„Sexuelle Identität“ ins Grundgesetz: Der Bundesrat und sein trojanisches Pferd

Der Bundesrat will sich dafür einsetzen, dass „sexuelle Identität“ ins Grundgesetz aufgenommen wird. Er beschloss am 26. September, eine entsprechende Gesetzesinitiative in den Bundestag einzubringen. Zur treibenden Kraft hinter dem Vorstoß gehören ausgerechnet CDU-geführte Länder.

picture alliance / ZUMAPRESS.com | Michael Kuenne

„Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“ So heißt es in Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz. Für die Verfassungsänderung, die der Bundesrat einbringen will, bedürfte es einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag.

„Sexuelle Identität“ – was soll das eigentlich sein? Der so selbstverständlich bemühte Begriff ist hochproblematisch, und zwar bereits grundsätzlich. Zum einen verdrängt er zunehmend den Ausdruck „sexuelle Orientierung“. Und das hat einen Grund. Orientierung impliziert eine Ausrichtung, die man grundsätzlich aktiv ändern kann, und die bis zu einem gewissen Grad im eigenen Ermessen liegt. Das entspricht nicht nur der Erfahrung derjenigen, deren sexuelle Vorlieben sich im Laufe ihres Lebens ändern, es entspricht auch der Vorstellung einer „Fluidität“ im Bereich der Geschlechtlichkeit, die in der LGBTQ-Community durchaus existiert.

Klarheit statt Nebel!
Warum „sexuelle Identität“ nicht ins Grundgesetz gehört
Identität dagegen ist ein viel grundlegenderer Teil einer Person als ihre „Orientierung“. Mit dem Begriff „Identität“ entziehen sich sexuelle Minderheiten jeglicher Kritik: Ihre Sexualität wird unangreifbar, da Teil der Identität eines Menschen, die ihm nicht genommen und die auch nicht hinterfragt werden darf. Das ist insbesondere in Bezug auf die Transideologie von Bedeutung, die zusätzlich zur sexuellen Orientierung die eigene Geschlechtlichkeit als Gefühl definiert, losgelöst von der biologischen Realität – die im Gegensatz dazu bei Homosexualität konstitutiv ist. Bezöge sich grundgesetzlicher Schutz auf Transgenderidentität, würde es etwa für Eltern, Ärzte und Psychotherapeuten noch schwieriger, Kinder vor dem Zugriff des Transaktivismus zu schützen, da etwa der Versuch, eine Transition zu verhindern oder bereits ihr vorzubeugen, als verfassungswidrig gelten könnte.

Hinzu kommt: Wer heute über „sexuelle Identität“ spricht, der meint Homo- und Heterosexualität, vielleicht auch Bisexualität. Wer sich in dieser Form sexuell ausleben will, ist aber in Deutschland vollkommen ausreichend vor Diskriminierung geschützt. Vor körperlicher Gewalt und Beleidigung ohnehin, so wie alle Bürger und Bewohner des Landes, aber durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz auch vor Diskriminierung. Für diese Gruppen ist die Aufnahme der „sexuellen Identität“ ins Grundgesetz also keinesfalls eine notwendige Errungenschaft, sondern allenfalls ein Triumph, der sie in der Verfassung sichtbar macht.

Doch um welchen Preis? „Sexuelle Identität“ ist im Grunde ein sogenanntes „Weaselword“. Es bedeutet, was man hineinliest. Was etwa ist mit Pädophilie und anderen geächteten Formen der Sexualität wie Zoophilie? Was ist mit Inzest? Gehört es nicht zur sexuellen Identität naher Verwandter, wenn sie sich zueinander hingezogen fühlen? Darf man einem Menschen, der sich sexuelle Kontakte zu Kindern wünscht, dies verdenken, dies psychiatrisch oder psychotherapeutisch begleiten, oder als strafrechtlich relevant betrachten? Was ist mit Menschen, die sich erst durch Gewalt sexuell stimuliert fühlen?

Sobald „sexuelle Identität“ im Grundgesetz verankert ist, müssen die entsprechenden Gruppen nur noch darauf hinwirken, dass ihre Vorlieben als solche anerkannt werden – um sich dann darauf berufen zu können, durch das Grundgesetz Anspruch auf Schutz zu haben. Andersherum gäbe ihnen der entsprechende Passus im Grundgesetz eine argumentative Grundlage, um eine solche Anerkennung zu fordern.

