„Ostermärsche“: Teilnehmer haben aus der Geschichte nichts gelernt

Das Wiederaufflammen der Ostermärsche beweist, dass die „Friedensbewegung“ nichts gelernt hat. Wieder richtet sich die Anklage vor allem gegen den Westen, wieder wird die Legende einer Bedrohung Russlands durch die Nato heraufbeschworen, und wieder will man die Ertüchtigung der Verteidigungsfähigkeit verhindern.

IMAGO / epd
Ostermarsch am Karsamstag in Berlin, 16.04.2022

Nach langen Jahren der Stagnation ziehen sie an diesem Osterfest wieder über die Straßen unseres Landes: Die Wohlfühlkolonnen der vermeintlichen Friedensbesorgten mit der Gewissheit der moralischen Überlegenheit gegenüber dem Rest der Gesellschaft. Nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums vor über drei Jahrzehnten war auch die unmittelbare Bedrohung der Freiheit im Westen verschwunden. Alle redeten von einem neuen Zeitalter der Harmonie und des friedlichen Zusammenlebens in Europa. Den Ostermarschierern mit ihren besorgten Gesichtern und ihren „Give Peace a Chance“-Gesängen war schlicht die Luft ausgegangen.

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Doch jetzt – zu Ostern 2022 – haben sie endlich wieder ihr Feindbild und einen Grund des Protestes gefunden. Dazu gelernt haben die „Friedensfreunde“ aber nichts! Zur Erinnerung: Als die Sowjets in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts damit begannen, mit den nuklearfähigen SS20-Mittelstreckenraketen eine neue Kategorie von Waffen zu stationieren, reagierte der Westen mit dem sogenannten Nato-Doppelbeschluss. Falls die andere Seite mit der Stationierung fortfahre, werde der Westen mit der Aufstellung von Raketen des Typs Pershing 2 reagieren.

Ziel Moskaus war es damals, mit der Einführung einer neuen Generation von Nuklearwaffen, die ausschließlich das Gebiet Europas mit dem Schwerpunkt Deutschland erreichen konnten, das Versprechen der USA zur Verteidigung Europas in Zweifel zu ziehen. Allein das hätte gereicht, einen irreparablen Riss innerhalb der Nato herbeizuführen. Es war der sozialdemokratische Bundeskanzler Helmut Schmidt, der diese Gefahr frühzeitig erkannte und den amerikanische Präsidenten Jimmy Carter erst überzeugen musste, welche Gefahr hinter dieser Entwicklung lauere. Schließlich stimmte Washington Gegenmaßnahmen zu.

In der Bundesrepublik machte eine breite Front dagegen mobil. Ein Bündnis linker Parteien und Gruppierungen formierte sich zur sogenannten Friedensbewegung. Schon bald schlossen sich ihr die Kirchen, große Teile der Gewerkschaften und schließlich die SPD-Funktionärsbasis an. Neben diversen Aktionen war eine Großdemonstration im Bonner Hofgarten mit mehreren hunderttausend Teilnehmern der Höhepunkt dieser Bewegung. Erst später stellte sich heraus, dass die Planung der Kampagnen maßgeblich von der Staatssicherheit der DDR und ihren sowjetischen Genossen beeinflusst und gesteuert war.

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Als Kanzler Helmut Schmidt (SPD) den Nachrüstungsbeschluss gegen seine eigene Partei nicht mehr durchsetzen konnte, zerbrach 1982 die sozial-liberale Koalition aus SPD und FDP. Mit Schmidts Nachfolger, dem Christdemokraten Helmut Kohl, zog ein von der Notwendigkeit westlicher Nachrüstung zutiefst überzeugter Mann ins Kanzleramt ein. Viel später berichtete er im kleinen Kreis, dass er selbst einmal an seiner Überzeugung gezweifelt habe. Am Tag der „Hunderttausenden im Bonner Hofgarten“ – es war ein Sonnabend – bat er den Piloten des Hubschraubers, der ihn von Bonn ins heimische Oggersheim bringen sollte, noch einmal eine Schleife über den Hofgarten zu drehen.

Im Angesicht der überwiegend studentischen Massen überkamen ihn Zweifel. Das ganze Wochenende über hätten ihn diese bewegt. Immer wieder dachte er dabei an die realen Zustände in den Diktaturen des Sowjet-Reiches, an die blutig niedergeschlagenen Volksaufstände in der DDR 1953, in Ungarn 1956, in Prag 1968, aber auch an die am Todesstreifen durch Deutschland ermordeten Flüchtlinge.

