EU wirft Saatgut-Bauern den Großkonzernen zum Fraß vor

Im neuen Jahr wird die Europäische Union über eine neue Verordnung verhandeln. Die EU-Agrarminister haben sich auf ein Vorgehen geeinigt. Kleine Anbieter von Saatgut werden gegenüber Großkonzernen massiv benachteiligt.

picture alliance / Daniel Kubirski | Daniel Kubirski
Symbolbild: Aussaat auf einem Acker bei Heidelberg

Wie nennt man das, wenn jemand sagt, dass er eine Sache macht – aber tatsächlich macht er dann das genaue Gegenteil? Bitte, merken Sie sich die Frage. Wir kommen gleich darauf zurück.

„Verordnung über die Erzeugung und das Inverkehrbringen von Pflanzenvermehrungsmaterial“. Das klingt kompliziert und ist es auch. Die Verhandlungen zwischen dem EU-Parlament, dem Europäischen Rat und der EU-Kommission über dieses neue Regelwerk starten im kommenden Jahr. „Trilog“ nennt man das im EU-Sprech, weil drei Institutionen daran beteiligt sind.

Erklärtes Hauptziel der neuen Verordnung ist die Förderung der Agrobiodiversität, also der Artenvielfalt in der Landwirtschaft. Zur Erreichung all ihrer Ziele kennt die EU bekanntlich stets nur zwei Instrumente: Zentralisierung und Vereinheitlichung. Das ist hier genauso. Und wie auch anderswo nur allzu oft, so wird auch hier durch Zentralisierung und Vereinheitlichung absehbar das Gegenteil von dem erreicht, was man erreichen zu wollen behauptet.

Die Pläne bedeuten einen bürokratischen Alptraum, der von kleinen Betrieben nicht zu bewältigen ist. Viele dieser kleinen Unternehmen werden aufgeben müssen – und die landwirtschaftliche Vielfalt wird massiv abnehmen.

Saatgut als Mega-Geschäft

Alle pflanzlichen Produkte, die wir essen, wurden irgendwann vor der Ernte gesät. Das Mehl in der fertig verpackten 500-Gramm-Tüte war irgendwann einmal Saatgut. Mit Saatgut wurde allein 2024 weltweit ein Umsatz in Höhe von etwa 63 Milliarden Euro gemacht. Branchenkenner erwarten, dass sich dieser Betrag bis 2034 auf 125 Milliarden Euro etwa verdoppelt.

Weltweit werden jedes Jahr etwa 1,2 Milliarden Tonnen Mais geerntet. Es folgt Reis mit 800 Millionen Tonnen vor der häufigsten Getreidesorte, Weizen, mit 799 Millionen Tonnen. Wichtigster Produzent in Europa ist Russland mit über 90 Millionen Tonnen Weizen pro Jahr. Davon werden übrigens 75 Prozent im europäischen Teil des riesigen Landes angebaut.

Zum Vergleich: EU-Spitzenreiter Frankreich erntet 36 Millionen Tonnen Weizen jährlich. Deutschland kommt, wie die Ukraine, auf gut 21 Millionen Tonnen.

Große Sortenvielfalt – noch

Es gibt derzeit mehr als 100.000 Sorten Reis und mehrere tausend Sorten Mais. Weizen gibt es in 25 Arten und mehreren hundert gezüchteten Sorten.

Genau diese Vielfalt ist durch die neue EU-Verordnung in Gefahr.

Schon jetzt ist der internationale Saatgut-Markt de facto ein Oligopol. Die drei Großkonzerne Bayer, Corteva und Syngenta teilen 52 Prozent des Marktes untereinander auf. Allein auf Bayer entfallen dabei 23 Prozent.

Die Großen verengen den Markt zunehmend auf sogenanntes Hybridsaatgut: Das sind wenige Kreuzungen zwischen gezüchteten Inzuchtlinien. Sie liefern bis zu 30 Prozent höhere Erträge. Weil die Züchtung von Hybridsaatgut aber fast ausschließlich auf Ertrag und Krankheitsresistenz ausgerichtet ist, leiden Aroma, Geschmack, Inhaltsstoffe und Vitamine. Viele Landwirte bevorzugen deshalb Vielfalt im Saatgut. Aber sie produzieren teurer und können nicht so gleichmäßig ernten.

Der größte Nachteil von Hybridsaatgut ist: Er macht die Bauern nahezu komplett von den großen Konzernen abhängig. Denn Landwirte können Hybridsaatgut aus biologischen und technischen Gründen nicht selbst erzeugen. Also müssen sie jedes Jahr neues Saatgut kaufen – zu den hohen Preisen, die die Konzerne verlangen.

