Kritischer Journalismus in Zeiten der AfD

Was bewirkt die AfD mit ihren fetten, aber zum regieren knappen Prozenten? Offensichtlich schon eine ganze Menge, wenn man in die Druckwerke des Wochenendes schaut. Für Sie gelesen von Fritz Goergen und Roland Tichy.

„Drohnen gefährden den Flugverkehr“, titelt die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Es stimmt. Vermutlich. Sicher: Das Gegenteil wäre vermutlich die Nachricht. Aber so ist es am Wochenende: Was will noch rein in die übersättigte Birne, die von TV, Facebook und twitter abgefüllt ist? Trotzdem ist es eine News, die gierig aufgegriffen wird am Wochenende.

Die Verlierer

„Selten haben Verlierer-Parteien ihr Wahlergebnis so verdient wie SPD und Berlin“, so auf Seite Zwo der FAS. Es folgt eine Aufzählung von Hauptstadt-Murks, miese Schulen, Straßen, kranke Beamte. Stimmt ja alles. Man hätte es nur gerne vor der Wahl gelesen, und nicht danach. Aber das ist die Crux des neuen deutschen Journalismus: VOR der Wahl hätte diese Aussage ja der AfD Wähler zutreiben können, also hat man sie nicht geschrieben.

Wenn Sie glauben, das sei eine böswillige Unterstellung, empfehle ich den Beitrag in eben derselben Zeitung im Ressort Leben von Claudius Seidl, ein geschätzter Kollege, der noch nie einer unkorrekten Meinung verdächtig wurde: Danach ist die derzeitige Überlebensgarantie für ARD und ZDF, dass sie von der AfD kritisiert werden: „Seit die AfD dessen Abschaffung fordert, wirkt jeder Versuch, die bestehenden Zustände in Frage zu stellen, anstößig“. Vermutlich ist  er auf eine erklärende Goldader gestoßen. Nicht mehr „Was ist“, sondern „Wem nützt es“, ist offensichtlich die neue, die zentrale Frage des neuen deutschen Journalismus.

Stimmt, danach, da darf man, und es sei an den Satz des unsäglichen Kollegen Bommarius erinnert, seines Zeichens Totengräber des Journalismus bei Kölner Stadtanzeiger und Frankfurter Rundschau, wonach „Nachzensur“ ja grundgesetzlich erlaubt sei. Falsch. Wir brauchen das nicht – es funktioniert in den kleinen Köpfchen angepasster Schreiberlinge schon ganz gut vorweg. Die AfD und mehr noch: Die Angst davor führt die Feder bzw. die Computermaus in den Redaktionsstübchen bzw. Großraumbüros.

So folgt im FAS-Feuilleton die Verteidigung der Kanzlerin – alles nur entgrenztes Gerede, was wir über die Flüchtlingskrise gehört haben. Steht da. Wirklich. Alles andere wäre ja AfD, oder?  Und eine wortreiche Verteidigung der Rüstungsstaatssekretärin Katrin Suder. Für das willkürliche Abschießen des völlig tauglichen Gewehres G36 und die anschließenden Steuergeldvernichtung in Milliardenhöhe gehörte diese Dame schlicht entlassen; es ist einer der Skandale, wie er nur in der über jede Kritik erhabenen Regierung Merkel/Gabriel ohne Folgen bleiben kann. Aber vermutlich würde Kritik an Suder der AfD helfen. Also gesundbeten.

Denn vermutlich ist es mit Regierungskritik wie mit ARD/ZDF: Da sie von der AfD geführt wird, darf sie nicht sein. Und so  ist die Bundesregierung ausgerechnet mit dieser Dame, die zwischen ihren vielen künstlich gezeugten Babypausen sogar gelegentlich Zeit findet, im Ministerium vorbei zu schauen, auf dem absolut richtigen Weg, lässt uns die Zeitung wissen. Es ist eine publizistische Selbstaufgabe, nicht weniger: Wächterfunktion Fehlanzeige. Aber Frau und lesbisch und künstliche Befruchtung – vor so vielen Attributen der Gendergerechtigkeit verstummt jede Kritik am erhabenen Missmanagement einer Staatssekretärin, die es grandios versteht, die Vorzüge auszubeuten, die der öffentliche Dienst für Mütter aller, auch der höchsten Gehaltsklasse bereit hält. „Von der Leyens beste Frau“ lautet der Titel der Lobhudelei. Gnade uns Gott vor der Zweitbesten. Hauptsache, sie kommt nicht von der AfD.

Zeitung in der Zeitung

Nun gibt es ja gute Ideen in der FAS. Der Wirtschaftsteil glänzt damit, dass er Merkels Satz „Wenn ich könnte, würde ich die Zeit zurückspulen“ umsetzt in Aktionen, wie sie das Land und die Flüchtlinge oder in welcher Reihenfolge auch immer seit 2005 gebraucht hätten. Es zeigt das Versagen der Bundesregierung, eindrucksvoll, und wie gesagt: Rückblickend. Da sind wir ja bekanntlich alle schlauer; dazu muss man nicht Kanzlerin geben. So entwickelt sich der Wirtschaftsteil zur kompletten Zeitung in der Zeitung mit kritischem Ansatz und läßt sich nicht in Dienst nehmen für die Muttilandsverteidigung.

