Peter Gauweiler: Die EU neigt immer mehr zur Intoleranz

Der Anwalt und frühere CSU-Politiker Peter Gauweiler über seinen Sieg gegen die Europäische Zentralbank vor dem Bundesverfassungsgericht, den Versuch von Technokraten, einen EU-Einheitsstaat mit Tricks durchzusetzen – und die Gefahr, die von „historischen Dummköpfen“ ausgeht

picture alliance/dpa | Uli Deck

München. Das Vertragsverletzungsverfahren der EU gegen Deutschland wegen des EZB-Urteils des Bundesverfassungsgerichtes ist für den CSU-Politiker Peter Gauweiler der Versuch, nationale Verfassungen und Gerichte auszuhebeln. Mit dem Verfahren wolle die EU „andere Länder einschüchtern und Stimmung machen, vor allem das deutsche Verfassungsrecht außer Kraft setzen, wonach über die Auslegung des Grundgesetzes in letzter Instanz das Bundesverfassungsgericht entscheidet“, kritisiert Gauweiler im Gespräch mit der Oktober-Ausgabe der Zeitschrift Tichys Einblick. Die EU wolle „das demokratische System des Grundgesetzes unter die EU-Prämisse stellen und als Erstes die Bindungswirkung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die in Deutschland Gesetzeskraft haben, zerbröseln. Allerdings glaubt Gauweiler nicht an einen Erfolg des Vertragsverletzungsverfahrens. „Am Ende wird dieser Streit nicht politisch ausgetragen werden, sondern in der wechselseitigen Beteuerung von Missverständnissen versanden.“

Der Europäischen Union attestiert der CSU-Politiker eine wachsende Neigung zur Intoleranz. Sie akzeptiere keine abweichenden Meinungen und sehe sich als „Instanz über dem Volkswillen der Mitgliedsstaaten“. Damit trage die EU auch Verantwortung für den Austritt Großbritanniens aus der EU. „Die Engländer haben wir aus der Europäischen Union faktisch hinausgeekelt. Es gibt da eine unangenehme Tendenz zu immer mehr Intoleranz in Brüssel, zwanghaft alles und alle EU-Mitglieder gleichzubürsten“, so Gauweiler. „Die Erlaubnis zum politischen Denken geht nur von der Zentrale aus. So wurde das europäische System politisch halbseitig gelähmt – nur an die EU-Wahrheiten gebunden. Das ist ein Unglück.“

Gauweiler hält es für notwendig, die „Diversität“ Europas auch in der Struktur abzubilden und plädiert für eine Confoederatio Helvetica: Europa als die Schweiz der Welt. „Das passt im Vergleich schon von der Größe her viel besser zu Europa“, so Gauweiler. „Größe ist für Europa nicht der entscheidende Trumpf, sondern Qualität. Und die Qualität setzt etwas voraus, was man neudeutsch „Diversität“ nennt. Eine solche Vielfalt in Kultur und Ansichten gedeiht auf diesem Kontinent nicht unter einem stahlharten Gehäuse über dem ganzen Erdteil, das wusste schon Max Weber.“


Das ganze Interview in Ausgabe 10-2021 von Tichys Einblick >>>

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Kommentare ( 36 )

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RUBBERDUCK
2 Jahre her

Die Behauptung des Anwalts Gauweiler, „… eine Tendenz in Brüssel, zwanghaft alles und alle EU-Mitglieder gleichzuschalten“, steht vor dem Hintergrund eines mir vorliegenden Briefes der European Commission, Taxation & Customs Union, Control of the application of EU legislation and state direct taxation, dessen Original-Extrakt lautet: „The Member States are largely competent to design their own tax systems and to decide what to tax, when to tax it and at what rate. However, Member States have to respect their obligations under the Treaty on the Functioning of the EU [ TFEU ]. They are not allowed to discriminate on the basis… Mehr

Genco Steins
2 Jahre her

„Das demokratische System des Grundgesetzes“ Ich verstehe zwar den Ausdruck „demokratisches System“ in dem Zusammenhang nicht – wahrscheinlich soll es aber in dem besten Deutschland – der besten Demokratie aller Zeiten heißen: Man kann das GG aushebeln, brechen, ignorieren, ständig ändern – selbst seine Präambel heimlich umschreiben… weil es sowieso nur dazu diente, dem Volk den Anschein einer demokratischen Grund-Ordnung vorzugaukeln – mit geltenden, unabänderlichen, unveräußerlichen, nicht übertragbaren und vom Staat zu respektierenden Grundrechten. Zum seinem runden Geburtstag noch überschwänglich als „Garant des 70jährigen Friedens“ (wie kommt man auf sowas?!) gefeiert und bejubelt, hat man es kurz danach direkt in… Mehr

