Der stille Exodus der klassischen Sozialdemokraten

Der Linkskurs der gegenwärtigen Parteiführung vertreibt vor allem Traditionsgenossen, darunter etliche gestandene Kommunalpolitiker. TE dokumentiert typische Fälle.

imago images / Christian Spicker

Seit 1990 verlor die SPD gut die Hälfte ihrer Mitglieder. Kurz nach der Vereinigung mit den Ost-Sozialdemokraten zählte die Partei fast eine Million Genossen, genauer: 943.402. Ende 2019 besaßen nur noch 419.340 das rote Parteibuch. Der verschärfte Linkskurs unter der Führung von Saskia Esken und Vize Kevin Kühnert ist für viele langjährige Mitglieder des Traditionsflügels der letzte Anstoß, um zu gehen.

Gunter Weißgerber, 64: der Leipziger, der im Herbst 1989 zu den Wiedergründern des Stadtverbandes gehörte, saß von 1990 bis 2009 als direkt gewählter Abgeordneter im Bundestag. Als Mitglied des Haushaltsausschusses gehörte er zum rechten Parteiflügel. Weißgerber trat 2019 aus. Die SPD, begründete er seinen Schritt, ähnele immer stärker der Linkspartei, also der Kraft, die er politisch immer bekämpft habe. Seine Position beschreibt er so: „Ich bin jetzt Sozialdemokrat ohne Parteibuch.“ 

Florian Gerster, 70: Der frühere Sozialminister von Rheinland-Pfalz und Präsident der Bundesanstalt für Arbeit verließ Anfang 2020 nach 50 Jahren Mitgliedschaft die SPD und trat zur FDP über. Auf kommunaler Ebene, so Gerster, gebe es noch eine „sehr solide Politik der Mitte“ in der SPD. „Das Problem ist die Bundespartei, die nicht mehr diese Botschaft an die Mitte senden kann. Deswegen fällt die SPD inhaltlich auseinander.“

Karlheinz Endruschat, 68: Ebenfalls Anfang 2020 verließ der stellvertretende Vorsitzende der SPD Essen und Ratsherr die Partei. Er warf der Führung des Landesverbandes NRW vor, die Probleme der gescheiterten Integration von Migranten in Essen zu verdrängen, vor allem den wachsenden Machtanspruch von libanesischen Clans.

Harald Christ, 48: der Unternehmer und frühere Mittelstands-Beauftragte der SPD verließ die SPD im März 2020 nach 30jähriger Mitgliedschaft, und wechselte zur FDP, wo er mittlerweile den Posten des Bundesschatzmeisters übernahm. Unter der neuen SPD-Führung, begründete Christ seinen Schritt, gebe es nicht mehr das geringste Interesse an wirtschaftsfreundlicher Politik: „Die SPD unterliegt dem Irrtum, nur noch dadurch aus ihrem Umfragetief herauszufinden, dass sie immer weiter und schriller nach links rückt.“

Günter Schulz,70: Der frühere Polizeibeamte und langjährige 2. Bürgermeister von Höchstadt/Franken verließ die SPD im Mai, als ihm ein Parteiverfahren drohte, weil er – seit 18 Jahren Kommunalpolitiker – 2020 auch mit der Stimme eines AfD-Abgeordneten zum Bürgermeister gewählt worden war. Schulz wies die Forderung der Landesparteiführung zurück, das Amt deshalb nicht anzunehmen. Die Anti-AfD-Politik lasse sich in Kommunalparlamenten nicht durchhalten, und passe auch nicht zu den Problemen vor Ort. Er warf der SPD-Führung vor, nicht einmal mit ihm gesprochen zu haben:
„Die Entscheidungen des Landesvorstands zum Ordnungsverfahren habe ich durch die Medien erfahren. Warum hat die SPD mich nicht vorher befragt? So geht man mit langjährigen Genossen nicht um.“

Susanne Gaschke, 53: Die frühere Oberbürgermeisterin von Kiel und Redakteurin der WELT trat im Mai aus. letzter Anlass für sie war die Entscheidung der Bundestags-Fraktionsführung, nicht den langjährigen und in der Truppe respektierten konservativen Sozialdemokraten Hans-Peter Bartels wieder als Wehrbeauftragten vorzuschlagen, sondern die linke Abgeordnete Eva Högl, die mit einem Posten versorgt werden sollte. Gaschke ist mit Bartels verheiratete.
„Aus einer Aufstiegspartei, die Menschen solidarisch dabei hilft, sich selbst zu helfen, habt Ihr – in mehrfacher Hinsicht – eine Versorgungspartei gemacht“, schrieb Gaschke in ihrer Austrittsbegründung.

Ursula Sarrazin, 69, schickte im August ihr Parteibuch nach 40jähriger Mitgliedschaft zurück, nachdem SPD ihren Mann Thilo Sarrazin ausgeschlossen hatte. Die pensionierte Lehrerin, Traditionssozialdemokratin und Tochter des früheren DGB-Chefs Ernst Breit, schrieb zur Begründung, unter ihren neuen Führung sei die SPD zu einer „Sekte“ verkommen, in der es nicht mehr möglich sei, „die brennenden Probleme der Gegenwart“ – Migration und Islam – offen zu diskutieren. „Die SPD ist zu einer Partei geworden, in der man die Wirklichkeit nicht mehr beschreiben darf.“

Frank Peuker, 57: Der Kommunalpolitiker, seit 2008 Bürgermeister im sächsischen Großschönau, trat im August aus der SPD aus. Letzter Anlass war nach seinen Worten die pauschale Beschimpfung der Demonstranten von Berlin vom 1. August als „Covidioten“ durch die Parteichefin Saskia Esken. So dürfe eine Parteivorsitzende nicht über Bürger urteilen, meinte Peuker.

