Nichts Neues nach Berlin

Auf die Idee, einfach gute Politik zu machen statt weiterzuwursteln und das mit Obsessionen "gegen Rechts" zu tarnen, scheint niemand zu kommen. Was dann kommen muss: Nach der Bundestagswahl 2017 nimmt die AfD im Bundestag Platz. Wenn es so weiter geht, sogar als zweitgrößte Fraktion nach der Union.

© Sean Gallup/Getty Images
Die "Demokraten" schneiden den Berliner AfD-Spitzenkandidaten Georg Pazderski, der sich gegen Petry's und Gauland's Bild vom "Völkischen" stellte.

Eine neue Merkel nannten besonders Fromme die Kanzlerin, als sie gestern von Fehlern in ihrer Kommunikation sprach. Doch insgesamt fiel das Medienbild nicht so einheitlich aus wie zu erwarten. Als Beispiel mag der Kölner Stadtanzeiger dienen:

„Am gravierendsten ist das Bekenntnis, die Regierung habe in der Flüchtlingspolitik im vergangenen Herbst zwischenzeitlich die Kontrolle verloren. Wie ein lässlicher Stilfehler wirkt daneben der Hinweis, sie habe den Satz ‚Wir schaffen das‘, der für ihre Gegner in der Union und außerhalb zu einer Art Rotem Tuch geworden ist, vielleicht etwas zu oft gesagt.“

Aber ums Merkelbild geht es mir hier nicht, sondern um die Frage, wie werden die Bundestagsparteien (und die FDP) nach Berlin mit der AfD umgehen. Denn das entscheidet bis zur Bundestagswahl so ziemlich allein über den Ausgang derselben.

Sollten Union und SPD, aber auch Grüne und FDP, nach langem Schweigen nun plötzlich mit mutigen neuen Antworten auf die Defizite der deutschen Politik aufwarten, hätten wir eine andere Lage. Mit den Defiziten meine ich gar nicht zuerst die Einwanderungspolitik, die irreführend und schon dadurch fehlleitend Flüchtlingspolitik genannt wird.

Die eklatanten Schwächen der deutschen Bürokratie im Umgang mit den wohl eher zwei Millionen 2015 und 2016 Hinzugekommenen als einer Million könnten die Regierungen in Bund und Ländern nutzen, um zu erkennen, wo dringend entrümpelt und erneuert werden muss. Vor allem, wo allein durch Dezentralisierung nicht nur Fehlfunktionen beseitigt, sondern neue Dynamiken für eine effiziente und die politische Kultur bereichernde Arbeitsteilung zugleich zwischen Bürgergesellschaft und Staat auf allen Ebenen entfesselt werden können: und damit auch mehr Demokratie.

Die Medien könnten die Defizite im zentralistischen Bildungswesen (nicht täuschen lassen durch die Leerformel vom Bidungsföderalismus) aufzeigen und alternativen Ideen Raum geben. Sie könnten Platz schaffen für eine ehrliche Bestandsaufnahme des Standes und der Folgen der „Energiewende“. Kurz: Der ganze nationale Regulierungskomplex und der darübergestülpte der EU in seinen Auswirkungen auf Gesellschaft und Wirtschaft gehört auf den Prüfstand. Ich lasse es dabei, die Liste wird sonst zu lang.

Sobald sich Politik und Medien mit den drängenden Sachfragen beschäftigten, änderte sich in der Arena der öffentlichen Debatte alles. Damit dürfen wir leider nicht rechnen. Die Lust an der Benutzer-Oberfläche sitzt viel zu tief. Einen Merkelsatz zu interpretieren, über Gabriels Ende zu spekulieren, wenn er die Ceta-Abstimmung in seiner Partei verloren hätte, seinen neuen Chancen taxieren, weil er sie gewann, was in der Enttäuschung des Schulz’schen Gesichts bei der Verkündung nicht zu  übersehen war, ob Oskar schuld ist an Sahras populistischen Ausflügen, finden zu viele Journalisten offensichtlich viel spannender. Dass sie das tun, weil es ihre Leser, Hörer und Zuschauer wollen, ist eine ebenso alte wie falsche Begründung.

Was also ändert sich nach Berlin nach der erneuten Abwahl der GroKo? Nichts. Die Kombattanten lassen sich weiterhin in ihren politischen Positionen in der Sache in keinem wichtigen Punkt unterscheiden. Die einzig sichtbare andere Partei ist die AfD. Ob sie das in der Sache im einzelnen hält, spielt keine Rolle. Die Serie ihrer Wahlerfolge bestätigt nur einmal mehr, was zum Grundwissen jedes Zeitgenossen gehören sollte: Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg. Er verstärkt sich weiter von selbst.