Als Kohl am Sonntagabend nach Bonn zurückkehrte, war er sich seiner Sache sicherer denn je. Die Nato-Beschlüsse müssten zur Bewahrung der Freiheit in Westeuropa gegen alle Widerstände durchgesetzt werden. Zeitweise waren in Umfragen 70 Prozent der Deutschen gegen seine Politik. Doch Kohl blieb standhaft und fand dabei im neuen amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan einen zuverlässigen Mitstreiter. Das Ergebnis ist bekannt: Moskau begann mit der Abrüstung seiner Raketen, der Westen musste keine neuen aufstellen. Das war der Beginn des Zusammenbruchs des kommunistischen Systems. Am Ende standen der Zerfall des Warschauer Paktes und die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit.

Verrat an den Freiheitskämpfern der Ukraine

Heute, drei Jahrzehnte später, ist an die Stelle dieser Entwicklung eine neue Eiszeit getreten. Mit Putin ist dem Charakter nach wieder ein der Sowjetunion ähnlich aggressives und diktatorisches Regime in Moskau an der Macht. Erklärtes Ziel ist die Wiederherstellung der territorialen Ausdehnung des russischen Imperiums in den Dimensionen der frühen 90er Jahre. Welche Mittel man in Moskau bereit ist, dafür einzusetzen, zeigt der derzeitige Vernichtungskrieg gegen die Ukraine, begleitet durch massive Aufrüstung aller militärischen Bereiche.

Das Wiederaufflammen der Ostermärsche beweist, dass die „Friedensbewegung“ nicht gelernt hat. Wieder richtet sich die Anklage vor allem gegen den Westen, wieder wird die Legende einer Bedrohung Russlands durch die Nato heraufbeschworen, und wieder will man die Ertüchtigung der Verteidigungsfähigkeit verhindern. Die Geschichte hat gelehrt, dass nur die westliche Bereitschaft zur Abschreckung und Gegenwehr in der Vergangenheit die eigene Freiheit bewahrte und schließlich auch zum Sieg der Demokratie in vielen Staaten Osteuropas führte.

Die „besorgten Ostermarschierer“ müssen sich nach ihrem Verhältnis zur Freiheit fragen lassen. Pazifismus und moralische Arroganz allein reichen nicht aus. Im Gegenteil, sie machen das österliche Arrangement vor dem Hintergrund der grausamen Völkerrechtsverletzungen durch die Russen in der Ukraine zutiefst unglaubwürdig und zum Verrat am ukrainischen Volk.

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Kommentare ( 42 )

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Atheist46
2 Jahre her

Aus der Geschichte lernen kann nur, wer die Geschichte kennt, Herr Gafron. Sie glauben doch nicht im Ernst, dass diese „Ostermarschierer“ diese Voraussetzung erfüllen? Denen reicht ihre Moral vollauf als Motivation, die spart ihnen auch noch das eigene Denken.

Index
2 Jahre her

Journalistische Psychosen und Doppelstandards in „guten“ und „schlechten“ Krieg? Apropos: „Moralische Arroganz“? „Verrat am ukrainischen Volk“? Oha! Der Artikel ist aus meiner Sicht eher Verrat am Friedenswillen der Friedensbewegung. Frieden heißt Frieden, und nicht Einbisschenkriegistschonokay-Frieden! Und kein Wort im Artikel davon, dass sich der Protest auch gegen den Krieg der Russen in der Ukraine richtet. Diese Unterschlagung muss man erst einmal hinbekommen. Aus meiner Sicht ist das eindeutig Framing. Sehr, sehr traurig, Herr Gafron!

jorgos48
2 Jahre her

In den TV Berichten über die Ostermärsche sah ich meistens ältere Frauen vor den Mikrophonen der Interviewer. Ist das von Bedeutung? Die etwas jüngeren Gender Emanzen, studierte Geschwätzwissenschaftler*Innen, tummeln sich in der Politik. Sind die bedeutend?

Piet1975
2 Jahre her

Nun blöde und arrogante Friedensfinder findet man in jedem Land, aber vorallem in Deutschland.

Johann Thiel
2 Jahre her

Es macht wirklich den Eindruck, dass für die meisten der TE-Autoren der Russland-Ukraine Konflikt irgendwie überkomplex zu sein scheint, so dass sie nicht begreifen, dass man das Ganze nicht einfach auf einen Überfall Russlands oder Putins auf die Ukraine reduzieren kann. Eine umfängliche Beschreibung kann man sich sparen, da diese schon x-mal durch die Foristen erfolgt ist. Ein Friedensmarsch ist nun mal einer der für den Frieden ist und nicht für den Krieg. Wer sich von Russland bedroht fühlt kann aufrüsten. Er sollte aber dabei nicht vergessen, dass wenn er sich dabei mit seiner Begründung auf den Ukraine-Konflikt bezieht, dass… Mehr

G
2 Jahre her
Antworten an  Johann Thiel

Doch, der geht uns etwas an. Außer wenn wir genau wissen, daß wir in Ruhe gelassen werden. Und welche Garantie haben wir, das genau zu wissen?

