. Er fragt, wie viel Zeit uns noch bleibt, bis die Krise vollends einschlägt.

„Wir haben durch eine verfehlte Energiepolitik eine Abhängigkeit geschaffen“, stellt Vahrenholt fest. „Wir müssen wissen, dass wir zu 50 Prozent von russischem Erdgas abhängig sind.“ Er konstatiert, dass wir das Gas zu großen Teilen in Industrie und Gewerbe einsetzen. „Am Ende wird die Industrie stillgelegt.“ Davon wären vor allem die Metallindustrie, die Gasindustrie und die chemische Industrie betroffen. „Wir reden hier von sechs Millionen Arbeitsplätzen, die bedroht sind.“ Er warnt eindringlich: „Wir hätten am Ende eine zerstörte deutsche Industrie.“

Moderator Winter hakt nach: „Sie schildern eine dramatische Entwicklung, die offensichtlich von vielen unterschätzt wird. Rechnen Sie denn mit diesem Szenario?“
Vahrenholt antwortet: „Wir haben einen Kanzler Scholz, der den ständigen Forderungen widerstrebt, Deutschland müsse raus aus dem russischen Erdgas – weil er weiß, was das bedeutet. Das hieße am Ende den Absturz Deutschlands.“

Roland Tichy wirft in Richtung Rieck ein, dass die Wirtschaftspolitik insgesamt ja nicht so pessimistisch sei. Dieser stimmt zu und kritisiert die in seinen Augen „technische Sichtweise“ von Vahrenholt. Er sieht es etwas positiver: „Die Wirtschaft verfügt über Selbstheilungskräfte. Es gibt auf jeder Ebene Korrekturmechanismen.“ Auch relativiert er: „Manchmal ist etwas, das zunächst nach einer Katastrophe aussieht, nach einer Weile gar nicht mehr so schlimm.“ Gleichwohl räumt Rieck ein: „Mit einem Wegfall von heute auf morgen wäre es natürlich schwieriger. Aber bei einem langsameren Prozess würden Preismechanismen entstehen, die für ein Abfedern sorgen.“

Tichy wirft ein, dass es diesen langsamen Prozess wohl nicht geben werde – wenn Putin ernst macht, würde es wohl eher ein schnelles Ende werden. Hierzu meint Vahrenholt: „LNG ist zwei bis drei mal so teuer. Es wird das russische Gas nicht ersetzen können.“ Außerdem sagt er: „Der Krieg in der Ukraine hat vor allem eines offengelegt: Dass wir uns unserer eigenen Energiereserven beraubt haben.“ Auch die erneuerbaren Energien sind für ihn keine Lösung: „Selbst eine Verdrei-, Vervier- oder Verfünffachung unserer Windräder wird unseren Energiehunger nicht stillen.“

Rieck widerspricht dem Katastrophenszenario: „Diese Extremszenarien kommen ja in der Regel nicht so zum Tragen.“ Er kritisiert die „statische Beurteilung“ und vertraut stattdessen auf die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft. Er sieht in den Ausführungen von Vahrenholt ein „völlig überzogenes Szenario“, in seinen Augen ist „dieses Untergangsszenario völlig albern“.

Moderator Tichy lenkt die Debatte auf mögliche Alternativen – brauchen wir wieder Braunkohle? Douglas führt hierzu aus: „Deutschland verfügt noch über sehr viele Rohstoffe, unter dem Ruhrgebiet liegt noch sehr viel hochwertige Kohle. Auch unter der norddeutschen Tiefebene gibt es noch Gasvorkommen für 30 bis 40 Jahre, wenn wir das anzapfen.“ Und weiter: „Unabhängig vom Krieg in der Ukraine können wir die Netzstabilität nicht gewährleisten. Erdgas ist nicht einfach zu ersetzen. Es ist ein essenzieller Grundstoff für fast alle Chemieprozesse, die wir kennen.“ Daher resümiert er: „Schalten wir die Gasimporte aus, zerstören wir auch die Wertschöpfungsketten.“

Gibt es also wirklich keinen Ausweg aus dem Energie-Dilemma? Hat uns die gescheiterte Energiepolitik der letzten Jahre in eine Abhängigkeit geführt, aus der wir uns nicht mehr befreien können? Über all diese Fragen diskutiert Roland Tichy heute Abend mit seinen Gästen. Schalten Sie um 20:15 Uhr ein – bei Tichys Ausblick: hier auf der Webseite, bei YouTube oder tv.berlin!


