Mildes Urteil im Teichtmeister-Prozess: Delegitimiert der Rechtsstaat sich selbst?

Für den Besitz von über 70.000 Bildern mit Kinderpornographie wurde der österreichische Schauspieler Florian Teichtmeister lediglich zu einer 2-jährigen Bewährungsstrafe verurteilt. Der Richter begründete das milde Urteil mitunter damit, explizit nicht „dem Ruf der Straße zu folgen“.

IMAGO / SEPA.Media
Es gibt wenige Verbrechen, die einer halbwegs gesunden Bevölkerung dermaßen an die Nieren gehen wie der Missbrauch von Kindern. Ob nun Fälle aktiver Pädophiler, oder als Konsumenten von Kinderpornographie – es gibt tief verankerte Instinkte zum Schutz unseres Nachwuchses, die dazu führen, dass man ohne einen funktionierenden Rechtsstaat einen Großteil dieser Verbrecher wohl von Bäumen baumeln sehen würde. Dass dem nicht so ist, ist eine zivilisatorische Errungenschaft. Damit aber die Menschen an das Funktionieren dieses Rechtsstaates weiterhin glauben, was für dessen Legitimierung unerlässlich ist, muss er trotz Verzichts auf Lynchjustiz den Eindruck erwecken, Recht zu sprechen und dies angemessen zu tun. Doch gerade auf dieser Ebene versagt der Rechtsstaat zunehmend und arbeitet damit an seiner eigenen Delegitimierung.

Der österreichische Schauspieler Florian Teichtmeister war höchst angesehen in der Kulturszene. Als Burgschauspieler gefeiert, präsent in Film und Fernsehen, galt er als eines der Aushängeschilder der österreichischen Schauspielzunft. Doch Anfang des Jahres platzte die Bombe: Nachdem zunächst die Freundin des Schauspielers kinderpornographisches Material auf dessen Handy vorfand, offenbarte eine Hausdurchsuchung der Polizei die Tragweite der Causa. Mehr als 76.000 Bilder von Kindesmissbrauch wurden bei Teichtmeister sichergestellt, dazu 110 Gramm an Kokain, das dieser in seiner Matratze aufbewahrte.

Es drangen dabei verstörende Details zu Tage. Viele der Bilder habe Teichtmeister nicht einfach nur „konsumiert“, sondern selbst bearbeitet, mit gewaltbereiten Texten versehen und zu Videoclips zusammengeschnitten. Die große Menge Kokain sei angeblich für seinen Eigenbedarf gewesen, der laut Teichtmeister bei einem Tagesverbrauch von 3 Gramm lag. Zum Vergleich: In Österreich liegt der Schwellenwert für sogenannten Eigenbedarf bei 15 Gramm, Teichtmeister war im Besitz einer vielfachen Menge. Dennoch begnügte sich die Justiz mit der Erklärung, diese Menge wäre für den Eigenbedarf vorgesehen, und sah daher von einer Strafverfolgung ab. Der Kokainbesitz von 110 Gramm der Droge (mit einem Straßenpreis von immerhin rund 9000 Euro) war also nicht Bestandteil der Anklage, die österreichische Rechtsprechung setzt dabei explizit auf „Therapie statt Strafe“. Aber angesichts der Tatsache, dass bei Teichtmeister der Besitz großer Mengen Kokains ja nur ein „Nebenschauplatz“ seiner Straffälligkeit war, darf die Frage nach der Angemessenheit solcher Milde durchaus gestellt werden.

Doch es fand sich noch mehr im Dickicht. Kollegen der österreichischen Kunstszene offenbarten, dass Teichtmeisters Vorlieben ein offenes Geheimnis waren, man wusste seit Jahren von dessen Pädophilie und sah geflissentlich weg. Ein Phänomen, das auch aus ähnlich gelagerten Fällen im internationalen Vergleich nicht unbekannt ist. Nicht nur, dass sich die abscheuliche Vorliebe für Kindesmissbrauch regelmäßig in den Kreisen der Reichen und Schönen vorfindet, immer wieder stellt sich auch die Frage, ob andere davon nicht nur wussten, sondern auch daran beteiligt waren. Die vermeintlichen Hintermänner Marc Dutrouxs wurden nie ausfindig gemacht, stattdessen pflasterten und blockierten insgesamt 27 Leichen von Ermittlern und Zeugen den Weg zur restlosen Aufklärung des Falls. Und auch im Fall rund um Jeffrey Epstein verhallt die Forderung nach Veröffentlichung der Kundenliste von Epstein größtenteils ungehört. Der Eindruck, dass man sich in besseren Kreisen gegenseitig schützt, konnte von der Justiz nie entkräftet werden. Stärker noch: Die Justiz schien selbst Teil dieses Kreises zu sein.

