Psychiatrische Kliniken setzen zu wenig Personal ein

Die psychiatrischen Krankenhäuser sind unterbesetzt. Besonders im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Die Krankenkassen wollen das Problem mit mehr Therapien lösen, während derer der Patient zuhause bleibt.

IMAGO / Petra Schneider
Um die Pflege in Kliniken zu verbessern haben Politik und Selbstverwaltung die „Mindestpersonalvorgaben“ eingeführt. Diese Vorgaben sollen garantieren, dass immer genug Pfleger und andere Mitarbeiter da sind, um die notwendige Qualität der Behandlung zu garantieren. Nur erfüllen die psychiatrischen Kliniken diese Standards offensichtlich nicht, wie eine Umfrage ergeben hat, die der Dachverband der gesetzlichen Krankenkassen, die GKV, hat durchführen lassen.

Demnach haben rund 40 Prozent der psychiatrischen Krankenhäuser sich 2021 nicht an die Personalvorgaben gehalten. Im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie hat sogar die Hälfte die Latte gerissen. Das bedeutet ein Dilemma für die Politik und die Selbstverwaltung des Gesundheitswesens: Die Vorgaben sollen die Patienten schützen, indem diese ausreichend versorgt werden. Zudem sollen die Vorgaben das Personal schonen, indem es nicht zu stark belastet wird. Schon jetzt springen in der Pflege viele Mitarbeiter ab, weil sie die psychische und physische Belastung des Berufs nicht mehr ertragen. So verschärfen sie dann den Personalmangel, den es ohnehin gibt.

Nur: Was tun mit den Kliniken, die sich nicht an die Personalvorgaben halten? Mit finanziellen Strafen belegen? Das setzt die Leitung zwar unter Druck, schafft aber kein zusätzliches Personal herbei. Die entsprechenden Kliniken schließen? Seit Jahren steigt die Zahl psychischer Erkrankungen. Durch die Pandemie hat diese Entwicklung an Dramatik gewonnen. Gerade bei Kindern und Jugendlichen, wie unter anderem die Krankenkasse DAK berichtet hat. Würden Staat oder Selbstverwaltung psychiatrische Kliniken zwangsweise schließen lassen, würden sie das Problem nur verschärfen.

Der Dachverband der Krankenkassen will den Fokus verändern. Die GKV möchte nicht über den Personalmangel reden, sondern über die Angebote an psychisch kranke Menschen. „In den meisten europäischen Ländern wurden in den letzten 20 Jahren stationäre Kapazitäten abgebaut“, argumentiert die GKV in einer Erklärung. Deutschland nutze „die Alternativen zur stationären Behandlung viel zu wenig“. Würde mehr in Tageskliniken oder ambulant behandelt, ließe sich der Personaldruck auf die psychiatrischen Kliniken senken. „Das ist nicht nur im Sinne der Patientinnen und Patienten, sondern ermöglicht auch einen zielgerichteten Personaleinsatz“, behauptet die GKV.

Corona-Aufarbeitung ist notwendig
Zu den Opfern der Corona-Politik gehörten vor allem Kinder und Jugendliche
Die GKV sieht eine Schuld der Krankenhäuser an der mangelhaften Personalausstattung: Die Krankenkassen gäben den Kliniken genug Geld, um Mitarbeiter angemessen zu bezahlen: „Allerdings zeigte sich im Jahr 2019, dass noch jede fünfte Psychiatrie das vereinbarte Personalbudget auch für andere Zwecke und nicht vollständig für therapeutisches Personal verwendet hatte“, berichtet die GKV. Die aktuellen Zahlen ließen darauf schließen, dass die Kliniken das Geld weiter zweckentfremden.

Wobei das Wort „Zweckentfremden“ die falschen Vorstellungen auslöst: Das Geld wird nicht unterschlagen. Die Kliniken nutzen es, um Versäumnisse der Politik auszugleichen. Sie finanzieren sich grundsätzlich aus zwei großen Quellen: Mit dem Geld, das Krankenkassen für die Behandlung von Patienten überweisen, bezahlen die Kliniken den laufenden Betrieb. Für den Kauf, den Erhalt und die Sanierung der Häuser und der technischen Geräte bekommen die Kliniken Geld von den Ländern. Doch das ist zu wenig, wie unter anderem Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) gesagt hat. Diese Unterfinanzierung durch die Länder hat zu einem Investitionsstau an Krankenhäusern geführt. Diesen wiederum haben die Häuser gemildert, indem sie Geld für die Behandlung „zweckentfremdet“ haben, um in ihre Ausrüstung zu investieren.

Wie sich diese Kombination aus Personalmangel und Unterfinanzierung in der Praxis auswirkt, darüber hat unter anderem die Nordwest-Zeitung im November berichtet. Demnach nimmt die Suchtabteilung des Emdener Klinikums weniger Patienten auf. Versuche, mehr Personal anzuwerben, sind laut der Berichterstattung gescheitert. Mit dem vorhandenen, zu knapp bemessenen Personal lasse sich die Behandlung nicht mehr aufrechterhalten. Für die Suchtkranken bedeutet das, länger auf Therapien zu warten; sich ambulant behandeln zu lassen und zuhause weitgehend alleine gegen die Sucht anzukämpfen oder einfach – drastisch ausgedrückt – weiter zu saufen oder zu spritzen.