Ich denke da an Niemöller: als sie mich holten war niemand mehr da …

Johann Thiel
2 Jahre her
Antworten an  G

Wer sicherstellen will, dass er nicht angegriffen wird, muss für seine eigene Wehrhaftigkeit sorgen und darf sich nicht auf andere verlassen. Das aber allein genügt nicht, er muss auch für ein gutes Auskommen mit seinen Nachbarn sorgen. Dazu gehört auch Konflikte nicht zu schüren, ausgleichend zu wirken, und sich auch manchmal einfach herauszuhalten wenn es dem eigenen Land dient. Wir haben weder zu Russland noch zur Ukraine ein Verhältnis welches auch nur annähernd mit dem zwischen Russland und der Ukraine vergleichbar wäre. Unsere Freiheit oder besser das was wir dafür halten wird weder am Hindukusch noch in der Ukraine verteidigt.… Mehr

Physis
2 Jahre her

Nun, für mich ist die Ukraine nichts weiter, als das „zweite“ Afrika! Und ganz offensichtlich ist NIEMAND in der Lage, solche Probleme zu lösen! MEIN PERSÖNLICHES Problem besteht allerdings darin, dass ich ALLE sogenannten Flüchtlinge nicht mehr akzeptieren kann! Mittlerweile gerät es nämlich dazu, dass ich mit meiner SEHR FLEISSIG eingenommenen Steuerabgabe mein EIGENES Überleben bezahle! Und ob dieser Erkenntnis SCHEI.. ich auf Russland und noch mehr auf die Ukraine! Sie sollen GEFÄLLIGST erstmal das bewerkstelligen, was ich für meinen VERSCHISSENEN Staat bereit bin zu leisten! PS: Ich schaue sehr gerne Dokumentationen über jegliche Länder. Und ich bin jedesmal beeindruckt.… Mehr

Physis
2 Jahre her

Ich kenne Leute, die sich schon bei einem Gewitter in die Hosen machen. Weiterhin kenne ich Leute, die ihren Müll nicht trennen, aber „grünen Strom“ einkaufen. Und dann gibt es solche, die einen Lockdown als Ausrede nutzten, ihre (abgeschobenen) Eltern endlich nicht mehr über die stinkenden Flure des Altersheimes hinweg besuchen zu müssen. Dann gibt es noch solche, die in jeder Teddybär-Weitwurf-Challance jeden Preis gewinnen würden. Und weiter gibt es Menschen, die Kriege einfach nur doof finden. Übrigens doof und trivial genug, um bloss nicht selber kämpfen zu müssen… Und dann gibt es Fahrradfahrer, die mich heute an der Aussenalster… Mehr

Cabanero
2 Jahre her

Lieber Herr Gafron, warum glauben Sie eigentlich, daß das „Verteidigungsversprechen“ der USA an Deutschland. also das Land auch unter Opferung seines eigenen Volkes (also eben auch nuklear) im Falle eines Angriffes zu verteidigen, mehr wert ist das das offensichtlich wertlose und nie ernstgemeinte „Versprechen“ der drei Westmächte USA; GB und Frankreich an die Ukraine 1994? Wäre dieses Versprechen glaubwürdig gewesen, hätten die USA am 25. Februar dieses Jahres Rußland ein Ultimatum stellen müssen, binnen 24 Stunden seine Truppen wieder von ukrainischem Territorium zurückzuziehen, ansonsten werde man mit Atomschlägen nachhelfen. Denn genau das war der Deal 1994 gewesen: Die Ukraine gibt… Mehr

Evero
2 Jahre her

Es mag naiv sein von den Friedensbewegten in Deutschland, dass sie fordern „Schwerter zu Pflugscharen“ umzuschmieden, wo wir doch gar keine Schwerter mehr haben. Ich bin sehr dafür, dass Deutschland eine Bundeswehr mit einer Bewaffnung unterhält, die eine glaubhafte Abschreckung darstellt. Insofern: dafür ist unser Steuergeld gut angelegt. Aber ich begrüße auch ausdrücklich die Plakate der Friedensmarschierer, die sich gegen Waffenlieferungen aus Deutschland an Kriegsparteien wenden, zumal wenn der Kriegsgegner Russland heißt. Waffenlieferungen haben die Eigenart, dass diese Waffen sich oft genug gegen den Lieferanten selbst richten. Jedes Land hat das Recht auf eine effiziente Landesverteidigung, auch die Ukraine. Was… Mehr

Last edited 2 Jahre her by Evero
meckerfritze
2 Jahre her

Ich glaube nicht, daß die für Frieden marschieren. Die wollen nur ihre menschenfeindliche linke Agenda durchsetzen. Es sind Nazis.