SPD: Agitation bis zum Familientisch

Die sozialdemokratischen Kampagnenmacher griffen zur EU-Wahl zu einem übergriffigen Motiv, das sich nicht mit einem politischen Thema beschäftigt – sondern damit, was Leute zuhause essen, und wie sie sich kleiden.

Wer verstehen möchte, warum die SPD von ihrem schon schlechten Wahlergebnis der letzten EU-Wahl noch weiter abstürzte, kann sich ausführlichen Analysen widmen – oder einfach auf die Werbekampagne der Partei schauen. Denn die wirkte schon in den letzten Wochen eher irritierend bis abschreckend – etwa, als die PR-Verantwortlichen der SPD versuchten, auf die Sylt-Empörungswelle aufzuspringen, und ihr Motiv dann kurz darauf nach massiver öffentlicher Kritik zurückziehen mussten. Kurz vor dem Wahlgang platzierten die SPD-Werber erneut ein Motiv, das auf breite Ablehnung stößt.

„In welchem Europa willst du morgen aufwachen?“, heißt es auf einer in den sozialen Medien ausgespielten Grafik, die links das Schwarz-Weiß-Foto eines mit Anzug gekleideten Mannes, einer Frau und eines Kindes am Tisch zeigt. Der Mann schneidet gerade einen Truthahn auf. Rechts davon ein aus Großbritannien stammendes Farbfoto: zu sehen ist ein farbiger Mann im Kapuzenpullover, eine ebenfalls exotisch aussehende Frau und ein Kind beim Abendessen vor Schüsseln. Was dort verspeist wird, lässt sich nicht erkennen.

Das zeigt sehr schön, wie ernst man als Wähler genommen wird. https://t.co/ypimqFYloj

— Udo Vetter (@udovetter) June 8, 2024

Die Botschaft lautet also: hier die offenbar von der SPD als bedrohlich empfundene traditionelle und hellhäutige Familie und Fleisch auf dem Tisch – dort das Wunschbild, die irgendwie lockere und nichtweiße Familie. Allerdings wirkt das Motiv schon auf den allerersten Blick seltsam: Gebackene Truthähne finden sich in Deutschland nur in sehr, sehr seltenen Fällen auf dem familiären Speiseplan. Einige Nutzer auf X, vormals Twitter, stellen per Bildsuche schnell fest, woher das Foto stammt: die Aufnahme zeigt ein Thanksgiving-Essen in den USA im Jahr 1960.

Sollen die Wähler also fürchten, morgen in einem von amerikanischen Sechziger-Jahre-Familien okkupiertem Europa aufzuwachen, falls die SPD nicht genügend Stimmen erhält? Unabhängig von dieser Frage: Nutzer bei X fühlten sich massiv abgestoßen von einer übergriffigen Wahlwerbung, die sich obsessiv damit beschäftigt, was Leute zuhause essen und wie sie sich kleiden.

Vor allem stellt sich die Frage: hält die SPD in Zeiten des wirtschaftlichen Abstiegs und der wachsenden Gewaltkriminalität die Agitation gegen die vermeintlich zu traditionelle bürgerliche Familie tatsächlich für ein zugkräftiges Thema? Das Motiv passt nicht im Geringsten zur Stimmung im Land – dafür aber um so besser zu dem Trend, dass Politiker sich immer stärker in die Lebensführung der Bürger einmischen.

Anzeige

Unterstützung
oder