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Kommentare ( 9 )

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Montesquieu
1 Jahr her

Es fehlt nicht an Geld, sondern an Leuten, mit denen die finanzierten Stellen zu besetzen wären. Das scheint vielen Menschen nicht in den Kopf zu gehen. Teilweise sind 50% (!) der Gesamtbettenkapazität einer Klinik über viele Monate gesperrt, da das Personal fehlt (Beispiel vor Ort). Erste Praxen schließen, da nicht genügend Personal vorhanden ist, um die Praxis weiter betreiben zu können. Wenn kein Wunder geschieht, fährt das deutsche Gesundheitswesen spätestens in drei bis fünf Jahren komplett an die Wand und unserem Gesundheitsminister fällt dazu nicht mehr ein, als Geld rauszuhauen und die Versorgung von einem personell unterbesetzten Sektor in einen… Mehr

Montesquieu
1 Jahr her

„Für die Suchtkranken bedeutet das, länger auf Therapien zu warten; sich ambulant behandeln zu lassen und zuhause weitgehend alleine gegen die Sucht anzukämpfen oder einfach – drastisch ausgedrückt – weiter zu saufen oder zu spritzen.“ die personelle Unterbesetzung in der Psychiatrie ist wie in allen anderen Medizinbereichen auch hauptsächlich dem Fehlen von genügend und genügend qualifizierten Bewerbern geschuldet. die Drehtürsuchtbehandlung ist bezüglich ihrer Sinnhaftigkeit dringend zu hinterfragen; es gibt Suchtkranke, die fast quartalsweise eine stationäre „Entgiftung“ machen, um am Tag nach der Entlassung wieder loszusüchteln, zumeist polytoxikoman. Es ist v.a. dieses Klientel, das die psychiatrische Versorgung wirklich therapiefähiger und -motivierter… Mehr

Peter Mallm
1 Jahr her

Guter Beitrag, doch das Thema ist weit komplexer. Ich berichte nun aus eingehender leidvoller Erfahrung seit 2018 aus diesen modernen Zuchtanstalten, einem Relikt aus dem NAZI Zeit. Es findet in diesen Kliniken so gut wie keine therapeutische Betreuung statt. Die eingesetzten Psychotherapeuten sind häufig sehr jung und extrem Leben’s unerfahren. Gesetzlich garantierte Rechte des PsychKG werden schlichtweg ignoriert/verweigert – so wurde mir in meinem Fall der bei guter Führung garantierte Wochenendurlaub nach 6 Wochen schlicht verweigert. Die behandelnden Ärzte verschwinden physisch wenn man Sie befragt, sie verweisen auf den Chefarzt, der läßt sich auch nicht blicken. Ärzte kommen nur zur… Mehr

elly
1 Jahr her

Vielleicht auch mal bei den fff Freitagshüpfern und Klimaklebern Geld verlangen. mit ihren apokalyptischen Prophezeiungen, sorgen sie für mehr Depressionen, psychische Störungen bei unseren Kindern und Jugendlichen.

verblichene Rose
1 Jahr her

Zunächst. Bei psychisch auffälligen Menschen bedarf es einer gewissen, besonders sorgfältigen Aufmerksamkeit. Man darf aber dabei nicht übersehen, dass sämtliche Kliniken, ausser der “besonders” geschlossenen, manchmal gänzlich am “Bild” der Psychose gerade am Rad drehen! Nun, es gibt daher nicht zu wenig “Personal”, sondern man laboriert am Burn Out gänzlich vorbei! Denn eben noch war das “Coming out” noch Thema, aber dann kamen andere Probleme. Für mein dafürhalten geht Ihr Kommentar daher am eigentlichen Thema vorbei! Eine glückliche Familie ersetzt daher jede psychologische Behandlung! Das Problem ist, dass sich HEUTE nahezu jede Familie ausdrücklich Glück wünscht. Und sämtliche Opfer sind genau… Mehr

Klaus D
1 Jahr her

ES rächt sich jetzt immer mehr Merkel´s politik! Merkel hat eingespart wo es nur geht und gleichzeitig die steuern massiv erhöht.

Ralf Poehling
1 Jahr her

Ich bin ein großer Freund von Prävention und damit von Ursachenbekämpfung.
Wenn in diesem Land immer mehr Menschen durchdrehen oder immer mehr Durchgedrehte zuwandern, dann hat das eine politische Ursache.
Diese Ursache gehört abgestellt. Dann braucht es auch nicht mehr Personal/Geld in den Anstalten, sondern weniger.

Boris G
1 Jahr her

Es knirscht an allen Ecken und Enden, ob in Schulen, Kitas oder Kliniken. Sind wir vielleicht doch kein so ganz reiches Land? Die Billionen gehen weg für Euro-Rettung, Weltklimarettung, Versorgung von zugewandertem Armutsprekariat und jetzt auch noch „Russland in die Knie zwingen“. Da muss der Michel eben den Gürtel enger schnallen und verzichten – notfalls auch auf dringend benötigte stationäre Behandlung. Ein Blick in die Schweiz lässt einen neidisch werden: keine Wartezeiten auf Facharzttermine oder Operationen. Kunststück: In der Schweiz arbeiten allein 6000 abgewanderte in Deutschland ausgebildete Ärzte.

Hundefan
1 Jahr her

Ich arbeite selber in einer Psychiatrischen Klinik im Nordwesten.
Die Problematik ist seit vielen Jahren den Verantwortlichen bekannt. Aber hey, das Land Niedersachsen hatte ja nix besseres zu tun…als die Landeseigenden Landeskrankenhäuser an große Klinikträger zu verticken…um kurzfristig etwas Geld in die Kassen des Landeshaushalts zu spülen.
Und die meisten dieser großen Klinikketten…die den Zuschlag erhalten haben…haben vieles im Sinn…aber nunja…der Patient steht nicht unbedingt allzu weit im Ranking.
Übrigens: Wärend der „Corona-Krise“ haben viele dieser Kliniken pschiatrische Stationen geschlossen /Patienten nach Haus geschickt..und dort „frei gewordene Kapazitäten“ „angemeldet“…
Mehr möchte ich nicht schreiben, weil vielleicht justiziable.