Signal gegen Überwachung

Signal droht mit Rückzug, sollte die EU ihre Chatkontrolle umsetzen. Jetzt entscheidet Berlin. Doch die Regierung Merz tut, was sie immer tut: sie drückt sich vor Verantwortung. Von Silvia Venturini

picture alliance/dpa | Matthias Balk

„Sollte die Europäische Union ihre Pläne für die Chatkontrolle einführen, wird Signal sich aus der EU zurückziehen.“ Mit dieser Klarheit hat Signals Präsidentin Meredith Whittaker die Gemengelage rund um die Chatkontrolle letzte Woche neu sortiert. Es ist die ultimative Nagelprobe: Entweder bleibt Ende-zu-Ende-Verschlüsselung unangetastet, oder einer der global wichtigsten sicheren Messenger verlässt den Kontinent. Whittaker präzisiert die Grundlinie: „Wenn wir vor die Wahl gestellt würden, entweder die Integrität unserer Verschlüsselung und unsere Datenschutzgarantien zu untergraben oder Europa zu verlassen, würden wir … den Markt verlassen“. Und zu dem verbreiteten „magischen Denken“, man könne Hintertüren nur für die Guten bauen, sagt sie trocken: „Massenüberwachung untergräbt Verschlüsselung. Punkt.“

Während Brüssel weiter an der Verordnung feilt, verschiebt sich die Machtfrage längst in den Rat. Und damit nach Berlin. Bereits seit 2024 existiert eine Sperrminorität gegen die Chatkontrolle; Deutschland und Luxemburg verhinderten eine Abstimmung und zogen Staaten wie Österreich, Niederlande, Finnland oder Tschechien auf ihre Seite. Doch die Front ist brüchig. Rund 15 Mitgliedstaaten (angeführt von Frankreich, Spanien und Dänemark) drängen auf den Durchbruch, Frankreich befürwortet inzwischen sogar ausdrücklich auch das Scannen auf Nutzergeräten. Deutschlands Stimmgewicht ist das Zünglein an der Waage. Oder mit anderen Worten: Fällt Berlin, fällt die Sperrminorität.

CSU-Ministerium für die Chatkontrolle

Im Inneren zeigt sich die neue Lage: Das CSU-geführte Innenministerium unter Alexander Dobrindt signalisiert bereits Zustimmung, angeblich „ohne jemals die Verschlüsselung aufbrechen zu wollen“. Justizministerin Stefanie Hubig (SPD) meldet hingegen „erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken“ und warnt vor Grundrechtsverletzungen. Digitalminister Karsten Wildberger (CDU) gibt sich bislang bedeckt. Offiziell galt Deutschland zuletzt als „nicht festgelegt“. Genau in dieser Schwebe entfaltet sich nun der politische Druck.

Inhaltlich ist die Sache klarer, als es ministerielle Sprachregelungen vermuten lassen: Die geplante Verordnung verpflichtet Diensteanbieter, private Chats, Nachrichten und E-Mails automatisiert zu durchsuchen, bis hin zum Scannen direkt auf den Endgeräten, noch bevor Verschlüsselung greift. Kritiker sprechen von einer beispiellosen Massenüberwachung. Bürgerrechtler Patrick Breyer, der schon seit Jahren gegen die Chatkontrolle ankämpft, bringt es auf den Punkt: „Mit der drohenden Chatkontrolle stehen wir am Rande eines Überwachungsregimes, wie es nirgendwo sonst in der freien Welt existiert. Nicht einmal Russland und China haben es geschafft, Wanzen in unsere Smartphones einbauen zu lassen, wie es die EU beabsichtigt.“ Sollte sie kommen, „würde zum ersten Mal in einer Demokratie weltweit der Inhalt aller privaten Nachrichten flächendeckend durchsucht“.

Breyer vermutet, dass es hier nicht bei einem einmaligen Eingriff bleibt: „Sie wollen in jeden privaten Raum bei Bedarf eindringen und alles rekonstruieren können“. Und mit Blick auf mögliche Folgemaßnahmen sagt er: „Es soll eine Identifizierungspflicht geben – das wäre das Ende der anonymen Kommunikation“. Genau diese „funktionale Ausweitung“ („function creep“) fürchten auch über 500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 34 Ländern. In einem offenen Brief warnten sie vor „unannehmbar hohen Falsch-Positiv- und Falsch-Negativ-Raten“ und einer „Flut von Falschmeldungen“, die unschuldige Bürger unter Verdacht stellt. Laut Bundeskriminalamt war 2024 „jeder zweite“ gemeldete Chat im Rahmen der freiwilligen Filterung strafrechtlich irrelevant.