EU-Pläne bevorzugen Großkonzerne

Im November 2025 haben Landwirte, Züchter und Umweltorganisationen gegen die neue Verordnung protestiert. Denn die behaupte zwar, die Sortenvielfalt zu stärken – bewirke in Wahrheit aber genau das Gegenteil.

Die EU will den kleinen Züchtern nämlich Arbeits- und Tauschverbote auferlegen. Dieser „bürokratische Albtraum“ werde die Sortenvielfalt massiv einschränken, warnt die NGO „Arche Noah“. Auch die Vermarktung neu entwickelter, vielfältiger Getreide- und Ölpflanzensorten werde massiv behindert.

Vor allem kleine Betriebe setzen oft auf alte, samenfeste Sorten und bieten viel mehr verschiedene Saatgutsorten an als die Konzerne. Doch die EU will die kleinen Betriebe nicht etwa schützen – im Gegenteil: Sie sollen dieselben bürokratischen Auflagen erfüllen wie weltweit agierende Großunternehmen.

Und das sind EU-typisch sehr, sehr viele.

Durch die neue Verordnung würden regionale Betriebe, die anpassungsfähiges Saatgut von Spezialkulturen anbieten oder entwickeln, praktisch vom Markt ausgeschlossen. Im Ergebnis würden die betroffenen Bauern von der Saatgutindustrie komplett abhängig.

„Die Position der Landwirtschaftsminister gefährdet jene, die die landwirtschaftliche Vielfalt am Leben halten“, warnt die NGO – und ruft dazu auf, „Vielfalt und Geschmack auf dem Teller zu schützen“.

Wie nennt man das, wenn jemand sagt, dass er eine Sache macht – aber tatsächlich macht er dann das genaue Gegenteil? Richtig, man nennt es: EU.

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Kommentare ( 3 )

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Peter Pascht
1 Stunde her

EU wirft Saatgut-Bauern den Großkonzernen zum Fraß vor ???
So würde man das umgangsprachlich formulieren, aber:
Es gibt schon seit 50 Jahren keine Bauern mehr.
Psedo-Bauern, die es ohne die Agrar-Großindustrie gar nicht mehr geben würde.
Saatgutproduzenten = Agrar-Großindustrie = Besitzer der Lebensmittel Zukunft der Menschheit
Erfinder der „Agrar-Großindustrie“ = USA schon Anfang des 20. Jhd.
Alle Lebensmittel-Pflanzen sind schon längst keine Naturpflanzen mehr,
sondern nur noch DIN Normen – „superproduktiv“, „superresistent“ und „super-nichtnatürlich“.
Deswegen haben unsere „modernen“, „Natur“(sic) Lebensmittel“, alle schon längst jedwelche gesundheitliche Wirkung verloren.

GefanzerterAloholiker
1 Stunde her

Die Aktionäre der AGs werden bedient. Mensch und Natur bleiben auf der Strecke. Und wer sich immer noch engagiert, dem werden die Hosen runter gezogen, so oft und so tief, wie es nur geht. – Das sind die Kennzeichen der Dritten Welt. Alles ist Geschäft. – Das kommt aus den USA, dem größten Entwicklungsland der Erde. – Menschen als Verbrauchsmaterial ? Haben das EU und NATO ( beide sitzen nebeneinander in Brüssel – was für ein Zufall!) schon tapfer eingeführt unter dem humanen Slogan, der „Krieg müsse so schnell wie möglich beendet werden.“ ? Wie ist denn so die Sicht… Mehr

Last edited 1 Stunde her by GefanzerterAloholiker
humerd
1 Stunde her

polnische, italienische, griechische, französische Landwirte gehen gegen Mercosur auf die Barrikaden – deutsche Bauern und ihre Verbände schweigen ganz laut dazu.
Ungarische, polnische, tschechische Landwirte gingen gegen die „Ausnahmereglung“ für ukrainische Agrarprodukte auf die Straßen – deutsche Bauern und ihre Verbände schwiegen ganz laut dazu.
Deutsche Landwirte werden auch zu dieser neuen EU Verordnung laut schweigen. Sie protestierten nur einmal und das auch noch moderat, als ihnen die Ampel die Agrardieselsubvention gestrichen hatte.
Kurz: mit den hohen Subventionen erkaufen sich die Regierungen das still halten. Nicht nur bei den Bauern.