Deutschlands Abstiegs-Sommer: Pleiten rauf, Wachstum runter

Die Zahl der Insolvenzen steigt besorgniserregend, bei Unternehmern greift Pessimismus um sich: Das Land erlebt nicht nur einen Konjunktureinbruch, sondern einen tiefgehenden Verlust seiner Wettbewerbsfähigkeit.

IMAGO / Seeliger

Noch vor kurzem versprach Bundeskanzler Olaf Scholz für Deutschland „Wachstumsraten wie in den fünfziger und sechziger Jahren“. Wirtschaftsminister Robert Habeck prägte den Begriff vom „klimaneutralen Wohlstand“, den das Land schon bald durch die grüne Transformation erreichen werde. Die harten Zahlen weisen genau in die entgegengesetzte Richtung: Deutschland steigt ab.

Und: bei der Rezession handelt es sich nicht nur um einen konjunkturellen Einbruch wie in früheren Zeiten – sondern um eine tiefgreifende Verschlechterung der Wirtschaftskraft. Der Internationale Währungsfonds (IWF) prognostiziert für das immerhin noch größte Industrieland der EU in diesem Jahr einen Rückgang der Wirtschaftskraft von 0,3 Prozent. Und das exklusiv: In allen anderen 21vom IWF untersuchten Ländern weisen die Daten nach oben. Selbst Italien überholt die Bundesrepublik beim Wirtschaftswachstum mittlerweile. Schon im zweiten Quartal 2023 sank das deutsche Bruttoinlandsprodukt im Vergleich zum Vorjahr um 0,6 Prozent.

— Holger Zschaepitz (@Schuldensuehner) July 29, 2023

Die Kombination aus hohen Energiepreisen, hohen Steuern und immer mehr bürokratischen Vorgaben für Unternehmen zeigt inzwischen eine dramatische Wirkung: Die Zahl der Insolvenzen schnellte im ersten Halbjahr 2023 um 16 Prozent gegenüber dem Vorjahr nach oben – der steilste Anstieg seit langer Zeit. Die Pleiten und Betriebsaufgaben treffen klassische Industriebetriebe wie den Automobil-Zulieferer Allgeier aus Baden-Württemberg oder das Werk des Papierherstellers UPM im bayerischen Plattling.

Zwar schlagen die Pleiten und Produktionsrückgänge noch nicht voll auf den Arbeitsmarkt durch – denn nach wie vor suchen viele Unternehmen dringend Facharbeiter. Aber im Juli stieg die Zahl der Arbeitslosen immerhin um 147.000 auf 2,617 Millionen. Normalerweise geht die Arbeitslosigkeit in der Sommersaison zurück. Gleichzeitig sinkt die Zahl der gemeldeten offenen Stellen: Sie lag im Juli bei 772.000 Stellen, 108.000 weniger als im Vorjahr. Hier zeigt sich der generelle Trend in der Industrie, neue Investitionen zu streichen, und vielerorts die Produktion zu drosseln. Laut einer Umfrage der Unternehmensberatung EY unter 1200 Vorstandsvorsitzenden von Großunternehmen mehrere Industrieländer erklärten insgesamt 37 Prozent der Unternehmensführer, geplante Investitionen zu stoppen – in Deutschland aber 53 Prozent.

Bravo Ampel:
Deutschland droht Dauer-Rezession
Noch dramatischer stellt sich die Lage des Mittelstands dar. Nach einer Umfrage des Bundesverbandes der Mittelständischen Wirtschaft vom Juli 2023 denken derzeit 26 Prozent der Betriebsinhaber daran, angesichts von hohen Abgaben, horrenden Energiepreisen und lähmender Bürokratie aufzugeben. Weitere 22 Prozent erwägen den Wegzug ins Ausland.

In einem Beitrag für die WELT vergleicht die Vorsitzende des Bundesverbandes junger Unternehmer Sarna Röser die Lage von inhabergeführten Firmen in Deutschland mit dem Frosch, der allmählich gar gekocht wird: „Der berühmte Frosch im Kochtopf lebt noch. Das Wasser simmert vor sich hin, fängt langsam an zu dampfen, und die ersten Bläschen am Boden des Topfes steigen schon auf. Statt rauszuspringen, merkt der Frosch gar nicht, wie ihm geschieht.“

Selbst Unternehmen, die zu den Profiteuren des von Habeck geplanten Wirtschaftsumbaus zählen, geben Deutschland zumindest als Produktionsstandort auf. Sie zieht es dorthin, wo die Kombination von günstiger Energie und hohen Ansiedlungsinvestitionen lockt. Etwa der Solarzellen-Hersteller Meyer Burger: sein neues Werk für Solarzellen entsteht nicht wie geplant in Sachsen-Anhalt, sondern in Colorado Springs.

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