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Kommentare ( 67 )

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Rebel Girl
3 Jahre her

Schade finde ich, Herr Wendt, dass Guido Reil, ein ehemaliger Bergmann und 26 Jahre SPD-Mitglied, nicht erwähnt wird. Vielleicht, weil die Liste nicht zu lang werden sollte, oder aber, weil er zur AfD übergetreten ist?

Onan der Barbar
3 Jahre her

Die Reinigung von kritischen Geistern ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Uminterpretierung des „S“ als „Schariah“.

Wilhelm Cuno
3 Jahre her

Angesichts der Politik hat die SPD immer noch viel zu viele Mitglieder, Abgeordnete und Einfluss. 3% und 15.000 Mitglieder wären einer nach links bzw. Linksaußen orientierten Partei in einer gesunden Gesellschaft unserer Größe angemessen. Es sollten noch ganz andere austreten: Gerhard Schröder, Ulrich Maly, Otto Schily, Rudolf Scharping, usw. Dann wären die Kevins mit ihren Fans alleine zu Hause.

Joerg Gerhard
3 Jahre her

Ich bin eigentlich ein teilweise auch neoliberaler FDP Waehler. Letztes Mal habe ich aber, erstmalig, den Schulz gewaehlt, da ich damals dachte, dass es an der Zeit fuer mehr oekonomisch sozialdemokratische und mehr pro-europaeischere Politik sei. Post Corona sind jedoch fuer mich alle derzeit im BT vertretenen Parteien auf ewig unwaehlbar geworden, und die EU und der Euro sind fuer mich in Liquidation, sie wissen bzw. akzeptieren es nur noch nicht. Die AfD ist fuer mich keine Option. Sie hat ja auch den Lockdown unterstuetzt, und wuerde eh in allen Belangrn noch autoritaerer und manipulativer regieren als Merkel&co, da sollte… Mehr

hekauf
3 Jahre her

Dem Florian Gerster muss die SPD keine Träne nachweinen. Mit dem wollte Schröder die Arbeitslosigkeit halbieren und machte ihn zum Chef des Arbeitsamtes. Aus dem „Stern“: Der SPD-Politiker wollte die Bundesanstalt für Arbeit wie ein Konzernchef zu einem modernen Dienstleistungsunternehmen umbauen. Er nannte sich nicht mehr Präsident, sondern Vorstandsvorsitzender, taufte die Anstalt in Agentur um, bezeichnete als Vorbilder die Privatisierung von Bahn, Post und Telekom. Im Stile eines Sanierers. „Kompetenz von außen einkaufen“ war dabei von Anfang an offenes Credo von Gerster, der zehn Jahre lang selbst als Personalberater tätig war. Wie ein Sanierer holte er die Unternehmensberater Roland Berger,… Mehr

Farbauti
3 Jahre her

Die SPD ist über haupt nicht linker geworden, sondern psychotisch: Wer sich selbst verliert, verliert auch seine Begrenzung und Abgrenzung zu anderen. Entsprechend verändert sich die Art, Dinge und Personen um sich herum wahrzunehmen. Die Gedanken werden sprunghaft statt logisch.
Am ehesten trifft es Frau Sarrazin: „Die SPD ist zu einer Partei geworden, in der man die Wirklichkeit nicht mehr beschreiben darf“, allerdings würde ich sagen die Wirklichkeit nicht mehr beschreiben kann.

Amerikaner
3 Jahre her

Die SPD erstickt an der gleichen Sauce, die sie dem Land in großen Kellen verabreicht haben. Recht so.

FraeuleinBea
3 Jahre her

„Seit 1990 verlor die SPD gut die Hälfte ihrer Mitglieder.“ So wohlgemut dieser erfreuliche Rückgang der SPD-Mitgliederzahl auch stimmen mag, kann man dies leider keinesfalls einem flächendeckenden Erkenntnisgewinn der Genossen zurechnen. Vielmehr haben sich in den letzten 30 Jahren viele von ihnen ganz generell von der Bühne des Lebens und eben nicht nur von der sozialdemokratischen verabschiedet. Die drastisch gesunkene Mitgliederzahl ist also wohl eher dem Umstand geschuldet, dass die ehemalige Volkspartei keinen entsprechenden Nachwuchs bei den herangewachsenen Generationen gewonnen hat und trotz ihre stetigen Entwicklung hin zur links-grünen Schariapartei auch immer noch nicht gewinnt. Denn die seit ihren Kindergartentagen… Mehr

Ewald K.
3 Jahre her

Selber schuld wenn man sich bei der Wahl des Parteibosses so vornehm zurückhält!

Wie war das? Wahlbeteiligung so ca. 50%?
Armutszeugnis!

usalloch
3 Jahre her

Was sind eigentlich Parteileichen? Sind das die Verstorbenen , welche aus Solidaritätsgründen nicht meldet werden, um die Mitgliederzahl stabil zuhalten? Dann würden die Genossen doch noch lange die Sonne im Osten aufgehen sehen.