Wie SPD/Linke den Mauerbau schönreden und Grüne Koalitionspartner suchen

Bei der Erinnerung an den Bau der mörderischen Sperre in Berlin vor 60 Jahren vermeiden viele Politiker und Medien geradezu panisch jeden Hinweis auf die Verantwortlichen. Besonders weit geht dabei die Chefin der SPD.

imago images / Sommer
Parade in der DDR 1986 zum Jahrestag der Errichtung des "Antifaschistischen Schutzwalls"

Zum Mauerbau am 13. August vor 60 Jahren erinnert die Vorsitzende der mehrmals umbenannten SED Susanne Hennig-Wellsow in ihrem Tweet an einen Toten. Allerdings nicht an den damals 20jährigen Chris Gueffroy, der am 6. Februar 1989 von DDR-Grenzsoldaten erschossen wurde. Er war der letzte DDR-Bürger, der an der Berliner Mauer starb, weil Erich Honecker befohlen hatte, „bei Grenzdurchbruchsversuchen rücksichtslos von der Schusswaffe Gebrauch zu machen“. Stattdessen erwähnt sie den früheren SED/PDS-Politiker und zeitweiligen Parteichef Lothar Bisky, der am 13. August vor acht Jahren starb – um ihn dann zu zitieren: „Der Mauerbau war ein schwerwiegender historischer Fehler.“

Wer für die Errichtung der Sperranlage quer durch Berlin verantwortlich war, erwähnt sie nicht. Und auch nicht, warum sie überhaupt gebaut wurde. Ohne das, was sie mit Bisky als „Fehler“ abtut, hätten der SED-Sozialismus nicht bis zum Jahr 1989 durchgehalten, weil ihm die Untertanen davongelaufen wären.

Henning-Wellsows Parteigenossin Katja Kipping ordnet auf Twitter historisch ein: „das Grenzregime“ habe „einige hundert Menschenleben“ gekostet. Und bescheinigt der SED gleichzeitig indirekt „hehre Ziele“, ohne das Kürzel zu nennen.

Auch die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock vermeidet in ihrem Gedenk-Tweet strikt die Chiffre „SED“ und das Wort „Sozialismus“.

Bei ihr war die Mauer einfach nur der „in Beton gegossene Kalte Krieg“ – ihrer Ansicht nach waren also beide Seiten irgendwie schuld.

Wobei sich die Formulierung auch schon anderswo findet. Aber schließlich schreibt niemand einen Tweet allein.

Bei CDU-Twitterer und Ex-Generalsekretär Ruprecht Polenz fehlt ebenfalls jeder Hinweis auf die Mauer-Errichter und den Grund, aus dem sie gebaut wurde. Er macht stattdessen das Gedenkdatum zu einer gefühligen persönlichen Geschichte und spekuliert darüber, was aus ihm geworden wäre, wenn seine Eltern die DDR nicht vor dem 13. August 1961 verlassen hätten.

Vermutlich ein Ex-Parteifunktionär, der viel gegen Rechts twittert.

Am weitesten in der SED-Apologie geht SPD-Chefin Saskia Esken auf Twitter: Bei ihr gibt es nicht nur den kleinsten Hinweis auf diejenigen, die damals ihre Staatsbürger einmauerten. Zusätzlich erzählt sie, wie ihre Eltern damals, 1961, „um den Frieden in Deutschland und Europa“ gebangt hätten.

Damit übernimmt sie eins zu eins das Narrativ der SED, im August 1961 habe die Invasion der DDR bevorgestanden, die nur durch einen „antifaschistischen Schutzwall“ vereitelt worden sei. Mit der Mauer, so argumentierte die SED 28 Jahre lang, habe sie den Frieden in Europa gerettet.

Weit übertroffen wird die SPD-Vorsitzende noch von der grünen Kreuzberger Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann. Für sie war kurzerhand das „kriegerische, faschistische und mörderische Deutschland“ verantwortlich für den Mauerbau.

Im Deutschlandfunk darf ausgerechnet der frühere SED-PDS-Vorsitzende und Staatssicherheits-Zuträger Gregor Gysi den Mauerbau weichzeichnen.

Für den zungenfertigen Advokaten waren Ost und West irgendwie gleichermaßen verantwortlich für die tödliche Grenze, wobei er zu kritisieren hat, dass die Sperranlagen mit Wachtürmen, Splitterminen und zum Schießen vergatterten Soldaten „den Sozialismus beschädigten“ – und nicht etwa DDR-müde Menschen. „Deshalb habe ich von Anfang an einen demokratischen Sozialismus angestrebt, weil der Kapitalismus eben auch äußerst unangenehme Seiten hat“, verkündet Gysi im Interview. Was er mit „von Anfang an“ meint, bleibt dabei im Dunkeln. Immerhin trat er 1968 in die SED ein, war SED-Parteisekretär und zuletzt Vorsitzender des Kollegiums der Rechtsanwälte der DDR. Interessant wäre auch die Frage gewesen, wie er persönlich die äußert unangenehmen Seiten des Kapitalismus kennengelernt hatte, und wie sie ihm gefielen. Anders als gewöhnliche DDR-Bürger durfte Gysi nämlich schon zu Mauerzeiten nach Paris und zu anderen West-Destinationen reisen, und zwar im SED-Auftrag: Er erläuterte dort Westlern in Vorträgen die Vorzüge des DDR-Rechtssystems.

Das heute-Journal des ZDF bemüht den Zeitgeschichtsexperten der Redaktion, der den Mauerbau ähnlich wie Gysi mit großer Äquidistanz einordnet. „Auch die Kluft zwischen den beiden deutschen Staaten sollte sich vertiefen“, heißt es auf der ZDF-Webseite: „Die Bonner Regierung sah die Mauer als weitere Ausgeburt einer totalitärer SED-Diktatur, die von Moskau gesteuert wurde. Ost-Berlin hingegen erklärte sie zum Friedenswerk, zum ‚antifaschistischen Schutzwall’, der vor feindlichen Übergriffen, Sabotage, Menschenhandel und Ausbeutung bewahre. So trieb die Propaganda die Polarisierung weiter voran.“

Also: Polarisierung und Propaganda auf beiden Seiten. Der eine sagt so, der andere so. Immerhin erwähnt der die SED überhaupt – und zwar ein einziges Mal, in dem oben zitierten Satz.

Am konsequentesten geht die neosozialistische „Frankfurter Rundschau“ mit dem Gedenktag um: nämlich gar nicht. Dafür findet sich auf ihrer Seite ein langer Artikel zum 150. Geburtstag von Karl Liebknecht. Über den Politiker, der 1919 versuchte, Deutschland in einen Bürgerkrieg zu treiben und eine kommunistische Diktatur nach Sowjetvorbild zu errichten, heißt es dort: „Karl Liebknecht war ein Wahrheitssucher und Menschenfreund.“

Das hätte auch exakt so 1971 im „Neuen Deutschland“ stehen können.

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