Wenn Justitia nur noch auf einem Auge blind ist

Nun also gelangte der Fall Teichtmeister an ein schnelles Ende: Der Angeklagte zeigte sich reuig und obwohl die Staatsanwältin schockierende Auszüge aus den von Teichtmeister erstellten Texten zu den Missbrauchsbildern („Ich schlage dich bewusstlos und zu Brei, kniet vor eurem Gebieter“) vorlas, die letztlich zu einer gerichtlichen Einstufung des Angeklagten als „pädo-sadistisch“ führten, entschied sich Richter Apostol Milde walten zu lassen und „nicht dem Ruf der Straße zu folgen“. Im Gegenteil, die Anwesenheit von Demonstranten vor dem Gericht, die sogar einen symbolischen Galgen mitgebracht hatten, bestätigte den Richter in seiner Entscheidung, die da lautete: zwei Jahre auf Bewährung, dazu eine sogenannt „engmaschige Therapie“ für den ehemaligen Schauspielstar.

Dieses Urteil lag im erwartbaren Rahmen der österreichischen Gesetzgebung, meinen Experten. Wer strengere Strafen wolle, der müsse gesetzlich nachbessern. Eile hat man damit aber nicht. Dennoch erscheint das Urteil selbst im bisherigen Strafrahmen milde. Richter Apostol fiel übrigens bereits in der Vergangenheit mit milden Promi-Urteilen auf. Im Prozess des Jahres 2013 gegen den wegen Falschaussage und Beweismittelfälschung angeklagten Lobbyisten Alfons Mensdorff-Pouilly (Ehemann der ehemaligen ÖVP-Ministerin Maria Rauch-Kallat) sprach Richter Apostol ebenfalls ein auffallend mildes Urteil aus, sodass der österreichische Grünen-Politiker Peter Pilz damals meinte, Mensdorff-Pouilly habe „unverschämtes Glück“ mit dem Richter gehabt, der dem Angeklagten ein „Neujahrsgeschenk“ gemacht hatte. Auch das damalige Urteil sei „juristisch durchaus vertretbar“ gewesen, so Pilz, aber „problematisch hinsichtlich der Vorbildwirkung“.

Vor allem die Diskrepanz zwischen dem juristischen Eifer der letzten Jahre, zum Beispiel in Fragen der Verfolgung sogenannter „Hassrede“ einerseits und dem Umgang mit zum Beispiel Sexualstraftätern und Pädophilen andererseits, führte dazu, dass immer mehr Menschen den Glauben an die Funktionsweise rechtsstaatlicher Prinzipien verloren. Man kann uneins darüber sein, ob bestimmte Formen der freien Meinungsäußerung Grenzen des Strafrechts überschreiten, aber wenn sich eine Gesellschaft nicht beim Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexuellem Missbrauch einig ist, dann rütteln wir an den Grundfesten des moralischen Fundaments unserer Gesellschaft.

Wenn eine ohnehin schon milde Gesetzgebung vor Gericht besonders milde ausgelegt wird (und der Besitz von 110 Gramm Kokain von vornherein ausgeklammert wird), dann erweckt die Richterschaft das Bild einer gesellschaftlichen Schieflage, eines Protektionismus derer, die ohnehin ein privilegiertes Leben führten und dieses schändlichst missbrauchten. Ist es wahr, dass „die Straße“ gerne reiche und erfolgreiche Menschen fallen sieht? Zweifelsohne! Ist es aber ein Grund, in diesem Fall ein mildes Urteil explizit damit zu begründen, dass man gegen „die Straße“ urteile? Von Richtern wird Fingerspitzengefühl verlangt, doch wo ist das Fingerspitzengefühl, wenn dieser nicht einmal Verständnis dafür aufbringen kann, dass die natürliche Reaktion des Volks in solchen Fällen ohne den Rechtsstaat schon immer die Lynchjustiz gewesen wäre?

All das vor dem Hintergrund einer Gesellschaft, die gerade in den letzten Jahren zunehmend die Entmenschlichung des politischen Gegners vorangetrieben hat. Bei Anti-Trump-Demos gehörten Trump-Puppen am Galgen zum guten Ton und in Deutschland bekommen „Satiriker“, die Ungeimpfte als Blinddarm der Gesellschaft zur operativen Entfernung freigeben, eigene Shows auf Steuerkosten. Aber wenn „die Straße“ für eine harte Bestrafung (den Galgen gibt es in Österreich ohnehin nicht) eines pädo-sadistischen, kokainabhängigen Schauspielers eintritt, dann ist die Grenze überschritten?