Niemand findet Chatkontrolle gut

Aus der IT-Praxis kommt eine ähnliche Diagnose. Der Chaos Computer Club bezeichnet Client-Side-Scanning als „fehleranfälligen Mumpitz“. CCC-Sprecherin Elina Eickstädt läutet die Alarmglocken: „Sollte ein solches Gesetz auf den Weg gebracht werden, bezahlen wir nicht nur mit dem Verlust unserer Privatsphäre. Wir öffnen auch Tür und Tor für Angriffe auf sichere Kommunikationsinfrastruktur“. Die Juristischen Dienste des EU-Rats und der UN-Hochkommissar für Menschenrechte stufen das Vorhaben ebenfalls als unvereinbar mit höherrangigem Recht ein.

Die Zivilgesellschaft warnt derweil vor einer tektonischen Verschiebung. D64-Co-Vorsitzende Svea Windwehr sagt: „Es existiert keine Version der Chatkontrolle, die nicht die Verschlüsselung und die Vertraulichkeit privater Kommunikation zerstört“. Amnesty International nennt die Pläne „anlasslose Massenüberwachung, die die Demokratie gefährdet“. Auch Anja Osterhaus von Reporter ohne Grenzen stößt ins gleiche Horn: „Chatkontrolle gefährdet den Quellenschutz und unterminiert damit das Grundrecht auf Pressefreiheit“. Und Alexandra Geese kommentiert süffisant: „Jedes Foto, jede Nachricht, jede Datei wird automatisch gescannt – von so etwas konnte die Stasi in der DDR nur träumen“.

Auch aus der Industrie kommen deutliche Warnungen. WhatsApp-Chef Will Cathcart spricht von einem „gefährlichen globalen Präzedenzfall“. Threema stellt sich „entschieden gegen Massenüberwachung in jeder Form“. Und Signal bleibt kompromisslos: „Die starke Ende-zu-Ende-Verschlüsselung garantiert die Privatsphäre von Abermillionen Menschen, oft in lebensbedrohlichen Situationen“. Telegrams jüngste Kooperationen mit Ermittlern zeigen, wie schnell einmal geöffnete Türen weit offenstehen.

Regierung Merz laviert herum

Politisch liegt der Ball jetzt in der deutschen Hälfte. Die frühere Ampel-Regierung hatte noch versprochen, „die Vertraulichkeit privater Kommunikation zu sichern“. Heute herrscht Schweigen. Der CCC spricht von einem „Mauern“ der Ministerien kurz vor der Ratsentscheidung. Verbände erhöhen den Druck mit offenen Briefen, Kampagnen und Appellen. Und Patrick Breyer erinnert eindringlich daran, worum es geht: „Es ist ja so, als würde man jeden Brief bei der Post öffnen, nur um nachzusehen, ob da vielleicht etwas Strafbares drin ist“.

Die für den 14. Oktober geplante Abstimmung im EU-Rat wurde jedenfalls vertagt – wieder einmal. Ein Zeichen, dass Brüssels Durchmarsch ins Stocken geraten ist. Doch nichts ist entschieden. Sollte Deutschland kippen, wäre der Weg frei für ein Gesetz, das unsere Kommunikation für immer verändert. Breyer nennt die deutsche Stimme „entscheidend für das Schicksal dieser Verordnung“. Anders gesagt: Wer jetzt zustimmt, kann sich später nicht herausreden, er habe „nur Sicherheit gewollt“. Denn wer absichtlich Sicherheitslücken in Milliarden Geräte kippt, der zerstört nicht nur Technik, sondern zerstört vor allem Vertrauen.

Meredith Whittakers Ultimatum hat den Nebel gelichtet. Wenn selbst die Verteidiger sicherer Kommunikation lieber gehen, als an der Aushöhlung mitzuwirken, muss Berlin aufwachen. Es geht nicht um ein Gesetzesdetail, sondern um die Grundfrage unserer Ordnung: Bleibt private Kommunikation privat? Oder gewöhnen wir uns an einen Staat, der mitliest? Und zwar immer und überall?

Wenn die Chatkontrolle Realität wird, dann braucht Signal keinen Abschiedsbrief mehr zu schreiben. Der Brief wäre längst geöffnet.

