Demokratie ist Auswahl – auch bei der Wahl von Vorsitzenden

So wie die Linkspartei in ihrem Westteil eine Abspaltung von der SPD ist, ist die AfD in ihrem größten Teil eine Abspaltung von der CDU. In der verbliebenen SPD erodiert der ideelle Kern ebenso wie in der verbliebenen Union. Parteien als Politikträger sind am Ende.

Bernd Zeller

Natürlich lese, höre und sehe ich nicht alles. Soweit ich beobachten konnte, hat aber niemand erkannt, worum es bei dem Beschluss des CDU-Parteitags gegen den Doppelpass wirklich ging. Melanie Amann kommentiert nahe dran, wenn sie auf die Teile der Vorsitzenden-Rede hinweist, in der Positionen wie Formulierungen der AfD wiederkehren. Thorsten Denkler sagt zum Doppelpass-Beschluss: „Das ist eine falsche Entscheidung. Sie bringt die Engstirnigkeit zurück in die CDU.“

Warum kommen die Damen und Herren nicht auf zwei ganz einfache Dinge, die sich mir aufdrängen?

Wenn eine Parteivorsitzende hohe Zustimmung für ihre Politik in den Parteien findet, die früher politische Gegner waren, während ihre Politik in der eigenen Partei hoch umstritten ist, aber niemand als Gegenkandidat antritt, sucht sich der Parteitag ein Ventil: Der Überdruck muss raus. Das gleiche ist in anderen Zeiten in allen Parteien passiert. Manchmal war es der Auftakt zur Niederlage bei folgenden Wahlen. Oft war es der Anfang vom Ende des Parteivorsitzenden, der seiner Partei dass Misstrauen aussprach, indem er nach einem Beschluss erklärte, denselben zu ignorieren. Aber jedes mal war es ein Misstrauensvotum eines Parteitags für manchmal gerade erst wiedergewählte – alternativlose – Vorsitzende.

Das zweite Einfache: Die AfD ist für die CDU (je länger, je mehr auch für die CSU), was die Linkspartei für die SPD ist. Ist die Partei Wagenknechts nicht nur in ihrem Selbstverständnis die sozialistischere des einen Paares, ist die Partei Petrys die konservativere des anderen Paares. Wie Klaus Ernst „seine“ SPD wiederhaben möchte, will Alexander Gauland „seine“ CDU zurück. Deshalb sind die beiden und ihre Gleichgesinnten bei der Linkspartei und der AfD.

Wie könnte die SPD die an die Linkspartei verlorenen Genossinnen und Genossen wieder zurückholen? Indem sie wieder sozialistischer wird. Und die CDU kann ihre an die AfD verlorenen Brüder und Schwestern nur wiedergewinnen, wenn sie konservativer wird. Mit der Übernahme einer politischen Position der Grünen und der SPD nach der anderen, hat Merkel ihre Kanzlerschaft gesichert: um den Preis des Verlusts der politischen Identität der CDU, wenn nicht der ganzen Union.

Merkel und die Ihren haben der Christdemokratie kein neues Selbstverständnis gegeben, keine neue Position in der politischen Landschaft. Sie und die Ihren stellen keinen neuen Konservativismus dar, sondern die Konkursverwaltung der ehemals bestimmenden politischen Kraft der Bundesrepublik Deutschland. Damit folgt die CDU – erheblich später, aber nun doch – dem Weg der einst in Italien allmächtigen Democrazia Cristiana zur Splitterpartei. Die Christdemokratie ist als Bollwerk gegen den Kommunismus entstanden: in ihrer Mischung aus von allem etwas, quasi als „dritter Weg“. Lange nach dem Abtritt des Kommunismus treten nun auch die letzten Außenposten des Bollwerks in den deutschsprachigen Ländern ab.

Die sozialdemokratischen Parteien haben sich überall den christdemokratischen Parteien – und umgekehrt – so angenähert, dass sie auch fusionieren könnten. Die Grünen könnten an diesem Unionsprozess teilnehmen, denn ihr ursprüngliches Alleinstellungsmerkmal im sogenannten Umweltschutz hat sich so weit und breit als Zivilreligion durchgesetzt, dass sie von einer Mainstream-Partei aus CDU, SPD und Grünen im großen Konsens getragen würde.

Nichts anderes als diesen Zustand spiegelt der Deutsche Bundestag als Oppositionsfreie Zone. Ein Wiedererwachen des Parlamentarismus ist von den Parteien nicht zu erwarten, weil das Filter von Parteiengesetz, Parteienfinanzierung, Fraktionsfinanzierung usw. keine Personen durchlässt, die das täten. Ohne ein Direktwahlrecht ohne Parteienfilter kann die Demokratie nicht genesen. Mit direkt gewählten Abgeordneten wäre nicht alles gelöst, aber ohne diese Direktwahl ohne institutionellen Parteieneinfluss kommen keine Lösungen in Gang.

BerndZeller_Buch

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