Die älteren Parteien haben auch nach Berlin nicht vor, ihren Umgang mit der AfD zu ändern. Wobei sie nicht zu merken scheinen, dass sie in ihrem – sagen wir es mal höflich: unfreundlichen – Umgang mit den AfD-Funktionären nicht diese treffen, sondern die Wähler und Sympathisanten der AfD. Es verblüfft mich immer wieder: Sie realisieren offensichtlich nicht: die allermeisten von ihnen waren früher IHRE Wähler und Sympathisanten, die von CDU, FDP und SPD. Von den Grünen ist der Zuzug zur AfD geringer, aber es gibt ihn auch. Die Schnittmenge zwischen Linkspartei und AfD ist eine eigene Geschichte wert. Ein Blick auf die Wählerkarte Berlins mit besonderer Berücksichtigung Ostberlins in der Berliner Morgenpost gibt wertvolle Hinweise.

In der letzten Ausgabe der ZEIT finden sich neun Thesen ihrer Redakteure Anne Hähnig und Martin Machowecz zur Frage: „Wie mit der AfD umgehen?“ Beide sind 28 Jahre alt und schauen aus einer besonders interessanten Perspektive auf den bisherigen Weg der AfD: als Korrespondenten im Dresdner Büro ihres Blattes. Ihre Thesen dienten einer Diskussion in der ZEIT-Redaktion in Hamburg, die wohl sehr lebhaft verlief. Ich zitiere Auszüge:

  • „Wer die anderen als die ‚demokratischen‘ Parteien ettiketiert, schließt die AfD aus. Wer einen Satz mit der ‚rechtspopulistischen AfD‘ einleitet, vermittelt, dass eh egal sei, was jetzt folge.“
  • „Wer die AfD dämanonisiert, indem er sie mit Neonazis gleichsetzt, macht es nicht nur der AfD zu leicht, sondern auch sich selbst. Er drückt sich davor, im Konkreten nachzuweisen, wo die AfD Grenzen überschreitet.“
  • „AfD-Politiker werden zum Beispiel als ‚Rattenfänger‘ (NDR) bezeichnet – womit man nicht nur die Politiker, sondern auch deren Anhänger beschimpft.“
  • „AfD-Politiker kalkulieren mit dem enormen emotionalen Aufruhr, den ihre Äußerungen provozieren. (Anmerkung: bewussten Provokationen, von denen man wieder zurückrudern kann.) Sie machen Politik über den Kampf um Begriffe. Gerade deshalb wäre es besser, inhaltlich, analytisch, faktenreich zu entgegnen.“
  • „Es gibt zwei AfD-Obsessionen. Die eine: Es wird über die AfD in einem Maß berichtet, als sei sie derzeit das wichtigste Thema der Welt. Die zweite: Es gibt eine Obsession der Ausgrenzung. Die Berichterstattung über die AfD wird als ‚Wir gegen die‘ zelebriert. Ständig ist von ‚uns‘ und ‚denen‘ die Rede, als gäbe es keine Gemeinsamkeiten. So macht man die AfD dann tatsächlich zu jener Fundamentalopposition, die sie vorgibt zu sein.“
  • „Sprachliche Ausgrenzung wird die AfD jedenfalls nicht verschwinden lassen, sondern eher stärken.“

Solche Diskussionen gibt es, wie ich immer mal wieder erfahre, tief drinnen in mehr Medien als der ZEIT und in allen alten Parteien. Dort allerdings ängstlich verborgen. Was die zwei Journalisten „Obsession der Ausgrenzung“ nennen, ist oft noch mehr das Bemühen nachzuweisen, dass man auf der „richtigen Seite“ steht. In den neun Thesen der zwei Korrespondenten steht das nicht, aber zwischen den Zeilen.

Bis zur Bundestagswahl werden solche einsamen öffentlichen Einsichten wie in der ZEIT die rare Ausnahme bleiben. Bis dahin geht es mit dem Ausgrenzen weiter. Bis dahin bleiben die Ausgrenzer die besten Wahlhelfer der AfD. Daran werden auch die Landtagswahlen 2017 an der Saar, in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen nichts ändern. Im Gegenteil: in den drei Ländern werden sich die dort um ihre Macht kämpfenden Spitzenpolitiker ganz besonders gegen die AfD stellen, statt ihre eigenen schweren Politikdefizite mutig durch Neues zu ersetzen. Das ist ein ganz wesentlicher Grund für das Versagen der handelnden Politiker: Sie verwechseln ihre Aktionen „gegen Rechts“ mit Politik. Nicht einmal die eigenen Mitglieder können sie damit mobilisieren, keine Wähler hinter dem Ofen herbeilocken, aber ganz im Gegenteil viele Nichtwähler zur Abgabe eines Denkzettels animieren.

Auf die Idee, einfach gute Politik zu machen statt weiterzuwursteln, scheint niemand zu kommen, den gegenwärtigen und schon lange andauernden Stillstand gar nicht als Problem zu erkennen oder lieber an seiner Karriere zu arbeiten statt an Politik. Dann kommt, was kommen muss: Nach der Bundestagswahl 2017 nimmt die ausgegrenzte AfD im Parlament Platz. Wenn es so weiter geht, als zweitgrößte Fraktion nach der Union (mit gleich vielen Abgeordneten wie die CDU?).

Die Uneinsichtigkeit in ihrem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf.

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