Folterer aus Syrien praktizierte jahrelang als Arzt in Deutschland

Ein Syrer, der für den syrischen Geheimdienst folterte, konnte jahrelang in Deutschland als Arzt praktizieren – er ist nicht der erste syrische mutmaßliche Mörder des Assad-Regimes, der problemlos nach Deutschland einreisen konnte.

IMAGO/Zuma Wire

Seit 2015 lebt und praktiziert der Ex-Folterer Alaa M. in Deutschland als Arzt. Die Generalbundesanwaltschaft hat am 15.07.2021 Anklage vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt erhoben – der Vorwurf: Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Mord und Körperverletzung. Demnach soll er in 18 bekannten Fällen Menschen gefoltert und anschließend sogar Menschen getötet haben. In vier Fällen ist M. angeklagt, Menschen schwere körperliche und seelische Schäden zugefügt zu haben. In zwei Fällen soll er versucht haben, Menschen ihrer Fortpflanzungsmöglichkeiten zu berauben. Die Tatvorwürfe des Generalbundesanwalts hat M. in der Vergangenheit bestritten.

Der Beschuldigte arbeitete von April 2011 bis Ende 2012 in Militärkrankenhäusern in Homs und Damaskus. In diesen Militärkrankenhäusern sowie im Gefängnis der Abteilung 261 des syrischen Militärischen Geheimdienstes in Homs misshandelte Alaa M. inhaftierte Zivilisten. Die Folterungen des syrischen Arztes stehen im Kontext der Freiheitsbewegungen seit 2011 in arabischen Ländern, als es vermehrt zu Protesten gegen das Regime des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad kam. Tatsächliche oder vermeintliche Oppositionelle wurden in ganz Syrien verhaftet und regelmäßiger Folter ausgesetzt. In Militärkrankenhäusern wurden zivile Verletzte gebracht, die der Opposition zugerechnet wurden, wo diese in der Regel gefoltert und oftmals – auch sofort – getötet wurden.

— The Washington Post (@washingtonpost) July 28, 2021

Die Generalbundesanwaltschaft hat die einzelnen vorgeworfene Taten des Anschuldigen veröffentlicht. Beispielsweise erlitt einer von zwei Brüdern, die der syrische Geheimdienst im Gefängnis Homs inhaftierte, am Morgen nach der Festnahme einen epileptischen Anfall. Der herbeigerufene Arzt Alaa M. schlug dem Kranken ins Gesicht, versetzte ihm Schläge mit einem Plastikschlauch und trat ihm gegen den Kopf. Wenige Tage danach verabreichte M. dem durch den epileptischen Anfall Geschwächten eine Tablette, der kurz darauf verstarb. Auch misshandelte M. im Jahr 2012 gemeinsam mit anderen einen Gefangenen im Militärkrankenhaus in Homs. Sie hängten den Gefangenen an Händen gefesselt an der Decke auf, schlugen dann mit einem Plastikstock auf ihn ein. Alaa M. soll an mindestens zehn Foltersitzungen dieses Opfers teilgenommen haben und bei einer Gelegenheit dessen Hand mit einer brennbaren Flüssigkeit übergossen und angezündet haben. In demselben Krankenhaus soll der Arzt M. auf mehrere Gefangene in einer Zelle eingeschlagen haben. Als ein Gefangener sich mittels Tritten versuchte zu wehren, prügelte M. mit einem Schlagstock auf ihn ein und verabreichte ihm eine tödlich wirkende Substanz, an welcher er nach wenigen Minuten verstarb. Weiter soll der Arzt 2011 einem ungefähr 14-jährigen Jungen und einem erwachsenen Mann die Genitalien mit Alkohol übergossen und dann mit einem Feuerzeug angezündet haben.

Mitte 2015 kam Alaa M. nach Deutschland, wo er laut Bundesanwalt bereits nach seiner Einreise 2015 als Arzt praktizierte. Laut Spiegel kam er nicht als Flüchtling nach Deutschland, sondern mit einem von der deutschen Botschaft in der libanesischen Hauptstadt Beirut ausgestellten Arbeitsvisum. Er arbeitete wohl in Bad Wildungen als Orthopäde in einer Klinik sowie in Göttingen. Erst am 19. Juni 2020 wurde M. festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft. Das bedeutet, dass dieser Mann, der für den syrischen Geheimdienst folterte und mordete, vermutlich bis zu vier Jahre als Arzt in Deutschland tätig sein konnte. Laut „The Syrian Observer“ hätten in Deutschland lebende Flüchtlinge angegeben, dass M. Informationen über syrische Flüchtlinge und Aktivisten für das Assad-Regime sammeln würde, deren Art und Zweck unbekannt ist. Auch habe M. einige Flüchtlinge mit ihrem Eigentum und ihren Verwandten in Syrien unter Druck gesetzt, was ein Hinweis auf seine Zugehörigkeit zum syrischen Geheimdienst sein könnte.

Auswärtiges Amt gab wissentlich syrischem Folterchef Asylrecht

Es ist nicht der erste Fall eines syrischen Folterers des Assad-Regimes, welcher in Deutschland Schlagzeilen macht. Im April 2020 begann der Prozess gegen zwei mutmaßliche Handlanger des Diktators Bassar al-Assad, in welchem Anwar R. der Hauptangeklagte ist. Nach Recherchen des ARD-Magazins Panorama erhielt der hochrangige Geheimdienstmitarbeiter Anwar R. in Deutschland Asyl, obwohl das Auswärtige Amt über die früheren Tätigkeiten des mutmaßlichen Folterchefs informiert war. Laut Anklage wurden über 4.000 Menschen bei Verhören gefoltert, unter anderem durch Elektroschocks, Peitschenhiebe oder Prügel mit Kabeln. Zudem werden Anwar R. Vergewaltigung, schwere sexuelle Nötigung und in 58 Fällen Mord zur Last gelegt. Der Prozess in Karlsruhe dauert immer noch an.