Eine alarmistische Verschwörungstheorie? Nun, man hat im Zuge der Durchsetzung des Selbstbestimmungsgesetzes bereits beobachten können, wie die warnenden Stimmen gerade von Frauenrechtlerinnen ignoriert wurden, deren Einwände sich allesamt in der Praxis als stichhaltig erwiesen haben: Eindringen von Männern in Frauenräume, Manipulation von Kriminalstatistiken, weil von biologischen Männern begangene (Sexual-)Straftaten Frauen zugerechnet werden, die willkürliche Änderung des Geschlechts vor allem durch Männer, die sich dadurch Vorteile verschaffen.

Obwohl das Selbstbestimmungsgesetz ein warnendes Beispiel sein sollte, macht sich der Bundesrat nun unverdrossen daran, ohne Not ein trojanisches Pferd von enormen Ausmaßen in Verfassungsrang zu bringen.

Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz
Das Land Berlin unter Kai Wegner (CDU) hatte den Vorstoß beantragt, andere Länder folgten. „Der heutige Beschluss des Bundesrats ist ein wichtiges Signal für Respekt und Gleichbehandlung. Der Berliner Senat hat Wort gehalten“, sagte Wegner. „Auf Initiative Berlins haben wir den Weg geöffnet, dass niemand in unserem Land wegen seiner sexuellen Identität benachteiligt werden darf.“ Dass die Initiative dazu ausgerechnet vom CDU-regierten Berlin ausging, der sich auch die CDU-Ministerpräsidenten Hendrik Wüst und Daniel Günther anschlossen, wird es CDU-Parlamentariern noch schwerer machen, trotz Brandmauer gegen das Ansinnen zu stimmen.

Letztlich braucht es zivilgesellschaftliches Engagement, das sich gegen die Implementierung „sexueller Identität“ im Grundgesetz einsetzt. Der Verein Frauenheldinnen etwa hat sich bereits mit einem offenen Brief an die Abgeordneten des Bundestags und die Bundesregierung gewandt. Darin heißt es: „Die geplante Aufnahme der sogenannten ‚sexuellen Identität‘ in Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes verwässert den klaren, geschlechtsbasierten Schutz von Frauen, Mädchen sowie homo- und bisexuellen Menschen. Sie verstößt gegen das Gebot der Normenklarheit, stellt ein wissenschaftlich fragwürdiges Konstrukt über das biologische Geschlecht und öffnet Tür und Tor für Missbrauch.“ Das Grundgesetz dürfe nicht ausgehöhlt werden.

Frauenheldinnen e.V. weist auch darauf hin, dass das Ansinnen ohnehin verfassungswidrig sein könnte und ruft Bürger dazu auf, sich dem Einspruch gegen die Initiative anzuschließen.
Dass man die eigene Gesetzgebung nicht unterminieren muss, beweist am selben Tag die Slowakei. Hier hat das Parlament dem LGBTQ-Aktivismus einen Riegel vorgeschoben, und die Zweigeschlechtlichkeit des Menschen verfassungsrechtlich bestätigt – und ebenso ein Verbot von Leihmutterschaft sowie die Elternrechte in Bezug auf Sexualkunde verankert – mit einer Mehrheit von einer Stimme. Denkbar knapp für ein im Vergleich zu Deutschland deutlich strukturkonservativeres Land und ein Hinweis darauf, wie scharf der Kampf zwischen woken Ideologen und Verfechtern einer auf der Realität basierenden Gesellschaft ausgefochten wird.

Dass eine Verfassung kleinteilig derartige Fragen regeln muss, ist bereits ein Warnzeichen. Aber die slowakischen Abgeordneten hatten den Mut, dem Zeitgeist entgegenzutreten, und haben bekräftigt, ihr Land auf Grundlage einer vernunftbasierten, unideologischen Basis ordnen zu wollen. Die kleine Slowakei als Lehrer und Vorbild: Hier herrscht eine Weitsicht, die man nun den deutschen Bundestagsabgeordneten wünschen muss.

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Kommentare ( 53 )

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Kaesebroetchen
2 Monate her

Das Verhalten der früher einmal bürgerlichen, konservativen und, jetzt sträubt sich wirklich meine Tastatur in diesem Zusammenhang, christlichen CDU wird immer unglaublicher. Man könnte fast an eine feindliche Übernahme der Partei Ludwig Erhards denken, aber wahrscheinlich sind es nur die dort üblichen übliche Feigheit, Opportunismus und Karrieregeilheit, die früher diese einstmals bewundernswerte Partei ebenso zerstören werden wie vor ihr die italienische Democrazia Cristiana.

Milton Friedman
2 Monate her

Frau Diouf, Sie missverstehen hier glaube ich etwas. Es geht hier nicht darum imaginäre Ungerechtigkeiten zu beenden.