Wer GIS-Gebühren nicht bezahlt, muss mit dem Gefängnis rechnen. Und selbst wer sich auf Facebook unschön über die Auswüchse der Migrationspolitik oder der LGBTQ-Bewegung äußert, kann selbst ohne Prozess zu einer 6-monatigen Bewährungsstrafe mit „Umschulung“ verdonnert werden. Angesichts dessen wirkt die 2-jährige Bewährungsstrafe für Teichtmeister tatsächlich wie eine Verhöhnung jener zahlreichen Menschen, die in den letzten Jahren viele Entbehrungen und Androhungen im Rahmen der Corona-Politik über sich ergehen lassen mussten. Journalisten wie Florian Klenk, der sich noch über die angekündigten Ersatzfreiheitsstrafen bei einer Impfpflicht gefreut hatte, sprach von einer „Schock-Show der Staatsanwältin“ und bezeichnete das Teichtmeister-Urteil als einen „guten Tag für die Justiz“. Kein Wunder, denn „die Straße“ steht für seinesgleichen synonym mit Querdenkern, Querulanten, Rechten, Nazis, sodass Haltung zeigen dann zur Not eben auch bedeutet, sich auf die Seite eines Pädo-Sadisten zu stellen.

Die Justiz delegitimiert sich selbst mit ihrer Arroganz

Wie so oft sind es aber nicht einzelne Aspekte, sondern das Zusammenspiel vieler Faktoren, die das Fass gefühlt zum Überlaufen bringen. Dass die Gesetzeslage für solche Verbrechen zu lasch und von einem naiven Glauben geprägt ist, man könne solche Verbrechen wegkuscheln, würden viele noch verstehen, sofern glaubwürdige Schritte gesetzt würden, um die Gesetzeslage schnellstmöglich anzupassen. Aber das dürfte Wunschdenken sein. Und wenn dann auch noch milde Gesetze mit zusätzlicher Milde ausgelegt werden, ohne dabei darauf zu verzichten, der wütenden „Straße“ eins mitzugeben, dann darf man sich nicht wundern, wenn viele Menschen diese Justiz als kompromittiert erfahren.

Doch auch das ist nur der Anfang. Was ist mit Teichtmeisters Umfeld in der Kunstszene, in der viele anscheinend (oder scheinbar?) von dessen Fehlverhalten wussten? Gab es Komplizen? Ist Mitwisserschaft beim Besitz von über 70.000 Bildern von Kindesmissbrauch ein Kavaliersdelikt? Sind eventuell andere Prominente darin verwickelt? Zumindest über letzteres wird hinter nicht allzu vorgehaltener Hand gemunkelt und angesichts der bereits zuvor erwähnten unrühmlichen Aufklärungsarbeit in prominenten Missbrauchsskandalen von Epstein und Dutroux, ist es nur allzu verständlich, dass die Bürger eine transparente und gründliche Untersuchung erwarten würden. Das Gegenteil ist aber der Fall und die Justiz erachtet es als nicht notwendig, der nachvollziehbaren Empörung im Volk mit angemessenem Respekt, Bemühen und Transparenz zu begegnen.

Zu guter Letzt: Selbst wenn die Rechtsprechung darauf beharrt, Pädophilie – sogar wenn sie in Kombination mit Sadismus in Erscheinung tritt und daher von „Philie“ noch kaum die Rede sein kann – als Krankheit denn als ein im Rahmen des herkömmlichen Strafvollzugs zu ahndendes Delikt einzustufen, dann müssen auch hier Konsequenz und der Opferschutz glaubwürdiger im Vordergrund stehen. Wenn Teichtmeister, wie ein Psychiater im österreichischen Fernsehen behauptete, von seiner pädophilen Neigung nie geheilt werden kann, dann darf angesichts der vielen Verbrechen geistig abnormer Rechtsbrecher in den letzten Jahren auch die Frage nicht länger tabu sein, ob es diese nicht in geschlossenen Einrichtungen von der Öffentlichkeit fernzuhalten gilt.

Stattdessen kündigte Teichtmeister jedoch an, nicht mehr als Schauspieler auf der Bühne stehen zu wollen und stattdessen „im Management“ der Kulturszene treu zu bleiben. Viel sanfter als eine Resozialisierung vor jeglicher Verurteilung kann man nicht fallen. Und da darf man sich auch nicht wundern, wenn „die Straße“ oder „der Mob“ den Glauben an die Justiz verlieren. Der Rechtsstaat schaufelt sich sein eigenes Grab nicht nur mit seinen Urteilen, sondern vor allem mit der Arroganz und Überheblichkeit seines Habitus.

— Sascha Flatz (@rechtsanwalts11) September 5, 2023

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