Trotz einer Warnung an die deutsche Botschaft in Jordanien und dem Kenntnisstand des Auswärtigen Amts über Anwar R. hatte das Auswärtige Amt dessen Asylverfahren scheinbar sogar noch beschleunigt. So erhielt R. 2014 das Visum nach nur sechs Tagen, welches er in der deutschen Botschaft Jordaniens beantragt hatte. Hinzu kommt, dass er sogar in das Bundesaufnahmeprogramm für „besonders schutzbedürftige syrische Flüchtlinge“ aufgenommen wurde, obwohl er ein hochrangiger Geheimdienstmitarbeiter des brutalen Assad-Regimes war, dem Verbrechen gegen die Menschheit zur Last gelegt werden. Panorama berichtete, dass der mutmaßliche Folterchef nach der Aufnahme in das Schutzprogramm weitere Vorzüge erlangte: Er bekam sowohl Flüchtlingsschutz als auch politisches Asyl, ohne dass er zuvor zu seinen Fluchtgründen befragt wurde. In dem Asylbescheid hieß es: Auf die gesetzlich vorgeschriebene „persönliche Anhörung wurde […] verzichtet“. Vor Gericht sagte R. selbst aus, dass er ausführlich Stellung zu seinen Asylgründen nehmen wollte, doch die BAMF-Beamtin habe gesagt, dass der Fall bekannt sei, alles läge in der Akte vor.

Anwar R. wurde von dem AA damals „unter anderem“ wegen der „Empfehlung eines hochrangigen Oppositionsvertreters“ nach Deutschland geholt. Das AA hatte damit das Asylgesetz umgegangen, welches besagt, dass ein Ausländer kein Flüchtling ist, wenn er „ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat“. Anwar R. wurde von der syrischen Opposition dem AA empfohlen, im Glauben, dass R. im Gegenzug Informationen über den Verbleib inhaftierter Assad-Gegner liefern könne. R. sagte dieser Abmachung zwar zu, doch die Wahrscheinlichkeit muss generell als sehr gering eingeschätzt werden, dass ein hochrangiger Geheimdienstmitarbeiter des Assad-Regimes echte, wichtige Informationen an die deutsche Regierung und an die syrische Opposition Preis geben würde. Fakt: R. hat keine Informationen geliefert. Die Frage stellt sich auch, ob sich damals überhaupt Experten vorher über die Glaubwürdigkeit von Anwar R. und dessen Vergangenheit beraten hatten.

Skandal für den Rechtsstaat – Grotesk für alle Schutzsuchenden

Es ist peinlich, vor allem skandalös und auch höchst grotesk. Wie viele syrische Folterer sind noch als „Flüchtlinge“ getarnt oder mit einem „Arbeitsvisum“ seit 2014 problemlos nach Deutschland eingereist – und wie viele davon mit dem Wissen des Auswärtigen Amts? Folterer erhalten ebenso Schutz und Privilegien wie Menschen, die exakt vor diesen syrischen Funktionären und Mördern geflohen sind.

Peinlich ist, dass der deutsche Rechtsstaat diese Verbrecher in erster Linie nicht aus eigener Kraft aufspüren kann. Oft sind es diejenigen selbst, die vor eben solchen Mördern geflohenen sind, die auf unseren deutschen Straßen die Folterer wieder erkennen. So auch scheinbar bei Alaa M., der in Hessen mehrmals erkannt worden sein soll. Den deutschen Behörden ist er erst dann aufgefallen, nachdem ehemalige Kollegen aus Homs ihn belastetet haben. Nach einer Veröffentlichung gemeinsamer Recherchen des arabischen Nachrichtensenders Al Jazeera und des Spiegels zu Foltervorwürfen durch Angehörigen der Opfer wurde er im Juni 2020 festgenommen.
Noch peinlicher für unseren Rechtsstaat ist der Fakt, dass die Ermittlungen gegen den Folterchef Anwar R. nur eingeleitet wurden, weil er sich selbst bei der Polizei meldete, da er sich verfolgt fühlte. Freimütig erzählte er den Ermittlern, welche Position er einst im Geheimdienstapparat Syriens inne hatte. Erst vier Jahre nach R.’s Ankunft in Deutschland, im Jahr 2018, wurden die Ermittlungen gegen ihn eingeleitet. Hätte R. sich nicht verfolgt gefühlt, hätte sich der Folterchef womöglich auch noch über einen längeren Zeitraum in Deutschland weiterhin frei bewegen können. Doch auch Anwar R. wurde eines Tages in Berlin auf der Straße von einem syrischen Flüchtling erkannt – es ist eine Schmähung für jeden ehrlichen Schutzsuchenden. Die Bedrohung, vor welcher Schutzsuchende fliehen, wandert allzu oft nach Europa ein – und die Behörden und Ministerien verschließen die Augen, sie versagen.

In Syrien sind seit der Revolution im Frühjahr 2011 128.000 Menschen verschwunden und 14.000 durch Folter getötet worden. Die UN schätzt im Jahr 2016, dass ca. 400.000 Menschen im Syrienkonflikt ums Leben gekommen sind. Im April schätzten Experten die Zahl auf 500.000. Derweil geht man von über 600.000 Toten aus – darunter 55.000 Kinder. 12 Millionen sind geflohen, sechs Millionen innerhalb des Landes, sechs Millionen nach außerhalb.

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