Einen von seinem Kaliber sucht man in der Riege der 16 deutschen Kultus-, Schul- und Wissenschaftsminister seit rund zwei Jahrzehnten eher vergeblich. Nun ist er im Alter von 86 Jahren gestorben: Hans Zehetmair (1936 – 2022).
Hans Zehetmair stammt aus der Familie eines Handwerkers und Landwirts im oberbayerischen Kreis Erding. Die Schulzeit verbrachte er am humanistischen Domgymnasium im nahegelegenen Freising. Deren Schulprofil hat den jungen Zehetmair so geprägt, dass er selbst alte Sprachen und Germanistik studierte. Von 1964 bis 1974 kehrte er denn auch als Lehrer an das Domgymnasium zurück.
Dann begann bald Zehetmairs steile und vielfältige politische Karriere, die hier nur in Stichworten angegeben sei: 1974 bis 1978 und erneut 1990 bis 2003 Mitglied des Bayerischen Landtags für die CSU, 1978 bis 1986 Landrat des Landkreises Erding. Von 1986 bis 2003 folgten 17 Ministerjahre unter drei verschiedenen Ministerpräsidenten: Franz Josef Strauß (1978 – 1988), Max Streibl (1988 – 1993) und Edmund Stoiber (1993 – 2007). Für die Jahre von 1993 bis 1998 machte ihn Stoiber zum Stellvertretenden Ministerpräsidenten.
Wechselhaft waren seine Ministerposten. Mal war er „nur“ Schulminister (1986 – 1989), mal Doppel-Minister für Schule, Wissenschaft und Kunst (1990 – 1998), dann „nur“ Minister für Wissenschaft und Kunst (1998 – 2003). Die Trennung bzw. Zusammenführung dieser zwei großen Ressorts war nicht Zehetmairs Kalkül, sondern des Machtkalküls zweier Ministerpräsidenten. Franz Josef Strauß wollte 1986 Hans Maier loswerden, deshalb teilte er das Kultusministerium im Wissen, dass Maier das nicht mitmache und seinen Hut nehme. Anders motiviert war Stoiber, der das große Kultusministerium 1998 wiederum teilte, um die Strauß-Tochter Monika Hohlmeier als Schulministerin in den Ministerrang zu hieven.
Bildungspolitisch hat der Freistaat Zehetmair einiges zu verdanken. Dass die Bayern bis zum heutigen Tag bei allen innerdeutschen und internationalen Leistungsstudien vorne dran sind, hat mit Zehetmairs Festhalten am leistungs- und begabungsorientierten gegliederten Schulwesen zu tun. Davon zehrt der Freistaat heute noch. Ob die Schulpolitik in Deutschland und im Freistaat Bayern anders gelaufen wäre und so manchen kardinalen Fehler vermieden hätte, wäre Zehetmair über 2003 hinaus im Amt gewesen: Man kann nur spekulieren. Jedenfalls wäre es ihm im Gegensatz zu Schulministerin Hohlmeier und deren Nachfolger Schneider nicht in den Sinn gekommen, das erfolgreiche neunjährige Gymnasium – obendrein konzeptionslos – zum „G8“ zu amputieren.
Zehetmair zeigte sich im Laufe seiner politischen Karriere gleichwohl gelegentlich durchaus flexibel. Die Abiturkompromisse der Kultusministerkonferenz (KMK), wo er als Sprecher der CDU/CSU-geführten Länder fungierte, waren nicht immer die anspruchsvollsten. Allerdings hatte das auch damit zu tun, dass die Unions-Minister in der KMK zahlenmäßig und fachlich nicht immer die stärksten waren. Zu den Fehlern, die Zehetmair in späteren Jahren selbst einräumte („Wir hätten sie nicht machen sollen“), zählt die Rechtschreibreform, deren größte Ungereimtheiten er als Vorsitzender des Rates für deutsche Rechtschreibung von 2004 bis 2014 abzumildern suchte. Über seine Ministerzeit hinaus war Zehetmair außerdem von 2004 bis 2014 als Vorsitzender der Hanns-Seidl-Stiftung tätig. Seine Verdienste wurden außer mit zahlreichen Orden unter anderem mit mehreren Ehren-Doktor-Titeln und dem Titel eines Honorarprofessors der TU Moskau gewürdigt.