Wenn laut einer Umfrage von (linkem) YouGov nur 47% der Bürger das Selbstbestimmungsgesetz befürworten (Tendenz sinkend) oder 65% Gendersprache ablehnen (Tendenz steigend), wird dies gewiss auch den Initiatoren der Grundgesetzesinitiative klar sein.

Dass überwiegende Teile der Bevölkerung die Sexual-Ideologie ablehnen, ist kein Missstand, es ist der Grund warum diese Initiative überhaupt existiert:

Wenn dieser Text ins Grundgesetz kommt, kann man den Inlandsgeheimdienst ganz offen auf eben jene Mehrheit hetzen.

„Unsere“ Demokratie, eben.

Deutscher
2 Monate her

„Identisch“ bedeutet völlig übereinstimmend / vollkommen gleich.

Ist ein Mann, der sich als Frau „identifiziert“, vollkommen gleich wie eine Frau?

Milton Friedman
2 Monate her
Antworten an  Deutscher

Die „richtige“ Antwort auf diese Frage und der Varfassungsschutz darf bald die Wohnung neben Ihnen mieten

Deutscher
2 Monate her
Antworten an  Milton Friedman

Das wäre dann ein ehemaliger Hasenstall. Ich vermiete ihn gerne an die Schlapphüte. Und weil Deutschland ja so reich und die Angelegenheit so bedeutend ist, sagen wir mal für 100€/qm. Kalt, natürlich.

RA.Dobke
2 Monate her

Mal wieder ein ganz ausgezeichneter Artikel, der nicht nur ins schwarze, sondern auch ins rote und grüne trifft !!! 1+ von mir. Dankeschön an die Autorin!

Last edited 2 Monate her by RA.Dobke
Deutscher
2 Monate her

Was irgendwelche Spinner sich ausdachten, wird nicht wahrer oder plausibler dadurch, dass sie es ins GG schreiben lassen.
Ein Mann ist ein Mann. Eine Frau ist eine Frau. Man kann sich ja auch nicht zum Afrikaner umschreiben oder zum Bundespräsidenten erklären lassen, nur weil man sich vielleicht als solcher „identifiziert“.

Last edited 2 Monate her by Deutscher
Mikmi
2 Monate her

Oh, bitte auch die Regenbogenflagge und das Gendern als Amtssprache ins GG.

Privat
2 Monate her

Lächerlich – Es gibt nur Mann und Frau.
Alles andere ist völlige Volksverdummung.
Überall nur noch Idioten in diesem verkommenen Land

Michael Palusch
2 Monate her

Welche „sexuelle Identität“? Etwa das, was heute so, morgen so und übermorgen ganz anders sein kann?

Deutscher
2 Monate her
Antworten an  Michael Palusch

Genau. Es ist eben keine Identität, sondern die totale Beliebigkeit. Das Gegenteil von Identität.

Last edited 2 Monate her by Deutscher
gmccar
2 Monate her
Antworten an  Michael Palusch

Zu frühen Zeiten von TE schrieb mal jemand als Vergleich zum Thema, das diese Identität dann wie bei einer Lavalampe funktioniere.

Evero
2 Monate her

Die Autorin hat das Problem mit dem Ansinnen sehr gut beschrieben.
Ich fürchte, dass manche Politiker da Nachhilfe nötig haben.

MartinKienzle
2 Monate her

Fräulein Diouf versteht erneut nicht, welches Ziel unter anderem die geplante Aufnahme der sogenannten „sexuellen Identität“ in das BRD-Grundgesetz verfolgt: Weitere Verwirrung der männlichen sowie weiblichen Geschlechtlichkeit, somit Zerstörung der christlich-traditionellen Familie als Fundament einer funktionierenden Gesellschaft, das letztlich bereits den stattfindenden Verfall der Gesellschaft weiter beschleunigt! Unter anderem Fräulein Diouf fehlt das Verständnis, dass sie es selbst ist, die jener Zerstörung einen Riegel vorschieben kann, indem sie zum klassischen Frauenbild zurückkehrt, das allerdings (höchstwahrscheinlich) unterbleiben wird, da sie ja eine sogenannte „emanzipierte Frau“ ist – und so echauffiert sie sich wortgewaltig wie in dem vorliegenden Artikel über den voranschreitenden… Mehr

Deutscher
2 Monate her
Antworten an  MartinKienzle

Was heißt „christlich-traditionell“? Die „Tradition“ der Familie und die natürlich gewachsenen Geschlechterrollen in Europa sind wesentlich älter als das Christentum.

Last edited 2 Monate her by Deutscher