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Kommentare ( 15 )

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St.Elmo
1 Monat her

Verstößt die Chatkontrolle nicht gegen Art.10 GG?
Der Artikel lässt zwar Beschränkungen zu aber eine anlasslose Überwachung aller Nachrichten ist keine Beschränkung, sondern das aufheben von Art.10 GG

Nibelung
1 Monat her

Es könnte damit Einschneidungen und Konsequenzen für Einzelne geben, aber selbst alte Despoten, wie z.Bsp. Ludwig XIV. mit seinem straffen Beamtentum der inneren Spionage konnte den Abstieg der Monarchie nicht verhindern, Metternichs Spitzelstaat ebenso wenig und die größten wie Stalin und Hitler sind ebenso mit ihren Machtmittel gescheitert und nur Dumme haben daraus nichts gelernt und probieren alte Praktiken, umgesetzt mit neuen Mitteln und auch das wird versagen und die Freiheit siegen, denn der Fluß des Lebens ist nicht auzuhalten und wird allenfalls für die Protagonisten zum Problem, während die Freiheit wieder kommt, wenn sie auch vorrüber gehend außer Kraft… Mehr

Wilhelm Roepke
2 Monate her

Tja, dann werde ich wieder mit dem Bargeld auf dem Fahrrad zum Empfänger fahren, denn Onlinebanking ist dann erledigt. Na toll.

Marcel Seiler
2 Monate her

Nur noch IT-Experten werden privat kommunizieren können. Wer das nicht ist, wird durchleuchtet.

Manfred_Hbg
2 Monate her

EGAL ob das vom AltparteienKARTELL verwaltete grünwokelinke Berlin oder ob dieses undemokratische EU-Brüssel mit seinen Leyen’schen Pseudodemokraten: sie sind die dicken Sargnägel für unser (noch) souveränes Deutschland und den hier schon länger lebenden.

Mir tun nur unsere heute Kleinsten und Neugeborenen leid. Denn sie werden sehr wahrscheinlich in ein Land und Elend aufwachsen welches so gar nichts damit zu tun haben wird, was unsere (Groß-)Eltern nach 45 mit Blut, Schweiß und Schwielen an den Händen aus den Ruinen erschaffen haben.

Tin
2 Monate her

Wann wird man verstehen, dass gegen einen persönlich aus dem Schützengraben einer korrupten, kriminelle Organisation gehandelt wird?. Seit 2000 bis heute, hat sich nichts gebessert, sondern nur verschlimmert. Es wird offen kommuniziert und durchgeführt: Menschenhassende Ideologien und Christentumsphobie, EU-ID, EU-Ungezieferfraß, EUweit illegale Einwanderung, EU-Enteignung durch die Hintertür, EU-Chatkontrollen, EU-Pandemiesimulationen, EU-Gewaltmedizin, EU-Hungerspiele, EU-Demokratiesimulation, Krieg, WHO-Artikel 2 der IGV. Was hat das noch überhaupt mit Demokratie zu tun?. WAS???????. Seit wann ist diese kaputte Organisation zudem ein Staat???.

mediainfo
2 Monate her

Kriminelle Netzwerke haben möglicherweise eigene Messenger-Apps, mit eigenem Server, von Entwicklern programmiert, die ein nicht abzulehnendes Angebot erhalten haben. Das erscheint mir naheliegend. Diese müssen nicht so ausgefeilt sein wie die öffentlichen Apps, verschlüsselte Text-Kommunikation reicht. Es gab mal einen Fall in der Vergangenheit, der aufgeflogen ist, warum sollten solche Bestrebungen eingestellt worden sein?

Last edited 2 Monate her by mediainfo
aaa007
2 Monate her

Oder gewöhnen wir uns an einen Staat, der mitliest?“ – Klarstellung: da wird wohl nicht nur der deutsche Staat „mitlesen“, sondern viele andere auch. Und auch die Datenpannen vervielfältigen sich

HarryDax
2 Monate her

Ich sage seit 26 Jahren. Rettet das Internet!
Ich wünsche ICQ und Foren zurück. 🙂

M.E.S.
2 Monate her

Wenn Dateneingabe praktisch an der Tastatur abgegriffen wird, dass ist das das Ende des Online-Banking. Die EU und keiner der Mitgliedstaaten hat die Kompetenz, ein vor fremden Zugriffen sicheres System zu konstruieren, und das Vertrauen, mit Daten vertrauensvoll umzugehen, auch nicht.

CasusKnaxus
1 Monat her
Antworten an  M.E.S.

Ich komm immer noch auch ohne Onlinebanking klar.