Persönliche Begegnungen
Wer wie ich mit Hans Zehetmair von 1986 bis kurz vor seinem Tod politisch und auch persönlich zu tun hatte, der erlebte einen jovialen, durchaus spitzbübischen, aufgeschlossenen, geradlinigen, manchmal direktiven und gelegentlich nicht uneitlen Menschen, einen unerschütterlichen Föderalisten, einen Förderer von 1860 München (im Gegensatz zum Bayern-Fan Stoiber) – einen Mann, der sich freilich im Laufe der Jahre vom streng konservativen zum liberalen Geist wandelte. Man war jedenfalls immer beeindruckt von Zehetmairs kulturellem Hintergrund und von seiner druckreifen Rhetorik. Hier konnte sich Zehetmair vor allem in den Jahren 1998 bis 2002 als Minister für Wissenschaft und Kunst ausleben und profilieren: als Chef von Museen, Bühnen, Opernhäusern …
Wir sind uns – wie man so sagt – immer über den Weg gelaufen: 1987 riet er mir, für das Amt des Präsidenten des Deutschen Lehrerverbandes zu kandidieren. Es sind daraus für mich 30 Jahre in diesem Ehrenamt geworden. Zehetmair selbst hat diesen Rat an mich nie bereut, auch wenn wir regelmäßig (siehe Abiturpolitik, Rechtschreibreform) aneinandergeraten sind. Und er hat mir, dem Bayern, 1995 zugeraten, den Ruf des damaligen CDU-Spitzenkandidaten Manfred Kanther anzunehmen, nämlich mit dem damaligen Bundesinnenminister zusammen in Hessen zur Landtagswahl 1995 in einem „Schattenkabinett“ anzutreten. Es ist aufgrund der Landtagswahl vom 19. Februar 1995 knapp nichts daraus geworden (49,2 Prozent rot-grün versus 46,6 Prozent schwarz-gelb), sonst hätte es in der KMK eine durchaus dynamische Achse Bayern–Hessen gegeben.
Nach Zehetmairs Ausscheiden aus dem Ministeramt haben wir dann auf der Plattform der Hanns-Seidl-Stiftung manche Tagung zusammen bestritten. Und regelmäßig besuchte er mich im Direktorat meines Gymnasiums, wenn er an einem Freitagmittag zwei seiner Enkel, die Schüler meiner Schule waren, nach Hause abholte. Da die zwei jungen Leute nicht Zehetmair hießen, sondern den Namen der Zehetmair-Tochter trugen, konnte ich fast bis zu deren Abitur meiner Schule inklusive Lehrerkollegium verbergen, dass es Zehetmair-Enkel waren. Schließlich sollten die beiden eine unbeschwerte Schulzeit erleben – ohne Vorteile und ohne Nachteile.
Nun ist Johann Baptist Zehetmair am 28. November nach längerer Krankheit im Haus seiner Tochter im oberbayerischen Neumarkt St. Veit gestorben. Er folgt damit vier Monate nach dem Tod seiner Frau Ingrid, mit der er 61 Jahre verheiratet war und mit der er drei Kinder, acht Enkel und zwei Urenkel hatte.
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»De mortuis nihil nisi bene« Wie zu Recht erwähnt, war die Zustimmung zur Falschschreibreform DER Sündenfall in der langen politischen Karriere des Verstorbenen. Diesem massiven kulturmarxistischen Angriff auf die deutsche Bürgerlichkeit nicht größerem Widerstand entgegengesetzt zu haben, hat er später augenscheinlich vielfach bereut.
Es mag nicht die erste falsche Zustimmung Bayerns zu fehlgeleiteter Bundespolitik gewesen sein, doch es dürfte die erste wirklich große gewesen sein. Spätestens seitdem gilt: Was gut für den Bund ist, schadet Bayern regelmäßig.
