Tichys Einblick
Industriestrompreis 

Habecks neue Idee: der „Brückenstrompreis“ 

Habeck will einen Industriestrompreis in Höhe von 6 Cent pro Kilowattstunde auf 80 Prozent des Stromverbrauchs der Unternehmen einführen. Auf lange Sicht soll aus dem „Brückenstrompreis“ ein „Transformations-Strompreis“ werden. Und der Mittelstand schaut in die Röhre.

Robert Habeck, Bundeswirtschaftsminister, 22.05.2023

IMAGO / Chris Emil Janßen

Der durch politische Entscheidungen hochgetriebene Strompreis soll nun durch ein neues Gesetz aufgefangen werden. Wie am Montag in einer Pressekonferenz von Habeck verkündet, soll es einen „Brückenstrompreis“ geben, der bis 2030 gelten soll und Industriebranchen wie Chemie, Stahl, Metall, Glas oder Papier unterstützen. Habeck stellt jedoch eine Bedingung: Betriebe, die von dem günstigen Strom profitieren wollen, müssen sich dazu verpflichten, bis 2045 klimaneutral zu produzieren. Darüber hinaus ist der Industriestrompreis an Tarif- und Standorttreue gebunden. Vom „Brückenstrompreis“ sollten ausschließlich energieintensive Industrieunternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, inklusive neuer Transformationsindustrien, profitieren, heißt es im Arbeitspapier des Wirtschaftsministeriums unter dem Titel „Bündnis Zukunft der Industrie“. 

Industriestrompreis 
In der Pressekonferenz unterstrich Habeck, es handele sich zunächst nur um einen Vorschlag seines Hauses, der in der Bundesregierung noch nicht abgesprochen sei. Um die Betriebe zum Stromsparen zu motivieren, soll der subventionierte Strompreis jedoch nur für 80 Prozent des Verbrauchs gelten. Die Kosten für den Steuerzahler liegen nach heutigen Strompreisen bis dahin bei 25 bis 30 Milliarden Euro und sollten aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds bezahlt werden. Profitieren würden Firmen im internationalen Wettbewerb, der vergünstigte Tarif gelte für 80 Prozent des Basisverbrauchs.
Aus dem „Brückenstrompreis“ wird ein „Transformations-Strompreis“

„Die Industrie soll von günstigem Strom aus Erneuerbaren Energien profitieren – über einen langfristigen Transformationsstrompreis. Der massive Ausbau von Erneuerbaren Energien wird mit klugen Instrumenten für den direkten Zugang der Industrie zu billigem grünem Strom gekoppelt“, heißt es. Bis diese Transformation aber erfolgt sei, brauche es eine Brückenlösung. Ab den 2030er Jahren solle ein langfristiger Transformationsstrompreis sicherstellen, dass die Industrie direkt von günstigem erneuerbarem Strom profitiert.

Absehbar neue Querelen in der Ampel 

Habeck hatte schon seit Anfang Mai einen Industriestrompreis avisiert, dies hatte jedoch Finanzminister Lindner infrage gestellt. So sagte Lindner zuletzt in einem Interview der Wirtschaftswoche, auf der einen Seite würden die Energiepreise durch politische Entscheidungen nach oben getrieben – auf der anderen Seite sollten sie für einen Teil der Wirtschaft subventioniert werden. Dafür sehe er keinen Spielraum. In einem Gastbeitrag für das Handelsblatt schrieb er, auf direkte staatliche Hilfen zu setzen, sei „ökonomisch unklug“ und widerspreche den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft. Lindner hatte sich auch schon gegen eine Öffnung des Wirtschaftsstabilisierungsfonds ausgesprochen. 

„Extrem teure Subventionen sind dafür aber aus mehreren Gründen der falsche Weg. Erstens wäre ein Industriestrompreis verteilungspolitisch ungerecht: Die Privilegierung von Industrieunternehmen wäre wohl nur auf Kosten anderer Stromverbraucher und Steuerzahler umsetzbar, zum Beispiel von Privathaushalten oder des Handwerks. Die Wettbewerbsfähigkeit für manche zu steigern, würde für andere damit einen Verlust an Wettbewerbsfähigkeit bedeuten. Eine solche Quersubventionierung wäre industrie- und sozialpolitisch zweifelhaft. Im ohnehin angespannten Haushalt gibt es auch keinen Spielraum für entsprechend hohe Subventionen. Eine Umwidmung von Mitteln des Wirtschafts- und Stabilisierungsfonds Energie wiederum, der angesichts des russischen Angriffskriegs strikt zweckgebunden angelegt worden ist, ist ausgeschlossen.“ 

Industriestrompreis 
Derweil macht sich SPD-Chef Lars Klingbeil bei Kanzler Olaf Scholz für einen subventionierten Industriestrompreis stark. „Ich mache Druck jetzt. Das muss in der Regierung geklärt werden“, sagte Klingbeil am Sonntagabend in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“. „Wir brauchen jetzt in Deutschland schnell einen Industriestrompreis. Wir müssen für die nächsten zehn, zwölf Jahre einen Industriestrompreis in Deutschland haben, der hilft, dass hier die Industriearbeitsplätze erhalten bleiben.“ Das Geld dafür sei über die 200 Milliarden Euro für die Gas- und Strompreisbremse vorhanden. 
Der Mittelstand wird ignoriert 

Nach den bisherigen Plänen bleibt der Mittelstand außen vor. Die Einführung sei nicht nur ein Schlag gegen marktwirtschaftliche und ordnungspolitische Prinzipien, sondern auch ein mehr als unfreundlicher Akt gegen den Mittelstand, der in den Plänen bislang überhaupt nicht vorkommt, schreibt der Mittelstandsverbund. „Der Wirtschaftsminister lässt mit der einseitigen Subventionierung von Industrieunternehmen den Mittelstand verärgert zurück, denn gerade auch mittelständische Betriebe konkurrieren im internationalen Wettbewerb und mit zunehmendem Direktvertrieb der Industrie. Den Mittelstand als Herz und Motor der deutschen Wirtschaft, aber mit den hohen direkten Stromkosten zurückzulassen, wobei er gleichzeitig die Subventionen für die Großindustrie mit seinen Steuern zu einem nicht unerheblichen Teil finanziert, spaltet die Wirtschaft und ist in einem mittelständisch geprägten Land kontraproduktiv“.

Unternehmen, die viel Energie brauchen – etwa in der Chemieindustrie –, mussten nach einer Auswertung des Bundesverbands der Energie und Wasserwirtschaft im vergangenen Jahr mehr als 18 Cent pro Kilowattstunde entrichten. Damit ist der Strom in Deutschland Auswertungen zufolge weltweit mit am teuersten. Die deutsche Industrie lag 2021 bei den Strompreisen an der Spitze im europäischen Vergleich. In Schweden etwa kostete die Megawattstunde noch nicht mal halb so viel.

In Frankreich gibt es den ARENH-Tarif für 4,2 Cent je Kilowattstunde Strom. Frankreich erließ 2010 ein Gesetz (NOME-Gesetz), das eben jenen Mechanismus regelt, das heute als „Industriestrompreis“ firmiert.

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