Dorothe
2 Jahre her

War die EU jemals tolerant? Soll sie es überhaupt sein? Brüssel ist für mich eine diktatorische Behörde, fern der Realität und der Bedürfnisse der Bürger. Hier werden Interessen vertreten ( und vermehrt auch durchgesetzt ), die uns Freiheit, Frieden ( Migration als Waffe ) und Wohlstand ( Schuldenvergemeinschaftung, Migration ) kosten und noch mehr Spaltung ( Hass und Hetze aus Brüssel, Berlin gegen über kritischen Bürgern, Journalisten, Wissenschaftlern …) bringen werden. Ich erinnere mich an die Aussage J. C. Junckers: „Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum, und warten einige Zeit ab was passiert. Wenn es dann kein… Mehr

Thorsten
2 Jahre her
Antworten an  Dorothe

Nein, die EU ist konstruiert um die Demokratie der Nationalstaaten auszuhöhlen und in einen Superstaat zu kanalisieren.
Bei solch großen „Visionen“ sind Kolateralschäden unausweichlich. Es ist ja für die „Große Transformation“ …

AJMazurek
2 Jahre her

Die EU neigt zum Zentralismus, zum Sonnenkönigtum, oder -kalifat. Ganz wie ihr revolutionäres Vorbild, der Wohlfahrtsausschuss.
Übrigens hat Philippe de Villiers eine interessante Sicht auf den Ursprung der EU veröffentlicht, „J’ai tiré sur le fil du mensonge et tout est venu“.

Last edited 2 Jahre her by AJMazurek
bfwied
2 Jahre her

Absolut jedes Reichskonglomerat zerfiel in der Geschichte. Immer wieder gab, gibt und wird es Leute geben, die eine „große Familie“ aus verschiedenen Völkern – und Kulturen sogar – schaffen wollen, und immer wieder fallen sie auf die Nase. Nicht einmal die Tschechoslowakei hatte Bestand! Und nun kommen die Leyen-Traumtänzer, allesamt sehr linkslastig, und wollen wieder ein Reich schaffen, in dem einer oder ein paar für die anderen arbeiten. Erst geschah der Brexit, die Oststaaten sind auch unzufrieden, andere, wie Österreich, scheren in manchen Bereichen aus. Es werden immer mehr folgen. Am Ende steht D. mit einer Billionenschuldenlast und uneinbringbaren Forderungen… Mehr

Thorsten
2 Jahre her
Antworten an  bfwied

Der „Point of no return“ ist seit der Bankenrettung überschritten. Diese Schulden können nicht beglichen werden, sondern werden früher oder später den Chinesen oder amerikanischen Spekulanten in die Hände fallen, die Europa letztes Tafelsilber sich unter die Nägel reißen. Alle weiteren Schulden wie ESM, PEPP und Corona kommen noch oben drauf.
Raten Sie einfach, warum die Immobilienpreise so hartnäckig steigen …

giesemann
2 Jahre her

Die USA als Bundesstaat wären womöglich ein besseres Vorbild für ein Europa als Staatenbund, weniger die kleine Schweiz. Europa könnte ein Kompromiss sein zwischen dem Bundesstaat USA und einem „Europa der Vaterländer“ nach Charles de Gaulle. Aber die Debatte, wie viel Brüssel/Washington, wie viel nationale/regionale Zuständigkeit ist immer da, auch und gerade in den USA (man denke nur an die verschiedenen Maßnahmen zu Corona, die Gerichtsbarkeit und ähnliche). Auf alle Fälle muss die Debatte geführt werden, alles kann auf den Prüfstand. Wir in Europa haben noch nicht einmal eine gemeinsame Armee, gemeinsame Rüstungspolitik und -beschaffung. Von gemeinsamer, oder zumindest gut… Mehr

K. Schroeder
2 Jahre her
Antworten an  giesemann

In der Analyse dürfte Ihnen wohl kaum jemand widersprechen. )) Allerdings ist angesichts des Regulierungswahns europäischer Politiker ein Bundesstaat die denkbar schlechteste Lösung. Was funktioniert hatte, war die EWG. Da müssen wir auch wieder hin: Jeder Mitgliedstaat regiert und wirtschaftet eigenverantwortlich in einer Freihandelszone – fertig. Charles de Gaulle lag mit seiner Einschätzung schon ganz richtig. Und wenn Länder innerhalb der EWG enger zusammenarbeiten wollen, können sie das bilateral vereinbaren.  Wir können natürlich auch so weiterwursteln – und das weitere EU-weite Abrutschen in Richtung BRICS-Niveau beklagen und uns die ach so schwierige Frage stellen, woran das wohl liegen mag. 😉… Mehr