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Kommentare ( 13 )

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Dieterfc
1 Jahr her

es sind fast 84 Mio mitlerweile, was ja längst beweist das wir seit 2012 nicht 1 oder 2 Mio, sondern eher 4-5 Mio. Flüchtende aufgenommen haben ! Da wir auch noch Biodeutsche verlieren soll mir jemand erklären wie das sonst zu Stande kommt ?

Dieterfc
1 Jahr her

Rein auf einem Modell von Marktlenkung und ‚andere Wege werden gesucht werden‘ die Energiepolitik zu lenken ist das nämlich. Es gibt eben nicht beliebig viele neue Energiequellen und Verfahren die man mal eben entwickeln kann, Kohl, Gas, Atom, Wasser, Sonne , Biogas und Wind , das war es….. Und jeder Änderungsprozess kostet unmengen an Geld und dauert Zeit, erst recht wenn neue Verfahren zur Industriereife gebracht werden müssen. Von da her war Christian Rieck der völlig falsche Diskussionsteilnehmer weiol ihm wohl jede technische Basis fehlt, es ist eben ein rein technisches Thema und da ist er fehl am Platz !… Mehr

Last edited 1 Jahr her by Dieterfc
Don Martin
1 Jahr her

Eine interessante Diskussion. Mich würde auch der Blick auf die Menschen des Landes interessieren, die die Folgen zu tragen haben werden. Welche Szenarien erwarten uns z B bei echtem Stromausfall? Alle Wasserpumpen stehen: Was ist mit Trinkwasser? Mit den sanitären Anlagen? Tiefkühlgut taut, Lebensmittel verderben. All dies in wenigen Tagen. Wie werden die Menschen reagieren? Besonnen? Auf die wundersame Selbstheilung des Marktes hoffend? Wie riecht eine Hochaussiedlung dann nach einer Woche? Kann ich die Polizei holen, wenn jemand vor meiner Wohnung steht und Einlass begehrt? Ohne Strom? Es sind nur eine paar banale (basale) Überlegungen. Zu apokalyptisch gedacht? Und heilt… Mehr

Last edited 1 Jahr her by Don Martin
thinkSelf
1 Jahr her

Ein Energieboykott ist nicht nur nicht gefährlich, sondern absolut zu begrüßen. Sind die Folgen doch genau das, was über 80% der Bevölkerung seit Jahrzehnten auf Knien herbeibetteln. Und die Umfragen für die anstehenden Wahlen zeigen das die Front weiterhin wie ein Mann hinter dieser Politik steht.
Und meine persönlichen Stichproben bestätigen die Umfragen aufs Beste. Ich werde jetzt genug Popkorn und Bier bunkern und die Nummer als grandiose Unterhaltungsshow genießen. Also bevor ich dann endgültig weg bin.

alter weisser Mann
1 Jahr her

LNG ersetzt die Hälfte vom Pipelinegas zum doppelten Preis.
Das ist mal eine Selbstheilung …
Was heilt die anderen Löcher, die der Weltmarkt haben wird, wenn Russland unter Embargo steht?

Teide
1 Jahr her

DAS ist eine Runde. Sowas müsste im Fernsehen zur besten Sendezeit laufen.

Teiresias
1 Jahr her

Daß die Medien jetzt voller Inbrunst für wirtschaftlichen Selbstmord als Ausweg aus wirtschaftlicher Abhängigkeit trommeln ist eine neue Qualität des Wahnsinns.

Die Irren haben die Anstalt übernommen – Vernunft hat keine Chance!

Carlos
1 Jahr her

Vielleicht hat Putin noch eine Überraschung für den 9. Mai auf Lager. Russland stellt (fast, außer Ungarn) alle Öl- und Gaslieferungen Richtung Westen ein. Das wäre eine Bombe, die unsere Wirtschaft nicht verkraften würde.

Bernhardino
1 Jahr her

„Wir müssen wissen, dass wir zu 50 Prozent von russischem Erdgas abhängig sind.“
Kann mir mal jemand erklären, was daran so dermassen schlimm ist, wenn Russland sogar jetzt absolut zuverlässig UND billig liefert?
Und dann noch, was an einer Abhängigkeit von den USA besser sein soll?

caesar4441
1 Jahr her

Es läuft alles wie am Schnürchen.Die Grünen haben es v o r der Wahl gesagt : Kein Strom,kein Gas,kein Öl,kein Holz ,keine Kohle,keine Heizung,kein Haus,kein Auto,kein Fleisch,keine Arbeit,kein Einkommen ,kein etc.Das Paradies ist nahe.Sie halten Wort im Gegensatz zu den anderen Parteien.Und der kleine Masochist ist beglückt.