Unter den Lehrern in Bayern wurde früher der Abstieg bei den Kultusministern mit folgendem Bonmot beschrieben:
Maier, Zehntelmair, Hohlmeier
Damit war gemeint: Hans Meier (1970 bis 1986) war der beste Kultusminister, den Bayern nach dem Krieg hatte. Hans Zehetmair (1986 bis 1998) wurde schon bei weitem nicht mehr so geschätzt. Aber einen Tiefpunkt erreichte das Kultusministerium in Bayern unter Monika Hohlmeier (1998 bis 2005), der Tochter von Franz Josef Strauß. Nach Monika Hohlmeier wurde es wieder besser, aber nicht sehr.
Davon zehrt Bayern heute noch, aber nimmer lang. Denn auch hier ist das Bildungsniveau mittlerweile an die dritte Welt angepasst und die einheimischen Kinder in einer erschreckenden Minderheit. Dies ist ein langer Prozess gewesen, und auch Zehetmair hat, konnte, oder wollte nicht dagegensteuern.
Den wirklichen Sündenfall in der bayrischen Bildungspolitik hat Zehetmair auch nicht verhindert bzw. zurückgedreht: Die sogenannte „Oberstufenreform“ mit der Einführung des Billig-Abiturs bis 1974. Seither ging es bergab, wie ich durch eigene Beobachtung feststellen mußte.
„das erfolgreiche neunjährige Gymnasium – obendrein konzeptionslos – zum „G8“ zu amputieren.“
Sachen beweist ungebrochen, dass G8 funktioniert. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/201453/umfrage/gesamtbewertung-der-bundeslaender-beim-bildungsmonitor/
Die Konzeptionslosigkeit ist das Übel und die entspringt zum Teil dem Unwillen.
Einer seiner größten Fehler, die Beteiligung an der Rechtschreibreform, wurde angesprochen. Dieser Fehler ist allerdings nachhaltig und hat die Tür zur „Gendersprache“ mit geöffnet. Die Sprache ist das größte Gut eines Volkes, Basis für dessen Identität. Mit der Rechtsschreibreform wurde die deutsche Sprache der Beliebigkeit preis gegeben. Der Anfang des Niedergangs der deutschen Identität.
Und dann hat dieser Verfechter der deutschen Sprache auch noch erklärt, er habe sich „um den Job nicht gerissen“. Auf diesen Politiker braucht man nun wirklich keine Elogen schreiben, genauso wie auf den 68er Vordenker und Altkommunisten Enzensberger, für dessen dicke Pension wir Steuerzahler nun glücklicherweise auch nicht mehr aufkommen müssen.
Der Fehler an der Rechtschreibreform war, dass sie zwar viele Neuregelungen enthielt, die schon Konrad Duden gefordert hatte, sie aber auf halbem Weg stehen blieb. Ich will hier nicht ins Detail gehen, aber beim Thema „Rechtschreibreform“ kenne ich mich wirklich aus. Deshalb habe ich sie immer unterstützt! Nur so viel: Veränderte Schreibweisen verändern nicht die Sprache, sonst könnte man die deutsche Sprache nicht mit stenografischen Zeichen aufschreiben. In der Stenografie gelten völlig andere Rechtschreibregeln als in der Langschrift. Als 1901 die Rechtschreibung für das gesamte Deutsche Reich vereinheitlicht wurde, war damit ja auch kein Niedergang der deutschen Identität verbunden, obwohl… Mehr
Die Rechtschreibreform hatte keine Fehler, SIE war der Fehler!
Haben Sie sich intensiv mit der alten und der neuen Rechtschreibung beschäftigt und alle Hintergründe kennen gelernt, die damit verbunden sind? Oder sind sie nur ein Laie, der glaubt sich auszukennen? Wie dem auch sei! Ich diskutiere schon lange nicht mehr über die Rechtschreibreform. Wie schon bei der Vereinheitlichung der Rechtschreibung im Jahre 1901 wird der kleine Restwiderstand bald aus biologischen Gründen enden.