Sonny
2 Jahre her

Bankrotteure, Wahlverlierer, abgehalfterte Parteipolitiker und Dilettanten. Die EU-Bürokratie ist wahrlich kein Verein, der Vertrauen fördert. Und ausgerechnet diesen Menschen sollen wir unser Rechtssystem, unsere Staaten, ja gar unser Leben anvertrauen? Für mich völlig unverständlich, dass die Regierungen der Länder bei diesem Spielchen der Aufgabe der nationalen Eigenbestimmung mitmischen. Warum also ??? Merken die nicht, dass sie sich und damit auch uns immens schaden? Nur, um aus dem EU-Topf Geld abgreifen zu können? Das ist mir als Begründung echt zu wenig. Oder sind die Menschen wirklich so trivial und dumm? Überbevölkerung, soziale Schere, Kriminalität, Terrorismus, Inflation, Wirtschaftsketten, die nicht mehr funktionieren,… Mehr

Last edited 2 Jahre her by Sonny
RS
2 Jahre her

Die EU in ihrer heutigen Form ist ausdrücklich gegen den Volkswillen der Mitgliedssraaten entstanden. Das Verfassungsreferendum war in den Niederlanden und Frankreich gescheitert, woraufhin hat man beschloß, den Inhalt umzuverpacken und ohne Volksentscheide trotzdem durchzusetzen, gegen den Volkswillen. Die EU wurde zum Eliteprojekt, das fortan gegen die Nationalvölker betrieben wurde. Die ganze Idee der „ever closer union“ mit dem Endziel eines EU-Staates setzt voraus, daß es eben keine nationalen Verfassungen mehr gibt, die über dem EU-Recht stehen, b.z.w. dieses begrenzen. Wer das Grundgesetz einem fremden Recht unterordnen will, müßte eigentlich das Volk befragen, das sich dieses Grundgesetz gegeben hat. Die… Mehr

Last edited 2 Jahre her by RS
Schmidtrotluff
2 Jahre her

Die EU ist nicht ansatzweise an dieser substantiellen Erkenntnis interessiert. Die EU ist eine Räuberbande, die so schnell wie möglich stillgelegt gehört.
Geldhahn zudrehen und morgen ist Ende der Herrlichkeit. Da es nur Diebe sind, wird keiner das morsche Gebilde verteidigen.

bkkopp
2 Jahre her

Bei aller Sympathie für Herrn Gauweiler und sein Eintreten für das Verfassungsrecht, die Schweiz scheint für EU-27, mit 23 Sprachen, kein gut brauchbares, staatspolitisches Modell zu sein. Das heißt nicht, dass man nicht Elemente der schweizerischen Staatskonstruktion auf ihre Brauchbarkeit für die EU-27 durchdenken sollte. Für die EU-27 sollten wir uns aber ein eigenständiges Modell denken, das die Größe und die historische, kulturelle, staats- und rechtspolitische, wirtschaftliche und mentale Diversität erfassen kann. Wir sind leider in der misslichen Lage, dass wir nicht einmal einen akademischen, staatorganisatorischen Diskurs über ein mögliches Organisationsmodell haben, weil die Vision von VSE als Bundesstaat, mit… Mehr

rolf
2 Jahre her
Antworten an  bkkopp

Wir brauchen eine Basis auf der wir fair miteinander wirtschaften können…nicht mehr und nicht weniger…das gilt nicht nur für Europa (ich meine EUROPA), sondern global!
Keine Ausbeutung und keine Doppelmoral mehr!

bfwied
2 Jahre her
Antworten an  bkkopp

Man kann nicht 27 Völker mit teils sehr unterschiedlicher Mentalität und Kultur zu einem Eintopf verrühren. Malta hat mit D. nichts am Hut, die haben andere Sorgen und wissen sehr wenig über D. Ist etwa die Stimmgewichtung, die Malta ein viel größeres Gewicht gibt, demokratisch in Ordnung? Wie soll man das ausgestalten. Demokratie geht nicht in einem Vielvölkergemisch, ging noch nie, wird niemals funktionieren.

bkkopp
2 Jahre her
Antworten an  bfwied

Natürlich ist die Stimmgewichtung nicht “ in Ordnung „. Im Gegenteil, sie ist ein ganz wesentlicher, aber nicht der einzige Grund, warum man das sogenannte EU-Parlament nicht als Parlament zur Gesetzgebung anerkennen sollte. Solange aber die politischen Eliten aller Mitgliedsländer dies, trotz BVerfG-Urteil zum Lissabon-Vertrag, einfach ignorieren, und über “ Bundeslisten “ ihre Günstlinge in die Aktivisten-Pfründe delegieren, solange kann sich nichts ändern. Das sogenannte EU-Parlament ist der dickste Pflock für die Illusion von “ Vereinigte Staaten von Europa “ als Bundesstaat. Die 705 MEPs mit Apparat haben, zum Eigenverbrauch, immerhin ein Verwaltungskostenbudget von fast € 2.5 Mrd., das sind… Mehr