Ein Spiegel der Zeit ist der Geldteil. Nicht, dass die dort zu lesenden Stücke schlecht wären, nein, sauber recherchiert und aufgeschrieben. Es dreht sich halt um den Service der Telekom, Donald Trump (böse, logo), Studiengänge, Verkehr in der Großstadt. Nur eine Frage wird nicht mehr wirklich behandelt: Wohin mit dem Geld? Aber vermutlich nimmt der Geldteil durch die Ausklammerung der Frage nach dem Geld die Zerstörung unseres Geldsystems schlicht vorweg – Information durch Auslassung derselben. Kritik könnte wem helfen? Ok.

Ansonsten das übliche Gelabere; Brangelina lassen sich scheiden, schluchz, und für die Gartenarbeit trägt die schicke Gattin im Taunus künftig Handschuhe im Rosendesign; die Modeindustrie erobert den letzten Raum, in dem wir Mensch sein durften, so wie wir sind: Den Garten und die Arbeit des Mulchens. Danke, Technik-Ressort, dass Du uns mit einer Geschichte über fliegende Oldtimer verwöhnst. Echtes Leben in den Randressorts. (Gut, dass Frauke Petry nicht mit einer Messerschmidt einfliegt. Dann wäre auch der schöne Teil hin.)

Mark Mazedonien

In der WeLT AM SONNTAG klärt uns der kluge Thoms Schmid darüber auf, dass Grenze ursprünlich aus dem Slawischen kommt und wie der Vorgängerbegriff „Mark“ keine Grenzlinie, sondern eine Grenzgegend war. Insofern könnte man das kleine Mazedonien als neue Mark, als Grenzraum der EU verstehen. In „NEUE Grenzerfahrung“ beschreibt eine Redaktionsschar, dass die Frontexgrenzer der EU „dabei robust helfen“ soll. Es zeichnet sich ab: Frontex soll zur Grenztruppe im ganzen Mittelmeerraum werden – der kritische Balkan eingeschlossen, ungeachtet der Nicht-EU-Mitgliedschaft einzelner Staaten. Man höre und staune – oder eben nicht. Angela Merkel stimmt dem zu, das sie bisher ablehnte – verlautet vom Treffen in Wien.

Dazu passt Jürgen Trittin im ZEIT-Interview : „Wir haben Frau Merkel dafür gelobt und verteidigt, dass sie im September 2015 eine humanitäre Entscheidung getroffen hat. Aber von dem Tag an hat sie angefangen, die Festung Europa neu zu zimmern.“

Alles hat keine Zeit
68er - ein Mythos verfliegt
Nicht gefallen dürfte Trittin, dass ZEIT-Chef Giovanni di Lorenzo eine Seite vorher sagt, die Grünen hätten sich so entwickelt, dass sie „heute mit so gute wie jedem koalieren können“ und schlussfolgertmein: „Fatalerweise sind diese hohe Anpassungsfähigkeit und der Erfolg der Grünen auch Gründe dafür, dass ihre kulkturelle Hegemonie möglicherweise vor dm Ende steht.“ Aber es kann auch sein, dassTrittin das sehr gut weiß.

In „Die unsichtbare Wand“ schildert die ZEIT, wie wohlhabende Bürger in Hamburg ihre Viertel gegen Arme und Ausländer schützen – mit dem Baurecht. Die Grafik spricht sogar von „Hamburg, eine geteilte Stadt“(ähnliches hört man über Nord-Essen und Süd-Essen). Da dürfen wir gespannt sein, wer, wann über die interessante Frage schreibt, in welchen städtischen und landschaftlichen mehrfach geteilten Deutschlands die Journalisten wohnen.

Auch nicht ins grüne Weltbild von mehr Parteien als nur den Grünen passt das ZEIT-Interview der Woche. Ökologe Hanno Schäfer, Professor für Biodiversität der Pflanzen, widerspricht der Ablehnung der grünen Gentechnik: „Die gentechnische Veränderung von Nutzpflanzen kann die Biodiversität positiv beeinflussen – wenn sie zur Steigerung der Erträge führt … Auf einem Hektar Regenwald wachsen bis zu 400 Baumarten, auf einem Hektar Sofa keine einzige.“

Zum Davonlaufen

DER SPIEGEL macht auf Focus und widmet den Titel einer Story über gesundes Bewegen und Laufen. Was den Focus in´s Grab gebracht hat, wird ja auch in Hamburg funktionieren, das ist sicher. Oder ist es schon der Versuch der Erbschleicherei? Jedenfalls ist dieser Titel frei von jedem Versuch, irgendeine neue Information zu transportieren. Man kann ja dem SPIEGEL vielerlei vorhalten, und bei der überscharfen Kritik an den kritischen Scharfmachern sind wir immer gern dabei.  Aber so viel Nichts war bislang nicht. Im Innenteil lernen wir im Aufmacher, dass der Cyberkrieg uns mehr bedroht als Bomben und Kanonen, kurz: Zum Davonlaufen; da nimmt man den Titel wörtlich und setzt sich nach Lektüre des Vorspann in gesunde Bewegung.

Wie immer beim SPIEGEL gut recherchierte Details, wie über jene Frau, die den verflossenen Partner zur Herausgabe ihrer künstlich, nur genetisch mit seiner Hilfe befruchteten Eier zwingen will – sauber aufgedröselt die Abgründe moderner Partnerschaft, die mit der Reproduktionsmedizin eine giftige Mischung eingegangen ist. Sauber recherchiert auch das Glasperlenspiel um den zukünftigen Bundespräsidenten. Auch hier, wie bei der Berliner Wahl, ARD und ZDF, zeigt sich der ärgerliche Fall: Die AfD hat es irgendwie geschafft, das Ausbaldowern zu erschweren.

Na, das ist doch schon mal was.

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